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Allgemeine Zeitung. Nr. 59. Augsburg, 28. Februar 1840.

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Geologische Briefe.

II. Historische Orientirung.

(Fortsetzung.)

Schon bei den Alten finden wir manche Ansichten von der Erdbildung, in welchen vorurtheilsfreie Naturanschauung nach dem rein sinnlichen Eindruck große Naturwahrheiten mit einer Sicherheit ausspricht, welche so manchen, von Scrupeln aller Art geplagten christlichen Philosophen tief beschämt. So sprachen seit Herodot viele Griechen nach dem Anblick der Seemuscheln, welche in vielen Strichen weit im Land und hoch am Gebirg hinauf fest eingewachsen gefunden werden, die Ansicht aus, über die noch Voltaire spotten konnte, daß nämlich an zahlreichen Punkten das, was jetzt Festland ist, einst Meeresboden gewesen. Wir führen nur die Worte an, welche Ovid dem Pythagoras in den Mund legt:

Vidi ego quod fuerat quondam solidissima tellus,
Esse fretum, vidi tactas ex oequore terras,
Et procul a pelago conchoe jacuere marinoe.

Bei dem Hang der Alten zur Speculation und Generalisirung konnte es nicht fehlen, daß dieses große Factum von ihnen als Kern zu umfassenden Ansichten über die Erdbildung benützt wurde, und so finden wir schon bei ihnen den Begriff, der in neuerer Zeit durch Werner eine umfassende, wissenschaftliche Begründung gefunden hat, den Begriff von einem wiederholten Steigen des Meeres, wodurch die Erdoberfläche umgewälzt und endlich in ihren jetzigen Zustand versetzt worden. Ja, sie wollten sogar wissen, wie oft sich das große Phänomen einer allgemeinen Fluth wiederholt, und Manche halten an der Zahl drei fest, auf die auch Werner wiedergekommen. Der Boden, auf dem sich im östlichen Theile des Mittelmeers die ägyptische und aus ihr die hellenische Cultur entwickelten, brachte es übrigens mit sich, daß sich neptunistische und vulcanistische Ansichten im Alterthum schroff einander entgegensetzten. Der Nil hatte augenfällig zum größten Theil den Boden gebildet, auf dem jenes sinnreiche Volk mit so tiefer und seltsamer Naturanschauung lebte; der wunderbare Fluß veränderte alljährlich durch Losreißen und Anschwemmen den Anblick des Landes, und das Meer verschlang wieder vielfältig die Schöpfungen des Flusses. So waren alle von Aegypten ausgehenden geologischen Theorien vorzugsweise auf die Wirkungen des Wassers gegründet. Moses, der Zögling der ägyptischen Priester, wurde im Wesentlichen ein Neptunist, und dieselben Ideen flossen auch in die älteste hellenische Weisheit über, als deren Repräsentant Thales erscheint, nach welchem Alles ursprünglich aus Wasser entstanden ist. Als aber die Griechen auf ihrem eigenen Gebiete selbstständig zu beobachten anfingen, mußten sich ihre Ansichten wesentlich anders gestalten. In Syrien, Kleinasien, im Archipelagus, in Großgriechenland und Sicilien, sind die Veränderungen der Erdoberfläche durch Erdbeben und vulcanische Katastrophen weit auffallender, als die Wirkungen der Gewässer. Schon die Mythen vom Hephästos und dem Wechsel seines Aufenthalts, von den Titanen und Giganten, die unter den auf sie gewälzten Gebirgsmassen sich noch immer regen, deuten auf ein tiefes Volksbewußtseyn von vulcanischen Erschütterungen. Sie hatten aber auch noch thätige Vulcane vor Augen: sie hatten bei Erdbeben neue Berge auf dem festen Lande entstehen, sie hatten Inseln unter furchtbaren Zuckungen der Natur aus dem Schooße des Meeres aufsteigen sehen, und so mußten wohl ihre allgemeinen Vorstellungen von der Erdbildung einen vulcanistischen Anstrich annehmen. So wurde bei Zeno, Heraklitus, Anaxagoras und Andern, im Widerspruch mit Thales, das Feuer der Grundstoff, aus dem Alles auf Erden entstanden, und es bildeten sich die Ideen von der Bildung und Zerstörung der Länder durch unterirdische Eruptionen, besonders aber die, allerdings auf Naturanschauung gegründete Ansicht von der Hebung der Gebirge durch Gewalt von unten. Besonders aber ist es der griechische Geograph Strabo, der bereits die jetzige Theorie von der Bildung der Gebirge in ihren Hauptzügen vollkommen ausspricht. Nach ihm waren die Wirkungen der Feuer der Tiefe keineswegs so local und im Verhältniß zum Ganzen unbedeutend, als die neptunistische Vorstellung voraussetzt; sondern ganze Continente konnten einst, so gut wie jetzt Inseln, aus dem Meer emporgehoben worden seyn. Nach ihm ist dasselbe Land zu wiederholtenmalen über den Spiegel des Meeres gestiegen und wieder versenkt worden, ganz wie die jetzige Theorie annimmt, statt daß der Neptunismus das Meer steigen und fallen läßt. Besonders aber erklärt Strabo, gerade wie in der neuesten Zeit Leopold v. Buch, alle Inseln auf hoher See für Bildungen der unterirdisch emporhebenden Gewalten.

