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Allgemeine Zeitung. Nr. 83. Augsburg, 23. März 1840.

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Wuth angegriffen, mit Tod bedroht. Man bereitet ihm, heißt es, einen Gegenstoß, einen schimpflichen Sturz, man will an ihm Rache nehmen für die stillschweigende Erdrosselung des 12 Mai. Diese Projecte sind keineswegs Chimären, die Gefahr besteht wirklich, und die Existenz des Cabinets ist ernstlich bedroht. In dieser Lage fällt uns ein Umstand ungeheuer auf: der Muth und die Geistes- und Gemüthsruhe jener Männer, für welche das parlamentarische Spiel nichts Unbekanntes hat. Diese können doch unmöglich die Gefahren übersehen, noch über die möglichen ernsten Folgen dieser Lage sich täuschen. Sie wissen, wie wir, daß seit 1830 unser Zustand noch nie bedenklicher, die Gefahr nie wirklicher, das Mittel dagegen nie ungewisser und gewagter war. Allerdings wurde von 1830 bis 1835 die durch die Juliusrevolution eingesetzte Regierung häufig offen bedroht, gewaltsam angegriffen; aber alle Regierungskräfte waren damals vereinigt, alle Männer, welche einigermaßen die Bedingungen der Staatsgewalt begriffen, reichten sich die Hand. Die Anarchie heulte vor den Thoren des Parlaments, des Ministerraths, der Staatsgewalt, aber sie überschritt diese Schwelle nicht. Zahlreiche, einmüthige, intelligente, ergebene Vertheidiger fehlten damals nicht; daher legten sich auch jene Stürme, ein festerer Zustand kehrte wieder, und Alles schien eine Zukunft anzudeuten, in der auch die leisen Erschütterungen, welche bei jeder neuen Organisation unvermeidlich sind, verschwinden würden. Wie hat sich nun unsre Sache gestaltet? Die Anarchie ist entwaffnet, ermüdet durch ihre Niederlagen. Frankreich könnte stark, ruhig, glücklich seyn, könnte der Gegenwart sich freuen, und eine glänzendere Zukunft hoffen. Nun aber entmuthigt die Gegenwart; die Zukunft erschreckt; Jedermann fragt sich, wohin man geht, was man will; Niemand weiß es. Alles Vertrauen ist verschwunden; man ist ungewiß über alle Dinge, skeptisch über alle Principien, und was die Personen betrifft, so waltet in deren gegenseitigen Beziehungen kein Gefühl der Ehre und Würde mehr vor. Das einzige Band ist nur noch der gemeinsame Haß, das einzige Pfand der Treue nur die gleichen persönlichen Interessen; man gebraucht nur noch ein gemeinsames Mittel der Thätigkeit, nämlich seinen Gegner anzuschwärzen, zu verleumden, ihn niederzuwerfen, seinen Platz wegzunehmen. Die Verwirrung der Geister ist in die Regierung selbst eingebrochen. Es gibt keine Majorität in der Kammer mehr, und die Ministerien werden von Majoritäten des Augenblicks, von Majoritäten ad hoc über den Haufen geworfen; sie bilden sich heute und stürzen ein Cabinet; morgen existiren sie nicht mehr. Sie gleichen der Explosion einer Mine, man sieht den Boden geborsten - wo aber ist das Pulver, das die Zerstörung verursacht hat? Es ist eine Armee von kampflustigen Freiwilligen; sie zertrümmert die Thore eines Forts und läuft dann auseinander; sie wird zum Angriff wiederkehren, sobald eine neue Besatzung die ermordete ersetzt hat - es ist der Krieg um des Krieges willen. Bei diesem Zustand ist die Repräsentativregierung in ihrer Grundfeste angegriffen. Eine Kammer, die nur eine Majorität zum Umsturz, keine zum Regieren hat, eine Kammer, die demnach nur ein Hinderniß aller Verbesserungen wäre, welche das Land mit gerechter Ungeduld erwartet, eine solche Kammer würde eine ungeheure moralische Verantwortung auf sich laden. Will man etwa Frankreich beweisen, daß die Repräsentativregierung mit unsrer gesellschaftlichen Ordnung unverträglich ist? Nein, Frankreich