Allgemeine Zeitung. Nr. 89. Augsburg, 29. März 1840.Unglaubens neuerer Zeit) und eine geistreiche Antwort darauf in einem "Brief an A. Norton", von einem Ungenannten (wahrscheinlich ebenfalls Brownson); endlich 4 Octavbände Uebersetzungen aus dem Deutschen und Französischen, unter dem Titel Foreign Standard Literature, unter der Leitung George Ripley's. Die Uebersetzungen aus dem Französischen betreffen vorzüglich die neueren Eklektiker Cousin, Jouffroy u. A., die aus dem Deutschen bestehen in einer Auswahl aus Schillers und Goethe's Gedichten und Eckermanns Gesprächen mit Goethe. Nach allen diesen Werken zu schließen gibt es zu Boston ein Häuflein Männer, welche mit dem Ernst und dem Muth deutscher Forscher Jugendfrische und religiöse Begeisterung verbinden, die den deutschen Gelehrten nur zu oft abgeht, und mit beiden Eigenschaften den praktischen Blick, welcher dem angelsächsischen Stamme so eigenthümlich ist und wonach eine Idee nur insofern Werth hat, als sie den Menschen auf seiner irdischen oder himmlischen Laufbahn zu fördern verspricht. Es sind Männer, welche alle Vorgänger, die für das Heil der Menschheit gewirkt, tief verehren, sich aber durch keine Autorität binden lassen, jedes Institut für seine Zeit als gut erkennen, darum jedoch nicht dessen Tauglichkeit für unsere Zeit und ihr Vaterland als unbestreitbar betrachten. Sie glauben an Menschenwürde und an die menschliche Bestimmung zum Fortschritt und zur Verwirklichung alles Guten, Rechten und Wahren, an eine Mittheilung Gottes in der Menschenbrust; folglich sind sie in der Politik Demokraten und in dem Glauben freimüthige Forscher und unabhängig von allem Concordien- und Formelnwesen. Christus ist ihnen nicht eine bloße Wunderperson, wovon uns Bücher berichten, sondern eine lebendige Erscheinung im Leben, der Abglanz der ewigen Liebe, Wahrheit und Licht, wie sie vom Anfang an im Vater war, ist und seyn wird. Daher ist ihnen auch die Christuslehre nicht ein Gegenstand gelehrter Auffassung und Disputation, des bloßen Kanzelvortrags und des Auswendiglernens in Schulen; auch nicht einmal ein bloßes Mittel zur Lebensbesserung, ein Leitfaden auf der Bahn der Sittlichkeit. Nein, sie ist ihnen eine Gotteskraft, eine läuternde Flamme, welche den Menschen und alle menschlichen Verhältnisse durchdringen, sie allmählich von allen Schlacken der Selbstsucht, des Lasters und der Gewalt reinigen und mit der Frömmigkeit gegen Gott, zugleich im Einzelnen wie in der Familie, im Staate wie unter den Völkern, Liebe und Gerechtigkeit herrschend machen soll. Ueberall trifft man auf Schleiermachers Ideen, nur mit republicanischer Kühnheit durchgeführt. Nach Brownson war der große Zweck Jesu, den die Staatskirchen bisher mißverstanden und dem sie einseitig entgegengearbeitet haben, die Versöhnung des Geistes mit dem Körper, des orientalischen Spiritualismus mit dem europäischen Materialismus. Die katholische Kirche suche den Körper zu vernichten, und so die Seele von dessen Zwang und Last zu befreien, und mache demnach Christus zum Erlöser, statt des Versöhners. Der Protestantismus habe den Materialismus, den Staat gegen die Kirche vindicirt, und der Materialismus habe in der französischen Revolution seinen Höhepunkt erreicht. Seitdem sey allenthalben eine Rückkehr zum Geistigen bemerklich; aber die Erfahrung habe gelehrt, daß der Spiritualismus allein nicht zu retten vermöge. Die Mission des jetzigen Geschlechts wäre also, durch die