Dieses antike Schisma zwischen Neptunismus und Vulcanismus hebt Goethe im zweiten Theil des Faust in der Controverse zwischen Thales und Anaxagoras hervor; er symbolisirt damit die wissenschaftlichen Bewegungen seiner eigenen Zeit, in der jener alte Streit mit größter Lebhaftigkeit wieder erwachte, und gibt dabei, und vollends im Gespräch zwischen Faust und Mephistopheles zu Anfang des vierten Acts, genugsam zu erkennen, welche der beiden Naturansichten seinem eigenen Geist am besten zusagte, und zwar darum, weil sein innerstes Wesen der einen der ebenbürtigen Naturkräfte verwandter war als der andern. Wie zur Bildung der Erdrinde im Großen in ungefähr gleichem Maaße Wasser und Feuer zusammen und in einander gewirkt, so sind auch im Menschengeist zwei Potenzen thätig, die jenen zu vergleichen sind. Wie aber im Einzelnen das eine Erdgebilde mehr ein Geschöpf des ruhig und sicher bildenden Wassers, das andere mehr ein Product des ungestümen Feuers ist, so unterscheiden sich auch die geistigen Persönlichkeiten, je nachdem in ihnen das eine oder das andere Element vorherrscht. Goethe's ganze Natur war so organisirt, daß er im wissenschaftlichen Streit an Werners Ansicht festhalten mußte, am Begriff, nach dem in den langen Intervallen majestätischer Katastrophen sich Alles so großartig, aber ruhig aus dem allgemeinen Gewässer, aus der "Lebensfeuchte" gebildet und umgebildet. Sehr schön spricht sich die neptunistische Anschauung in folgenden Versen aus:

Als die Natur sich in sich selbst gegründet,
Da hat sie rein den Erdball abgeründet,
Der Gipfel sich, der Schluchten sich erfreut,
Und Fels an Fels und Berg an Berg gereiht;
Die Hügel dann bequem hinabgebildet,
Mit sanftem Zug sie in das Thal gemildet.
Da grünt's und wächst's, und um sich zu erfreuen,
Bedarf sie nicht der tollen Strudeleien.

Goethe haßte in der Wissenschaft wie in der Kunst die modernen plutonischen "Strudeleien", wie er von seinem eigenen Lebenskreise Alles fern hielt, was ihn aus seinem ruhigen Gleichgewicht bringen konnte; und der Gedanke an ein rasch emporgestiegenes Gebirge war ihm so widerwärtig, als der Anblick einer Genialität, die auf einmal etwas seyn wollte.

Dergleichen Mährchen seh' ich oft entstehn
Und plötzlich wieder untergehn.
Geologische Briefe.

