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Allgemeine Zeitung. Nr. 66. Augsburg, 6. März 1840.

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plaisanterie, Mr. Dupin). So verfolgt unverdientes ministerielles Mißgeschick die ruhmreiche Familie der Dupin, wiewohl Karl Dupin sich alle Mühe gibt die Erinnerung an sein dreitägiges Ministerium, vor mehreren Jahren, nicht erlöschen zu lassen, indem er in jede Unterhaltung, welcher Art sie auch sey, mit stets gleicher Selbstzufriedenheit die Worte einschaltet "in der Zeit, als ich Minister der Marine war u. s. w.," was nicht übel an die "große Retirade" erinnert. Eine andere Folge der ministeriellen Krisis ist die verschobene Eröffnung der Gemäldeausstellung im Louvre. Die Zeitungen haben zwar sehr ernsthaft andere Gründe dieser Verspätung aufgezählt, aber mit Unrecht, wie die Vertrauten der Tuilerien genau wissen. Jedes Jahr, am Vorabend der Eröffnung, besucht der König die völlig geordnete Ausstellung bei Fackelschein, und nur von wenigen Getreuen begleitet, und gibt Befehle der Abänderung und Verbesserung in den getroffenen Anstalten, wie ein oberster Richter, der über der gewöhnlichen Zulassungsjury steht. Dießmal aber fiel der fragliche Vorabend in das ministerielle Interregnum, und Louis Philipp, der sich mit der Bildung eines neuen Ministeriums beschäftigte, hatte nicht Muße, seinem Kunstprotectorate nachzugehen, der Salon mußte also einige Tage länger uneröffnet bleiben. - Man erzählt sich viel von der herzlichen Freude, die der König wegen der Bildung des neuen Ministeriums gegen Thiers geäußert habe, namentlich soll er ihn im Ueberflusse seines Vergnügens umarmt haben. Sie erinnern sich wohl noch, was man Alles von der unversöhnlichen Abneigung Louis Philipps gegen den neuen Ministerpräsidenten erzählt hat....

Schweiz.

Der Vorort suchte, wie Sie wissen, den beiden streitenden Landestheilen von Wallis durch Schreiben beliebt zu machen, ihre Anstände zur Schlichtung selbstgewählten Vermittlern zu übergeben. Wird dieser Vorschlag nicht angenommen, so ist vorauszusehen, daß sich die Tagsatzung kommenden Sommer abermals mit der Walliser Angelegenheit wird befassen müssen. - Mehr als auf diesen Kanton sind gegenwärtig die Blicke der Schweizer auf Aargau, Luzern und Bern gerichtet. Dem ersten ist die von den Behörden bereitwillig angebahnte Verfassungsrevision bereits zum sauren Stück Arbeit geworden. Katholische Führer standen auf, veranstalteten Volksversammlungen und verlangten neben andern wichtigen Schlußnahmen die Aufstellung gesonderter Landesverwaltungen für den katholischen und den evangelischen Landestheil, in Hinsicht auf Kirchen- und Schulangelegenheiten. Diesen Versammlungen traten andere, von Katholiken und Protestanten, entgegen, welche die dermalige Unität des Staates in allen Dingen behaupten wollen. Unordnungen setzte es zwar keine ab, allein der Kanton ist seiner politischen Kraft für einige Zeit verlustig und wird in Folge der Verfassungsrevision sich jedenfalls in anderer als der bisherigen Richtung bewegen. Gleichzeitig griff das Petitionsfieber im Kanton Luzern um sich. Dort will man, dem verfassungsmäßigen Termin voraneilend, die Verfassungsrevision auch in diesem Jahr schon vorgenommen wissen; die Petitionäre verbinden damit das Begehren um Wiedereinführung der Jesuiten. In beiden Kantonen verlangt man auch Ausdehnung der Volksrechte in Wahl- und Gesetzgebungssachen. Diese demokratische Tendenz hat sich seit Jahren in der Schweiz ausgebildet und findet Nahrung bald von radicaler, bald von conservativer und ultramontaner Seite her, dießmal von letzterer. Befriedigendes kann sie nie bringen und alle Parteien sind dadurch zuletzt geschlagen. - In Bern herrschte große Spannung über die Frage der Amnestirung, die gestern im großen Rathe entschieden werden sollte. Das Volk, weniger beweglich als in manchen andern Kantonen, hat sich bisher nur in einzelnen Petitionen eingemischt. Wie übrigens auch die Frage entschieden werden mag *), so wird Bern wie Luzern dem allgemeinen Impulse der Zeit folgen und in eine Politik eintreten, die sich ohne Erschütterungen an die von Zürich eingeschlagene anreiht. Die Klugheit scheint dieß auch anzurathen, weil alle Versuche, wichtige Bundesfragen im Sinne der Reform zur Entscheidung zu bringen, jetzt mehr denn je an aufgeregten und divergirenden Volksansichten scheitern müßten. Von anderer Richtung können nur Polterer träumen, die nie über zehn Schritte und über zehn Tage hinaussehen. Mit ihr werden die Kantone, welche 1830 und 1831 Verfassungsänderungen durchzumachen hatten, den innern Frieden und die Ruhe des Landes behaupten, welche beide unerläßlich sind, um die vielerlei beschlossenen und zum größern Theil auch durchgeführten Verbesserungen im Verwaltungswesen, von denen ich letzthin umständlicher geschrieben, zu erhalten und eigentliche Reactionen zu verhindern. Gelegentlich wird dann auch die dermalige Gährung sich legen, und den einflußreicheren Männern erlauben, allgemeine Fragen in neue Erörterung zu bringen, darunter vornehmlich jene der Organisation der Bundesbehörden, welche Unbefangene jetzt so wenig als vor der Züricher Umwälzung als befriedigend ansehen können.

