Allgemeine Zeitung. Nr. 59. Augsburg, 28. Februar 1840.Aber auch in der Geschichte der Menschheit walten mit ewig gestörtem und so ewig erhaltenem Gleichgewicht zwei Kräfte, die dem Neptunismus und Vulcanismus in der Erdbildung analog sind, und die Menschen theilten sich in Beziehung auf ihre Ansichten von der Entwicklung ihrer Zeit und ihr Eingreifen in dieselbe von jeher in Neptunisten und in Vulcanisten, in zwei Gruppen, deren jede nur die eine Kraft als Hauptpotenz gelten läßt, und die gleiche Berechtigung der andern läugnet und sich ihr entgegenstemmt; wobei denn eben die Formation der Geschichte mit ihren hier wagerechten, dort vielfach aufgerichteten Schichten, mit ihren verworfenen Gängen und Erzadern und plutonischen Ergüssen sich wunderbar ausbaut. Es liegt in der Ordnung der Dinge, daß im gewöhnlichen Lebenslauf der Völker das Alte langsam abwittere und sich mit Schutthalden umgebe, daß das spülende Gewässer von Lebensformen, Satzungen und Lehren ein Element ums andere entführe und sie weiterhin zu neuen Bildungen zusammentrage; daß die Flüsse ihre Deltas sanft hinausschieben und Alles den Anschein habe, als ob nichts geschehe, während die Bewegung und Umwandlung nie stille steht. Aber in der Geschichte wie in der Erdbildung ist einmal rasche Störung des Gleichgewichts ein zweites, gleich nothwendiges Moment. Ein lebendiges Profil statt des öden Niveau erhält die Menschheit, wie ihr Wohnplatz, nur durch Hebung und Senkung, und der Meeresboden mit dem Muschelthier muß an Luft und Licht emporsteigen, damit er der Fruchtboden für höhere Organismen werde. Eine solche vulcanische Zeit in der Geschichte der neuern Menschheit war das merkwürdige Jahrhundert von der Mitte des fünfzehnten bis zu der des sechzehnten. Wie viele feurige Schöpfungen des Geistes, wie viele Entblößungen vom Gewässer der Gewohnheit drängen sich in diese Periode zusammen! Während damals dem Europäer auf einmal die Anschauung der zweiten Hälfte der Erdkugel und eines neuen Continents wurde, stieg auch im Geiste ungeahnt gleichsam ein mächtiges Gebirge mit weithin herrschenden Gipfeln und einem Gewimmel von Vorbergen aus den Wogen der Zeit, die Schichten der Begriffe und Meinungen zerreißend und überstürzend, und die Gewässer in andere Canäle werfend. Damals raffte sich auch der Geist der Wissenschaft schnell aus dem tausendjährigen Schlummer auf, in dem er träumend mit der Weisheit des Alterthums gespielt, und wandte sich selbstständig der Naturbetrachtung zu. Auch das alte Räthsel, wie im Ablauf der Zeit auf dem Antlitz der Erde Alles so geworden, wie es vor Augen liegt, wurde bald Gegenstand der Forschung und der Speculation. Aber der Geist stieß hiebei sogleich auf die Schranke, die ihn auch in andern Richtungen gedämmt und zu ruhigerem Gange gezwungen hat: in den heiligen Büchern der Juden war der Hergang der Schöpfung geoffenbart, und alle möglichen Erklärungen schienen die einfach großartige Erzählung des Moses zur Grundlage nehmen zu müssen. - Man könnte sagen, nach jener raschen vulcanischen Erhebung der Ideen begann sogleich wieder, wie auch in der Natur, der sachte neptunische Entwicklungsgang, die langsam nagende und umbildende Wirkung der Gewässer. Der uralte Fels des mosaischen Begriffs sollte nicht titanisch zertrümmert, sondern allgemach aufgelöst und aus seinen Elementen ein neues Gebilde zusammengekittet werden. Es ist aber merkwürdig, daß der geisteskräftige Charakter des feurigen sechzehnten Jahrhunderts auch in der geologischen Forschung