Allgemeine Zeitung. Nr. 65. Augsburg, 5. März 1840.er, ehe er die Reise antrat, die Einwilligung des Königs Ludwig XVIII." "In Amerika flößte der Adjutant des Kaisers anfangs große Neugierde, bald aber jene liebende Achtung ein, von welcher er sich immer umgeben sah. Die Regierung der Vereinigten Staaten sah sogleich ein, welche Dienste ihr ein solcher Mann leisten konnte und vertraute ihm die Leitung der größten Arbeiten an, die je in irgend einem Land ausgeführt oder auch nur je projectirt worden. Alle Gebietstheile der Vereinigten Staaten durch Straßen, Canäle, schiffbare Ströme zu verbinden und als Basis zu dem größten Communicationssystem jene Seen zu nehmen, um welche Europa Amerika beneidet, und die gleich Binnenmeeren überall an ihren Ufern Leben und Handel erwecken, endlich eine Gränze von mehr als vierzehnhundert Lieues durch Erbauung von fünfzehn festen Plätzen und einer noch größern Zahl von Forts sicher zu stellen, dieß war die Aufgabe, welche der General Bernard zu unternehmen der Regierung der Vereinigten Staaten sich erbot. Wie viele Arbeiten, Reisen, Anstrengungen, Beobachtungen aller Art auf dieser ungeheurn Strecke nöthig waren, ehe ein Mann, dem an genauem Ueberblick und gewissenhafter Einsicht lag, dergleichen Plane fassen und sie auszuführen sich anheischig machen konnte, werden Sie leicht begreifen. Die, welche den General Bernard gekannt haben, werden sich nicht wundern, daß er eines so großen Entschlusses fähig war; nur der gewöhnliche Mensch übersieht leicht, daß unter den mildesten Formen sich häufig der festeste, energischste Geist birgt. Bei der Nachricht von der Juliusrevolution kehrte Bernard in sein Vaterland zurück. Er hatte alle Plane jenes großen Systems der Vertheidigung und der Handelsverbindungen ausgeführt und über 100 Millionen für die Vollendung der Arbeiten ausgegeben. Frankreich sah den General Bernard wieder eben so bescheiden, eben so arm, eben so eifrig, seinem Land zu dienen, wie zur Zeit, wo er es verlassen hatte." Den letzten Theil der Rede des Grafen Mole über die Stellung und das Wirken des Generals Bernard unter der Juliusmonarchie als Adjutant des Königs und als Kriegsminister übergehen wir, da diese spätere Laufbahn des Generals noch in frischem Andenken steht. Die neue Krisis in Frankreich. 1 März. Sie sind an der Seine auf den Punkt zurück gekommen, von welchem sie sich am 12 Mai entfernt hatten. Kaum zehn Monate hat das unter dem Flintenfeuer in den Straßen von Paris mit Mühe zusammengebrachte Ministerium des alten Marschalls gehalten, und das damals unterbrochene ministerielle Interregnum hat mit allen seinen Eigenthümlichkeiten und Folgen, gerade wie wir es vor zehn Monaten im üppigen Wuchs sahen, wieder angefangen. Ist es endlich klar, daß die Anarchie der Gemüther, der Ueberzeugungen, Gesinnungen und Bestrebungen bei unsern Nachbarn auch in die Regierung und die Geschäfte gedrungen ist, um dort der normale Zustand zu werden? Denn daß die Zwischenperiode oder einzelne Ministerien länger dauern, als die Interregna, ommt allein aus der Kraft der Trägheit, der Erhalterin der menschlichen Dinge, da nämlich, wo den Leuten die Weisheit ausgeht, nicht aber kommt es aus irgend einem Vorwiegen der Ordnung und ihren Bedingungen über den Geist der Verwirrung, der dort alles Feste zersetzt, und alles Verbundene auflöst. Ministerium und Interregnum, es ist Alles nur eine verschiedene Phasis einer und derselben anarchischen Lage, d. i. einer solchen, wo diejenigen, welche im Regiment und am Steuer sitzen, die Zügel oder das Steuer verloren haben, und das Schiff des Staats treibt, wohin es durch die Winde der Parteiung über die hochwogenden