weiß, daß diese Regierung möglich, sogar leicht ist, wenn die Menschen sich nicht ganz von ihren kleinen Leidenschaften beherrschen lassen, und vor dem allgemeinen Interesse nicht die Augen schließen." Nach dieser wenig tröstlichen allgemeinen Skizze der französischen Zustände geht die Revue des deux Mondes auf die Stellung des gegenwärtigen Ministeriums und der Kammer ein. Die Schuld an dem Sturz des letzten Cabinets trügen, meint die Revue, die 221. Auf ihre Stimmen habe das Ministerium Soult, als es den Dotationsentwurf vorgelegt, gerechnet und mit Einschluß der Freunde der HH. Dufaure und Passy, so wie der Dectrinäre würde ihnen auch die Majorität geblieben seyn; es hätten sich aber "Sachsen" in ihren Reihen gefunden und durch ihren Abfall, durch ihre Weigerung, einem französischen Prinzen eine Aussteuer zu geben, sey das Ministerium Soult getödtet worden. "Nach dessen Rücktritt - fährt die Revue fort - war die Erhebung des Hrn. Thiers so vorgezeichnet, so nothwendig, daß Niemand ernstlich an ein Ministerium ohne ihn dachte, und man fragte sich nur, welche Männer, welche Fractionen der Kammer mit ihm zur Bildung der neuen Verwaltung berufen würden. Das Cabinet war ziemlich schnell gebildet. Sollten nun dieselben Männer, welche durch ihr Votum gegen die Dotation die Ernennung des Hrn. Thiers unumgänglich nothwendig gemacht, das neue Ministerium wegen seiner Entstehung stürzen, an ihm die Streiche rächen wollen, die sie selbst gegen das Ministerium Soult geführt? Und die Männer des 12 Mai sollten, noch verwundet von ihrem Sturz, denen die Hand bieten, die sie gestürzt haben, um ihrerseits das einzige Cabinet, das heute noch möglich ist, über den Haufen zu werfen? ... Man sagt, Hr. Thiers bereite den Eintritt der Linken ins Ministerium vor, er wolle uns zur Constitution von 1791 führen. Aber dieß ist nur die Sprache des Parteigrimms. Niemand glaubt ernstlich daran. Wie? Hr. Thiers sollte uns zum Zustand von 1791 zurückführen? Er hat also alle seine Antecedentien, das Ministerium vom 11 Oct. und vom 22 Febr. vergessen; er hat seinen positiven Geist, seinen bewundernswürdigen Scharfsinn, sein Regierungsgenie verloren, welches sicherlich eher der Freiheit einige Besorgniß, als der Licenz die geringste Hoffnung geben könnte? Er erklärte sich gestern bereit, einem Cabinet unter der Präsidentschaft des Hrn. v. Broglie beizutreten, und sollte morgen das Staatsruder Frankreichs in die Hände der Linken geben, sich zum Werkzeug ihrer Utopien und dann zum Opfer ihrer Uebertreibungen machen wollen? Und in dieser Absicht, glaubt man, habe er gemäßigte, kluge, sogar schüchterne Männer, welche als "Männer des Widerstands" allgemein bekannt sind, sich beigesellt? Um den Geist der Revolutionen zu entfesseln, habe er Männer ausersehen, wie die HH. Remusat, Cubieres, Cousin, Jaubert? Wir wollen hier nur einen kurzen Rückblick auf die Stellung des Hrn. Thiers in den letzten Jahren werfen. Nach seinem Rücktritt von der Gewalt fand er sich ganz natürlich der Linken näher als zuvor. Die Männer des linken Centrums und der Linken, ihre Freunde, ihre Journale nahmen Hrn. Thiers mit offenen Armen auf, sich glücklich schätzend, von einem so schönen Talent sagen zu können: er ist einer der Unsrigen! Hr. Thiers, der als Staatsmann vor Allem nicht isolirt stehen wollte, ließ sie reden. Was hat er selbst aber seitdem gesprochen oder gethan, das die Behauptung rechtfertigen könnte, er sey das Gegentheil eines Conservativen? Er beobachtete Stillschweigen, war in den Pyrenäenbädern, besuchte Italien und begann zwei historische Werke. Hat er deßhalb die Linke getäuscht? Gewiß eben so wenig, als Hr. Barrot die Doctrinäre während der Coalition getäuscht hat. Ohne gerade von der Linken zu seyn, war Hr. Duvergier de Hauranne weniger fern von ihr als Hr. J. Lefevre, und Hr. Thiers, ohne der Linken anzugehören, stand ihr näher als Hr. Martin du Nord." Die Revue des deux Mondes tritt dann der Meinung fast aller Preßorgane bei, daß keine der großen Fractionen der Kammer die Mehrheit für

