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Allgemeine Zeitung. Nr. 74. Augsburg, 14. März 1840.

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fast verschollenen Staats vor Augen habend, sein mildes Gesetz, seine Sprache und seine Religion vor jeder Amalgamirung mit einem fremden zerstörenden Elemente mit Entschlossenheit und Treue bewahren wird! - So ist es denn in unserer von Parteiungen durchwühlten Zeit dahin gekommen, daß man dem reinsten Ausdrucke der Wahrheit nimmer glaubt, daß man die Sprache des Freundes von jener des Widersachers nicht mehr unterscheiden kann, ja nicht unterscheiden will! Ist mir doch sogar die Vermuthung mitgetheilt worden, daß der Czechengegner eigentlich ein verkappter Russe sey, der durch künstlich herbeigezogene Motive, als Lobpreisung des conservativen Princips bei der einen, Stachelung der Schmerzen einer unglücklichen Nation bei der andern Partei nichts Anderes beabsichtige, als die oben ausgesprochene Tendenz der Trennung der österreich-slovenischen Cultur von der russischen, im Entstehen zu vernichten. Doch diesen Verdacht will ich nicht theilen; wenigstens scheint der Eifer, mit dem der Gegner über den Ausdruck "fast verschollenen Staat" herfällt, offenbar für seinen Antirussismus zu sprechen. Ich spreche hier die Ueberzeugung aus, daß man nirgends einen herzlicheren Antheil an den Leiden der Polen nahm und nimmt, als eben in Böhmen und Mähren; und nur in der Verschiedenheit der Verfassung Ungarns und der böhmischen Erbländer liegt der Grund, daß die Böhmen und Mährer nicht so wie die Ungarn ihr Mitgefühl an den Bedrängnissen der polnischen Nation offenkundig äußerten. Eben darum muß auf Polens Schicksal hingewiesen werden, wenn irgendwo von einem Anschließen an Rußland die Rede seyn soll, auf Polen, dem von seiner ehemaligen nationalen sowohl als religiösen und administrativen Verfassung wenig, sehr wenig übrig blieb. Uebrigens ist Europa mit den Vorgängen in Polen nur zu wohl vertraut; über Polen schrieb man im verflossenen Jahrzehnt ganze Bibliotheken - was hingegen ist über die Slaven in Böhmen, Mähren, Ungarn und Schlesien in neuerer Zeit zur öffentlichen Kenntniß gekommen? Höchstens einige wegwerfende Bemerkungen und Andeutungen, über deren Werth zu sprechen peinlich wäre. Hält doch der Opponent, der selbst ein Slave zu seyn scheint, Böhmen für ein altdeutsches Land, da es doch unter vier Millionen Einwohnern fast drei Millionen ächte Slaven zählt. Derselbe nennt es Anmaßung, die glänzende Bildungsepoche Böhmens im 16ten Jahrhundert auf Rechnung der Böhmen zu schreiben, und nennt die Universität eine deutsche. *) Insofern Böhmen als Kurkönigreich ein integrirender Theil des deutschen Reiches war, kann man diesem Ausdrucke seine Geltung zugestehen, nicht aber in nationaler oder sprachlicher Bedeutung; denn an der Universität wurden die Vorträge in lateinischer Sprache gehalten, und alle übrigen Bildungsanstalten in der Hauptstadt sowohl als in den Landstädten waren böhmisch. Daß die czechische Sprache zu jener Zeit in Böhmen ausschließend die herrschende war, erhellt schon aus dem Landtagsbeschlusse vom Jahr 1615, worin es heißt: Se. kais. Majestät (der Habsburger Matthias) haben mit den Ständen einmüthig beschlossen, daß alle Fremden, welche in diesem Königreiche als Insassen und Bürger aufgenommen sind, die Verpflichtung haben, ihre Kinder in der böhmischen Sprache unterrichten zu lassen. Jener, der das Staatsbürgerrecht im Königreich Böhmen erlangen will, muß vor Allem erweisen, daß er die böhmische Sprache erlernt habe. Bei den Landtagen, Gerichten und bei allen Behörden ohne Unterschied darf man sich keiner andern, als der böhmischen Sprache bedienen u. s. w. (S. Gesetzeslexikon von Jaksch. Prag 1828, 5ter Band. S. 376.) Daher ist es durchaus keine Anmaßung, die böhmische Sprache als das Organ der überaus glänzenden Bildungsperiode des czechischen Volkes zu preisen, aus der uns zur kräftigeren Beweisführung herrliche classische Werke in böhmischer Sprache vorliegen. Man weise auch nur ein einziges deutsches Buch von einiger litterarischen Bedeutung nach, das in Böhmen oder Mähren bis zum Jahr der Schlacht auf dem weißen Berge 1620 gedruckt worden wäre. Fern liegt dem Verfasser dieser Zeilen die Absicht, eine Parallele zwischen der deutschen und irgend einer slavischen Sprache zu ziehen. Die hohe bedeutungsvolle Stellung, welche die deutsche Sprache, deutsche Wissenschaft und Kunst seit einem Jahrhunderte errungen, der Einfluß, den sie auf die Bildung fast aller Nachbarvölker geübt, erhebt dieselbe gegenwärtig weit über das Niveau der Vergleichung mit der czechischen, nur möge im Flammenglanze deutscher Glorie nicht die Erinnerung an die veredelnde und bildende Wirkung ihrer czechischen Sprachschwester untergehen, nur mögen vorzüglich die höheren Stände in Böhmen und Mähren die Pflicht der Pietät nicht aus den Augen setzen, welche die Gegenwart der historischen Würde der Vergangenheit schuldet.