Wiederbelebung der wahren christlichen Idee der Versöhnung die, wie er meint, morsch gewordene Kirche wieder aufzubauen, dadurch der erkrankten Menschheit Beruhigung zu geben und ihr hier wie dort das Heil zu sichern. Darum ist er denn auch ein so entschiedener Demokrat (obgleich er nicht all dem Thun und Treiben der demokratischen Partei in seinem Vaterlande seinen Beifall geben kann): der Mensch soll erhoben, soll beglückt, die Rechte jedes Einzelnen, jeder Familie, jedes Ortes, jedes Kreises zum vollen Genuß und zur Auslebung aller Gaben, die ihnen Gott verliehen, sollen durch den Staat gesichert und nicht einem Abstractum von Staat aufgeopfert werden. Die Mehrheit müsse herrschen, aber durch Gerechtigkeit geleitet, so daß jedem das Seine werde; deßwegen erkennt er auch im vollsten Sinne den Ausspruch der heil. Schrift, in Gegensatz mit der Lehre Hobbes', Locke's und Rousseau's von einer menschlichen Uebereinkunft, daß alle Gewalt von Gott komme. Der Stimme Gottes dürfe jeder freie Mann gehorchen; wer aber dem Menschen gehorche, gleichviel welchen Namen der Herrscher führe, sey ein Sklav. Deßwegen kämpft auch er und seine Freunde allenthalben und mit dem tiefsten Ernst gegen die bei den Gelehrten in Amerika wie in England so beliebte Locke'sche Philosophie an, welche ihre Hauptstärke darein setzt, daß sie den Gott im menschlichen Busen läugnet, dem Menschen alles angeborne Bewußtseyn vom Göttlichen, von Pflicht und Recht abspricht, selbst das Gewissen für ein Erlerntes erklärt und all unser Wissen von Gott historisch macht. - Ich weiß zwar nicht, welche Wirkung alle diese Schriften in den Vereinigten Staaten gehabt; aber es läßt ch leicht denken, daß sie unter den aristokratischen Politikern, unter der dieser Aristokratie dienenden Gelehrtenzunft, so wie unter dem Heer der buchstäbelnden Sectirer, welche die Staaten füllen, vielseitigen Widerstand gefunden haben; wie denn der genannte Norton, welcher ein erklärter Unitarier, nach der Ansicht der orthodoxen Secten selbst ein Ungläubiger ist, dennoch in seiner Rede besonders gegen deutsche Rationalisten zu Felde zieht, und dabei mit charakteristischer Unwissenheit Paulus und Schleiermacher in Eine Kategorie wirft. Brownson erklärt sich jedoch am Schlusse seiner Review (die er hauptsächlich darum unternommen haben will, um sich mit seinen Landsleuten, die ihn vielfach mißverstanden hätten, ins Klare zu setzen) mit dem Erfolg im Ganzen zufrieden. Es scheint freilich, daß man sich in dem republicanischen Amerika eben so sehr vor deutscher Theologie fürchtet, als in dem monarchischen und hochkirchlichen England. Doch sind nicht nur diese Bostoner Männer offenbar mit den besten deutschen theologischen Werken und Zeitschriften bekannt, und theilen Vieles davon mittelbar und unmittelbar (besonders durch Uebersetzungen im Christian Examiner) ihren Landsleuten mit, sondern auch Orthodoxe haben angefangen, aus diesen Quellen zu schöpfen. So z. B. geben der Professor Stuart von Andover und der ehemalige Professor Dr. L. Woods unter dem Titel: Selections from German Literature, ein Werk heraus, das mehrere Aufsätze von Schleiermacher, Ullmann, Lücke u. A. enthalten soll, welche theils von ihnen selbst, theils von andern Professoren übersetzt und mit Einleitungen versehen sind, worin sie auch jene kindische Furcht bekämpfen, und zum Studium dieser ausgezeichneten Denker einladen. Belgien. Brüssel, 21 März. Es verlautet immer noch nichts