II. Historische Orientirung.

(Fortsetzung.)

Schon bei den Alten finden wir manche Ansichten von der Erdbildung, in welchen vorurtheilsfreie Naturanschauung nach dem rein sinnlichen Eindruck große Naturwahrheiten mit einer Sicherheit ausspricht, welche so manchen, von Scrupeln aller Art geplagten christlichen Philosophen tief beschämt. So sprachen seit Herodot viele Griechen nach dem Anblick der Seemuscheln, welche in vielen Strichen weit im Land und hoch am Gebirg hinauf fest eingewachsen gefunden werden, die Ansicht aus, über die noch Voltaire spotten konnte, daß nämlich an zahlreichen Punkten das, was jetzt Festland ist, einst Meeresboden gewesen. Wir führen nur die Worte an, welche Ovid dem Pythagoras in den Mund legt:

Vidi ego quod fuerat quondam solidissima tellus,
Esse fretum, vidi tactas ex œquore terras,
Et procul a pelago conchœ jacuere marinœ.

Bei dem Hang der Alten zur Speculation und Generalisirung konnte es nicht fehlen, daß dieses große Factum von ihnen als Kern zu umfassenden Ansichten über die Erdbildung benützt wurde, und so finden wir schon bei ihnen den Begriff, der in neuerer Zeit durch Werner eine umfassende, wissenschaftliche Begründung gefunden hat, den Begriff von einem wiederholten Steigen des Meeres, wodurch die Erdoberfläche umgewälzt und endlich in ihren jetzigen Zustand versetzt worden. Ja, sie wollten sogar wissen, wie oft sich das große Phänomen einer allgemeinen Fluth wiederholt, und Manche halten an der Zahl drei fest, auf die auch Werner wiedergekommen. Der Boden, auf dem sich im östlichen Theile des Mittelmeers die ägyptische und aus ihr die hellenische Cultur entwickelten, brachte es übrigens mit sich, daß sich neptunistische und vulcanistische Ansichten im Alterthum schroff einander entgegensetzten. Der Nil hatte augenfällig zum größten Theil den Boden gebildet, auf dem jenes sinnreiche Volk mit so tiefer und seltsamer Naturanschauung lebte; der wunderbare Fluß veränderte alljährlich durch Losreißen und Anschwemmen den Anblick des Landes, und das Meer verschlang wieder vielfältig die Schöpfungen des Flusses. So waren alle von Aegypten ausgehenden geologischen Theorien vorzugsweise auf die Wirkungen des Wassers gegründet. Moses, der Zögling der ägyptischen Priester, wurde im Wesentlichen ein Neptunist, und dieselben Ideen flossen auch in die älteste hellenische Weisheit über, als deren Repräsentant Thales erscheint, nach welchem Alles ursprünglich aus Wasser entstanden ist. Als aber die Griechen auf ihrem eigenen Gebiete selbstständig zu beobachten anfingen, mußten sich ihre Ansichten wesentlich anders gestalten. In Syrien, Kleinasien, im Archipelagus, in Großgriechenland und Sicilien, sind die Veränderungen der Erdoberfläche durch Erdbeben und vulcanische Katastrophen weit auffallender, als die Wirkungen der Gewässer. Schon die Mythen vom Hephästos und dem Wechsel seines Aufenthalts, von den Titanen und Giganten, die unter den auf sie gewälzten Gebirgsmassen sich noch immer regen, deuten auf ein tiefes Volksbewußtseyn von vulcanischen Erschütterungen. Sie hatten aber auch noch thätige Vulcane vor Augen: sie hatten bei Erdbeben neue Berge auf dem festen Lande entstehen, sie hatten Inseln unter furchtbaren Zuckungen der Natur aus dem Schooße des Meeres aufsteigen sehen, und so mußten wohl ihre allgemeinen Vorstellungen von der Erdbildung einen vulcanistischen Anstrich annehmen. So wurde bei Zeno, Heraklitus, Anaxagoras und Andern, im Widerspruch mit Thales, das Feuer der Grundstoff, aus dem Alles auf Erden entstanden, und es bildeten sich die Ideen von der Bildung und Zerstörung der Länder durch unterirdische Eruptionen, besonders aber die, allerdings auf Naturanschauung gegründete Ansicht von der Hebung der Gebirge durch Gewalt von unten. Besonders aber ist es der griechische Geograph Strabo, der bereits die jetzige Theorie von der Bildung der Gebirge in ihren Hauptzügen vollkommen ausspricht. Nach ihm waren die Wirkungen der Feuer der Tiefe keineswegs so local und im Verhältniß zum Ganzen unbedeutend, als die neptunistische Vorstellung voraussetzt; sondern ganze Continente konnten einst, so gut wie jetzt Inseln, aus dem Meer emporgehoben worden seyn. Nach ihm ist dasselbe Land zu wiederholtenmalen über den Spiegel des Meeres gestiegen und wieder versenkt worden, ganz wie die jetzige Theorie annimmt, statt daß der Neptunismus das Meer steigen und fallen läßt. Besonders aber erklärt Strabo, gerade wie in der neuesten Zeit Leopold v. Buch, alle Inseln auf hoher See für Bildungen der unterirdisch emporhebenden Gewalten.