wenigstens angedeutet ist. Man hatte hie und da bald den ächten Weg der unmittelbaren sinnlichen Beobachtung betreten, allerdings oft ohne noch zu ahnen, daß man beim Fortgang mit den biblischen Traditionen in Conflict gerathen könnte. Indessen wurden auch schon Ideen geäußert, welche sich noch drei Jahrhunderte lang keineswegs allgemeine Geltung verschaffen konnten. So bewies der Italiener Fracostoro gleich zu Anfang des 16ten Jahrhunderts, daß die in den Gebirgsschichten begrabenen fossilen Muscheln einst da, wo sie jetzt liegen, wirklich gelebt haben müssen. Die Sündfluth könne ihre Existenz nimmermehr erklären; diese sey ja vorübergehend gewesen und habe aus süßem Wasser bestanden; nun seyen aber jene Schalthiere offenbar Meeresbewohner gewesen, und eine schnell wieder ablaufende Fluth würde ihre Reste über die Oberfläche zerstreut, und sie nicht tief in die Erde begraben haben. Solche Ansichten sind überraschend, wenn man bedenkt, wie lange noch die bedeutendsten, geistreichsten Forscher sich vergeblich anstrengten, das mühsam Erhobene mit der Sündfluth in Einklang zu bringen. - Als eine große Erscheinung steht in diesem Jahrhundert der deutsche Gebirgsforscher Agricola da (geb. 1494). Er benützte frei die Kenntnisse der Alten und betrachtete die Natur mit ihrem Geiste, und seine Schriften sind ein reicher Schatz von geognostischen und physikalischen Kenntnissen. Die allgemeinen Vorstellungen des Zeitalters von der Constitution der Erdrinde waren übrigens noch sehr schwach und beschränkt; sehr langsam faßte man die Phänomene in ihrem sinnlichen Aspect, in ihrer Aufeinanderfolge und Verbreitung auf, und rückte den Punkten zu, wo ein ursachlicher Zusammenhang zwischen verwandten Erscheinungen und am Ende allgemeine Gesetzlichkeit zu erkennen war. - Die entscheidendsten Ansichten und Entdeckungen rühren aber von einem einzigen Manne her, der im siebzehnten Jahrhundert noch größer und isolirter dasteht, als Agricola im vorigen, und seinem Zeitalter weit vorausgeeilt ist, vom Dänen Stenon (geb. 1638). Dieser Mann sprach es zuerst bestimmt aus, daß die Erdrinde größtentheils aus parallel über einander aufgebauten Schichten besteht. Er begriff zuerst richtig, daß dergleichen Schichten, vollends wenn sie Fossilien enthalten, nicht anders entstanden seyn können, als so, wie wir noch jetzt die im Wasser suspendirten erdichten Materien sich niederschlagen sehen; und auf diese Weise dachte er sich nun, ganz nach den jetzigen Begriffen, die Hauptmasse der Erdrinde gebildet. Stenon schloß ferner aus der Verbreitung gewisser Substanzen, welche gewisse Schichten bilden, auf die einstige Verbreitung der Flüssigkeit, aus der sie sich niedergeschlagen, und kam so zu der Vorstellung, einerseits von allgemein verbreiteten Meeresbildungen, andrerseits von mehr nur localen Gebilden in Folge vom Austreten der Flüsse, vom Durchbruch aufgestauter Seen, von vulcanischen Eruptionen u. s. w. - lauter Ideen, welche erst ein ganzes Säculum später wieder aufgenommen wurden. - Wenn so Stenon die neptunistische Seite der Erdbildung scharf und im Allgemeinen ganz richtig auffaßte, und in dieser Beziehung manche Seite der Werner'schen Theorie divinirte, so übersah er auch klar den vulcanistischen Antheil und wurde der frühe, bedeutendste Vorläufer Leopold v. Buchs und Elie v. Beaumonts. Er bemerkte, daß die Schichten der Erdrinde keineswegs immer, ja in manchen Strichen sogar selten horizontal liegen; daß sie vielmehr sehr oft in allen Winkeln bis zum rechten