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Allgemeine Zeitung. Nr. 89. Augsburg, 29. März 1840.

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Rosa Maria Assing,
geb. Varnhagen v. Ense. *)

Als die Freunde der Verstorbenen erfahren mußten, sie würde sich von der Krankheit, die sie aufs Lager warf, nicht wieder erholen, hatte ich nur noch den einzigen Wunsch, daß die neuerwachende Frühlingserde die Hülle einer Seele aufnehmen möchte, die, wie selten ein Wesen, in den grünen und bunten Reizen der Natur heimisch war. Rosa Maria starb aber im Winter. In einer wilden Sturmesnacht, wo der Donner des Geschützes die Gefahren der anschwellenden Elbefluthen verkündete, hauchte sie ihre schöne Seele aus, sie, aus deren innerstem Gemüth ihr theurer Uhland gesungen hatte:

O legt mich nicht ins dunkle Grab!
In Gras und Blumen läg' ich gern,
Wenn eine Flöte tönt von fern,
Und drüberhin
Die hellen Frühlingswolken ziehn!

Die tiefste Wehmuth durchzittert mich, wenn ich der theuern Frau gedenke, die mit einem wunderbar regen Geiste, mit einer jugendlichen Empfänglichkeit für alles Schöne und Tiefe, dem Leben, das sie so weise zu genießen verstand, entsagen mußte! Ihre Gefühle hatten noch ganz die Frische, wie bei einem jungen Mädchen, das zum erstenmale in die weitern Kreise der Welt blickt....

Es werden Eingeweihtere auftreten, die uns Rosa Maria's an innern Erfahrungen sehr reiches Leben erzählen werden. Es war dieß Leben in die schönsten Erinnerungen unserer geistigen Entwickelung verflochten; ihre Myrte grünte bescheiden neben manchem Lorbeer; Uhland, Chamisso, Schwab, Kerner waren ihre Freunde gewesen, mit vielen Jüngeren war sie und ihre Familie in lebhaftester Verbindung, ja sie hat selbst manches zarte, sinnige Lied gesungen. Wer wäre geeigneter, ein Bild ihres geistigen Lebens und ihrer irdischen Wallfahrt zu entwerfen, als ihr Bruder, der nächst Rahel nichts so Theures verlieren konnte, als Rosa Maria! Ich - kann nur die Eindrücke sammeln, die ihre letzten Lebensjahre in mir zurückließen, wo nur die schmerzliche Krankheit dazwischentrat, um eine sonst wenig unterbrochene Beziehung zu stören.

Rosa Maria war durch die Schule derselben Erziehung gegangen, welche ihr Bruder in seinen Denkwürdigkeiten als eine strenge und unstete bezeichnet hat. In Düsseldorf geboren, fand sie eine eigene Genugthuung darin, dem Rhein anzugehören. Sie sagte oft: Wir, bei uns am Rhein. Straßburg, wo sie einen Theil ihrer Kindheit verlebte, Mannheim, wo eine Hofdame ihre Verwandte war, tauchten oft in ihren Erinnerungen mit sonnigem Glanz auf. Später kam sie an die Elbe, wo sich ihr Vater zu ärztlicher Praxis niederließ. Sie hatte das schöne Talent, sich aus Allem, was das Leben bietet, das Erfreulichste auszulesen; sie wurde auf dem neuen Boden so heimisch, daß ich oft über ihre Bekanntschaft mit den verstecktesten ländlichen Reizen, die Hamburgs Umgegend bietet, erstaunte. Durch ihren Bruder kam sie mit den genanntesten Namen der frühern Litteraturepoche in Berührung. Wie leuchtete ihr Auge, wenn sie von ihren ersten Bekanntschaften mit Chamisso, mit Kerner sprach! Die wunderliche Originalität des letztern, des erstern naives Doppelleben als Deutscher und Franzose war ihr noch in den spätesten Jahren eine grüne Fernsicht des Gedächtnisses, die sie um so heiterer stimmte, als sie aus der unmittelbaren Gegenwart Fortsetzungen daran reihen konnte, Briefe von Chamisso, Grüße von Kerner, oder gar einen Besuch bei ihnen! Chamisso's Tod erschütterte sie tief; von Stund' an wurde sie nachdenklicher und verlor sich oft in eine Resignation, von der wir vor zwei Jahren nicht ahnten, daß sie der Vorbote ihres nahen Todes werden sollte.