Deutschland.

In der heutigen Sitzung der Ständeversammlung erfolgte die Berathung des Berichts des zur Prüfung des Rechenschaftsberichts bestellten Ausschusses, die Verordnung vom 2 März v. J. über die ständischen Diäten betreffend. (Der Ausschuß ist der Ansicht, daß eine solche Verordnung nicht einseitig von Seite der Regierung habe erlassen werden können, sondern daß diese Frage als eine, zur Gesetzgebung gehörende, durch Verabschiedung mit den Ständen hätte erledigt werden sollen.) Die Stände faßten mit 28 gegen 20 Stimmen die Beschlüsse: daß die Verfassung durch diese Verordnung verletzt und deßhalb eine Anklage gegen den contrasignirenden Minister des Innern (v. Hanstein) bei dem Appellationsgerichte einzureichen sey, mit deren Abfassung der Rechtspflege-Ausschuß, resp. der bleibende ständische Ausschuß beauftragt wurde. Viele Mitglieder erklärten ihre abweichende Ansicht. (Kassel. A. Z.)

Die eben hier im Druck erschienenen "Mittheilungen über die Verhandlungen des Landtags" enthalten das Ausführliche über die in der Sitzung vom 20 Febr. in der zweiten Kammer gepflogenen Verhandlungen hinsichtlich der hannover'schen Frage. Sie sind so umfangreich, daß wir uns auf einen gedrängten Auszug beschränken müssen. Leipziger, Kasseler und andere Blätter theilen dieselben beinahe vollständig mit. Nachdem der Referent v. Watzdorf den Antrag des Abg. Eisenstuck, der zu diesem Berichte Veranlassung gegeben hat, wörtlich vorgelesen, ging derselbe auf den Vortrag des Berichts der außerordentlichen Deputation über. Der Bericht beginnt mit Darlegung der verschiedenen Beschlüsse, welche die zweite Kammer des Königreichs Sachsen in ihren frühern Sessionen zu Gunsten des hannover'schen Staatsgrundgesetzes gethan hatte, ferner der Schritte, die zu gleichem Zweck in andern deutschen Staaten, so wie in Hannover selbst geschahen, der Beschwerden beim Bundestage, zuletzt der von letzterm gefaßten Entscheidung, so weit sie aus der dießfälligen Bekanntmachung der hannover'schen Regierung vom

*) Wir haben gestern bereits gemeldet, daß der große Rath die vom Regierungsrath beantragte Begnadigung verworfen hat.