aufgehoben, zerbrochen, gekrümmt, aufs vielfachste durch einander geworfen sind. Er sah richtig, daß dieses Moment mit den Bergen und Thälern in unmittelbarem ursachlichem Zusammenhang steht, daß die Schichten ursprünglich alle nahezu horizontal gelegen haben müssen: die fruchtbarste Wahrheit, welche noch so lange nachher verkannt worden ist. Da sich nun die Erdschichten so oft in Lagen zeigen, in denen sie ursprünglich nicht gebildet seyn können, so mußte er sich Aber auch in der Geschichte der Menschheit walten mit ewig gestörtem und so ewig erhaltenem Gleichgewicht zwei Kräfte, die dem Neptunismus und Vulcanismus in der Erdbildung analog sind, und die Menschen theilten sich in Beziehung auf ihre Ansichten von der Entwicklung ihrer Zeit und ihr Eingreifen in dieselbe von jeher in Neptunisten und in Vulcanisten, in zwei Gruppen, deren jede nur die eine Kraft als Hauptpotenz gelten läßt, und die gleiche Berechtigung der andern läugnet und sich ihr entgegenstemmt; wobei denn eben die Formation der Geschichte mit ihren hier wagerechten, dort vielfach aufgerichteten Schichten, mit ihren verworfenen Gängen und Erzadern und plutonischen Ergüssen sich wunderbar ausbaut. Es liegt in der Ordnung der Dinge, daß im gewöhnlichen Lebenslauf der Völker das Alte langsam abwittere und sich mit Schutthalden umgebe, daß das spülende Gewässer von Lebensformen, Satzungen und Lehren ein Element ums andere entführe und sie weiterhin zu neuen Bildungen zusammentrage; daß die Flüsse ihre Deltas sanft hinausschieben und Alles den Anschein habe, als ob nichts geschehe, während die Bewegung und Umwandlung nie stille steht. Aber in der Geschichte wie in der Erdbildung ist einmal rasche Störung des Gleichgewichts ein zweites, gleich nothwendiges Moment. Ein lebendiges Profil statt des öden Niveau erhält die Menschheit, wie ihr Wohnplatz, nur durch Hebung und Senkung, und der Meeresboden mit dem Muschelthier muß an Luft und Licht emporsteigen, damit er der Fruchtboden für höhere Organismen werde. Eine solche vulcanische Zeit in der Geschichte der neuern Menschheit war das merkwürdige Jahrhundert von der Mitte des fünfzehnten bis zu der des sechzehnten. Wie viele feurige Schöpfungen des Geistes, wie viele Entblößungen vom Gewässer der Gewohnheit drängen sich in diese Periode zusammen! Während damals dem Europäer auf einmal die Anschauung der zweiten Hälfte der Erdkugel und eines neuen Continents wurde, stieg auch im Geiste ungeahnt gleichsam ein mächtiges Gebirge mit weithin herrschenden Gipfeln und einem Gewimmel von Vorbergen aus den Wogen der Zeit, die Schichten der Begriffe und Meinungen zerreißend und überstürzend, und die Gewässer in andere Canäle werfend. Damals raffte sich auch der Geist der Wissenschaft schnell aus dem tausendjährigen Schlummer auf, in dem er träumend mit der Weisheit des Alterthums gespielt, und wandte sich selbstständig der Naturbetrachtung zu. Auch das alte Räthsel, wie im Ablauf der Zeit auf dem Antlitz der Erde Alles so geworden, wie es vor Augen liegt, wurde bald Gegenstand der Forschung und der Speculation. Aber der Geist stieß hiebei sogleich auf die Schranke, die ihn auch in andern Richtungen gedämmt und zu ruhigerem Gange gezwungen hat: in den heiligen Büchern der Juden war der Hergang der Schöpfung geoffenbart, und alle möglichen Erklärungen schienen die einfach großartige Erzählung des Moses zur Grundlage nehmen zu müssen. – Man könnte sagen, nach jener raschen vulcanischen Erhebung der Ideen begann sogleich wieder, wie auch in