Rosa Maria war früher Erzieherin gewesen. Von diesem Berufe, zu dem sie die Reinheit ihres Gemüths besonders fähig machte, hatte sie für ihr Wesen manche Grundtöne behalten, die ihrer Art, sich zu geben und Andere zu nehmen, eine eigene Sicherheit und Selbstständigkeit anhauchten. Sie wußte um die Weiblichkeit ihrer ganzen Erscheinung sehr sichere Gränzen zu ziehen und milderte die Flamme ihres Gemüths durch einen seltenen Tact für die verschiedenen Beziehungen des Lebens. Ueberhaupt war sie dem Wesen ihres Bruders verwandt; so jedoch, daß die Eigenschaften, die vielleicht an einem Mann auffallen könnten, gerade an ihr als vollendetste Weiblichkeit hervortraten. Gern glich sie aus; sie milderte Allzuschroffes, sie wußte alles Ueberschreitende sogleich auf ein schönes Maaß zurückzuführen. Versöhnend, vermittelnd waltete sie zwischen entgegengesetzten Persönlichkeiten; peinliche Stimmungen wußte sie auf eine gewandte Art in Behaglichkeit aufzulösen. Verstand und Gemüth waren bei ihr in einer so schönen Harmonie, daß niemals der eine Theil den andern fortriß. Nur in ihren Erinnerungen war sie unbedingte Schwärmerin. Die Vergangenheit gehörte ihrem Herzen an; für das Gegenwärtige und Zukünftige hatte sie dagegen die feinsten Fühlfäden einer bei Frauen seltenen Weltbildung, eines Verstandes, der jedoch nie angreifend, sondern nur abwehrend verfuhr. Ihre Ironie war immer gutmüthig, und wenn sie einmal schärfer hervortrat, so hatte es der, den sie treffen wollte, sicher auch verdient.

Besonders nach zwei Seiten hin war Rosa Maria in ihrer Erscheinung außerordentlich. Sie hatte einmal einen ganz eigenen Cultus der Erinnerung und sodann ein beinahe künstlerisches Princip der schönen Geselligkeit. Nie ist mir ein Wesen vorgekommen, das so, wie Rosa Maria, ein stets festlich geschmücktes Gedächtniß hatte. Ihre Erinnerung war stets mit Kränzen behangen: Alles stand darin im schönsten Sonnenlichte; sie knüpfte an die kleinsten Reliquien lange Seligkeiten von Eindrücken, die mit unverwelklicher Frische in ihrem Innern blühten. Man mußte sie hören, wenn sie von den Tagen der romantischen Litteraturepoche sprach! Es war wie ein Klingen aus jener Mährchenwelt, wie ein Dämmern jener "mondbeglänzten Zaubernacht," die von damals noch immer ihren Sinn gefangen hielt. Ihr Auge blitzte, wenn sie von den Tagen sprach, wo sie mit Uhland, der sich damals auch Volker nannte, mit Schwab und allen den Spätlingen der romantischen Schule den deutschen Dichterwald herausgab....