Wuth angegriffen, mit Tod bedroht. Man bereitet ihm, heißt es, einen Gegenstoß, einen schimpflichen Sturz, man will an ihm Rache nehmen für die stillschweigende Erdrosselung des 12 Mai. Diese Projecte sind keineswegs Chimären, die Gefahr besteht wirklich, und die Existenz des Cabinets ist ernstlich bedroht. In dieser Lage fällt uns ein Umstand ungeheuer auf: der Muth und die Geistes- und Gemüthsruhe jener Männer, für welche das parlamentarische Spiel nichts Unbekanntes hat. Diese können doch unmöglich die Gefahren übersehen, noch über die möglichen ernsten Folgen dieser Lage sich täuschen. Sie wissen, wie wir, daß seit 1830 unser Zustand noch nie bedenklicher, die Gefahr nie wirklicher, das Mittel dagegen nie ungewisser und gewagter war. Allerdings wurde von 1830 bis 1835 die durch die Juliusrevolution eingesetzte Regierung häufig offen bedroht, gewaltsam angegriffen; aber alle Regierungskräfte waren damals vereinigt, alle Männer, welche einigermaßen die Bedingungen der Staatsgewalt begriffen, reichten sich die Hand. Die Anarchie heulte vor den Thoren des Parlaments, des Ministerraths, der Staatsgewalt, aber sie überschritt diese Schwelle nicht. Zahlreiche, einmüthige, intelligente, ergebene Vertheidiger fehlten damals nicht; daher legten sich auch jene Stürme, ein festerer Zustand kehrte wieder, und Alles schien eine Zukunft anzudeuten, in der auch die leisen Erschütterungen, welche bei jeder neuen Organisation unvermeidlich sind, verschwinden würden. Wie hat sich nun unsre Sache gestaltet? Die Anarchie ist entwaffnet, ermüdet durch ihre Niederlagen. Frankreich könnte stark, ruhig, glücklich seyn, könnte der Gegenwart sich freuen, und eine glänzendere Zukunft hoffen. Nun aber entmuthigt die Gegenwart; die Zukunft erschreckt; Jedermann fragt sich, wohin man geht, was man will; Niemand weiß es. Alles Vertrauen ist verschwunden; man ist ungewiß über alle Dinge, skeptisch über alle Principien, und was die Personen betrifft, so waltet in deren gegenseitigen Beziehungen kein Gefühl der Ehre und Würde mehr vor. Das einzige Band ist nur noch der gemeinsame Haß, das einzige Pfand der Treue nur die gleichen persönlichen Interessen; man gebraucht nur noch ein gemeinsames Mittel der Thätigkeit, nämlich seinen Gegner anzuschwärzen, zu verleumden, ihn niederzuwerfen, seinen Platz wegzunehmen. Die Verwirrung der Geister ist in die Regierung selbst eingebrochen. Es gibt keine Majorität in der Kammer mehr, und die Ministerien werden von Majoritäten des Augenblicks, von Majoritäten ad hoc über den Haufen geworfen; sie bilden sich heute und stürzen ein Cabinet; morgen existiren sie nicht mehr. Sie gleichen der Explosion einer Mine, man sieht den Boden geborsten – wo aber ist das Pulver, das die Zerstörung verursacht hat? Es ist eine Armee von kampflustigen Freiwilligen; sie zertrümmert die Thore eines Forts und läuft dann auseinander; sie wird zum Angriff wiederkehren, sobald eine neue Besatzung die ermordete ersetzt hat – es ist der Krieg um des Krieges willen. Bei diesem Zustand ist die Repräsentativregierung in ihrer Grundfeste angegriffen. Eine Kammer, die nur eine Majorität zum Umsturz, keine zum Regieren hat, eine Kammer, die demnach nur ein Hinderniß aller Verbesserungen wäre, welche das Land mit gerechter Ungeduld erwartet, eine solche Kammer würde eine ungeheure moralische Verantwortung auf sich laden. Will man etwa Frankreich beweisen, daß die Repräsentativregierung mit unsrer gesellschaftlichen Ordnung unverträglich ist? Nein, Frankreich weiß, daß diese Regierung möglich, sogar leicht ist, wenn die Menschen sich nicht ganz von ihren kleinen Leidenschaften beherrschen lassen, und vor dem allgemeinen Interesse nicht die Augen schließen.