der Natur, der sachte neptunische Entwicklungsgang, die langsam nagende und umbildende Wirkung der Gewässer. Der uralte Fels des mosaischen Begriffs sollte nicht titanisch zertrümmert, sondern allgemach aufgelöst und aus seinen Elementen ein neues Gebilde zusammengekittet werden. Es ist aber merkwürdig, daß der geisteskräftige Charakter des feurigen sechzehnten Jahrhunderts auch in der geologischen Forschung wenigstens angedeutet ist. Man hatte hie und da bald den ächten Weg der unmittelbaren sinnlichen Beobachtung betreten, allerdings oft ohne noch zu ahnen, daß man beim Fortgang mit den biblischen Traditionen in Conflict gerathen könnte. Indessen wurden auch schon Ideen geäußert, welche sich noch drei Jahrhunderte lang keineswegs allgemeine Geltung verschaffen konnten. So bewies der Italiener Fracostoro gleich zu Anfang des 16ten Jahrhunderts, daß die in den Gebirgsschichten begrabenen fossilen Muscheln einst da, wo sie jetzt liegen, wirklich gelebt haben müssen. Die Sündfluth könne ihre Existenz nimmermehr erklären; diese sey ja vorübergehend gewesen und habe aus süßem Wasser bestanden; nun seyen aber jene Schalthiere offenbar Meeresbewohner gewesen, und eine schnell wieder ablaufende Fluth würde ihre Reste über die Oberfläche zerstreut, und sie nicht tief in die Erde begraben haben. Solche Ansichten sind überraschend, wenn man bedenkt, wie lange noch die bedeutendsten, geistreichsten Forscher sich vergeblich anstrengten, das mühsam Erhobene mit der Sündfluth in Einklang zu bringen. – Als eine große Erscheinung steht in diesem Jahrhundert der deutsche Gebirgsforscher Agricola da (geb. 1494). Er benützte frei die Kenntnisse der Alten und betrachtete die Natur mit ihrem Geiste, und seine Schriften sind ein reicher Schatz von geognostischen und physikalischen Kenntnissen. Die allgemeinen Vorstellungen des Zeitalters von der Constitution der Erdrinde waren übrigens noch sehr schwach und beschränkt; sehr langsam faßte man die Phänomene in ihrem sinnlichen Aspect, in ihrer Aufeinanderfolge und Verbreitung auf, und rückte den Punkten zu, wo ein ursachlicher Zusammenhang zwischen verwandten Erscheinungen und am Ende allgemeine Gesetzlichkeit zu erkennen war. – Die entscheidendsten Ansichten und Entdeckungen rühren aber von einem einzigen Manne her, der im siebzehnten Jahrhundert noch größer und isolirter dasteht, als Agricola im vorigen, und seinem Zeitalter weit vorausgeeilt ist, vom Dänen Stenon (geb. 1638). Dieser Mann sprach es zuerst bestimmt aus, daß die Erdrinde größtentheils aus parallel über einander aufgebauten Schichten besteht. Er begriff zuerst richtig, daß dergleichen Schichten, vollends wenn sie Fossilien enthalten, nicht anders entstanden seyn können, als so, wie wir noch jetzt die im Wasser suspendirten erdichten Materien sich niederschlagen sehen; und auf diese Weise dachte er sich nun, ganz nach den jetzigen Begriffen, die Hauptmasse der Erdrinde gebildet. Stenon schloß ferner aus der Verbreitung gewisser Substanzen, welche gewisse Schichten bilden, auf die einstige Verbreitung der Flüssigkeit, aus der sie sich niedergeschlagen, und kam so zu der Vorstellung, einerseits von allgemein verbreiteten Meeresbildungen, andrerseits von mehr nur localen Gebilden in Folge vom Austreten der Flüsse, vom Durchbruch aufgestauter Seen, von vulcanischen Eruptionen u. s. w. – lauter Ideen, welche erst ein ganzes Säculum später wieder aufgenommen wurden. – Wenn so Stenon die neptunistische Seite der Erdbildung scharf und im Allgemeinen