Interessen hingetrieben wird. Was sind die Ursachen dieses nicht nur für die französische Nation gefährlichen Zustandes, und was werden am Ende die Folgen seyn? Ich gehe nicht in die vielen Recriminationen ein, welche die Parteien sich gegenseitig zusenden, denn wirft die eine der andern Mangel an Sinn für das öffentliche Wohl, den Calcul ihrer Vortheile, die Gewalt ihrer Leidenschaften gegenüber der Noth und den Bedürfnissen des Staats zu, klagen sie gegenseitig über Unfähigkeit, über Beschränktheit des Vermögens und Bestrebens des sich in Coterien und Intriguen zersplitternden öffentlichen Geistes und über den Untergang des höhern politischen, so ist nur zu sagen, daß keiner Unrecht hat, neuter falso, für den Beobachter aber ist in allem dem nur ein Complex von Symptomen des tiefer liegenden Uebels. Zunächst und vor Allem darf man sich keine Täuschung mehr über die Lage des Königthums in Frankreich machen, im Fall man diese sich überhaupt noch gemacht hat, sondern muß sein Verhältniß zur öffentlichen Meinung bestimmter und klarer auffassen, nicht nur um in der falschen Art, in der man es bisher verstanden, oder vielmehr mißverstanden hat, die erste und tiefste Quelle seiner Verlegenheiten und jener bedauernswürdigen Lage zu erkennen, die es sich bereitet hat, sondern auch die Möglichkeit es aus ihr herauszustellen, damit es, zwar nicht das, was es bisher gewollt hat, aber doch das werde, was es im gegenwärtigen Frankreich seyn kann, und was immer noch etwas sehr Achtbares und eine Gewährschaft der innern Ruhe des Landes wie des europäischen Friedens seyn kann. Die Restauration ging zu Grunde, weil sie in das durch die Revolution umgestaltete Frankreich mit den Ansprüchen des alten Königthums zurückkehrte, und eine Zurückführung der frühern politischen und kirchlichen Zustände wenigstens dem Wesen nach im Hintergrund ihrer Bestrebungen trug. Die Juliusdynastie aber ist in die Verlegenheit gekommen, welche das Journal des Debats fast einer Katastrophe gleich setzt, und welche sich in dem "refus tacite" nur als ein Symptom äußerte, weil sie aus dem alten Königthum herübernehmen und von ihm festhalten wollte, was sich nach ihrer Meinung festhalten ließ, und weil sie den Gedanken der absoluten Monarchie der ältern Linie in dem gouvernement personnel zu verjüngen gesucht hat. Als der Thron der älteren Linie umstürzte und sein Sturz die Basis das europäischen Bestandes erschütterte, als das Volk mit dem alten Hof und seinen Ansprüchen, man weiß wie, zum Ziele gekommen war, schien das Bewußtseyn der französischen Zustände in Frankreich wenigstens überall klar und fest: der Generallieutenant von Frankreich erklärte, die Charte sollte eine Wahrheit werden, das Stadthaus stellte eine Monarchie von republicanischen Institutionen umgeben in Aussicht, und Ludwig Philipp ward von Lafayette als "die beste der Republiken" dem Volke gezeigt. Er ward als solche angenommen; Frankreich schien nun als "eine Demokratie im Purpurmantel" gegen die Anarchie und die Despotie gesichert zu seyn. Ist das alles eine Täuschung gewesen, oder lag in jenen Manifestationen die Einsicht, lag wenigstens das Gefühl und der Instinct des wahren Zustandes zu Grunde? So scheint es. Man mag es nun so oder anders wollen, so soll man sich wenigstens keine Täuschung machen über das, was ist. Frankreich ist eine Demokratie. Es sind drei Gewalten organisirt: die kirchliche, die richterliche, die administrative. Die kirchliche ruht auf dem Princip der Gleichheit vor Gott, die richterliche er, ehe er die Reise antrat, die Einwilligung des Königs Ludwig XVIII.