Bestimmtes über die Bildung eines neuen Ministeriums. Prüfen wir, um das bisherige System zu bezeichnen, die Elemente der Kammer, so tritt uns zuerst die übliche Eintheilung in Katholiken und Liberale entgegen. Hiebei wird das Wort "Katholiken" im engern Sinne nur auf diejenigen Glieder angewendet, auf deren Handlungen im öffentlichen wie im Privatleben Unglaubens neuerer Zeit) und eine geistreiche Antwort darauf in einem „Brief an A. Norton“, von einem Ungenannten (wahrscheinlich ebenfalls Brownson); endlich 4 Octavbände Uebersetzungen aus dem Deutschen und Französischen, unter dem Titel Foreign Standard Literature, unter der Leitung George Ripley's. Die Uebersetzungen aus dem Französischen betreffen vorzüglich die neueren Eklektiker Cousin, Jouffroy u. A., die aus dem Deutschen bestehen in einer Auswahl aus Schillers und Goethe's Gedichten und Eckermanns Gesprächen mit Goethe. Nach allen diesen Werken zu schließen gibt es zu Boston ein Häuflein Männer, welche mit dem Ernst und dem Muth deutscher Forscher Jugendfrische und religiöse Begeisterung verbinden, die den deutschen Gelehrten nur zu oft abgeht, und mit beiden Eigenschaften den praktischen Blick, welcher dem angelsächsischen Stamme so eigenthümlich ist und wonach eine Idee nur insofern Werth hat, als sie den Menschen auf seiner irdischen oder himmlischen Laufbahn zu fördern verspricht. Es sind Männer, welche alle Vorgänger, die für das Heil der Menschheit gewirkt, tief verehren, sich aber durch keine Autorität binden lassen, jedes Institut für seine Zeit als gut erkennen, darum jedoch nicht dessen Tauglichkeit für unsere Zeit und ihr Vaterland als unbestreitbar betrachten. Sie glauben an Menschenwürde und an die menschliche Bestimmung zum Fortschritt und zur Verwirklichung alles Guten, Rechten und Wahren, an eine Mittheilung Gottes in der Menschenbrust; folglich sind sie in der Politik Demokraten und in dem Glauben freimüthige Forscher und unabhängig von allem Concordien- und Formelnwesen. Christus ist ihnen nicht eine bloße Wunderperson, wovon uns Bücher berichten, sondern eine lebendige Erscheinung im Leben, der Abglanz der ewigen Liebe, Wahrheit und Licht, wie sie vom Anfang an im Vater war, ist und seyn wird. Daher ist ihnen auch die Christuslehre nicht ein Gegenstand gelehrter Auffassung und Disputation, des bloßen Kanzelvortrags und des Auswendiglernens in Schulen; auch nicht einmal ein bloßes Mittel zur Lebensbesserung, ein Leitfaden auf der Bahn der Sittlichkeit. Nein, sie ist ihnen eine Gotteskraft, eine läuternde Flamme, welche den Menschen und alle menschlichen Verhältnisse durchdringen, sie allmählich von allen Schlacken der Selbstsucht, des Lasters und der Gewalt reinigen und mit der Frömmigkeit gegen Gott, zugleich im Einzelnen wie in der Familie, im Staate wie unter den Völkern, Liebe und Gerechtigkeit herrschend machen soll. Ueberall trifft man auf Schleiermachers Ideen, nur mit republicanischer Kühnheit durchgeführt. Nach Brownson war der große Zweck Jesu, den die Staatskirchen bisher mißverstanden und dem sie einseitig entgegengearbeitet haben, die Versöhnung des Geistes mit dem Körper, des orientalischen Spiritualismus mit dem europäischen Materialismus. Die katholische Kirche suche den Körper zu vernichten, und so die Seele von dessen Zwang und Last zu befreien, und mache demnach Christus zum Erlöser, statt des Versöhners. Der Protestantismus habe den Materialismus, den Staat gegen die Kirche