plaisanterie, Mr. Dupin). So verfolgt unverdientes ministerielles Mißgeschick die ruhmreiche Familie der Dupin, wiewohl Karl Dupin sich alle Mühe gibt die Erinnerung an sein dreitägiges Ministerium, vor mehreren Jahren, nicht erlöschen zu lassen, indem er in jede Unterhaltung, welcher Art sie auch sey, mit stets gleicher Selbstzufriedenheit die Worte einschaltet „in der Zeit, als ich Minister der Marine war u. s. w.,“ was nicht übel an die „große Retirade“ erinnert. Eine andere Folge der ministeriellen Krisis ist die verschobene Eröffnung der Gemäldeausstellung im Louvre. Die Zeitungen haben zwar sehr ernsthaft andere Gründe dieser Verspätung aufgezählt, aber mit Unrecht, wie die Vertrauten der Tuilerien genau wissen. Jedes Jahr, am Vorabend der Eröffnung, besucht der König die völlig geordnete Ausstellung bei Fackelschein, und nur von wenigen Getreuen begleitet, und gibt Befehle der Abänderung und Verbesserung in den getroffenen Anstalten, wie ein oberster Richter, der über der gewöhnlichen Zulassungsjury steht. Dießmal aber fiel der fragliche Vorabend in das ministerielle Interregnum, und Louis Philipp, der sich mit der Bildung eines neuen Ministeriums beschäftigte, hatte nicht Muße, seinem Kunstprotectorate nachzugehen, der Salon mußte also einige Tage länger uneröffnet bleiben. – Man erzählt sich viel von der herzlichen Freude, die der König wegen der Bildung des neuen Ministeriums gegen Thiers geäußert habe, namentlich soll er ihn im Ueberflusse seines Vergnügens umarmt haben. Sie erinnern sich wohl noch, was man Alles von der unversöhnlichen Abneigung Louis Philipps gegen den neuen Ministerpräsidenten erzählt hat....

Schweiz.

Der Vorort suchte, wie Sie wissen, den beiden streitenden Landestheilen von Wallis durch Schreiben beliebt zu machen, ihre Anstände zur Schlichtung selbstgewählten Vermittlern zu übergeben. Wird dieser Vorschlag nicht angenommen, so ist vorauszusehen, daß sich die Tagsatzung kommenden Sommer abermals mit der Walliser Angelegenheit wird befassen müssen. – Mehr als auf diesen Kanton sind gegenwärtig die Blicke der Schweizer auf Aargau, Luzern und Bern gerichtet. Dem ersten ist die von den Behörden bereitwillig angebahnte Verfassungsrevision bereits zum sauren Stück Arbeit geworden. Katholische Führer standen auf, veranstalteten Volksversammlungen und verlangten neben andern wichtigen Schlußnahmen die Aufstellung gesonderter Landesverwaltungen für den katholischen und den evangelischen Landestheil, in Hinsicht auf Kirchen- und Schulangelegenheiten. Diesen Versammlungen traten andere, von Katholiken und Protestanten, entgegen, welche die dermalige Unität des Staates in allen Dingen behaupten wollen. Unordnungen setzte es zwar keine ab, allein der Kanton ist seiner politischen Kraft für einige Zeit verlustig und wird in Folge der Verfassungsrevision sich jedenfalls in anderer als der bisherigen Richtung bewegen. Gleichzeitig griff das Petitionsfieber im Kanton Luzern um sich. Dort will man, dem verfassungsmäßigen Termin voraneilend, die Verfassungsrevision auch in diesem Jahr schon vorgenommen wissen; die Petitionäre verbinden damit das Begehren um Wiedereinführung der Jesuiten. In beiden Kantonen verlangt man auch Ausdehnung der Volksrechte in Wahl- und Gesetzgebungssachen. Diese demokratische Tendenz hat sich seit Jahren in der Schweiz ausgebildet und findet Nahrung bald von radicaler, bald von conservativer und ultramontaner Seite her, dießmal von letzterer. Befriedigendes kann sie nie bringen und alle Parteien sind dadurch zuletzt geschlagen. – In Bern herrschte große Spannung über die Frage der Amnestirung, die gestern im großen Rathe entschieden werden sollte. Das Volk, weniger beweglich als in manchen andern Kantonen, hat sich bisher nur in einzelnen Petitionen eingemischt. Wie übrigens auch die Frage entschieden werden mag *), so wird Bern wie Luzern dem allgemeinen Impulse der Zeit folgen und in eine Politik eintreten, die sich ohne Erschütterungen an die von Zürich eingeschlagene anreiht. Die Klugheit scheint dieß auch anzurathen, weil alle Versuche, wichtige Bundesfragen im Sinne der Reform zur Entscheidung zu bringen, jetzt mehr denn je an aufgeregten und divergirenden Volksansichten scheitern müßten. Von anderer Richtung können nur Polterer träumen, die nie über zehn Schritte und über zehn Tage hinaussehen. Mit ihr werden die Kantone, welche 1830 und 1831 Verfassungsänderungen durchzumachen hatten, den innern Frieden und die Ruhe des Landes behaupten, welche beide unerläßlich sind, um die vielerlei beschlossenen und zum größern Theil auch durchgeführten Verbesserungen im Verwaltungswesen, von denen ich letzthin umständlicher geschrieben, zu erhalten und eigentliche Reactionen zu verhindern. Gelegentlich wird dann auch die dermalige Gährung sich legen, und den einflußreicheren Männern erlauben, allgemeine Fragen in neue Erörterung zu bringen, darunter vornehmlich jene der Organisation der Bundesbehörden, welche Unbefangene jetzt so wenig als vor der Züricher Umwälzung als befriedigend ansehen können.