Dieses antike Schisma zwischen Neptunismus und Vulcanismus hebt Goethe im zweiten Theil des Faust in der Controverse zwischen Thales und Anaxagoras hervor; er symbolisirt damit die wissenschaftlichen Bewegungen seiner eigenen Zeit, in der jener alte Streit mit größter Lebhaftigkeit wieder erwachte, und gibt dabei, und vollends im Gespräch zwischen Faust und Mephistopheles zu Anfang des vierten Acts, genugsam zu erkennen, welche der beiden Naturansichten seinem eigenen Geist am besten zusagte, und zwar darum, weil sein innerstes Wesen der einen der ebenbürtigen Naturkräfte verwandter war als der andern. Wie zur Bildung der Erdrinde im Großen in ungefähr gleichem Maaße Wasser und Feuer zusammen und in einander gewirkt, so sind auch im Menschengeist zwei Potenzen thätig, die jenen zu vergleichen sind. Wie aber im Einzelnen das eine Erdgebilde mehr ein Geschöpf des ruhig und sicher bildenden Wassers, das andere mehr ein Product des ungestümen Feuers ist, so unterscheiden sich auch die geistigen Persönlichkeiten, je nachdem in ihnen das eine oder das andere Element vorherrscht. Goethe's ganze Natur war so organisirt, daß er im wissenschaftlichen Streit an Werners Ansicht festhalten mußte, am Begriff, nach dem in den langen Intervallen majestätischer Katastrophen sich Alles so großartig, aber ruhig aus dem allgemeinen Gewässer, aus der „Lebensfeuchte“ gebildet und umgebildet. Sehr schön spricht sich die neptunistische Anschauung in folgenden Versen aus:

Als die Natur sich in sich selbst gegründet,
Da hat sie rein den Erdball abgeründet,
Der Gipfel sich, der Schluchten sich erfreut,
Und Fels an Fels und Berg an Berg gereiht;
Die Hügel dann bequem hinabgebildet,
Mit sanftem Zug sie in das Thal gemildet.
Da grünt's und wächst's, und um sich zu erfreuen,
Bedarf sie nicht der tollen Strudeleien.

Goethe haßte in der Wissenschaft wie in der Kunst die modernen plutonischen „Strudeleien“, wie er von seinem eigenen Lebenskreise Alles fern hielt, was ihn aus seinem ruhigen Gleichgewicht bringen konnte; und der Gedanke an ein rasch emporgestiegenes Gebirge war ihm so widerwärtig, als der Anblick einer Genialität, die auf einmal etwas seyn wollte.