vindicirt, und der Materialismus habe in der französischen Revolution seinen Höhepunkt erreicht. Seitdem sey allenthalben eine Rückkehr zum Geistigen bemerklich; aber die Erfahrung habe gelehrt, daß der Spiritualismus allein nicht zu retten vermöge. Die Mission des jetzigen Geschlechts wäre also, durch die Wiederbelebung der wahren christlichen Idee der Versöhnung die, wie er meint, morsch gewordene Kirche wieder aufzubauen, dadurch der erkrankten Menschheit Beruhigung zu geben und ihr hier wie dort das Heil zu sichern. Darum ist er denn auch ein so entschiedener Demokrat (obgleich er nicht all dem Thun und Treiben der demokratischen Partei in seinem Vaterlande seinen Beifall geben kann): der Mensch soll erhoben, soll beglückt, die Rechte jedes Einzelnen, jeder Familie, jedes Ortes, jedes Kreises zum vollen Genuß und zur Auslebung aller Gaben, die ihnen Gott verliehen, sollen durch den Staat gesichert und nicht einem Abstractum von Staat aufgeopfert werden. Die Mehrheit müsse herrschen, aber durch Gerechtigkeit geleitet, so daß jedem das Seine werde; deßwegen erkennt er auch im vollsten Sinne den Ausspruch der heil. Schrift, in Gegensatz mit der Lehre Hobbes', Locke's und Rousseau's von einer menschlichen Uebereinkunft, daß alle Gewalt von Gott komme. Der Stimme Gottes dürfe jeder freie Mann gehorchen; wer aber dem Menschen gehorche, gleichviel welchen Namen der Herrscher führe, sey ein Sklav. Deßwegen kämpft auch er und seine Freunde allenthalben und mit dem tiefsten Ernst gegen die bei den Gelehrten in Amerika wie in England so beliebte Locke'sche Philosophie an, welche ihre Hauptstärke darein setzt, daß sie den Gott im menschlichen Busen läugnet, dem Menschen alles angeborne Bewußtseyn vom Göttlichen, von Pflicht und Recht abspricht, selbst das Gewissen für ein Erlerntes erklärt und all unser Wissen von Gott historisch macht. – Ich weiß zwar nicht, welche Wirkung alle diese Schriften in den Vereinigten Staaten gehabt; aber es läßt ch leicht denken, daß sie unter den aristokratischen Politikern, unter der dieser Aristokratie dienenden Gelehrtenzunft, so wie unter dem Heer der buchstäbelnden Sectirer, welche die Staaten füllen, vielseitigen Widerstand gefunden haben; wie denn der genannte Norton, welcher ein erklärter Unitarier, nach der Ansicht der orthodoxen Secten selbst ein Ungläubiger ist, dennoch in seiner Rede besonders gegen deutsche Rationalisten zu Felde zieht, und dabei mit charakteristischer Unwissenheit Paulus und Schleiermacher in Eine Kategorie wirft. Brownson erklärt sich jedoch am Schlusse seiner Review (die er hauptsächlich darum unternommen haben will, um sich mit seinen Landsleuten, die ihn vielfach mißverstanden hätten, ins Klare zu setzen) mit dem Erfolg im Ganzen zufrieden. Es scheint freilich, daß man sich in dem republicanischen Amerika eben so sehr vor deutscher Theologie fürchtet, als in dem monarchischen und hochkirchlichen England. Doch sind nicht nur diese Bostoner Männer offenbar mit den besten deutschen theologischen Werken und Zeitschriften bekannt, und theilen Vieles davon mittelbar und unmittelbar (besonders durch Uebersetzungen im Christian Examiner) ihren Landsleuten mit, sondern auch Orthodoxe haben angefangen, aus diesen Quellen zu schöpfen. So z. B. geben der Professor Stuart von Andover und der ehemalige Professor Dr. L. Woods unter dem Titel: Selections from German Literature, ein Werk heraus, das mehrere Aufsätze von Schleiermacher, Ullmann, Lücke