Es war in ihrem Gemüth etwas ritterlich Freies: alles Entschlossene, ob sie es gleich nur aus der Ferne beobachtete,

*) Aus einem Nekrolog, welchen K. Gutzkow kürzlich in der von ihm in Hamburg redigirten Zeitschrift erscheinen ließ. Wem in Süddeutschland wäre der Name Rosa Maria nicht bekannt aus dem "deutschen Dichterwald," hervorgegangen aus dem frühesten Zusammenleben Uhlands, Justinus Kerners (dessen Reiseschatten darin erschienen), G. Schwabs, Kölle's etc.
Rosa Maria Assing,
geb. Varnhagen v. Ense. *)

Als die Freunde der Verstorbenen erfahren mußten, sie würde sich von der Krankheit, die sie aufs Lager warf, nicht wieder erholen, hatte ich nur noch den einzigen Wunsch, daß die neuerwachende Frühlingserde die Hülle einer Seele aufnehmen möchte, die, wie selten ein Wesen, in den grünen und bunten Reizen der Natur heimisch war. Rosa Maria starb aber im Winter. In einer wilden Sturmesnacht, wo der Donner des Geschützes die Gefahren der anschwellenden Elbefluthen verkündete, hauchte sie ihre schöne Seele aus, sie, aus deren innerstem Gemüth ihr theurer Uhland gesungen hatte:

O legt mich nicht ins dunkle Grab!
In Gras und Blumen läg' ich gern,
Wenn eine Flöte tönt von fern,
Und drüberhin
Die hellen Frühlingswolken ziehn!

Die tiefste Wehmuth durchzittert mich, wenn ich der theuern Frau gedenke, die mit einem wunderbar regen Geiste, mit einer jugendlichen Empfänglichkeit für alles Schöne und Tiefe, dem Leben, das sie so weise zu genießen verstand, entsagen mußte! Ihre Gefühle hatten noch ganz die Frische, wie bei einem jungen Mädchen, das zum erstenmale in die weitern Kreise der Welt blickt....

Es werden Eingeweihtere auftreten, die uns Rosa Maria's an innern Erfahrungen sehr reiches Leben erzählen werden. Es war dieß Leben in die schönsten Erinnerungen unserer geistigen Entwickelung verflochten; ihre Myrte grünte bescheiden neben manchem Lorbeer; Uhland, Chamisso, Schwab, Kerner waren ihre Freunde gewesen, mit vielen Jüngeren war sie und ihre Familie in lebhaftester Verbindung, ja sie hat selbst manches zarte, sinnige Lied gesungen. Wer wäre geeigneter, ein Bild ihres geistigen Lebens und ihrer irdischen Wallfahrt zu entwerfen, als ihr Bruder, der nächst Rahel nichts so Theures verlieren konnte, als Rosa Maria! Ich – kann nur die Eindrücke sammeln, die ihre letzten Lebensjahre in mir zurückließen, wo nur die schmerzliche Krankheit dazwischentrat, um eine sonst wenig unterbrochene Beziehung zu stören.

Rosa Maria war durch die Schule derselben Erziehung gegangen, welche ihr Bruder in seinen Denkwürdigkeiten als eine strenge und unstete bezeichnet hat. In Düsseldorf geboren, fand sie eine eigene Genugthuung darin, dem Rhein anzugehören. Sie sagte oft: Wir, bei uns am Rhein. Straßburg, wo sie einen Theil ihrer Kindheit verlebte, Mannheim, wo eine Hofdame ihre Verwandte war, tauchten oft in ihren Erinnerungen mit sonnigem Glanz auf. Später kam sie an die Elbe, wo sich ihr Vater zu ärztlicher Praxis niederließ. Sie hatte das schöne Talent, sich aus Allem, was das Leben bietet, das Erfreulichste auszulesen; sie wurde auf dem neuen Boden so heimisch, daß ich oft über ihre Bekanntschaft mit den verstecktesten ländlichen Reizen, die Hamburgs Umgegend bietet, erstaunte. Durch ihren Bruder kam sie mit den genanntesten Namen der frühern Litteraturepoche in Berührung. Wie leuchtete ihr Auge, wenn sie von ihren ersten Bekanntschaften mit Chamisso, mit Kerner sprach! Die wunderliche Originalität des letztern, des erstern naives Doppelleben als Deutscher und Franzose war ihr noch in den spätesten Jahren eine grüne Fernsicht des Gedächtnisses, die sie um so heiterer stimmte, als sie aus der unmittelbaren Gegenwart Fortsetzungen daran reihen konnte, Briefe von Chamisso, Grüße von Kerner, oder gar einen Besuch bei ihnen! Chamisso's Tod erschütterte sie tief; von Stund' an wurde sie nachdenklicher und verlor sich oft in eine Resignation, von der wir vor zwei Jahren nicht ahnten, daß sie der Vorbote ihres nahen Todes werden sollte.