“ Nach dieser wenig tröstlichen allgemeinen Skizze der französischen Zustände geht die Revue des deux Mondes auf die Stellung des gegenwärtigen Ministeriums und der Kammer ein. Die Schuld an dem Sturz des letzten Cabinets trügen, meint die Revue, die 221. Auf ihre Stimmen habe das Ministerium Soult, als es den Dotationsentwurf vorgelegt, gerechnet und mit Einschluß der Freunde der HH. Dufaure und Passy, so wie der Dectrinäre würde ihnen auch die Majorität geblieben seyn; es hätten sich aber „Sachsen“ in ihren Reihen gefunden und durch ihren Abfall, durch ihre Weigerung, einem französischen Prinzen eine Aussteuer zu geben, sey das Ministerium Soult getödtet worden. „Nach dessen Rücktritt – fährt die Revue fort – war die Erhebung des Hrn. Thiers so vorgezeichnet, so nothwendig, daß Niemand ernstlich an ein Ministerium ohne ihn dachte, und man fragte sich nur, welche Männer, welche Fractionen der Kammer mit ihm zur Bildung der neuen Verwaltung berufen würden. Das Cabinet war ziemlich schnell gebildet. Sollten nun dieselben Männer, welche durch ihr Votum gegen die Dotation die Ernennung des Hrn. Thiers unumgänglich nothwendig gemacht, das neue Ministerium wegen seiner Entstehung stürzen, an ihm die Streiche rächen wollen, die sie selbst gegen das Ministerium Soult geführt? Und die Männer des 12 Mai sollten, noch verwundet von ihrem Sturz, denen die Hand bieten, die sie gestürzt haben, um ihrerseits das einzige Cabinet, das heute noch möglich ist, über den Haufen zu werfen? ... Man sagt, Hr. Thiers bereite den Eintritt der Linken ins Ministerium vor, er wolle uns zur Constitution von 1791 führen. Aber dieß ist nur die Sprache des Parteigrimms. Niemand glaubt ernstlich daran. Wie? Hr. Thiers sollte uns zum Zustand von 1791 zurückführen? Er hat also alle seine Antecedentien, das Ministerium vom 11 Oct. und vom 22 Febr. vergessen; er hat seinen positiven Geist, seinen bewundernswürdigen Scharfsinn, sein Regierungsgenie verloren, welches sicherlich eher der Freiheit einige Besorgniß, als der Licenz die geringste Hoffnung geben könnte? Er erklärte sich gestern bereit, einem Cabinet unter der Präsidentschaft des Hrn. v. Broglie beizutreten, und sollte morgen das Staatsruder Frankreichs in die Hände der Linken geben, sich zum Werkzeug ihrer Utopien und dann zum Opfer ihrer Uebertreibungen machen wollen? Und in dieser Absicht, glaubt man, habe er gemäßigte, kluge, sogar schüchterne Männer, welche als „Männer des Widerstands“ allgemein bekannt sind, sich beigesellt? Um den Geist der Revolutionen zu entfesseln, habe er Männer ausersehen, wie die HH. Rémusat, Cubières, Cousin, Jaubert? Wir wollen hier nur einen kurzen Rückblick auf die Stellung des Hrn. Thiers in den letzten Jahren werfen. Nach seinem Rücktritt von der Gewalt fand er sich ganz natürlich der Linken näher als zuvor. Die Männer des linken Centrums und der Linken, ihre Freunde, ihre Journale nahmen Hrn. Thiers mit offenen Armen auf, sich glücklich schätzend, von einem so schönen Talent sagen zu können: er ist einer der Unsrigen! Hr. Thiers, der als Staatsmann vor Allem nicht isolirt stehen wollte, ließ sie reden. Was hat er selbst aber seitdem gesprochen oder gethan, das die Behauptung rechtfertigen könnte, er sey das Gegentheil eines Conservativen? Er beobachtete Stillschweigen, war in den Pyrenäenbädern, besuchte Italien und begann zwei historische Werke. Hat er deßhalb die Linke getäuscht? Gewiß eben so wenig, als Hr. Barrot die Doctrinäre während der Coalition getäuscht hat. Ohne gerade von der Linken zu seyn, war Hr. Duvergier de Hauranne weniger fern von ihr als Hr. J. Lefévre, und Hr. Thiers, ohne der Linken anzugehören, stand ihr näher als Hr. Martin du Nord.