“ „In Amerika flößte der Adjutant des Kaisers anfangs große Neugierde, bald aber jene liebende Achtung ein, von welcher er sich immer umgeben sah. Die Regierung der Vereinigten Staaten sah sogleich ein, welche Dienste ihr ein solcher Mann leisten konnte und vertraute ihm die Leitung der größten Arbeiten an, die je in irgend einem Land ausgeführt oder auch nur je projectirt worden. Alle Gebietstheile der Vereinigten Staaten durch Straßen, Canäle, schiffbare Ströme zu verbinden und als Basis zu dem größten Communicationssystem jene Seen zu nehmen, um welche Europa Amerika beneidet, und die gleich Binnenmeeren überall an ihren Ufern Leben und Handel erwecken, endlich eine Gränze von mehr als vierzehnhundert Lieues durch Erbauung von fünfzehn festen Plätzen und einer noch größern Zahl von Forts sicher zu stellen, dieß war die Aufgabe, welche der General Bernard zu unternehmen der Regierung der Vereinigten Staaten sich erbot. Wie viele Arbeiten, Reisen, Anstrengungen, Beobachtungen aller Art auf dieser ungeheurn Strecke nöthig waren, ehe ein Mann, dem an genauem Ueberblick und gewissenhafter Einsicht lag, dergleichen Plane fassen und sie auszuführen sich anheischig machen konnte, werden Sie leicht begreifen. Die, welche den General Bernard gekannt haben, werden sich nicht wundern, daß er eines so großen Entschlusses fähig war; nur der gewöhnliche Mensch übersieht leicht, daß unter den mildesten Formen sich häufig der festeste, energischste Geist birgt. Bei der Nachricht von der Juliusrevolution kehrte Bernard in sein Vaterland zurück. Er hatte alle Plane jenes großen Systems der Vertheidigung und der Handelsverbindungen ausgeführt und über 100 Millionen für die Vollendung der Arbeiten ausgegeben. Frankreich sah den General Bernard wieder eben so bescheiden, eben so arm, eben so eifrig, seinem Land zu dienen, wie zur Zeit, wo er es verlassen hatte.“ Den letzten Theil der Rede des Grafen Molé über die Stellung und das Wirken des Generals Bernard unter der Juliusmonarchie als Adjutant des Königs und als Kriegsminister übergehen wir, da diese spätere Laufbahn des Generals noch in frischem Andenken steht. Die neue Krisis in Frankreich. 1 März. Sie sind an der Seine auf den Punkt zurück gekommen, von welchem sie sich am 12 Mai entfernt hatten. Kaum zehn Monate hat das unter dem Flintenfeuer in den Straßen von Paris mit Mühe zusammengebrachte Ministerium des alten Marschalls gehalten, und das damals unterbrochene ministerielle Interregnum hat mit allen seinen Eigenthümlichkeiten und Folgen, gerade wie wir es vor zehn Monaten im üppigen Wuchs sahen, wieder angefangen. Ist es endlich klar, daß die Anarchie der Gemüther, der Ueberzeugungen, Gesinnungen und Bestrebungen bei unsern Nachbarn auch in die Regierung und die Geschäfte gedrungen ist, um dort der normale Zustand zu werden? Denn daß die Zwischenperiode oder einzelne Ministerien länger dauern, als die Interregna, ommt allein aus der Kraft der Trägheit, der Erhalterin der menschlichen Dinge, da nämlich, wo den Leuten die Weisheit ausgeht, nicht aber kommt es aus irgend einem Vorwiegen der Ordnung und ihren Bedingungen über den Geist der Verwirrung, der dort alles Feste zersetzt, und alles Verbundene auflöst. Ministerium und Interregnum, es ist Alles nur eine verschiedene Phasis einer und derselben anarchischen Lage, d. i. einer solchen, wo diejenigen, welche im Regiment und am Steuer sitzen, die Zügel oder das Steuer verloren haben, und das Schiff des Staats treibt, wohin es durch die Winde der Parteiung über die hochwogenden Interessen hingetrieben wird. Was sind die Ursachen dieses nicht nur für die französische Nation gefährlichen Zustandes, und was werden am Ende die Folgen seyn? Ich gehe nicht in