Deutschland.

In der heutigen Sitzung der Ständeversammlung erfolgte die Berathung des Berichts des zur Prüfung des Rechenschaftsberichts bestellten Ausschusses, die Verordnung vom 2 März v. J. über die ständischen Diäten betreffend. (Der Ausschuß ist der Ansicht, daß eine solche Verordnung nicht einseitig von Seite der Regierung habe erlassen werden können, sondern daß diese Frage als eine, zur Gesetzgebung gehörende, durch Verabschiedung mit den Ständen hätte erledigt werden sollen.) Die Stände faßten mit 28 gegen 20 Stimmen die Beschlüsse: daß die Verfassung durch diese Verordnung verletzt und deßhalb eine Anklage gegen den contrasignirenden Minister des Innern (v. Hanstein) bei dem Appellationsgerichte einzureichen sey, mit deren Abfassung der Rechtspflege-Ausschuß, resp. der bleibende ständische Ausschuß beauftragt wurde. Viele Mitglieder erklärten ihre abweichende Ansicht. (Kassel. A. Z.)

Die eben hier im Druck erschienenen „Mittheilungen über die Verhandlungen des Landtags“ enthalten das Ausführliche über die in der Sitzung vom 20 Febr. in der zweiten Kammer gepflogenen Verhandlungen hinsichtlich der hannover'schen Frage. Sie sind so umfangreich, daß wir uns auf einen gedrängten Auszug beschränken müssen. Leipziger, Kasseler und andere Blätter theilen dieselben beinahe vollständig mit. Nachdem der Referent v. Watzdorf den Antrag des Abg. Eisenstuck, der zu diesem Berichte Veranlassung gegeben hat, wörtlich vorgelesen, ging derselbe auf den Vortrag des Berichts der außerordentlichen Deputation über. Der Bericht beginnt mit Darlegung der verschiedenen Beschlüsse, welche die zweite Kammer des Königreichs Sachsen in ihren frühern Sessionen zu Gunsten des hannover'schen Staatsgrundgesetzes gethan hatte, ferner der Schritte, die zu gleichem Zweck in andern deutschen Staaten, so wie in Hannover selbst geschahen, der Beschwerden beim Bundestage, zuletzt der von letzterm gefaßten Entscheidung, so weit sie aus der dießfälligen Bekanntmachung der hannover'schen Regierung vom