(Beschluß folgt.)

Italien.

Der Ausspruch des verstorbenen Kaisers: "ich will, daß meine Italiener lesen und schreiben lernen, der Mord wird dann seltener unter ihnen seyn," ist für Oberitalien längst eine Wahrheit geworden. Bei einer männlichen Bevölkerung von 1,235,480 Köpfen zählte man in der Lombardei schon im Jahr 1837/38 2633 Schulen, die von 124,728 Knaben besucht wurden, während 79,395 Mädchen in 1929 Schulen gingen, so daß im Verhältniß zur ganzen Bevölkerung der genannten Ebene etwa neun Schüler männlichen Geschlechts auf 100 kamen. Mit diesem Elementarunterricht halten die höchsten Bildungsanstalten wenigstens gleichen Schritt; Padua zählt gegen 1400, Pavia gegen 1500 Studenten. Da eine Anzahl von 3000 Studenten offenbar die Bedürfnisse des lombardo-venetianischen Staats übersteigt, und auch dort, wie überall bei steigendem Verkehr, eine größere Menge von Individuen sich der Industrie und dem Handel zuzuwenden anfängt, so ist die Lücke von Gewerb- und Realschulen fühlbar geworden, ja um so fühlbarer, je weniger die Gymnasien geeignet sind, für solche Zwecke genügend vorzubereiten. In diesen nämlich sind für Mathematik, Geschichte und Geographie wöchentlich sechs Stunden bestimmt, was für jede dieser Wissenschaften bei einem zehnmonatlichen Cursus 68 Lectionen ergeben würde; rechnet man aber die außergewöhnlichen Festtage, die Examina und Wiederholungen ab, so werden höchstens noch 58 übrig bleiben, so daß bei einem Gymnasialcursus von sechs Jahren jeder der genannten Wissenschaften nur 348 Stunden, d. h. 14 Tage zu gute kommen. Schwerlich dürfte dieß geringe Stundenmaaß für sich bildende Gelehrte, am wenigsten aber für solche genügen, die über jene Fächer hinaus keine weitere Bildung zu hoffen haben. Deßhalb beabsichtigt man nun nach dem Muster anderer großen Städte in Mailand und Venedig sogenannte technische Schulen zu errichten, die, über

*) Es herrscht leider seit langer Zeit in Deutschland die Sitte, fast alles, was als preiswürdig in Böhmen anerkannt wurde, den Deutschen anzueignen, und das Unedle dem slavischen Theile der Nation zuzuschieben. So las man vor einem Jahr in öffentlichen Blättern, daß der Freund, ja Verehrer der böhmischen Sprache, der gelehrte verdienstvolle Graf Kaspar Sternberg, einer der ältesten czechischen Familien entsprossen (S. Palacky's Gesch. von Böhmen II. Th. S. 101) ein - ächt deutscher Edelmann gewesen.