Rosa Maria war früher Erzieherin gewesen. Von diesem Berufe, zu dem sie die Reinheit ihres Gemüths besonders fähig machte, hatte sie für ihr Wesen manche Grundtöne behalten, die ihrer Art, sich zu geben und Andere zu nehmen, eine eigene Sicherheit und Selbstständigkeit anhauchten. Sie wußte um die Weiblichkeit ihrer ganzen Erscheinung sehr sichere Gränzen zu ziehen und milderte die Flamme ihres Gemüths durch einen seltenen Tact für die verschiedenen Beziehungen des Lebens. Ueberhaupt war sie dem Wesen ihres Bruders verwandt; so jedoch, daß die Eigenschaften, die vielleicht an einem Mann auffallen könnten, gerade an ihr als vollendetste Weiblichkeit hervortraten. Gern glich sie aus; sie milderte Allzuschroffes, sie wußte alles Ueberschreitende sogleich auf ein schönes Maaß zurückzuführen. Versöhnend, vermittelnd waltete sie zwischen entgegengesetzten Persönlichkeiten; peinliche Stimmungen wußte sie auf eine gewandte Art in Behaglichkeit aufzulösen. Verstand und Gemüth waren bei ihr in einer so schönen Harmonie, daß niemals der eine Theil den andern fortriß. Nur in ihren Erinnerungen war sie unbedingte Schwärmerin. Die Vergangenheit gehörte ihrem Herzen an; für das Gegenwärtige und Zukünftige hatte sie dagegen die feinsten Fühlfäden einer bei Frauen seltenen Weltbildung, eines Verstandes, der jedoch nie angreifend, sondern nur abwehrend verfuhr. Ihre Ironie war immer gutmüthig, und wenn sie einmal schärfer hervortrat, so hatte es der, den sie treffen wollte, sicher auch verdient.

Besonders nach zwei Seiten hin war Rosa Maria in ihrer Erscheinung außerordentlich. Sie hatte einmal einen ganz eigenen Cultus der Erinnerung und sodann ein beinahe künstlerisches Princip der schönen Geselligkeit. Nie ist mir ein Wesen vorgekommen, das so, wie Rosa Maria, ein stets festlich geschmücktes Gedächtniß hatte. Ihre Erinnerung war stets mit Kränzen behangen: Alles stand darin im schönsten Sonnenlichte; sie knüpfte an die kleinsten Reliquien lange Seligkeiten von Eindrücken, die mit unverwelklicher Frische in ihrem Innern blühten. Man mußte sie hören, wenn sie von den Tagen der romantischen Litteraturepoche sprach! Es war wie ein Klingen aus jener Mährchenwelt, wie ein Dämmern jener „mondbeglänzten Zaubernacht,“ die von damals noch immer ihren Sinn gefangen hielt. Ihr Auge blitzte, wenn sie von den Tagen sprach, wo sie mit Uhland, der sich damals auch Volker nannte, mit Schwab und allen den Spätlingen der romantischen Schule den deutschen Dichterwald herausgab....

Es war in ihrem Gemüth etwas ritterlich Freies: alles Entschlossene, ob sie es gleich nur aus der Ferne beobachtete,