ganz richtig auffaßte, und in dieser Beziehung manche Seite der Werner'schen Theorie divinirte, so übersah er auch klar den vulcanistischen Antheil und wurde der frühe, bedeutendste Vorläufer Leopold v. Buchs und Elie v. Beaumonts. Er bemerkte, daß die Schichten der Erdrinde keineswegs immer, ja in manchen Strichen sogar selten horizontal liegen; daß sie vielmehr sehr oft in allen Winkeln bis zum rechten aufgehoben, zerbrochen, gekrümmt, aufs vielfachste durch einander geworfen sind. Er sah richtig, daß dieses Moment mit den Bergen und Thälern in unmittelbarem ursachlichem Zusammenhang steht, daß die Schichten ursprünglich alle nahezu horizontal gelegen haben müssen: die fruchtbarste Wahrheit, welche noch so lange nachher verkannt worden ist. 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Es liegt in der Ordnung der Dinge, daß im gewöhnlichen Lebenslauf der Völker das Alte langsam abwittere und sich mit Schutthalden umgebe, daß das spülende Gewässer von Lebensformen, Satzungen und Lehren ein Element ums andere entführe und sie weiterhin zu neuen Bildungen zusammentrage; daß die Flüsse ihre Deltas sanft hinausschieben und Alles den Anschein habe, als ob nichts geschehe, während die Bewegung und Umwandlung nie stille steht. Aber in der Geschichte wie in der Erdbildung ist einmal rasche Störung des Gleichgewichts ein zweites, gleich nothwendiges Moment. Ein lebendiges Profil statt des öden Niveau erhält die Menschheit, wie ihr Wohnplatz, nur durch Hebung und Senkung, und der Meeresboden mit dem Muschelthier muß an Luft und Licht emporsteigen, damit er der Fruchtboden für höhere Organismen werde.</p><lb/> <p>Eine solche vulcanische Zeit in der Geschichte der neuern Menschheit war das merkwürdige Jahrhundert von der Mitte des fünfzehnten bis zu der des sechzehnten. Wie viele feurige Schöpfungen des Geistes, wie viele Entblößungen vom Gewässer der Gewohnheit drängen sich in diese Periode zusammen! Während damals dem Europäer auf einmal die Anschauung der zweiten Hälfte der Erdkugel und eines neuen Continents wurde, stieg auch im Geiste ungeahnt gleichsam ein mächtiges Gebirge mit weithin herrschenden Gipfeln und einem Gewimmel von Vorbergen aus den Wogen der Zeit, die Schichten der Begriffe und Meinungen zerreißend und überstürzend, und die Gewässer in andere Canäle werfend. Damals raffte sich auch der Geist der Wissenschaft schnell aus dem tausendjährigen Schlummer auf, in dem er träumend mit der Weisheit des Alterthums gespielt, und wandte sich selbstständig der Naturbetrachtung zu. Auch das alte Räthsel, wie im Ablauf der Zeit auf dem Antlitz der Erde Alles so geworden, wie es vor Augen liegt, wurde bald Gegenstand der Forschung und der Speculation. Aber der Geist stieß hiebei sogleich auf die Schranke, die ihn auch in andern Richtungen gedämmt und zu ruhigerem Gange gezwungen hat: in den heiligen Büchern der Juden war der Hergang der Schöpfung geoffenbart, und alle möglichen Erklärungen schienen die einfach großartige Erzählung des Moses zur Grundlage nehmen zu müssen. – Man könnte sagen, nach jener raschen vulcanischen Erhebung der Ideen begann sogleich wieder, wie auch in der Natur, der sachte neptunische Entwicklungsgang, die langsam nagende und umbildende Wirkung der Gewässer. Der uralte Fels des mosaischen Begriffs sollte nicht titanisch zertrümmert, sondern allgemach aufgelöst und aus seinen Elementen ein neues Gebilde zusammengekittet werden.