fast verschollenen Staats vor Augen habend, sein mildes Gesetz, seine Sprache und seine Religion vor jeder Amalgamirung mit einem fremden zerstörenden Elemente mit Entschlossenheit und Treue bewahren wird! – So ist es denn in unserer von Parteiungen durchwühlten Zeit dahin gekommen, daß man dem reinsten Ausdrucke der Wahrheit nimmer glaubt, daß man die Sprache des Freundes von jener des Widersachers nicht mehr unterscheiden kann, ja nicht unterscheiden will! Ist mir doch sogar die Vermuthung mitgetheilt worden, daß der Czechengegner eigentlich ein verkappter Russe sey, der durch künstlich herbeigezogene Motive, als Lobpreisung des conservativen Princips bei der einen, Stachelung der Schmerzen einer unglücklichen Nation bei der andern Partei nichts Anderes beabsichtige, als die oben ausgesprochene Tendenz der Trennung der österreich-slovenischen Cultur von der russischen, im Entstehen zu vernichten. Doch diesen Verdacht will ich nicht theilen; wenigstens scheint der Eifer, mit dem der Gegner über den Ausdruck „fast verschollenen Staat“ herfällt, offenbar für seinen Antirussismus zu sprechen. Ich spreche hier die Ueberzeugung aus, daß man nirgends einen herzlicheren Antheil an den Leiden der Polen nahm und nimmt, als eben in Böhmen und Mähren; und nur in der Verschiedenheit der Verfassung Ungarns und der böhmischen Erbländer liegt der Grund, daß die Böhmen und Mährer nicht so wie die Ungarn ihr Mitgefühl an den Bedrängnissen der polnischen Nation offenkundig äußerten. Eben darum muß auf Polens Schicksal hingewiesen werden, wenn irgendwo von einem Anschließen an Rußland die Rede seyn soll, auf Polen, dem von seiner ehemaligen nationalen sowohl als religiösen und administrativen Verfassung wenig, sehr wenig übrig blieb. Uebrigens ist Europa mit den Vorgängen in Polen nur zu wohl vertraut; über Polen schrieb man im verflossenen Jahrzehnt ganze Bibliotheken – was hingegen ist über die Slaven in Böhmen, Mähren, Ungarn und Schlesien in neuerer Zeit zur öffentlichen Kenntniß gekommen? Höchstens einige wegwerfende Bemerkungen und Andeutungen, über deren Werth zu sprechen peinlich wäre. Hält doch der Opponent, der selbst ein Slave zu seyn scheint, Böhmen für ein altdeutsches Land, da es doch unter vier Millionen Einwohnern fast drei Millionen ächte Slaven zählt. Derselbe nennt es Anmaßung, die glänzende Bildungsepoche Böhmens im 16ten Jahrhundert auf Rechnung der Böhmen zu schreiben, und nennt die Universität eine deutsche. *) Insofern Böhmen als Kurkönigreich ein integrirender Theil des deutschen Reiches war, kann man diesem Ausdrucke seine Geltung zugestehen, nicht aber in nationaler oder sprachlicher Bedeutung; denn an der Universität wurden die Vorträge in lateinischer Sprache gehalten, und alle übrigen Bildungsanstalten in der Hauptstadt sowohl als in den Landstädten waren böhmisch. Daß die czechische Sprache zu jener Zeit in Böhmen ausschließend die herrschende war, erhellt schon aus dem Landtagsbeschlusse vom Jahr 1615, worin es heißt: Se. kais. Majestät (der Habsburger Matthias) haben mit den Ständen einmüthig beschlossen, daß alle Fremden, welche in diesem Königreiche als Insassen und Bürger aufgenommen sind, die Verpflichtung haben, ihre Kinder in der böhmischen Sprache unterrichten zu lassen. Jener, der das Staatsbürgerrecht im Königreich Böhmen erlangen will, muß vor Allem erweisen, daß er die böhmische Sprache erlernt habe. Bei den Landtagen, Gerichten und bei allen Behörden ohne Unterschied darf man sich keiner andern, als der böhmischen Sprache bedienen u. s. w. (S. Gesetzeslexikon von Jaksch. Prag 1828, 5ter Band. S. 376.) Daher ist es durchaus keine Anmaßung, die böhmische Sprache als das Organ der überaus glänzenden Bildungsperiode des czechischen Volkes zu preisen, aus der uns zur kräftigeren Beweisführung herrliche classische Werke in böhmischer Sprache vorliegen. Man weise auch nur ein einziges deutsches Buch von einiger litterarischen Bedeutung nach, das in Böhmen oder Mähren bis zum Jahr der Schlacht auf dem weißen Berge 1620 gedruckt worden wäre. Fern liegt dem Verfasser dieser Zeilen die Absicht, eine Parallele zwischen der deutschen und irgend einer slavischen Sprache zu ziehen. Die hohe bedeutungsvolle Stellung, welche die deutsche Sprache, deutsche Wissenschaft und Kunst seit einem Jahrhunderte errungen, der Einfluß, den sie auf die Bildung fast aller Nachbarvölker geübt, erhebt dieselbe gegenwärtig weit über das Niveau der Vergleichung mit der czechischen, nur möge im Flammenglanze deutscher Glorie nicht die Erinnerung an die veredelnde und bildende Wirkung ihrer czechischen Sprachschwester untergehen, nur mögen vorzüglich die höheren Stände in Böhmen und Mähren die Pflicht der Pietät nicht aus den Augen setzen, welche die Gegenwart der historischen Würde der Vergangenheit schuldet.