die vielen Recriminationen ein, welche die Parteien sich gegenseitig zusenden, denn wirft die eine der andern Mangel an Sinn für das öffentliche Wohl, den Calcul ihrer Vortheile, die Gewalt ihrer Leidenschaften gegenüber der Noth und den Bedürfnissen des Staats zu, klagen sie gegenseitig über Unfähigkeit, über Beschränktheit des Vermögens und Bestrebens des sich in Coterien und Intriguen zersplitternden öffentlichen Geistes und über den Untergang des höhern politischen, so ist nur zu sagen, daß keiner Unrecht hat, neuter falso, für den Beobachter aber ist in allem dem nur ein Complex von Symptomen des tiefer liegenden Uebels. Zunächst und vor Allem darf man sich keine Täuschung mehr über die Lage des Königthums in Frankreich machen, im Fall man diese sich überhaupt noch gemacht hat, sondern muß sein Verhältniß zur öffentlichen Meinung bestimmter und klarer auffassen, nicht nur um in der falschen Art, in der man es bisher verstanden, oder vielmehr mißverstanden hat, die erste und tiefste Quelle seiner Verlegenheiten und jener bedauernswürdigen Lage zu erkennen, die es sich bereitet hat, sondern auch die Möglichkeit es aus ihr herauszustellen, damit es, zwar nicht das, was es bisher gewollt hat, aber doch das werde, was es im gegenwärtigen Frankreich seyn kann, und was immer noch etwas sehr Achtbares und eine Gewährschaft der innern Ruhe des Landes wie des europäischen Friedens seyn kann. Die Restauration ging zu Grunde, weil sie in das durch die Revolution umgestaltete Frankreich mit den Ansprüchen des alten Königthums zurückkehrte, und eine Zurückführung der frühern politischen und kirchlichen Zustände wenigstens dem Wesen nach im Hintergrund ihrer Bestrebungen trug. Die Juliusdynastie aber ist in die Verlegenheit gekommen, welche das Journal des Débats fast einer Katastrophe gleich setzt, und welche sich in dem „refus tacite“ nur als ein Symptom äußerte, weil sie aus dem alten Königthum herübernehmen und von ihm festhalten wollte, was sich nach ihrer Meinung festhalten ließ, und weil sie den Gedanken der absoluten Monarchie der ältern Linie in dem gouvernement personnel zu verjüngen gesucht hat. Als der Thron der älteren Linie umstürzte und sein Sturz die Basis das europäischen Bestandes erschütterte, als das Volk mit dem alten Hof und seinen Ansprüchen, man weiß wie, zum Ziele gekommen war, schien das Bewußtseyn der französischen Zustände in Frankreich wenigstens überall klar und fest: der Generallieutenant von Frankreich erklärte, die Charte sollte eine Wahrheit werden, das Stadthaus stellte eine Monarchie von republicanischen Institutionen umgeben in Aussicht, und Ludwig Philipp ward von Lafayette als „die beste der Republiken“ dem Volke gezeigt. Er ward als solche angenommen; Frankreich schien nun als „eine Demokratie im Purpurmantel“ gegen die Anarchie und die Despotie gesichert zu seyn. Ist das alles eine Täuschung gewesen, oder lag in jenen Manifestationen die Einsicht, lag wenigstens das Gefühl und der Instinct des wahren Zustandes zu Grunde? So scheint es. Man mag es nun so oder anders wollen, so soll man sich wenigstens keine Täuschung machen über das, was ist. Frankreich ist eine Demokratie. Es sind drei Gewalten organisirt: die kirchliche, die richterliche, die administrative. Die kirchliche ruht auf dem Princip der Gleichheit vor Gott, die richterliche <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0011" n="0515"/> er, ehe er die Reise antrat, die Einwilligung des Königs Ludwig XVIII.