*) Aus einem Nekrolog, welchen K. Gutzkow kürzlich in der von ihm in Hamburg redigirten Zeitschrift erscheinen ließ. Wem in Süddeutschland wäre der Name Rosa Maria nicht bekannt aus dem „deutschen Dichterwald,“ hervorgegangen aus dem frühesten Zusammenleben Uhlands, Justinus Kerners (dessen Reiseschatten darin erschienen), G. Schwabs, Kölle's etc.
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[0705/0009] Rosa Maria Assing, geb. Varnhagen v. Ense. *) Als die Freunde der Verstorbenen erfahren mußten, sie würde sich von der Krankheit, die sie aufs Lager warf, nicht wieder erholen, hatte ich nur noch den einzigen Wunsch, daß die neuerwachende Frühlingserde die Hülle einer Seele aufnehmen möchte, die, wie selten ein Wesen, in den grünen und bunten Reizen der Natur heimisch war. Rosa Maria starb aber im Winter. In einer wilden Sturmesnacht, wo der Donner des Geschützes die Gefahren der anschwellenden Elbefluthen verkündete, hauchte sie ihre schöne Seele aus, sie, aus deren innerstem Gemüth ihr theurer Uhland gesungen hatte: O legt mich nicht ins dunkle Grab! In Gras und Blumen läg' ich gern, Wenn eine Flöte tönt von fern, Und drüberhin Die hellen Frühlingswolken ziehn! Die tiefste Wehmuth durchzittert mich, wenn ich der theuern Frau gedenke, die mit einem wunderbar regen Geiste, mit einer jugendlichen Empfänglichkeit für alles Schöne und Tiefe, dem Leben, das sie so weise zu genießen verstand, entsagen mußte! Ihre Gefühle hatten noch ganz die Frische, wie bei einem jungen Mädchen, das zum erstenmale in die weitern Kreise der Welt blickt.... Es werden Eingeweihtere auftreten, die uns Rosa Maria's an innern Erfahrungen sehr reiches Leben erzählen werden. Es war dieß Leben in die schönsten Erinnerungen unserer geistigen Entwickelung verflochten; ihre Myrte grünte bescheiden neben manchem Lorbeer; Uhland, Chamisso, Schwab, Kerner waren ihre Freunde gewesen, mit vielen Jüngeren war sie und ihre Familie in lebhaftester Verbindung, ja sie hat selbst manches zarte, sinnige Lied gesungen. Wer wäre geeigneter, ein Bild ihres geistigen Lebens und ihrer irdischen Wallfahrt zu entwerfen, als ihr Bruder, der nächst Rahel nichts so Theures verlieren konnte, als Rosa Maria! Ich – kann nur die Eindrücke sammeln, die ihre letzten Lebensjahre in mir zurückließen, wo nur die schmerzliche Krankheit dazwischentrat, um eine sonst wenig unterbrochene Beziehung zu stören. Rosa Maria war durch die Schule derselben Erziehung gegangen, welche ihr Bruder in seinen Denkwürdigkeiten als eine strenge und unstete bezeichnet hat. In Düsseldorf geboren, fand sie eine eigene Genugthuung darin, dem Rhein anzugehören. Sie sagte oft: Wir, bei uns am Rhein. Straßburg, wo sie einen Theil ihrer Kindheit verlebte, Mannheim, wo eine Hofdame ihre Verwandte war, tauchten oft in ihren Erinnerungen mit sonnigem Glanz auf. Später kam sie an die Elbe, wo sich ihr Vater zu ärztlicher Praxis niederließ. Sie hatte das schöne Talent, sich aus Allem, was das Leben bietet, das Erfreulichste auszulesen; sie wurde auf dem neuen Boden so heimisch, daß ich oft über ihre Bekanntschaft mit den verstecktesten ländlichen Reizen, die Hamburgs Umgegend bietet, erstaunte. Durch ihren Bruder kam sie mit den genanntesten Namen der frühern Litteraturepoche in Berührung. Wie leuchtete ihr Auge, wenn sie von ihren ersten Bekanntschaften mit Chamisso, mit Kerner sprach! Die wunderliche Originalität des letztern, des erstern naives Doppelleben als Deutscher und Franzose war ihr noch in den spätesten Jahren eine grüne Fernsicht des Gedächtnisses, die