(Beschluß folgt.)

Italien.

Der Ausspruch des verstorbenen Kaisers: „ich will, daß meine Italiener lesen und schreiben lernen, der Mord wird dann seltener unter ihnen seyn,“ ist für Oberitalien längst eine Wahrheit geworden. Bei einer männlichen Bevölkerung von 1,235,480 Köpfen zählte man in der Lombardei schon im Jahr 1837/38 2633 Schulen, die von 124,728 Knaben besucht wurden, während 79,395 Mädchen in 1929 Schulen gingen, so daß im Verhältniß zur ganzen Bevölkerung der genannten Ebene etwa neun Schüler männlichen Geschlechts auf 100 kamen. Mit diesem Elementarunterricht halten die höchsten Bildungsanstalten wenigstens gleichen Schritt; Padua zählt gegen 1400, Pavia gegen 1500 Studenten. Da eine Anzahl von 3000 Studenten offenbar die Bedürfnisse des lombardo-venetianischen Staats übersteigt, und auch dort, wie überall bei steigendem Verkehr, eine größere Menge von Individuen sich der Industrie und dem Handel zuzuwenden anfängt, so ist die Lücke von Gewerb- und Realschulen fühlbar geworden, ja um so fühlbarer, je weniger die Gymnasien geeignet sind, für solche Zwecke genügend vorzubereiten. In diesen nämlich sind für Mathematik, Geschichte und Geographie wöchentlich sechs Stunden bestimmt, was für jede dieser Wissenschaften bei einem zehnmonatlichen Cursus 68 Lectionen ergeben würde; rechnet man aber die außergewöhnlichen Festtage, die Examina und Wiederholungen ab, so werden höchstens noch 58 übrig bleiben, so daß bei einem Gymnasialcursus von sechs Jahren jeder der genannten Wissenschaften nur 348 Stunden, d. h. 14 Tage zu gute kommen. Schwerlich dürfte dieß geringe Stundenmaaß für sich bildende Gelehrte, am wenigsten aber für solche genügen, die über jene Fächer hinaus keine weitere Bildung zu hoffen haben. Deßhalb beabsichtigt man nun nach dem Muster anderer großen Städte in Mailand und Venedig sogenannte technische Schulen zu errichten, die, über

*) Es herrscht leider seit langer Zeit in Deutschland die Sitte, fast alles, was als preiswürdig in Böhmen anerkannt wurde, den Deutschen anzueignen, und das Unedle dem slavischen Theile der Nation zuzuschieben. So las man vor einem Jahr in öffentlichen Blättern, daß der Freund, ja Verehrer der böhmischen Sprache, der gelehrte verdienstvolle Graf Kaspar Sternberg, einer der ältesten czechischen Familien entsprossen (S. Palacky's Gesch. von Böhmen II. Th. S. 101) ein – ächt deutscher Edelmann gewesen.