</p><lb/> <p>Es ist aber merkwürdig, daß der geisteskräftige Charakter des feurigen sechzehnten Jahrhunderts auch in der geologischen Forschung wenigstens angedeutet ist. 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Solche Ansichten sind überraschend, wenn man bedenkt, wie lange noch die bedeutendsten, geistreichsten Forscher sich vergeblich anstrengten, das mühsam Erhobene mit der Sündfluth in Einklang zu bringen. – Als eine große Erscheinung steht in diesem Jahrhundert der deutsche Gebirgsforscher <hi rendition="#g">Agricola</hi> da (geb. 1494). Er benützte frei die Kenntnisse der Alten und betrachtete die Natur mit ihrem Geiste, und seine Schriften sind ein reicher Schatz von geognostischen und physikalischen Kenntnissen. Die allgemeinen Vorstellungen des Zeitalters von der Constitution der Erdrinde waren übrigens noch sehr schwach und beschränkt; sehr langsam faßte man die Phänomene in ihrem sinnlichen Aspect, in ihrer Aufeinanderfolge und Verbreitung auf, und rückte den Punkten zu, wo ein ursachlicher Zusammenhang zwischen verwandten Erscheinungen und am Ende allgemeine Gesetzlichkeit zu erkennen war. – Die entscheidendsten Ansichten und Entdeckungen rühren aber von einem einzigen Manne her, der im siebzehnten Jahrhundert noch größer und isolirter dasteht, als Agricola im vorigen, und seinem Zeitalter weit vorausgeeilt ist, vom Dänen <hi rendition="#g">Stenon</hi> (geb. 1638). Dieser Mann sprach es zuerst bestimmt aus, daß die Erdrinde größtentheils aus parallel über einander aufgebauten Schichten besteht. 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Stenon schloß ferner aus der Verbreitung gewisser Substanzen, welche gewisse Schichten bilden, auf die einstige Verbreitung der Flüssigkeit, aus der sie sich niedergeschlagen, und kam so zu der Vorstellung, einerseits von allgemein verbreiteten Meeresbildungen, andrerseits von mehr nur localen Gebilden in Folge vom Austreten der Flüsse, vom Durchbruch aufgestauter Seen, von vulcanischen Eruptionen u. s. w. – lauter Ideen, welche erst ein ganzes Säculum später wieder aufgenommen wurden. – Wenn so Stenon die neptunistische Seite der Erdbildung scharf und im Allgemeinen ganz richtig auffaßte, und in dieser Beziehung manche Seite der Werner'schen Theorie divinirte, so übersah er auch klar den vulcanistischen Antheil und wurde der frühe, bedeutendste Vorläufer Leopold v. Buchs und Elie v. Beaumonts. Er bemerkte, daß die Schichten der Erdrinde keineswegs immer, ja in manchen Strichen sogar selten horizontal liegen; daß sie vielmehr sehr oft in allen Winkeln bis zum rechten aufgehoben, zerbrochen, gekrümmt, aufs vielfachste durch einander geworfen sind. Er sah richtig, daß dieses Moment mit den Bergen und Thälern in unmittelbarem ursachlichem Zusammenhang steht, daß die Schichten ursprünglich alle nahezu horizontal gelegen haben müssen: die fruchtbarste Wahrheit, welche noch so lange nachher verkannt worden ist. Da sich nun die Erdschichten so oft in Lagen zeigen, in denen sie ursprünglich nicht gebildet seyn können, so mußte er sich<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0466/0010]