sie um so heiterer stimmte, als sie aus der unmittelbaren Gegenwart Fortsetzungen daran reihen konnte, Briefe von Chamisso, Grüße von Kerner, oder gar einen Besuch bei ihnen! Chamisso's Tod erschütterte sie tief; von Stund' an wurde sie nachdenklicher und verlor sich oft in eine Resignation, von der wir vor zwei Jahren nicht ahnten, daß sie der Vorbote ihres nahen Todes werden sollte. Rosa Maria war früher Erzieherin gewesen. Von diesem Berufe, zu dem sie die Reinheit ihres Gemüths besonders fähig machte, hatte sie für ihr Wesen manche Grundtöne behalten, die ihrer Art, sich zu geben und Andere zu nehmen, eine eigene Sicherheit und Selbstständigkeit anhauchten. Sie wußte um die Weiblichkeit ihrer ganzen Erscheinung sehr sichere Gränzen zu ziehen und milderte die Flamme ihres Gemüths durch einen seltenen Tact für die verschiedenen Beziehungen des Lebens. Ueberhaupt war sie dem Wesen ihres Bruders verwandt; so jedoch, daß die Eigenschaften, die vielleicht an einem Mann auffallen könnten, gerade an ihr als vollendetste Weiblichkeit hervortraten. Gern glich sie aus; sie milderte Allzuschroffes, sie wußte alles Ueberschreitende sogleich auf ein schönes Maaß zurückzuführen. Versöhnend, vermittelnd waltete sie zwischen entgegengesetzten Persönlichkeiten; peinliche Stimmungen wußte sie auf eine gewandte Art in Behaglichkeit aufzulösen. Verstand und Gemüth waren bei ihr in einer so schönen Harmonie, daß niemals der eine Theil den andern fortriß. Nur in ihren Erinnerungen war sie unbedingte Schwärmerin. Die Vergangenheit gehörte ihrem Herzen an; für das Gegenwärtige und Zukünftige hatte sie dagegen die feinsten Fühlfäden einer bei Frauen seltenen Weltbildung, eines Verstandes, der jedoch nie angreifend, sondern nur abwehrend verfuhr. Ihre Ironie war immer gutmüthig, und wenn sie einmal schärfer hervortrat, so hatte es der, den sie treffen wollte, sicher auch verdient. Besonders nach zwei Seiten hin war Rosa Maria in ihrer Erscheinung außerordentlich. Sie hatte einmal einen ganz eigenen Cultus der Erinnerung und sodann ein beinahe künstlerisches Princip der schönen Geselligkeit. Nie ist mir ein Wesen vorgekommen, das so, wie Rosa Maria, ein stets festlich geschmücktes Gedächtniß hatte. Ihre Erinnerung war stets mit Kränzen behangen: Alles stand darin im schönsten Sonnenlichte; sie knüpfte an die kleinsten Reliquien lange Seligkeiten von Eindrücken, die mit unverwelklicher Frische in ihrem Innern blühten. Man mußte sie hören, wenn sie von den Tagen der romantischen Litteraturepoche sprach! Es war wie ein Klingen aus jener Mährchenwelt, wie ein Dämmern jener „mondbeglänzten Zaubernacht,“ die von damals noch immer ihren Sinn gefangen hielt. Ihr Auge blitzte, wenn sie von den Tagen sprach, wo sie mit Uhland, der sich damals auch Volker nannte, mit Schwab und allen den Spätlingen der romantischen Schule den deutschen Dichterwald herausgab.... Es war in ihrem Gemüth etwas ritterlich Freies: alles Entschlossene, ob sie es gleich nur aus der Ferne beobachtete, *) Aus einem Nekrolog, welchen K. Gutzkow kürzlich in der von ihm in Hamburg redigirten Zeitschrift erscheinen ließ. Wem in Süddeutschland wäre der Name Rosa Maria nicht bekannt aus dem „deutschen Dichterwald,“ hervorgegangen aus dem frühesten Zusammenleben Uhlands, Justinus Kerners (dessen Reiseschatten darin erschienen), G. Schwabs, Kölle's etc.

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 89. Augsburg, 29. März 1840, S. 0705. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_089_18400329/9>, abgerufen am 23.11.2024.