“ Die Revue des deux Mondes tritt dann der Meinung fast aller Preßorgane bei, daß keine der großen Fractionen der Kammer die Mehrheit für

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Wuth angegriffen, mit Tod bedroht. Man bereitet ihm, heißt es, einen Gegenstoß, einen schimpflichen Sturz, man will an ihm Rache nehmen für die stillschweigende Erdrosselung des 12 Mai. Diese Projecte sind keineswegs Chimären, die Gefahr besteht wirklich, und die Existenz des Cabinets ist ernstlich bedroht. In dieser Lage fällt uns ein Umstand ungeheuer auf: der Muth und die Geistes- und Gemüthsruhe jener Männer, für welche das parlamentarische Spiel nichts Unbekanntes hat. Diese können doch unmöglich die Gefahren übersehen, noch über die möglichen ernsten Folgen dieser Lage sich täuschen. Sie wissen, wie wir, daß seit 1830 unser Zustand noch nie bedenklicher, die Gefahr nie wirklicher, das Mittel dagegen nie ungewisser und gewagter war. Allerdings wurde von 1830 bis 1835 die durch die Juliusrevolution eingesetzte Regierung häufig offen bedroht, gewaltsam angegriffen; aber alle Regierungskräfte waren damals vereinigt, alle Männer, welche einigermaßen die Bedingungen der Staatsgewalt begriffen, reichten sich die Hand. Die Anarchie heulte vor den Thoren des Parlaments, des Ministerraths, der Staatsgewalt, aber sie überschritt diese Schwelle nicht. Zahlreiche, einmüthige, intelligente, ergebene Vertheidiger fehlten damals nicht; daher legten sich auch jene Stürme, ein festerer Zustand kehrte wieder, und Alles schien eine Zukunft anzudeuten, in der auch die leisen Erschütterungen, welche bei jeder neuen Organisation unvermeidlich sind, verschwinden würden. Wie hat sich nun unsre Sache gestaltet? Die Anarchie ist entwaffnet, ermüdet durch ihre Niederlagen. Frankreich könnte stark, ruhig, glücklich seyn, könnte der Gegenwart sich freuen, und eine glänzendere Zukunft hoffen. Nun aber entmuthigt die Gegenwart; die Zukunft erschreckt; Jedermann fragt sich, wohin man geht, was man will; Niemand weiß es. Alles Vertrauen ist verschwunden; man ist ungewiß über alle Dinge, skeptisch über alle Principien, und was die Personen betrifft, so waltet in deren gegenseitigen Beziehungen kein Gefühl der Ehre und Würde mehr vor. Das einzige Band ist nur noch der gemeinsame Haß, das einzige Pfand der Treue nur die gleichen persönlichen Interessen; man gebraucht nur noch ein gemeinsames Mittel der Thätigkeit, nämlich seinen Gegner anzuschwärzen, zu verleumden, ihn niederzuwerfen, seinen Platz wegzunehmen. Die Verwirrung der Geister ist in die Regierung selbst eingebrochen. Es gibt keine Majorität in der Kammer mehr, und die Ministerien werden von Majoritäten des Augenblicks, von Majoritäten ad hoc über den Haufen geworfen; sie bilden sich heute und stürzen ein Cabinet; morgen existiren sie nicht mehr. 