Aber auch in der Geschichte der Menschheit walten mit ewig gestörtem und so ewig erhaltenem Gleichgewicht zwei Kräfte, die dem Neptunismus und Vulcanismus in der Erdbildung analog sind, und die Menschen theilten sich in Beziehung auf ihre Ansichten von der Entwicklung ihrer Zeit und ihr Eingreifen in dieselbe von jeher in Neptunisten und in Vulcanisten, in zwei Gruppen, deren jede nur die eine Kraft als Hauptpotenz gelten läßt, und die gleiche Berechtigung der andern läugnet und sich ihr entgegenstemmt; wobei denn eben die Formation der Geschichte mit ihren hier wagerechten, dort vielfach aufgerichteten Schichten, mit ihren verworfenen Gängen und Erzadern und plutonischen Ergüssen sich wunderbar ausbaut. Es liegt in der Ordnung der Dinge, daß im gewöhnlichen Lebenslauf der Völker das Alte langsam abwittere und sich mit Schutthalden umgebe, daß das spülende Gewässer von Lebensformen, Satzungen und Lehren ein Element ums andere entführe und sie weiterhin zu neuen Bildungen zusammentrage; daß die Flüsse ihre Deltas sanft hinausschieben und Alles den Anschein habe, als ob nichts geschehe, während die Bewegung und Umwandlung nie stille steht. Aber in der Geschichte wie in der Erdbildung ist einmal rasche Störung des Gleichgewichts ein zweites, gleich nothwendiges Moment. Ein lebendiges Profil statt des öden Niveau erhält die Menschheit, wie ihr Wohnplatz, nur durch Hebung und Senkung, und der Meeresboden mit dem Muschelthier muß an Luft und Licht emporsteigen, damit er der Fruchtboden für höhere Organismen werde.
Eine solche vulcanische Zeit in der Geschichte der neuern Menschheit war das merkwürdige Jahrhundert von der Mitte des fünfzehnten bis zu der des sechzehnten. Wie viele feurige Schöpfungen des Geistes, wie viele Entblößungen vom Gewässer der Gewohnheit drängen sich in diese Periode zusammen! Während damals dem Europäer auf einmal die Anschauung der zweiten Hälfte der Erdkugel und eines neuen Continents wurde, stieg auch im Geiste ungeahnt gleichsam ein mächtiges Gebirge mit weithin herrschenden Gipfeln und einem Gewimmel von Vorbergen aus den Wogen der Zeit, die Schichten der Begriffe und Meinungen zerreißend und überstürzend, und die Gewässer in andere Canäle werfend. Damals raffte sich auch der Geist der Wissenschaft schnell aus dem tausendjährigen Schlummer auf, in dem er träumend mit der Weisheit des Alterthums gespielt, und wandte sich selbstständig der Naturbetrachtung zu. Auch das alte Räthsel, wie im Ablauf der Zeit auf dem Antlitz der Erde Alles so geworden, wie es vor Augen liegt, wurde bald Gegenstand der Forschung und der Speculation. Aber der Geist stieß hiebei sogleich auf die Schranke, die ihn auch in andern Richtungen gedämmt und zu ruhigerem Gange gezwungen hat: in den heiligen Büchern der Juden war der Hergang der Schöpfung geoffenbart, und alle möglichen Erklärungen schienen die einfach großartige Erzählung des Moses zur Grundlage nehmen zu müssen. – Man könnte sagen, nach jener raschen vulcanischen Erhebung der Ideen begann sogleich wieder, wie auch in der Natur, der sachte neptunische Entwicklungsgang, die langsam nagende und umbildende Wirkung der Gewässer. Der uralte Fels des mosaischen Begriffs sollte nicht titanisch zertrümmert, sondern allgemach aufgelöst und aus seinen Elementen ein neues Gebilde zusammengekittet werden.
Es ist aber merkwürdig, daß der geisteskräftige Charakter des feurigen sechzehnten Jahrhunderts auch in der geologischen Forschung wenigstens angedeutet ist. Man hatte hie und da bald den ächten Weg der unmittelbaren sinnlichen Beobachtung betreten, allerdings oft ohne noch zu ahnen, daß man beim Fortgang mit den biblischen Traditionen in Conflict gerathen könnte. Indessen wurden auch schon Ideen geäußert, welche sich noch drei Jahrhunderte lang keineswegs allgemeine Geltung verschaffen konnten. So bewies der Italiener Fracostoro gleich zu Anfang des 16ten Jahrhunderts, daß die in den Gebirgsschichten begrabenen fossilen Muscheln einst da, wo