u. A. enthalten soll, welche theils von ihnen selbst, theils von andern Professoren übersetzt und mit Einleitungen versehen sind, worin sie auch jene kindische Furcht bekämpfen, und zum Studium dieser ausgezeichneten Denker einladen. Belgien. Brüssel, 21 März. Es verlautet immer noch nichts Bestimmtes über die Bildung eines neuen Ministeriums. Prüfen wir, um das bisherige System zu bezeichnen, die Elemente der Kammer, so tritt uns zuerst die übliche Eintheilung in Katholiken und Liberale entgegen. Hiebei wird das Wort „Katholiken“ im engern Sinne nur auf diejenigen Glieder angewendet, auf deren Handlungen im öffentlichen wie im Privatleben <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0011" n="0707"/> Unglaubens neuerer Zeit) und eine geistreiche Antwort darauf in einem „Brief an A. 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Es sind Männer, welche alle Vorgänger, die für das Heil der Menschheit gewirkt, tief verehren, sich aber durch keine Autorität binden lassen, jedes Institut für seine Zeit als gut erkennen, darum jedoch nicht dessen Tauglichkeit für unsere Zeit und ihr Vaterland als unbestreitbar betrachten. Sie glauben an Menschenwürde und an die menschliche Bestimmung zum Fortschritt und zur Verwirklichung alles Guten, Rechten und Wahren, an eine Mittheilung Gottes in der Menschenbrust; folglich sind sie in der Politik Demokraten und in dem Glauben freimüthige Forscher und unabhängig von allem Concordien- und Formelnwesen. Christus ist ihnen nicht eine bloße Wunderperson, wovon uns Bücher berichten, sondern eine lebendige Erscheinung im Leben, der Abglanz der ewigen Liebe, Wahrheit und Licht, wie sie vom Anfang an im Vater war, ist und seyn wird. Daher ist ihnen auch die Christuslehre nicht ein Gegenstand gelehrter Auffassung und Disputation, des bloßen Kanzelvortrags und des Auswendiglernens in Schulen; auch nicht einmal ein bloßes Mittel zur Lebensbesserung, ein Leitfaden auf der Bahn der Sittlichkeit. Nein, sie ist ihnen eine Gotteskraft, eine läuternde Flamme, welche den Menschen und alle menschlichen Verhältnisse durchdringen, sie allmählich von allen Schlacken der Selbstsucht, des Lasters und der Gewalt reinigen und mit der Frömmigkeit gegen Gott, zugleich im Einzelnen wie in der Familie, im Staate wie unter den Völkern, Liebe und Gerechtigkeit herrschend machen soll. Ueberall trifft man auf Schleiermachers Ideen, nur mit republicanischer Kühnheit durchgeführt. Nach Brownson war der große Zweck Jesu, den die Staatskirchen bisher mißverstanden und dem sie einseitig entgegengearbeitet haben, die Versöhnung des Geistes mit dem Körper, des orientalischen Spiritualismus mit dem europäischen Materialismus. Die katholische Kirche suche den Körper zu vernichten, und so die Seele von dessen Zwang und Last zu befreien, und mache demnach Christus zum Erlöser, statt des Versöhners. Der Protestantismus habe den Materialismus, den Staat gegen die Kirche vindicirt, und der Materialismus habe in der französischen Revolution seinen Höhepunkt erreicht. Seitdem sey allenthalben eine Rückkehr zum Geistigen bemerklich; aber die Erfahrung habe gelehrt, daß der Spiritualismus allein nicht zu retten vermöge. Die Mission des jetzigen Geschlechts wäre also, durch die Wiederbelebung der wahren christlichen Idee der Versöhnung die, wie er meint, morsch gewordene Kirche wieder aufzubauen, dadurch der erkrankten Menschheit Beruhigung zu geben und ihr hier wie dort