“</p><lb/> <p>„In Amerika flößte der Adjutant des Kaisers anfangs große Neugierde, bald aber jene liebende Achtung ein, von welcher er sich immer umgeben sah. Die Regierung der Vereinigten Staaten sah sogleich ein, welche Dienste ihr ein solcher Mann leisten konnte und vertraute ihm die Leitung der größten Arbeiten an, die je in irgend einem Land ausgeführt oder auch nur je projectirt worden. Alle Gebietstheile der Vereinigten Staaten durch Straßen, Canäle, schiffbare Ströme zu verbinden und als Basis zu dem größten Communicationssystem jene Seen zu nehmen, um welche Europa Amerika beneidet, und die gleich Binnenmeeren überall an ihren Ufern Leben und Handel erwecken, endlich eine Gränze von mehr als vierzehnhundert Lieues durch Erbauung von fünfzehn festen Plätzen und einer noch größern Zahl von Forts sicher zu stellen, dieß war die Aufgabe, welche der General Bernard zu unternehmen der Regierung der Vereinigten Staaten sich erbot. Wie viele Arbeiten, Reisen, Anstrengungen, Beobachtungen aller Art auf dieser ungeheurn Strecke nöthig waren, ehe ein Mann, dem an genauem Ueberblick und gewissenhafter Einsicht lag, dergleichen Plane fassen und sie auszuführen sich anheischig machen konnte, werden Sie leicht begreifen. Die, welche den General Bernard gekannt haben, werden sich nicht wundern, daß er eines so großen Entschlusses fähig war; nur der gewöhnliche Mensch übersieht leicht, daß unter den mildesten Formen sich häufig der festeste, energischste Geist birgt. Bei der Nachricht von der Juliusrevolution kehrte Bernard in sein Vaterland zurück. Er hatte alle Plane jenes großen Systems der Vertheidigung und der Handelsverbindungen ausgeführt und über 100 Millionen für die Vollendung der Arbeiten ausgegeben. Frankreich sah den General Bernard wieder eben so bescheiden, eben so arm, eben so eifrig, seinem Land zu dienen, wie zur Zeit, wo er es verlassen hatte.“</p><lb/> <p>Den letzten Theil der Rede des Grafen Molé über die Stellung und das Wirken des Generals Bernard unter der Juliusmonarchie als Adjutant des Königs und als Kriegsminister übergehen wir, da diese spätere Laufbahn des Generals noch in frischem Andenken steht.</p><lb/> </div> <div n="1"> <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Die neue Krisis in Frankreich</hi>.</hi> </head><lb/> <p>1 März. Sie sind an der Seine auf den Punkt zurück gekommen, von welchem sie sich am 12 Mai entfernt hatten. Kaum zehn Monate hat das unter dem Flintenfeuer in den Straßen von Paris mit Mühe zusammengebrachte Ministerium des alten Marschalls gehalten, und das damals unterbrochene ministerielle Interregnum hat mit allen seinen Eigenthümlichkeiten und Folgen, gerade wie wir es vor zehn Monaten im üppigen Wuchs sahen, wieder angefangen. Ist es endlich klar, daß die Anarchie der Gemüther, der Ueberzeugungen, Gesinnungen und Bestrebungen bei unsern Nachbarn auch in die Regierung und die Geschäfte gedrungen ist, um dort der normale Zustand zu werden? Denn daß die Zwischenperiode oder einzelne Ministerien länger dauern, als die Interregna, ommt allein aus der Kraft der Trägheit, der Erhalterin der menschlichen Dinge, da nämlich, wo den Leuten die Weisheit ausgeht, nicht aber kommt es aus irgend einem Vorwiegen der Ordnung und ihren Bedingungen über den Geist der Verwirrung, der dort alles Feste zersetzt, und alles Verbundene auflöst.</p><lb/> <p>Ministerium und Interregnum, es ist Alles nur eine verschiedene Phasis einer und derselben anarchischen Lage, d. i. einer solchen, wo diejenigen, welche im Regiment und am Steuer sitzen, die Zügel oder das Steuer verloren haben, und das Schiff des Staats treibt, wohin es durch die Winde der Parteiung über die hochwogenden Interessen hingetrieben wird. Was sind die Ursachen dieses nicht nur für die französische Nation gefährlichen Zustandes, und was werden am Ende die Folgen seyn?