sie jetzt liegen, wirklich gelebt haben müssen. Die Sündfluth könne ihre Existenz nimmermehr erklären; diese sey ja vorübergehend gewesen und habe aus süßem Wasser bestanden; nun seyen aber jene Schalthiere offenbar Meeresbewohner gewesen, und eine schnell wieder ablaufende Fluth würde ihre Reste über die Oberfläche zerstreut, und sie nicht tief in die Erde begraben haben. Solche Ansichten sind überraschend, wenn man bedenkt, wie lange noch die bedeutendsten, geistreichsten Forscher sich vergeblich anstrengten, das mühsam Erhobene mit der Sündfluth in Einklang zu bringen. – Als eine große Erscheinung steht in diesem Jahrhundert der deutsche Gebirgsforscher Agricola da (geb. 1494). Er benützte frei die Kenntnisse der Alten und betrachtete die Natur mit ihrem Geiste, und seine Schriften sind ein reicher Schatz von geognostischen und physikalischen Kenntnissen. Die allgemeinen Vorstellungen des Zeitalters von der Constitution der Erdrinde waren übrigens noch sehr schwach und beschränkt; sehr langsam faßte man die Phänomene in ihrem sinnlichen Aspect, in ihrer Aufeinanderfolge und Verbreitung auf, und rückte den Punkten zu, wo ein ursachlicher Zusammenhang zwischen verwandten Erscheinungen und am Ende allgemeine Gesetzlichkeit zu erkennen war. – Die entscheidendsten Ansichten und Entdeckungen rühren aber von einem einzigen Manne her, der im siebzehnten Jahrhundert noch größer und isolirter dasteht, als Agricola im vorigen, und seinem Zeitalter weit vorausgeeilt ist, vom Dänen Stenon (geb. 1638). Dieser Mann sprach es zuerst bestimmt aus, daß die Erdrinde größtentheils aus parallel über einander aufgebauten Schichten besteht. Er begriff zuerst richtig, daß dergleichen Schichten, vollends wenn sie Fossilien enthalten, nicht anders entstanden seyn können, als so, wie wir noch jetzt die im Wasser suspendirten erdichten Materien sich niederschlagen sehen; und auf diese Weise dachte er sich nun, ganz nach den jetzigen Begriffen, die Hauptmasse der Erdrinde gebildet. Stenon schloß ferner aus der Verbreitung gewisser Substanzen, welche gewisse Schichten bilden, auf die einstige Verbreitung der Flüssigkeit, aus der sie sich niedergeschlagen, und kam so zu der Vorstellung, einerseits von allgemein verbreiteten Meeresbildungen, andrerseits von mehr nur localen Gebilden in Folge vom Austreten der Flüsse, vom Durchbruch aufgestauter Seen, von vulcanischen Eruptionen u. s. w. – lauter Ideen, welche erst ein ganzes Säculum später wieder aufgenommen wurden. – Wenn so Stenon die neptunistische Seite der Erdbildung scharf und im Allgemeinen ganz richtig auffaßte, und in dieser Beziehung manche Seite der Werner'schen Theorie divinirte, so übersah er auch klar den vulcanistischen Antheil und wurde der frühe, bedeutendste Vorläufer Leopold v. Buchs und Elie v. Beaumonts. Er bemerkte, daß die Schichten der Erdrinde keineswegs immer, ja in manchen Strichen sogar selten horizontal liegen; daß sie vielmehr sehr oft in allen Winkeln bis zum rechten aufgehoben, zerbrochen, gekrümmt, aufs vielfachste durch einander geworfen sind. Er sah richtig, daß dieses Moment mit den Bergen und Thälern in unmittelbarem ursachlichem Zusammenhang steht, daß die Schichten ursprünglich alle nahezu horizontal gelegen haben müssen: die fruchtbarste Wahrheit, welche noch so lange nachher verkannt worden ist. Da sich nun die Erdschichten so oft in Lagen zeigen, in denen sie ursprünglich nicht gebildet seyn können, so mußte er sich
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