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Dufaure und Passy, so wie der Dectrinäre würde ihnen auch die Majorität geblieben seyn; es hätten sich aber &#x201E;Sachsen&#x201C; in ihren Reihen gefunden und durch ihren Abfall, durch ihre Weigerung, einem französischen Prinzen eine Aussteuer zu geben, sey das Ministerium Soult getödtet worden. &#x201E;Nach dessen Rücktritt &#x2013; fährt die <hi rendition="#g">Revue</hi> fort &#x2013; war die Erhebung des Hrn. Thiers so vorgezeichnet, so nothwendig, daß Niemand ernstlich an ein Ministerium ohne ihn dachte, und man fragte sich nur, welche Männer, welche Fractionen der Kammer mit ihm zur Bildung der neuen Verwaltung berufen würden. Das Cabinet war ziemlich schnell gebildet. Sollten nun dieselben Männer, welche durch ihr Votum gegen die Dotation die Ernennung des Hrn. Thiers unumgänglich nothwendig gemacht, das neue Ministerium wegen seiner Entstehung stürzen, an ihm die Streiche rächen wollen, die sie selbst gegen das Ministerium Soult geführt? Und die Männer des 12 Mai sollten, noch verwundet von ihrem Sturz, denen die Hand bieten, die sie gestürzt haben, um ihrerseits das einzige Cabinet, das heute noch möglich ist, über den Haufen zu werfen? ... Man sagt, Hr. Thiers bereite den Eintritt der Linken ins Ministerium vor, er wolle uns zur Constitution von 1791 führen. Aber dieß ist nur die Sprache des Parteigrimms. Niemand glaubt ernstlich daran. Wie? Hr. Thiers sollte uns zum Zustand von 1791 zurückführen? Er hat also alle seine Antecedentien, das Ministerium vom 11 Oct. und vom 22 Febr. vergessen; er hat seinen positiven Geist, seinen bewundernswürdigen Scharfsinn, sein Regierungsgenie verloren, welches sicherlich eher der Freiheit einige Besorgniß, als der Licenz die geringste Hoffnung geben könnte? Er erklärte sich gestern bereit, einem Cabinet unter der Präsidentschaft des Hrn. v. Broglie beizutreten, und sollte morgen das Staatsruder Frankreichs in die Hände der Linken geben, sich zum Werkzeug ihrer Utopien und dann zum Opfer ihrer Uebertreibungen machen wollen? Und in dieser Absicht, glaubt man, habe er gemäßigte, kluge, sogar schüchterne Männer, welche als &#x201E;Männer des Widerstands&#x201C; allgemein bekannt sind, sich beigesellt? Um den Geist der Revolutionen zu entfesseln, habe er Männer ausersehen, wie die HH. Rémusat, Cubières, Cousin, Jaubert? Wir wollen hier nur einen kurzen Rückblick auf die Stellung des Hrn. Thiers in den letzten Jahren werfen. Nach seinem Rücktritt von der Gewalt fand er sich ganz natürlich der Linken näher als zuvor. Die Männer des linken Centrums und der Linken, ihre Freunde, ihre Journale nahmen Hrn. Thiers mit offenen Armen auf, sich glücklich schätzend, von einem so schönen Talent sagen zu können: er ist einer der Unsrigen! Hr. Thiers, der als Staatsmann vor Allem nicht isolirt stehen wollte, ließ sie reden. Was hat er selbst aber seitdem gesprochen oder gethan, das die Behauptung rechtfertigen könnte, er sey das Gegentheil eines Conservativen? Er beobachtete Stillschweigen, war in den Pyrenäenbädern, besuchte Italien und begann zwei historische Werke. Hat er deßhalb die Linke getäuscht? Gewiß eben so wenig, als Hr. Barrot die Doctrinäre während der Coalition getäuscht hat. Ohne gerade von der Linken zu seyn, war Hr. Duvergier de Hauranne weniger fern von ihr als Hr. J. Lefévre, und Hr. Thiers, ohne der Linken anzugehören, stand ihr näher als Hr. Martin du Nord.&#x201C; Die Revue des deux Mondes tritt dann der Meinung fast aller Preßorgane bei, daß keine der großen Fractionen der Kammer die Mehrheit für<lb/></p>