das Heil zu sichern. Darum ist er denn auch ein so entschiedener Demokrat (obgleich er nicht all dem Thun und Treiben der demokratischen Partei in seinem Vaterlande seinen Beifall geben kann): der <hi rendition="#g">Mensch</hi> soll erhoben, soll beglückt, die Rechte jedes Einzelnen, jeder Familie, jedes Ortes, jedes Kreises zum vollen Genuß und zur Auslebung aller Gaben, die ihnen Gott verliehen, sollen durch den Staat gesichert und nicht einem Abstractum von Staat aufgeopfert werden. Die Mehrheit müsse herrschen, aber <hi rendition="#g">durch Gerechtigkeit geleitet</hi>, so daß jedem das Seine werde; deßwegen erkennt er auch im vollsten Sinne den Ausspruch der heil. Schrift, in Gegensatz mit der Lehre Hobbes', Locke's und Rousseau's von einer menschlichen Uebereinkunft, <hi rendition="#g">daß alle Gewalt von Gott komme</hi>. Der Stimme Gottes dürfe jeder freie Mann gehorchen; wer aber dem Menschen gehorche, gleichviel welchen Namen der Herrscher führe, sey ein Sklav. Deßwegen kämpft auch er und seine Freunde allenthalben und mit dem tiefsten Ernst gegen die bei den Gelehrten in Amerika wie in England so beliebte Locke'sche Philosophie an, welche ihre Hauptstärke darein setzt, daß sie den Gott im menschlichen Busen läugnet, dem Menschen alles angeborne Bewußtseyn vom Göttlichen, von Pflicht und Recht abspricht, selbst das Gewissen für ein Erlerntes erklärt und all unser Wissen von Gott historisch macht. – Ich weiß zwar nicht, welche Wirkung alle diese Schriften in den Vereinigten Staaten gehabt; aber es läßt ch leicht denken, daß sie unter den aristokratischen Politikern, unter der dieser Aristokratie dienenden Gelehrtenzunft, so wie unter dem Heer der buchstäbelnden Sectirer, welche die Staaten füllen, vielseitigen Widerstand gefunden haben; wie denn der genannte Norton, welcher ein erklärter Unitarier, nach der Ansicht der orthodoxen Secten selbst ein Ungläubiger ist, dennoch in seiner Rede besonders gegen deutsche Rationalisten zu Felde zieht, und dabei mit charakteristischer Unwissenheit Paulus und Schleiermacher in Eine Kategorie wirft. Brownson erklärt sich jedoch am Schlusse seiner Review (die er hauptsächlich darum unternommen haben will, um sich mit seinen Landsleuten, die ihn vielfach mißverstanden hätten, ins Klare zu setzen) mit dem Erfolg im Ganzen zufrieden. Es scheint freilich, daß man sich in dem republicanischen Amerika eben so sehr vor deutscher Theologie fürchtet, als in dem monarchischen und hochkirchlichen England. Doch sind nicht nur diese Bostoner Männer offenbar mit den besten deutschen theologischen Werken und Zeitschriften bekannt, und theilen Vieles davon mittelbar und unmittelbar (besonders durch Uebersetzungen im Christian Examiner) ihren Landsleuten mit, sondern auch Orthodoxe haben angefangen, aus diesen Quellen zu schöpfen. So z. B. geben der Professor Stuart von Andover und der ehemalige Professor Dr. L. Woods unter dem Titel: Selections from German Literature, ein Werk heraus, das mehrere Aufsätze von Schleiermacher, Ullmann, Lücke u. 