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Doch diesen Verdacht will ich nicht theilen; wenigstens scheint der Eifer, mit dem der Gegner über den Ausdruck &#x201E;fast verschollenen Staat&#x201C; herfällt, offenbar für seinen Antirussismus zu sprechen. Ich spreche hier die Ueberzeugung aus, daß man nirgends einen herzlicheren Antheil an den Leiden der Polen nahm und nimmt, als eben in Böhmen und Mähren; und nur in der Verschiedenheit der Verfassung Ungarns und der böhmischen Erbländer liegt der Grund, daß die Böhmen und Mährer nicht so wie die Ungarn ihr Mitgefühl an den Bedrängnissen der polnischen Nation offenkundig äußerten. Eben darum muß auf Polens Schicksal hingewiesen werden, wenn irgendwo von einem Anschließen an Rußland die Rede seyn soll, auf Polen, dem von seiner ehemaligen nationalen sowohl als religiösen und administrativen Verfassung wenig, sehr wenig übrig blieb. Uebrigens ist Europa mit den Vorgängen in Polen nur zu wohl vertraut; über Polen schrieb man im verflossenen Jahrzehnt ganze Bibliotheken &#x2013; was hingegen ist über die Slaven in Böhmen, Mähren, Ungarn und Schlesien in neuerer Zeit zur öffentlichen Kenntniß gekommen? Höchstens einige wegwerfende Bemerkungen und Andeutungen, über deren Werth zu sprechen peinlich wäre. Hält doch der Opponent, der selbst ein Slave zu seyn scheint, Böhmen für ein altdeutsches Land, da es doch unter vier Millionen Einwohnern fast drei Millionen ächte Slaven zählt. Derselbe nennt es Anmaßung, die glänzende Bildungsepoche Böhmens im 16ten Jahrhundert auf Rechnung der Böhmen zu schreiben, und nennt die Universität eine deutsche. <note place="foot" n="*)"> Es herrscht leider seit langer Zeit in Deutschland die Sitte, fast alles, was als preiswürdig in Böhmen anerkannt wurde, den Deutschen anzueignen, und das Unedle dem slavischen Theile der Nation zuzuschieben. So las man vor einem Jahr in öffentlichen Blättern, daß der Freund, ja Verehrer der böhmischen Sprache, der gelehrte verdienstvolle Graf Kaspar Sternberg, einer der ältesten czechischen Familien entsprossen (S. Palacky's Gesch. von Böhmen II. Th. S. 101) ein &#x2013; ächt deutscher Edelmann gewesen.</note> Insofern Böhmen als Kurkönigreich ein integrirender Theil des deutschen Reiches war, kann man diesem Ausdrucke seine Geltung zugestehen, nicht aber in nationaler oder sprachlicher Bedeutung; denn an der Universität wurden die Vorträge in lateinischer Sprache gehalten, und alle übrigen Bildungsanstalten in der Hauptstadt sowohl als in den Landstädten waren böhmisch. Daß die czechische Sprache zu jener Zeit in Böhmen ausschließend die herrschende war, erhellt schon aus dem Landtagsbeschlusse vom Jahr 1615, worin es heißt: Se. kais. Majestät (der Habsburger Matthias) haben mit den Ständen einmüthig beschlossen, daß alle Fremden, welche in diesem Königreiche als Insassen und Bürger aufgenommen sind, die Verpflichtung haben, ihre Kinder in der böhmischen Sprache unterrichten zu lassen. Jener, der das Staatsbürgerrecht im Königreich Böhmen erlangen will, muß vor Allem erweisen, daß er die böhmische Sprache erlernt habe. Bei den Landtagen, Gerichten und bei allen Behörden ohne Unterschied darf man sich keiner andern, als der böhmischen Sprache bedienen u. s. w. (S. Gesetzeslexikon von Jaksch. Prag 1828, 5ter Band. S. 376.) Daher ist es durchaus keine Anmaßung, die böhmische Sprache als das Organ der überaus glänzenden Bildungsperiode des czechischen Volkes zu preisen, aus der uns zur kräftigeren Beweisführung herrliche classische Werke in böhmischer Sprache vorliegen. Man weise auch nur ein einziges deutsches Buch von einiger litterarischen Bedeutung nach, das in Böhmen oder Mähren bis zum Jahr der Schlacht auf dem weißen Berge 1620 gedruckt worden wäre. Fern liegt dem Verfasser dieser Zeilen die Absicht, eine Parallele zwischen der deutschen und irgend einer slavischen Sprache zu ziehen. Die hohe bedeutungsvolle Stellung, welche die deutsche Sprache, deutsche Wissenschaft und Kunst seit einem Jahrhunderte errungen, der Einfluß, den sie auf die Bildung fast aller Nachbarvölker geübt, erhebt dieselbe gegenwärtig weit über das Niveau der Vergleichung mit der czechischen, nur möge im Flammenglanze deutscher Glorie nicht die Erinnerung an die veredelnde und bildende Wirkung ihrer czechischen Sprachschwester untergehen, nur mögen vorzüglich die höheren Stände in Böhmen und Mähren die Pflicht der Pietät nicht aus den Augen setzen, welche die Gegenwart der historischen Würde der Vergangenheit schuldet.</p><lb/>