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[0659/0003] Wuth angegriffen, mit Tod bedroht. Man bereitet ihm, heißt es, einen Gegenstoß, einen schimpflichen Sturz, man will an ihm Rache nehmen für die stillschweigende Erdrosselung des 12 Mai. Diese Projecte sind keineswegs Chimären, die Gefahr besteht wirklich, und die Existenz des Cabinets ist ernstlich bedroht. In dieser Lage fällt uns ein Umstand ungeheuer auf: der Muth und die Geistes- und Gemüthsruhe jener Männer, für welche das parlamentarische Spiel nichts Unbekanntes hat. Diese können doch unmöglich die Gefahren übersehen, noch über die möglichen ernsten Folgen dieser Lage sich täuschen. Sie wissen, wie wir, daß seit 1830 unser Zustand noch nie bedenklicher, die Gefahr nie wirklicher, das Mittel dagegen nie ungewisser und gewagter war. Allerdings wurde von 1830 bis 1835 die durch die Juliusrevolution eingesetzte Regierung häufig offen bedroht, gewaltsam angegriffen; aber alle Regierungskräfte waren damals vereinigt, alle Männer, welche einigermaßen die Bedingungen der Staatsgewalt begriffen, reichten sich die Hand. Die Anarchie heulte vor den Thoren des Parlaments, des Ministerraths, der Staatsgewalt, aber sie überschritt diese Schwelle nicht. Zahlreiche, einmüthige, intelligente, ergebene Vertheidiger fehlten damals nicht; daher legten sich auch jene Stürme, ein festerer Zustand kehrte wieder, und Alles schien eine Zukunft anzudeuten, in der auch die leisen Erschütterungen, welche bei jeder neuen Organisation unvermeidlich sind, verschwinden würden. Wie hat sich nun unsre Sache gestaltet? Die Anarchie ist entwaffnet, ermüdet durch ihre Niederlagen. Frankreich könnte stark, ruhig, glücklich seyn, könnte der Gegenwart sich freuen, und eine glänzendere Zukunft hoffen. Nun aber entmuthigt die Gegenwart; die Zukunft erschreckt; Jedermann fragt sich, wohin man geht, was man will; Niemand weiß es. Alles Vertrauen ist verschwunden; man ist ungewiß über alle Dinge, skeptisch über alle Principien, und was die Personen betrifft, so waltet in deren gegenseitigen Beziehungen kein Gefühl der Ehre und Würde mehr vor. Das einzige Band ist nur noch der gemeinsame Haß, das einzige Pfand der Treue nur die gleichen persönlichen Interessen; man gebraucht nur noch ein gemeinsames Mittel der Thätigkeit, nämlich seinen Gegner anzuschwärzen, zu verleumden, ihn niederzuwerfen, seinen Platz wegzunehmen. Die Verwirrung der Geister ist in die Regierung selbst eingebrochen. Es gibt keine Majorität in der Kammer mehr, und die Ministerien werden von Majoritäten des Augenblicks, von Majoritäten ad hoc über den Haufen geworfen; sie bilden sich heute und stürzen ein Cabinet; morgen existiren sie nicht mehr. Sie gleichen der Explosion einer Mine, man sieht den Boden geborsten – wo aber ist das Pulver, das die Zerstörung verursacht hat? Es ist eine Armee von kampflustigen Freiwilligen; sie zertrümmert die Thore eines Forts und läuft dann auseinander; sie wird zum Angriff wiederkehren, sobald eine neue Besatzung die ermordete ersetzt hat – es ist der Krieg um des Krieges willen. Bei diesem Zustand ist die Repräsentativregierung in ihrer Grundfeste angegriffen. Eine Kammer, die nur eine Majorität zum Umsturz, keine zum Regieren hat, eine Kammer, die demnach nur ein Hinderniß aller Verbesserungen wäre, welche das Land mit gerechter Ungeduld erwartet, eine solche Kammer würde eine ungeheure moralische Verantwortung auf sich laden. Will man etwa Frankreich beweisen, daß die Repräsentativregierung mit unsrer gesellschaftlichen Ordnung unverträglich ist? Nein, Frankreich weiß, daß diese Regierung möglich, sogar leicht ist, wenn die Menschen sich nicht ganz von ihren kleinen Leidenschaften beherrschen lassen, und vor dem allgemeinen Interesse nicht die Augen schließen.