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Unglaubens neuerer Zeit) und eine geistreiche Antwort darauf in einem „Brief an A. Norton“, von einem Ungenannten (wahrscheinlich ebenfalls Brownson); endlich 4 Octavbände Uebersetzungen aus dem Deutschen und Französischen, unter dem Titel Foreign Standard Literature, unter der Leitung George Ripley's. Die Uebersetzungen aus dem Französischen betreffen vorzüglich die neueren Eklektiker Cousin, Jouffroy u. A., die aus dem Deutschen bestehen in einer Auswahl aus Schillers und Goethe's Gedichten und Eckermanns Gesprächen mit Goethe. Nach allen diesen Werken zu schließen gibt es zu Boston ein Häuflein Männer, welche mit dem Ernst und dem Muth deutscher Forscher Jugendfrische und religiöse Begeisterung verbinden, die den deutschen Gelehrten nur zu oft abgeht, und mit beiden Eigenschaften den praktischen Blick, welcher dem angelsächsischen Stamme so eigenthümlich ist und wonach eine Idee nur insofern Werth hat, als sie den Menschen auf seiner irdischen oder himmlischen Laufbahn zu fördern verspricht. Es sind Männer, welche alle Vorgänger, die für das Heil der Menschheit gewirkt, tief verehren, sich aber durch keine Autorität binden lassen, jedes Institut für seine Zeit als gut erkennen, darum jedoch nicht dessen Tauglichkeit für unsere Zeit und ihr Vaterland als unbestreitbar betrachten. Sie glauben an Menschenwürde und an die menschliche Bestimmung zum Fortschritt und zur Verwirklichung alles Guten, Rechten und Wahren, an eine Mittheilung Gottes in der Menschenbrust; folglich sind sie in der Politik Demokraten und in dem Glauben freimüthige Forscher und unabhängig von allem Concordien- und Formelnwesen. Christus ist ihnen nicht eine bloße Wunderperson, wovon uns Bücher berichten, sondern eine lebendige Erscheinung im Leben, der Abglanz der ewigen Liebe, Wahrheit und Licht, wie sie vom Anfang an im Vater war, ist und seyn wird. Daher ist ihnen auch die Christuslehre nicht ein Gegenstand gelehrter Auffassung und Disputation, des bloßen Kanzelvortrags und des Auswendiglernens in Schulen; auch nicht einmal ein bloßes Mittel zur Lebensbesserung, ein Leitfaden auf der Bahn der Sittlichkeit. Nein, sie ist ihnen eine Gotteskraft, eine läuternde Flamme, welche den Menschen und alle menschlichen Verhältnisse durchdringen, sie allmählich von allen Schlacken der Selbstsucht, des Lasters und der Gewalt reinigen und mit der Frömmigkeit gegen Gott, zugleich im Einzelnen wie in der Familie, im Staate wie unter den Völkern, Liebe und Gerechtigkeit herrschend machen soll. Ueberall trifft man auf Schleiermachers Ideen, nur mit republicanischer Kühnheit durchgeführt. Nach Brownson war der große Zweck Jesu, den die Staatskirchen bisher mißverstanden und dem sie einseitig entgegengearbeitet haben, die Versöhnung des Geistes mit dem Körper, des orientalischen Spiritualismus mit dem europäischen Materialismus. Die katholische Kirche suche den Körper zu vernichten, und so die Seele von dessen Zwang und Last zu befreien, und mache demnach Christus zum Erlöser, statt des Versöhners. Der Protestantismus habe den Materialismus, den Staat gegen die Kirche vindicirt, und der Materialismus habe in der französischen Revolution seinen Höhepunkt erreicht. Seitdem sey allenthalben eine Rückkehr zum Geistigen bemerklich; aber die Erfahrung habe gelehrt, daß der Spiritualismus allein nicht zu retten vermöge. Die Mission des jetzigen Geschlechts wäre also, durch die Wiederbelebung der wahren christlichen Idee der Versöhnung die, wie er meint, morsch gewordene Kirche wieder aufzubauen, dadurch der erkrankten Menschheit Beruhigung zu geben und ihr hier wie dort das Heil zu sichern. Darum ist er denn auch ein so entschiedener Demokrat (obgleich er nicht all dem Thun und Treiben der demokratischen Partei in seinem Vaterlande seinen Beifall geben kann): der Mensch soll