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[0588/0012] fast verschollenen Staats vor Augen habend, sein mildes Gesetz, seine Sprache und seine Religion vor jeder Amalgamirung mit einem fremden zerstörenden Elemente mit Entschlossenheit und Treue bewahren wird! – So ist es denn in unserer von Parteiungen durchwühlten Zeit dahin gekommen, daß man dem reinsten Ausdrucke der Wahrheit nimmer glaubt, daß man die Sprache des Freundes von jener des Widersachers nicht mehr unterscheiden kann, ja nicht unterscheiden will! Ist mir doch sogar die Vermuthung mitgetheilt worden, daß der Czechengegner eigentlich ein verkappter Russe sey, der durch künstlich herbeigezogene Motive, als Lobpreisung des conservativen Princips bei der einen, Stachelung der Schmerzen einer unglücklichen Nation bei der andern Partei nichts Anderes beabsichtige, als die oben ausgesprochene Tendenz der Trennung der österreich-slovenischen Cultur von der russischen, im Entstehen zu vernichten. Doch diesen Verdacht will ich nicht theilen; wenigstens scheint der Eifer, mit dem der Gegner über den Ausdruck „fast verschollenen Staat“ herfällt, offenbar für seinen Antirussismus zu sprechen. Ich spreche hier die Ueberzeugung aus, daß man nirgends einen herzlicheren Antheil an den Leiden der Polen nahm und nimmt, als eben in Böhmen und Mähren; und nur in der Verschiedenheit der Verfassung Ungarns und der böhmischen Erbländer liegt der Grund, daß die Böhmen und Mährer nicht so wie die Ungarn ihr Mitgefühl an den Bedrängnissen der polnischen Nation offenkundig äußerten. Eben darum muß auf Polens Schicksal hingewiesen werden, wenn irgendwo von einem Anschließen an Rußland die Rede seyn soll, auf Polen, dem von seiner ehemaligen nationalen sowohl als religiösen und administrativen Verfassung wenig, sehr wenig übrig blieb. Uebrigens ist Europa mit den Vorgängen in Polen nur zu wohl vertraut; über Polen schrieb man im verflossenen Jahrzehnt ganze Bibliotheken – was hingegen ist über die Slaven in Böhmen, Mähren, Ungarn und Schlesien in neuerer Zeit zur öffentlichen Kenntniß gekommen? Höchstens einige wegwerfende Bemerkungen und Andeutungen, über deren Werth zu sprechen peinlich wäre. Hält doch der Opponent, der selbst ein Slave zu seyn scheint, Böhmen für ein altdeutsches Land, da es doch unter vier Millionen Einwohnern fast drei Millionen ächte Slaven zählt. Derselbe nennt es Anmaßung, die glänzende Bildungsepoche Böhmens im 16ten Jahrhundert auf Rechnung der Böhmen zu schreiben, und nennt die Universität eine deutsche. *) Insofern Böhmen als Kurkönigreich ein integrirender Theil des deutschen Reiches war, kann man diesem Ausdrucke seine Geltung zugestehen, nicht aber in nationaler oder sprachlicher Bedeutung; denn an der Universität wurden die Vorträge in lateinischer Sprache gehalten, und alle übrigen Bildungsanstalten in der Hauptstadt sowohl als in den Landstädten waren böhmisch. Daß die czechische Sprache zu jener Zeit in Böhmen ausschließend die herrschende war, erhellt schon aus dem Landtagsbeschlusse vom Jahr 1615, worin es heißt: Se. kais. Majestät (der Habsburger Matthias) haben mit den Ständen einmüthig beschlossen, daß alle Fremden, welche in diesem Königreiche als Insassen und Bürger aufgenommen sind, die Verpflichtung haben, ihre Kinder in der böhmischen Sprache unterrichten zu lassen. Jener, der das Staatsbürgerrecht im Königreich Böhmen erlangen will, muß vor Allem erweisen, daß er die böhmische Sprache erlernt habe. Bei den Landtagen, Gerichten und bei allen Behörden ohne Unterschied darf man sich keiner andern, als der böhmischen Sprache bedienen u. s. w. (S. Gesetzeslexikon von Jaksch. Prag 1828, 5ter Band. S. 376.) Daher ist es durchaus keine Anmaßung, die böhmische Sprache als das Organ der überaus glänzenden Bildungsperiode des czechischen Volkes zu preisen, aus der uns zur kräftigeren Beweisführung herrliche classische Werke in böhmischer Sprache vorliegen. Man weise auch nur ein einziges deutsches Buch von einiger litterarischen Bedeutung nach, das in Böhmen oder Mähren bis zum Jahr der Schlacht auf dem weißen Berge 1620 gedruckt worden wäre. Fern liegt dem Verfasser dieser Zeilen die Absicht, eine Parallele zwischen der deutschen und irgend einer slavischen Sprache zu ziehen. Die hohe bedeutungsvolle Stellung, welche die deutsche Sprache, deutsche Wissenschaft und Kunst seit einem Jahrhunderte errungen, der Einfluß, den sie auf die Bildung fast aller Nachbarvölker geübt, erhebt dieselbe gegenwärtig weit über das Niveau der Vergleichung mit der czechischen, nur möge im Flammenglanze deutscher Glorie nicht die Erinnerung an die veredelnde und bildende Wirkung ihrer czechischen Sprachschwester untergehen, nur mögen vorzüglich die höheren Stände in Böhmen und Mähren die Pflicht der Pietät nicht aus den Augen setzen, welche die Gegenwart der historischen Würde der Vergangenheit schuldet. (Beschluß folgt.) Italien. _ Florenz, 5 März. Der Ausspruch des verstorbenen Kaisers: „ich will, daß meine Italiener lesen und schreiben lernen, der Mord wird dann seltener unter ihnen seyn,“ ist für Oberitalien längst eine Wahrheit geworden. Bei einer männlichen Bevölkerung von 1,235,480 Köpfen zählte man in der Lombardei schon im Jahr 1837/38 2633 Schulen, die von 124,728 Knaben besucht wurden, während 79,395 Mädchen in 1929 Schulen gingen, so daß im Verhältniß zur ganzen Bevölkerung der genannten Ebene etwa neun Schüler männlichen Geschlechts auf 100 kamen. Mit diesem Elementarunterricht halten die höchsten Bildungsanstalten wenigstens gleichen Schritt; Padua zählt gegen 1400, Pavia gegen 1500 Studenten. Da eine Anzahl von 3000 Studenten offenbar die Bedürfnisse des lombardo-venetianischen Staats übersteigt, und auch dort, wie überall bei steigendem Verkehr, eine größere Menge von Individuen sich der Industrie und dem Handel zuzuwenden anfängt, so ist die Lücke von Gewerb- und Realschulen fühlbar geworden, ja um so fühlbarer, je weniger die Gymnasien geeignet sind, für solche Zwecke genügend vorzubereiten. In diesen nämlich sind für Mathematik, Geschichte und Geographie wöchentlich sechs Stunden bestimmt, was für jede dieser Wissenschaften bei einem zehnmonatlichen Cursus 68 Lectionen ergeben würde; rechnet man aber die außergewöhnlichen Festtage, die Examina und Wiederholungen ab, so werden höchstens noch 58 übrig bleiben, so daß bei einem Gymnasialcursus von sechs Jahren jeder der genannten Wissenschaften nur 348 Stunden, d. h. 14 Tage zu gute kommen. Schwerlich dürfte dieß geringe Stundenmaaß für sich bildende Gelehrte, am wenigsten aber für solche genügen, die über jene Fächer hinaus keine weitere Bildung zu hoffen haben. Deßhalb beabsichtigt man nun nach dem Muster anderer großen Städte in Mailand und Venedig sogenannte technische Schulen zu errichten, die, über *) Es herrscht leider seit langer Zeit in Deutschland die Sitte, fast alles, was als preiswürdig in Böhmen anerkannt wurde, den Deutschen anzueignen, und das Unedle dem slavischen Theile der Nation zuzuschieben. So las man vor einem Jahr in öffentlichen Blättern, daß der Freund, ja Verehrer der böhmischen Sprache, der gelehrte verdienstvolle Graf Kaspar Sternberg, einer der ältesten czechischen Familien entsprossen (S. Palacky's Gesch. von Böhmen II. Th. S. 101) ein – ächt deutscher Edelmann gewesen.

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 74. Augsburg, 14. März 1840, S. 0588. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_074_18400314/12>, abgerufen am 28.11.2024.