“ Nach dieser wenig tröstlichen allgemeinen Skizze der französischen Zustände geht die Revue des deux Mondes auf die Stellung des gegenwärtigen Ministeriums und der Kammer ein. Die Schuld an dem Sturz des letzten Cabinets trügen, meint die Revue, die 221. Auf ihre Stimmen habe das Ministerium Soult, als es den Dotationsentwurf vorgelegt, gerechnet und mit Einschluß der Freunde der HH. Dufaure und Passy, so wie der Dectrinäre würde ihnen auch die Majorität geblieben seyn; es hätten sich aber „Sachsen“ in ihren Reihen gefunden und durch ihren Abfall, durch ihre Weigerung, einem französischen Prinzen eine Aussteuer zu geben, sey das Ministerium Soult getödtet worden. „Nach dessen Rücktritt – fährt die Revue fort – war die Erhebung des Hrn. Thiers so vorgezeichnet, so nothwendig, daß Niemand ernstlich an ein Ministerium ohne ihn dachte, und man fragte sich nur, welche Männer, welche Fractionen der Kammer mit ihm zur Bildung der neuen Verwaltung berufen würden. Das Cabinet war ziemlich schnell gebildet. Sollten nun dieselben Männer, welche durch ihr Votum gegen die Dotation die Ernennung des Hrn. Thiers unumgänglich nothwendig gemacht, das neue Ministerium wegen seiner Entstehung stürzen, an ihm die Streiche rächen wollen, die sie selbst gegen das Ministerium Soult geführt? Und die Männer des 12 Mai sollten, noch verwundet von ihrem Sturz, denen die Hand bieten, die sie gestürzt haben, um ihrerseits das einzige Cabinet, das heute noch möglich ist, über den Haufen zu werfen? ... Man sagt, Hr. Thiers bereite den Eintritt der Linken ins Ministerium vor, er wolle uns zur Constitution von 1791 führen. Aber dieß ist nur die Sprache des Parteigrimms. Niemand glaubt ernstlich daran. Wie? Hr. Thiers sollte uns zum Zustand von 1791 zurückführen? Er hat also alle seine Antecedentien, das Ministerium vom 11 Oct. und vom 22 Febr. vergessen; er hat seinen positiven Geist, seinen bewundernswürdigen Scharfsinn, sein Regierungsgenie verloren, welches sicherlich eher der Freiheit einige Besorgniß, als der Licenz die geringste Hoffnung geben könnte? Er erklärte sich gestern bereit, einem Cabinet unter der Präsidentschaft des Hrn. v. Broglie beizutreten, und sollte morgen das Staatsruder Frankreichs in die Hände der Linken geben, sich zum Werkzeug ihrer Utopien und dann zum Opfer ihrer Uebertreibungen machen wollen? Und in dieser Absicht, glaubt man, habe er gemäßigte, kluge, sogar schüchterne Männer, welche als „Männer des Widerstands“ allgemein bekannt sind, sich beigesellt? Um den Geist der Revolutionen zu entfesseln, habe er Männer ausersehen, wie die HH. Rémusat, Cubières, Cousin, Jaubert? Wir wollen hier nur einen kurzen Rückblick auf die Stellung des Hrn. Thiers in den letzten Jahren werfen. Nach seinem Rücktritt von der Gewalt fand er sich ganz natürlich der Linken näher als zuvor. Die Männer des linken Centrums und der Linken, ihre Freunde, ihre Journale nahmen Hrn. Thiers mit offenen Armen auf, sich glücklich schätzend, von einem so schönen Talent sagen zu können: er ist einer der Unsrigen! Hr. Thiers, der als Staatsmann vor Allem nicht isolirt stehen wollte, ließ sie reden. Was hat er selbst aber seitdem gesprochen oder gethan, das die Behauptung rechtfertigen könnte, er sey das Gegentheil eines Conservativen? Er beobachtete Stillschweigen, war in den Pyrenäenbädern, besuchte Italien und begann zwei historische Werke. Hat er deßhalb die Linke getäuscht? Gewiß eben so wenig, als Hr. Barrot die Doctrinäre während der Coalition getäuscht hat. Ohne gerade von der Linken zu seyn, war Hr. Duvergier de Hauranne weniger fern von ihr als Hr. J. Lefévre, und Hr. Thiers, ohne der Linken anzugehören, stand ihr näher als Hr. Martin du Nord.“ Die Revue des deux Mondes tritt dann der Meinung fast aller Preßorgane bei, daß keine der großen Fractionen der Kammer die Mehrheit für

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 83. Augsburg, 23. März 1840, S. 0659. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_083_18400323/3>, abgerufen am 28.11.2024.