Dergleichen Mährchen seh' ich oft entstehn
Und plötzlich wieder untergehn.
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[0465/0009] Geologische Briefe. II. Historische Orientirung. (Fortsetzung.) Schon bei den Alten finden wir manche Ansichten von der Erdbildung, in welchen vorurtheilsfreie Naturanschauung nach dem rein sinnlichen Eindruck große Naturwahrheiten mit einer Sicherheit ausspricht, welche so manchen, von Scrupeln aller Art geplagten christlichen Philosophen tief beschämt. So sprachen seit Herodot viele Griechen nach dem Anblick der Seemuscheln, welche in vielen Strichen weit im Land und hoch am Gebirg hinauf fest eingewachsen gefunden werden, die Ansicht aus, über die noch Voltaire spotten konnte, daß nämlich an zahlreichen Punkten das, was jetzt Festland ist, einst Meeresboden gewesen. Wir führen nur die Worte an, welche Ovid dem Pythagoras in den Mund legt: Vidi ego quod fuerat quondam solidissima tellus, Esse fretum, vidi tactas ex œquore terras, Et procul a pelago conchœ jacuere marinœ. Bei dem Hang der Alten zur Speculation und Generalisirung konnte es nicht fehlen, daß dieses große Factum von ihnen als Kern zu umfassenden Ansichten über die Erdbildung benützt wurde, und so finden wir schon bei ihnen den Begriff, der in neuerer Zeit durch Werner eine umfassende, wissenschaftliche Begründung gefunden hat, den Begriff von einem wiederholten Steigen des Meeres, wodurch die Erdoberfläche umgewälzt und endlich in ihren jetzigen Zustand versetzt worden. Ja, sie wollten sogar wissen, wie oft sich das große Phänomen einer allgemeinen Fluth wiederholt, und Manche halten an der Zahl drei fest, auf die auch Werner wiedergekommen. Der Boden, auf dem sich im östlichen Theile des Mittelmeers die ägyptische und aus ihr die hellenische Cultur entwickelten, brachte es übrigens mit sich, daß sich neptunistische und vulcanistische Ansichten im Alterthum schroff einander entgegensetzten. Der Nil hatte augenfällig zum größten Theil den Boden gebildet, auf dem jenes sinnreiche Volk mit so tiefer und seltsamer Naturanschauung lebte; der wunderbare Fluß veränderte alljährlich durch Losreißen und Anschwemmen den Anblick des Landes, und das Meer verschlang wieder vielfältig die Schöpfungen des Flusses. So waren alle von Aegypten ausgehenden geologischen Theorien vorzugsweise auf die Wirkungen des Wassers gegründet. Moses, der Zögling der ägyptischen Priester, wurde im Wesentlichen ein Neptunist, und dieselben Ideen flossen auch in die älteste hellenische Weisheit über, als deren Repräsentant Thales erscheint, nach welchem Alles ursprünglich aus Wasser entstanden ist. Als aber die Griechen auf ihrem eigenen Gebiete selbstständig zu beobachten anfingen, mußten sich ihre Ansichten wesentlich anders gestalten. In Syrien, Kleinasien, im Archipelagus, in Großgriechenland und Sicilien, sind die Veränderungen der Erdoberfläche durch Erdbeben und vulcanische Katastrophen weit auffallender, als die Wirkungen der Gewässer. Schon die Mythen vom Hephästos und dem Wechsel seines Aufenthalts, von den Titanen und Giganten, die unter den auf sie gewälzten Gebirgsmassen sich noch immer regen, deuten auf ein tiefes Volksbewußtseyn von vulcanischen Erschütterungen. Sie hatten aber auch noch thätige Vulcane vor Augen: sie hatten bei Erdbeben neue Berge auf dem festen Lande entstehen, sie hatten Inseln unter furchtbaren Zuckungen der Natur aus dem Schooße des Meeres aufsteigen sehen, und so mußten wohl ihre allgemeinen Vorstellungen von der Erdbildung einen vulcanistischen Anstrich annehmen. So wurde bei Zeno, Heraklitus, Anaxagoras