erhoben, soll beglückt, die Rechte jedes Einzelnen, jeder Familie, jedes Ortes, jedes Kreises zum vollen Genuß und zur Auslebung aller Gaben, die ihnen Gott verliehen, sollen durch den Staat gesichert und nicht einem Abstractum von Staat aufgeopfert werden. Die Mehrheit müsse herrschen, aber durch Gerechtigkeit geleitet, so daß jedem das Seine werde; deßwegen erkennt er auch im vollsten Sinne den Ausspruch der heil. Schrift, in Gegensatz mit der Lehre Hobbes', Locke's und Rousseau's von einer menschlichen Uebereinkunft, daß alle Gewalt von Gott komme. Der Stimme Gottes dürfe jeder freie Mann gehorchen; wer aber dem Menschen gehorche, gleichviel welchen Namen der Herrscher führe, sey ein Sklav. Deßwegen kämpft auch er und seine Freunde allenthalben und mit dem tiefsten Ernst gegen die bei den Gelehrten in Amerika wie in England so beliebte Locke'sche Philosophie an, welche ihre Hauptstärke darein setzt, daß sie den Gott im menschlichen Busen läugnet, dem Menschen alles angeborne Bewußtseyn vom Göttlichen, von Pflicht und Recht abspricht, selbst das Gewissen für ein Erlerntes erklärt und all unser Wissen von Gott historisch macht. – Ich weiß zwar nicht, welche Wirkung alle diese Schriften in den Vereinigten Staaten gehabt; aber es läßt ch leicht denken, daß sie unter den aristokratischen Politikern, unter der dieser Aristokratie dienenden Gelehrtenzunft, so wie unter dem Heer der buchstäbelnden Sectirer, welche die Staaten füllen, vielseitigen Widerstand gefunden haben; wie denn der genannte Norton, welcher ein erklärter Unitarier, nach der Ansicht der orthodoxen Secten selbst ein Ungläubiger ist, dennoch in seiner Rede besonders gegen deutsche Rationalisten zu Felde zieht, und dabei mit charakteristischer Unwissenheit Paulus und Schleiermacher in Eine Kategorie wirft. Brownson erklärt sich jedoch am Schlusse seiner Review (die er hauptsächlich darum unternommen haben will, um sich mit seinen Landsleuten, die ihn vielfach mißverstanden hätten, ins Klare zu setzen) mit dem Erfolg im Ganzen zufrieden. Es scheint freilich, daß man sich in dem republicanischen Amerika eben so sehr vor deutscher Theologie fürchtet, als in dem monarchischen und hochkirchlichen England. Doch sind nicht nur diese Bostoner Männer offenbar mit den besten deutschen theologischen Werken und Zeitschriften bekannt, und theilen Vieles davon mittelbar und unmittelbar (besonders durch Uebersetzungen im Christian Examiner) ihren Landsleuten mit, sondern auch Orthodoxe haben angefangen, aus diesen Quellen zu schöpfen. So z. B. geben der Professor Stuart von Andover und der ehemalige Professor Dr. L. Woods unter dem Titel: Selections from German Literature, ein Werk heraus, das mehrere Aufsätze von Schleiermacher, Ullmann, Lücke u. A. enthalten soll, welche theils von ihnen selbst, theils von andern Professoren übersetzt und mit Einleitungen versehen sind, worin sie auch jene kindische Furcht bekämpfen, und zum Studium dieser ausgezeichneten Denker einladen.
Belgien.
_ Brüssel, 21 März. Es verlautet immer noch nichts Bestimmtes über die Bildung eines neuen Ministeriums. Prüfen wir, um das bisherige System zu bezeichnen, die Elemente der Kammer, so tritt uns zuerst die übliche Eintheilung in Katholiken und Liberale entgegen. Hiebei wird das Wort „Katholiken“ im engern Sinne nur auf diejenigen Glieder angewendet, auf deren Handlungen im öffentlichen wie im Privatleben
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