</p><lb/> <p>Ich gehe nicht in die vielen Recriminationen ein, welche die Parteien sich gegenseitig zusenden, denn wirft die eine der andern Mangel an Sinn für das öffentliche Wohl, den Calcul ihrer Vortheile, die Gewalt ihrer Leidenschaften gegenüber der Noth und den Bedürfnissen des Staats zu, klagen sie gegenseitig über Unfähigkeit, über Beschränktheit des Vermögens und Bestrebens des sich in Coterien und Intriguen zersplitternden öffentlichen Geistes und über den Untergang des höhern politischen, so ist nur zu sagen, daß keiner Unrecht hat, neuter falso, für den Beobachter aber ist in allem dem nur ein Complex von Symptomen des tiefer liegenden Uebels.</p><lb/> <p>Zunächst und vor Allem darf man sich keine Täuschung mehr über die Lage des Königthums in Frankreich machen, im Fall man diese sich überhaupt noch gemacht hat, sondern muß sein Verhältniß zur öffentlichen Meinung bestimmter und klarer auffassen, nicht nur um in der falschen Art, in der man es bisher verstanden, oder vielmehr mißverstanden hat, die erste und tiefste Quelle seiner Verlegenheiten und jener bedauernswürdigen Lage zu erkennen, die es sich bereitet hat, sondern auch die Möglichkeit es aus ihr herauszustellen, damit es, zwar nicht das, was es bisher gewollt hat, aber doch das werde, was es im gegenwärtigen Frankreich seyn kann, und was immer noch etwas sehr Achtbares und eine Gewährschaft der innern Ruhe des Landes wie des europäischen Friedens seyn kann.</p><lb/> <p>Die Restauration ging zu Grunde, weil sie in das durch die Revolution umgestaltete Frankreich mit den Ansprüchen des alten Königthums zurückkehrte, und eine Zurückführung der frühern politischen und kirchlichen Zustände wenigstens dem Wesen nach im Hintergrund ihrer Bestrebungen trug. Die Juliusdynastie aber ist in die Verlegenheit gekommen, welche das Journal des Débats fast einer Katastrophe gleich setzt, und welche sich in dem „refus tacite“ nur als ein Symptom äußerte, weil sie aus dem alten Königthum herübernehmen und von ihm festhalten wollte, was sich nach ihrer Meinung festhalten ließ, und weil sie den Gedanken der absoluten Monarchie der ältern Linie in dem gouvernement personnel zu verjüngen gesucht hat.</p><lb/> <p>Als der Thron der älteren Linie umstürzte und sein Sturz die Basis das europäischen Bestandes erschütterte, als das Volk mit dem alten Hof und seinen Ansprüchen, man weiß wie, zum Ziele gekommen war, schien das Bewußtseyn der französischen Zustände in Frankreich wenigstens überall klar und fest: der Generallieutenant von Frankreich erklärte, die Charte sollte eine Wahrheit werden, das Stadthaus stellte eine Monarchie von republicanischen Institutionen umgeben in Aussicht, und Ludwig Philipp ward von Lafayette als „<hi rendition="#g">die beste der Republiken</hi>“ dem Volke gezeigt. Er ward als solche angenommen; Frankreich schien nun als „<hi rendition="#g">eine Demokratie im Purpurmantel</hi>“ gegen die Anarchie und die Despotie gesichert zu seyn.</p><lb/> <p>Ist das alles eine Täuschung gewesen, oder lag in jenen Manifestationen die Einsicht, lag wenigstens das Gefühl und der Instinct des wahren Zustandes zu Grunde? So scheint es. Man mag es nun so oder anders wollen, so soll man sich wenigstens keine Täuschung machen über das, was ist. Frankreich ist eine Demokratie. Es sind drei Gewalten organisirt: die kirchliche, die richterliche, die administrative. Die kirchliche ruht auf dem Princip der Gleichheit vor Gott, die richterliche<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0515/0011]
er, ehe er die Reise antrat, die Einwilligung des Königs Ludwig XVIII.“