*) Wir haben gestern bereits gemeldet, daß der große Rath die vom Regierungsrath beantragte Begnadigung verworfen hat.
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[0525/0005] plaisanterie, Mr. Dupin). So verfolgt unverdientes ministerielles Mißgeschick die ruhmreiche Familie der Dupin, wiewohl Karl Dupin sich alle Mühe gibt die Erinnerung an sein dreitägiges Ministerium, vor mehreren Jahren, nicht erlöschen zu lassen, indem er in jede Unterhaltung, welcher Art sie auch sey, mit stets gleicher Selbstzufriedenheit die Worte einschaltet „in der Zeit, als ich Minister der Marine war u. s. w.,“ was nicht übel an die „große Retirade“ erinnert. Eine andere Folge der ministeriellen Krisis ist die verschobene Eröffnung der Gemäldeausstellung im Louvre. Die Zeitungen haben zwar sehr ernsthaft andere Gründe dieser Verspätung aufgezählt, aber mit Unrecht, wie die Vertrauten der Tuilerien genau wissen. Jedes Jahr, am Vorabend der Eröffnung, besucht der König die völlig geordnete Ausstellung bei Fackelschein, und nur von wenigen Getreuen begleitet, und gibt Befehle der Abänderung und Verbesserung in den getroffenen Anstalten, wie ein oberster Richter, der über der gewöhnlichen Zulassungsjury steht. Dießmal aber fiel der fragliche Vorabend in das ministerielle Interregnum, und Louis Philipp, der sich mit der Bildung eines neuen Ministeriums beschäftigte, hatte nicht Muße, seinem Kunstprotectorate nachzugehen, der Salon mußte also einige Tage länger uneröffnet bleiben. – Man erzählt sich viel von der herzlichen Freude, die der König wegen der Bildung des neuen Ministeriums gegen Thiers geäußert habe, namentlich soll er ihn im Ueberflusse seines Vergnügens umarmt haben. Sie erinnern sich wohl noch, was man Alles von der unversöhnlichen Abneigung Louis Philipps gegen den neuen Ministerpräsidenten erzählt hat.... Schweiz. _ St. Gallen, 1 März. Der Vorort suchte, wie Sie wissen, den beiden streitenden Landestheilen von Wallis durch Schreiben beliebt zu machen, ihre Anstände zur Schlichtung selbstgewählten Vermittlern zu übergeben. Wird dieser Vorschlag nicht angenommen, so ist vorauszusehen, daß sich die Tagsatzung kommenden Sommer abermals mit der Walliser Angelegenheit wird befassen müssen. – Mehr als auf diesen Kanton sind gegenwärtig die Blicke der Schweizer auf Aargau, Luzern und Bern gerichtet. Dem ersten ist die von den Behörden bereitwillig angebahnte Verfassungsrevision bereits zum sauren Stück Arbeit geworden. Katholische Führer standen auf, veranstalteten Volksversammlungen und verlangten neben andern wichtigen Schlußnahmen die Aufstellung gesonderter Landesverwaltungen für den katholischen und den evangelischen Landestheil, in Hinsicht auf Kirchen- und Schulangelegenheiten. Diesen Versammlungen traten andere, von Katholiken und Protestanten, entgegen, welche die dermalige Unität des Staates in allen Dingen behaupten wollen. Unordnungen setzte es zwar keine ab, allein der Kanton ist seiner politischen Kraft für einige Zeit verlustig und wird in Folge der Verfassungsrevision sich jedenfalls in anderer als der bisherigen Richtung bewegen. Gleichzeitig griff das Petitionsfieber im Kanton Luzern um sich. Dort will man, dem verfassungsmäßigen Termin voraneilend, die Verfassungsrevision auch in diesem Jahr schon vorgenommen wissen; die Petitionäre verbinden damit das Begehren um Wiedereinführung der Jesuiten. In beiden Kantonen verlangt man auch Ausdehnung der Volksrechte in Wahl- und Gesetzgebungssachen. Diese demokratische Tendenz hat sich seit Jahren in der Schweiz ausgebildet und findet Nahrung bald von radicaler, bald von conservativer und ultramontaner Seite her, dießmal von letzterer. Befriedigendes kann sie nie bringen und alle Parteien sind dadurch zuletzt geschlagen. – In Bern herrschte große Spannung über die Frage