und Andern, im Widerspruch mit Thales, das Feuer der Grundstoff, aus dem Alles auf Erden entstanden, und es bildeten sich die Ideen von der Bildung und Zerstörung der Länder durch unterirdische Eruptionen, besonders aber die, allerdings auf Naturanschauung gegründete Ansicht von der Hebung der Gebirge durch Gewalt von unten. Besonders aber ist es der griechische Geograph Strabo, der bereits die jetzige Theorie von der Bildung der Gebirge in ihren Hauptzügen vollkommen ausspricht. Nach ihm waren die Wirkungen der Feuer der Tiefe keineswegs so local und im Verhältniß zum Ganzen unbedeutend, als die neptunistische Vorstellung voraussetzt; sondern ganze Continente konnten einst, so gut wie jetzt Inseln, aus dem Meer emporgehoben worden seyn. Nach ihm ist dasselbe Land zu wiederholtenmalen über den Spiegel des Meeres gestiegen und wieder versenkt worden, ganz wie die jetzige Theorie annimmt, statt daß der Neptunismus das Meer steigen und fallen läßt. Besonders aber erklärt Strabo, gerade wie in der neuesten Zeit Leopold v. Buch, alle Inseln auf hoher See für Bildungen der unterirdisch emporhebenden Gewalten. Dieses antike Schisma zwischen Neptunismus und Vulcanismus hebt Goethe im zweiten Theil des Faust in der Controverse zwischen Thales und Anaxagoras hervor; er symbolisirt damit die wissenschaftlichen Bewegungen seiner eigenen Zeit, in der jener alte Streit mit größter Lebhaftigkeit wieder erwachte, und gibt dabei, und vollends im Gespräch zwischen Faust und Mephistopheles zu Anfang des vierten Acts, genugsam zu erkennen, welche der beiden Naturansichten seinem eigenen Geist am besten zusagte, und zwar darum, weil sein innerstes Wesen der einen der ebenbürtigen Naturkräfte verwandter war als der andern. Wie zur Bildung der Erdrinde im Großen in ungefähr gleichem Maaße Wasser und Feuer zusammen und in einander gewirkt, so sind auch im Menschengeist zwei Potenzen thätig, die jenen zu vergleichen sind. Wie aber im Einzelnen das eine Erdgebilde mehr ein Geschöpf des ruhig und sicher bildenden Wassers, das andere mehr ein Product des ungestümen Feuers ist, so unterscheiden sich auch die geistigen Persönlichkeiten, je nachdem in ihnen das eine oder das andere Element vorherrscht. Goethe's ganze Natur war so organisirt, daß er im wissenschaftlichen Streit an Werners Ansicht festhalten mußte, am Begriff, nach dem in den langen Intervallen majestätischer Katastrophen sich Alles so großartig, aber ruhig aus dem allgemeinen Gewässer, aus der „Lebensfeuchte“ gebildet und umgebildet. Sehr schön spricht sich die neptunistische Anschauung in folgenden Versen aus: Als die Natur sich in sich selbst gegründet, Da hat sie rein den Erdball abgeründet, Der Gipfel sich, der Schluchten sich erfreut, Und Fels an Fels und Berg an Berg gereiht; Die Hügel dann bequem hinabgebildet, Mit sanftem Zug sie in das Thal gemildet. Da grünt's und wächst's, und um sich zu erfreuen, Bedarf sie nicht der tollen Strudeleien. Goethe haßte in der Wissenschaft wie in der Kunst die modernen plutonischen „Strudeleien“, wie er von seinem eigenen Lebenskreise Alles fern hielt, was ihn aus seinem ruhigen Gleichgewicht bringen konnte; und der Gedanke an ein rasch emporgestiegenes Gebirge war ihm so widerwärtig, als der Anblick einer Genialität, die auf einmal etwas seyn wollte. Dergleichen Mährchen seh' ich oft entstehn Und plötzlich wieder untergehn.

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 59. Augsburg, 28. Februar 1840, S. 0465. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_059_18400228/9>, abgerufen am 24.11.2024.