„In Amerika flößte der Adjutant des Kaisers anfangs große Neugierde, bald aber jene liebende Achtung ein, von welcher er sich immer umgeben sah. Die Regierung der Vereinigten Staaten sah sogleich ein, welche Dienste ihr ein solcher Mann leisten konnte und vertraute ihm die Leitung der größten Arbeiten an, die je in irgend einem Land ausgeführt oder auch nur je projectirt worden. Alle Gebietstheile der Vereinigten Staaten durch Straßen, Canäle, schiffbare Ströme zu verbinden und als Basis zu dem größten Communicationssystem jene Seen zu nehmen, um welche Europa Amerika beneidet, und die gleich Binnenmeeren überall an ihren Ufern Leben und Handel erwecken, endlich eine Gränze von mehr als vierzehnhundert Lieues durch Erbauung von fünfzehn festen Plätzen und einer noch größern Zahl von Forts sicher zu stellen, dieß war die Aufgabe, welche der General Bernard zu unternehmen der Regierung der Vereinigten Staaten sich erbot. Wie viele Arbeiten, Reisen, Anstrengungen, Beobachtungen aller Art auf dieser ungeheurn Strecke nöthig waren, ehe ein Mann, dem an genauem Ueberblick und gewissenhafter Einsicht lag, dergleichen Plane fassen und sie auszuführen sich anheischig machen konnte, werden Sie leicht begreifen. Die, welche den General Bernard gekannt haben, werden sich nicht wundern, daß er eines so großen Entschlusses fähig war; nur der gewöhnliche Mensch übersieht leicht, daß unter den mildesten Formen sich häufig der festeste, energischste Geist birgt. Bei der Nachricht von der Juliusrevolution kehrte Bernard in sein Vaterland zurück. Er hatte alle Plane jenes großen Systems der Vertheidigung und der Handelsverbindungen ausgeführt und über 100 Millionen für die Vollendung der Arbeiten ausgegeben. Frankreich sah den General Bernard wieder eben so bescheiden, eben so arm, eben so eifrig, seinem Land zu dienen, wie zur Zeit, wo er es verlassen hatte.“
Den letzten Theil der Rede des Grafen Molé über die Stellung und das Wirken des Generals Bernard unter der Juliusmonarchie als Adjutant des Königs und als Kriegsminister übergehen wir, da diese spätere Laufbahn des Generals noch in frischem Andenken steht.
Die neue Krisis in Frankreich.
1 März. Sie sind an der Seine auf den Punkt zurück gekommen, von welchem sie sich am 12 Mai entfernt hatten. Kaum zehn Monate hat das unter dem Flintenfeuer in den Straßen von Paris mit Mühe zusammengebrachte Ministerium des alten Marschalls gehalten, und das damals unterbrochene ministerielle Interregnum hat mit allen seinen Eigenthümlichkeiten und Folgen, gerade wie wir es vor zehn Monaten im üppigen Wuchs sahen, wieder angefangen. Ist es endlich klar, daß die Anarchie der Gemüther, der Ueberzeugungen, Gesinnungen und Bestrebungen bei unsern Nachbarn auch in die Regierung und die Geschäfte gedrungen ist, um dort der normale Zustand zu werden? Denn daß die Zwischenperiode oder einzelne Ministerien länger dauern, als die Interregna, ommt allein aus der Kraft der Trägheit, der Erhalterin der menschlichen Dinge, da nämlich, wo den Leuten die Weisheit ausgeht, nicht aber kommt es aus irgend einem Vorwiegen der Ordnung und ihren Bedingungen über den Geist der Verwirrung, der dort alles Feste zersetzt, und alles Verbundene auflöst.
Ministerium und Interregnum, es ist Alles nur eine verschiedene Phasis einer und derselben anarchischen Lage, d. i. einer solchen, wo diejenigen, welche im Regiment und am Steuer sitzen, die Zügel oder das Steuer verloren haben, und das Schiff des Staats treibt, wohin es durch die Winde der Parteiung über die hochwogenden Interessen hingetrieben wird. Was sind die Ursachen dieses nicht nur für die französische Nation gefährlichen Zustandes, und was werden am Ende die Folgen seyn?