der Amnestirung, die gestern im großen Rathe entschieden werden sollte. Das Volk, weniger beweglich als in manchen andern Kantonen, hat sich bisher nur in einzelnen Petitionen eingemischt. Wie übrigens auch die Frage entschieden werden mag *), so wird Bern wie Luzern dem allgemeinen Impulse der Zeit folgen und in eine Politik eintreten, die sich ohne Erschütterungen an die von Zürich eingeschlagene anreiht. Die Klugheit scheint dieß auch anzurathen, weil alle Versuche, wichtige Bundesfragen im Sinne der Reform zur Entscheidung zu bringen, jetzt mehr denn je an aufgeregten und divergirenden Volksansichten scheitern müßten. Von anderer Richtung können nur Polterer träumen, die nie über zehn Schritte und über zehn Tage hinaussehen. Mit ihr werden die Kantone, welche 1830 und 1831 Verfassungsänderungen durchzumachen hatten, den innern Frieden und die Ruhe des Landes behaupten, welche beide unerläßlich sind, um die vielerlei beschlossenen und zum größern Theil auch durchgeführten Verbesserungen im Verwaltungswesen, von denen ich letzthin umständlicher geschrieben, zu erhalten und eigentliche Reactionen zu verhindern. Gelegentlich wird dann auch die dermalige Gährung sich legen, und den einflußreicheren Männern erlauben, allgemeine Fragen in neue Erörterung zu bringen, darunter vornehmlich jene der Organisation der Bundesbehörden, welche Unbefangene jetzt so wenig als vor der Züricher Umwälzung als befriedigend ansehen können. Deutschland. _ Kassel, 28 Febr. In der heutigen Sitzung der Ständeversammlung erfolgte die Berathung des Berichts des zur Prüfung des Rechenschaftsberichts bestellten Ausschusses, die Verordnung vom 2 März v. J. über die ständischen Diäten betreffend. (Der Ausschuß ist der Ansicht, daß eine solche Verordnung nicht einseitig von Seite der Regierung habe erlassen werden können, sondern daß diese Frage als eine, zur Gesetzgebung gehörende, durch Verabschiedung mit den Ständen hätte erledigt werden sollen.) Die Stände faßten mit 28 gegen 20 Stimmen die Beschlüsse: daß die Verfassung durch diese Verordnung verletzt und deßhalb eine Anklage gegen den contrasignirenden Minister des Innern (v. Hanstein) bei dem Appellationsgerichte einzureichen sey, mit deren Abfassung der Rechtspflege-Ausschuß, resp. der bleibende ständische Ausschuß beauftragt wurde. Viele Mitglieder erklärten ihre abweichende Ansicht. (Kassel. A. Z.) _ Dresden, 24 Febr. Die eben hier im Druck erschienenen „Mittheilungen über die Verhandlungen des Landtags“ enthalten das Ausführliche über die in der Sitzung vom 20 Febr. in der zweiten Kammer gepflogenen Verhandlungen hinsichtlich der hannover'schen Frage. Sie sind so umfangreich, daß wir uns auf einen gedrängten Auszug beschränken müssen. Leipziger, Kasseler und andere Blätter theilen dieselben beinahe vollständig mit. Nachdem der Referent v. Watzdorf den Antrag des Abg. Eisenstuck, der zu diesem Berichte Veranlassung gegeben hat, wörtlich vorgelesen, ging derselbe auf den Vortrag des Berichts der außerordentlichen Deputation über. Der Bericht beginnt mit Darlegung der verschiedenen Beschlüsse, welche die zweite Kammer des Königreichs Sachsen in ihren frühern Sessionen zu Gunsten des hannover'schen Staatsgrundgesetzes gethan hatte, ferner der Schritte, die zu gleichem Zweck in andern deutschen Staaten, so wie in Hannover selbst geschahen, der Beschwerden beim Bundestage, zuletzt der von letzterm gefaßten Entscheidung, so weit sie aus der dießfälligen Bekanntmachung der hannover'schen Regierung vom *) Wir haben gestern bereits gemeldet, daß der große Rath die vom Regierungsrath beantragte Begnadigung verworfen hat.

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 66. Augsburg, 6. März 1840, S. 0525. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_066_18400306/5>, abgerufen am 21.11.2024.