Ich gehe nicht in die vielen Recriminationen ein, welche die Parteien sich gegenseitig zusenden, denn wirft die eine der andern Mangel an Sinn für das öffentliche Wohl, den Calcul ihrer Vortheile, die Gewalt ihrer Leidenschaften gegenüber der Noth und den Bedürfnissen des Staats zu, klagen sie gegenseitig über Unfähigkeit, über Beschränktheit des Vermögens und Bestrebens des sich in Coterien und Intriguen zersplitternden öffentlichen Geistes und über den Untergang des höhern politischen, so ist nur zu sagen, daß keiner Unrecht hat, neuter falso, für den Beobachter aber ist in allem dem nur ein Complex von Symptomen des tiefer liegenden Uebels.
Zunächst und vor Allem darf man sich keine Täuschung mehr über die Lage des Königthums in Frankreich machen, im Fall man diese sich überhaupt noch gemacht hat, sondern muß sein Verhältniß zur öffentlichen Meinung bestimmter und klarer auffassen, nicht nur um in der falschen Art, in der man es bisher verstanden, oder vielmehr mißverstanden hat, die erste und tiefste Quelle seiner Verlegenheiten und jener bedauernswürdigen Lage zu erkennen, die es sich bereitet hat, sondern auch die Möglichkeit es aus ihr herauszustellen, damit es, zwar nicht das, was es bisher gewollt hat, aber doch das werde, was es im gegenwärtigen Frankreich seyn kann, und was immer noch etwas sehr Achtbares und eine Gewährschaft der innern Ruhe des Landes wie des europäischen Friedens seyn kann.
Die Restauration ging zu Grunde, weil sie in das durch die Revolution umgestaltete Frankreich mit den Ansprüchen des alten Königthums zurückkehrte, und eine Zurückführung der frühern politischen und kirchlichen Zustände wenigstens dem Wesen nach im Hintergrund ihrer Bestrebungen trug. Die Juliusdynastie aber ist in die Verlegenheit gekommen, welche das Journal des Débats fast einer Katastrophe gleich setzt, und welche sich in dem „refus tacite“ nur als ein Symptom äußerte, weil sie aus dem alten Königthum herübernehmen und von ihm festhalten wollte, was sich nach ihrer Meinung festhalten ließ, und weil sie den Gedanken der absoluten Monarchie der ältern Linie in dem gouvernement personnel zu verjüngen gesucht hat.
Als der Thron der älteren Linie umstürzte und sein Sturz die Basis das europäischen Bestandes erschütterte, als das Volk mit dem alten Hof und seinen Ansprüchen, man weiß wie, zum Ziele gekommen war, schien das Bewußtseyn der französischen Zustände in Frankreich wenigstens überall klar und fest: der Generallieutenant von Frankreich erklärte, die Charte sollte eine Wahrheit werden, das Stadthaus stellte eine Monarchie von republicanischen Institutionen umgeben in Aussicht, und Ludwig Philipp ward von Lafayette als „die beste der Republiken“ dem Volke gezeigt. Er ward als solche angenommen; Frankreich schien nun als „eine Demokratie im Purpurmantel“ gegen die Anarchie und die Despotie gesichert zu seyn.
Ist das alles eine Täuschung gewesen, oder lag in jenen Manifestationen die Einsicht, lag wenigstens das Gefühl und der Instinct des wahren Zustandes zu Grunde? So scheint es. Man mag es nun so oder anders wollen, so soll man sich wenigstens keine Täuschung machen über das, was ist. Frankreich ist eine Demokratie. Es sind drei Gewalten organisirt: die kirchliche, die richterliche, die administrative. Die kirchliche ruht auf dem Princip der Gleichheit vor Gott, die richterliche
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Deutsches Textarchiv: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-06-28T11:37:15Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-06-28T11:37:15Z)
Weitere Informationen:Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: Lautwert transkribiert; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: gekennzeichnet; Kustoden: gekennzeichnet; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: Lautwert transkribiert; Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert; Vollständigkeit: teilweise erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |