Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Allgemeine Zeitung. Nr. 55. Augsburg, 24. Februar 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

gebahnt. *) Eisgänge, wie sie in früheren Jahren schon viel gewaltiger stattgefunden, haben in diesem sommerlichen Winter eine Revolution herbeigeführt, die gewissermaßen eine Andeutung der Natur zu seyn scheint, daß die Weichsel gegen den Osten auf ihrer Hut zu seyn habe; denn indem sie nach dieser Seite hin mit Macht ein neues Bett sich brach, hat sie einerseits mit demjenigen Weichselarme, der sich in das Frische Haff ergießt, und andrerseits mit ihrem eigenen ältern Flußbette, das jetzt die Mottlau allein durchströmt, zwei Inseln gebildet, die wie zur unüberwindlichen Vertheidigung der Strommündungen gemacht zu seyn scheinen. Danzig dagegen, das den großen Strom verloren hat, der sich nun zwei Meilen seitwärts ins Meer ergießt, büßt darum doch seine Vortheile als Hafenstadt nicht ein, denn die Mottlau fließt nach wie vor durch die Stadt in das Meer, und erhält die Verbindung der letztern mit der Weichsel, wenn auch jetzt vielleicht ein Canalbau nöthig wird, um in trockener Jahreszeit dem Mangel an Fahrwasser vorzubeugen. Die Stadt selbst scheint nicht unzufrieden zu seyn mit der neuen ans Wunderbare gränzenden Abschweifung der Weichsel, denn diese pflegte immer Ueberschwemmungen und große Schäden für Danzig herbeizuführen, so oft sie stark angeschwellt, oder mit der Gewalt des Eisganges von den Karpathen herkam; doch lassen sich wohl alle Folgen, die dieses Ereigniß für den Ort und seinen Handel haben wird, in diesem Augenblick noch nicht ermessen. Der in der Nehrung neu entstandene Arm der Weichsel und seine breite Mündung sollen übrigens vollkommen schiffbar und so bequem gelegen seyn, daß dadurch ein vor mehreren Jahren von einem bekannten Wasserbaumeister entworfener Plan zur Abkürzung des Weichsellaufes, dessen Ausführung über zwei Millionen Thaler gekostet hätte, von selbst und zwar ohne alle Kosten zur Wirklichkeit geworden ist. Eine ähnliche Revolution soll früher einmal mit dem Rhein vorgegangen seyn, dessen Lauf nach der Richtung, in welcher sich jetzt die Zuyder-See befindet, von Kundigen nachgewiesen wird, während er seit Jahrhunderten in Holland, statt geradeaus den Weg zu verfolgen, den er von Deutschland aus nimmt, links sich wendet, und Rotterdam zum Welthafen macht. Bei dieser Gelegenheit scheint die Bemerkung am rechten Orte, daß man hier zu Lande die Folgen des im vorigen Jahre mit Holland abgeschlossenen Handelstractats eben nicht sehr ersprießlich zu finden, und daß daher die Aussicht, diesen Tractat bei seinem Ablaufe prolongirt zu sehen, schon jetzt sich etwas zu trüben scheint. Wahrscheinlich werden jedoch die Herren Holländer noch zeitig genug einlenken, um nicht den Grund, auf welchem sie ihre jetzigen Handelsspeculationen bauen, wanken und den ganzen schönen Plan wieder einstürzen zu sehen. - Der in preußischen Diensten stehende Prinz August von Würtemberg, Bruder Sr. Maj. des Königs, ist zum Chef des Garde-Cuirassierregiments ernannt worden.

Rußland.

Was auch Gegentheiliges berichtet werden mag, es ist gewiß, daß die Rüstungen im russischen Nachbarlande ihren ungestörten Fortgang haben, und daß in diesem Augenblick wohl schon eine Heeresmacht von mehr als hunderttausend Mann der verschiedensten Truppengattungen in der Nähe der Häfen des schwarzen Meeres stationirt ist. Ob deren eventuelle Bestimmung ausschließlich Konstantinopel und Natolien sey, oder ob man auch für andere mögliche Conflicte genugsam vorbereitet seyn will, mag vorläufig dahingestellt bleiben; so viel ist nicht zu läugnen, daß man in Rußland selbst, und insbesondere in der Armee einen Feldzug für unvermeidlich hält. Vielleicht ist der Zug nach Khiwa, von dem man hier jetzt mit der höchsten Spannung Nachrichten erwartet, nur der erste Act eines größern Kriegsdrama's. Anzunehmen, daß diese gewaltigen Rüstungen gegen die immer noch nicht bezwungenen Tscherkessen gerichtet seyen, wie einige Blätter behauptet haben, ist thöricht, da in jenen coupirten Gebirgsgegenden ein eigener Charakter der Kriegführung nothwendig wird, der alle Entwickelung massenhafter Streitkräfte ausschließt. Ueberdieß wird dieser Kampf, trotz der Anstrengungen der HH. Bell und Consorten, für Rußland immer nur eine innere Angelegenheit bleiben, die geräuschlos, wie es die russische Politik liebt, ihrer Entwickelung entgegenschreitet, und niemals einigen Einfluß auf die auswärtigen Verhältnisse äußern wird. Wenn die Frankfurter O. P. A. Zeitung unlängst meldete: "Polnische Regimenter verwende man in diesem Kampfe nicht mehr gern, weil viele Einzelne diese Gelegenheit benutzten, um zum Feinde übergehen und gegen die russischen Adler kämpfen zu können," so muß darauf erwiedert werden, daß man polnischen Regimenter in diesem Kampfe schon aus dem Grunde nicht verwenden kann, weil es seit der Revolution keine polnischen Regimenter mehr gibt. Woher ferner die genannte Zeitung die Nachricht hat, daß nur der harte Winter abgewartet werde, um die Ergänzungstruppen aus dem Innern Rußlands, lauter junge Regimenter, an die Stelle derer einrücken zu lassen, welche aus dem Königreich Polen seit dem Sommer nach und nach dem Süden zugeschickt worden sind, möchten wir wohl wissen. Dergleichen Bestimmungen erfährt in Rußland kein Mensch vor der Ausführung; auch ist die Besatzung von Warschau und den polnischen Festungen keineswegs zu gering, um das Land unter den gegenwärtigen Verhältnissen vollständig zu decken. - Was französische, und nach ihnen deutsche Zeitungen über eine neuerdings in St. Petersburg stattgehabte Verschwörung, und eine in deren Folge ausgebrochene Feuersbrunst, im Publicum verbreitet, haben Sie mit Recht als gänzlich aus der Luft gegriffen bezeichnet. Woher sollten auch im Innern von Rußland jetzt Factionen entstehen, und worin eine Conspiration ihren Grund haben? Kaiser Nikolaus ist in seinem weiten Reiche durchaus populär, ja man kann sagen, er ist der Abgott des Volkes; denn er ist durch und durch Russe, und schmeichelt dem Nationalgefühl wie und wo er nur kann; dabei erhält er die Privilegien des Adels in ihrem ganzen Umfang aufrecht, und sichert sich dadurch die Anhänglichkeit der höhern Stände, die recht gut wissen, daß sie unter keinem Regenten ein besseres Loos zu gewärtigen haben, als unter ihrem jetzigen Czar. In Frankreich gehen die revolutionären Zuckungen von einer reizbaren, zahlreichen Mittelclasse aus; in Rußland gibt es aber eine solche Volksclasse fast noch gar nicht. Die französischen Blätter mögen sich daher beruhigen: an der Newa wird vor der Hand keine Revolution ausbrechen. Zweierlei ist es besonders, was zur Erweiterung und Festigung der Popularität des Kaisers wesentlich beiträgt: einmal seine Vorliebe für die russische Sprache, der er eine immer größere, sowohl conventionelle als litterarische Geltung zu verschaffen weiß, wodurch er zugleich der bis jetzt in Rußland so weit verbreiteten, dem ächten Russen aber verhaßten Ausländerei einen Damm entgegensetzt - freilich zumeist auf Kosten der deutschen und der polnischen Sprache, die immer mehr beschränkt werden - und dann seine Anhänglichkeit an die alte orthodoxe Kirche, der er erst unlängst die große Masse der unirten Griechen zugeführt hat, und die mit der Zeit die alleinherrschende im weiten Umfange des großen

*) Wir verweisen auf unsre umständlichen Berichte in der Allg. Zeitung vom 15 Febr.

gebahnt. *) Eisgänge, wie sie in früheren Jahren schon viel gewaltiger stattgefunden, haben in diesem sommerlichen Winter eine Revolution herbeigeführt, die gewissermaßen eine Andeutung der Natur zu seyn scheint, daß die Weichsel gegen den Osten auf ihrer Hut zu seyn habe; denn indem sie nach dieser Seite hin mit Macht ein neues Bett sich brach, hat sie einerseits mit demjenigen Weichselarme, der sich in das Frische Haff ergießt, und andrerseits mit ihrem eigenen ältern Flußbette, das jetzt die Mottlau allein durchströmt, zwei Inseln gebildet, die wie zur unüberwindlichen Vertheidigung der Strommündungen gemacht zu seyn scheinen. Danzig dagegen, das den großen Strom verloren hat, der sich nun zwei Meilen seitwärts ins Meer ergießt, büßt darum doch seine Vortheile als Hafenstadt nicht ein, denn die Mottlau fließt nach wie vor durch die Stadt in das Meer, und erhält die Verbindung der letztern mit der Weichsel, wenn auch jetzt vielleicht ein Canalbau nöthig wird, um in trockener Jahreszeit dem Mangel an Fahrwasser vorzubeugen. Die Stadt selbst scheint nicht unzufrieden zu seyn mit der neuen ans Wunderbare gränzenden Abschweifung der Weichsel, denn diese pflegte immer Ueberschwemmungen und große Schäden für Danzig herbeizuführen, so oft sie stark angeschwellt, oder mit der Gewalt des Eisganges von den Karpathen herkam; doch lassen sich wohl alle Folgen, die dieses Ereigniß für den Ort und seinen Handel haben wird, in diesem Augenblick noch nicht ermessen. Der in der Nehrung neu entstandene Arm der Weichsel und seine breite Mündung sollen übrigens vollkommen schiffbar und so bequem gelegen seyn, daß dadurch ein vor mehreren Jahren von einem bekannten Wasserbaumeister entworfener Plan zur Abkürzung des Weichsellaufes, dessen Ausführung über zwei Millionen Thaler gekostet hätte, von selbst und zwar ohne alle Kosten zur Wirklichkeit geworden ist. Eine ähnliche Revolution soll früher einmal mit dem Rhein vorgegangen seyn, dessen Lauf nach der Richtung, in welcher sich jetzt die Zuyder-See befindet, von Kundigen nachgewiesen wird, während er seit Jahrhunderten in Holland, statt geradeaus den Weg zu verfolgen, den er von Deutschland aus nimmt, links sich wendet, und Rotterdam zum Welthafen macht. Bei dieser Gelegenheit scheint die Bemerkung am rechten Orte, daß man hier zu Lande die Folgen des im vorigen Jahre mit Holland abgeschlossenen Handelstractats eben nicht sehr ersprießlich zu finden, und daß daher die Aussicht, diesen Tractat bei seinem Ablaufe prolongirt zu sehen, schon jetzt sich etwas zu trüben scheint. Wahrscheinlich werden jedoch die Herren Holländer noch zeitig genug einlenken, um nicht den Grund, auf welchem sie ihre jetzigen Handelsspeculationen bauen, wanken und den ganzen schönen Plan wieder einstürzen zu sehen. – Der in preußischen Diensten stehende Prinz August von Würtemberg, Bruder Sr. Maj. des Königs, ist zum Chef des Garde-Cuirassierregiments ernannt worden.

Rußland.

Was auch Gegentheiliges berichtet werden mag, es ist gewiß, daß die Rüstungen im russischen Nachbarlande ihren ungestörten Fortgang haben, und daß in diesem Augenblick wohl schon eine Heeresmacht von mehr als hunderttausend Mann der verschiedensten Truppengattungen in der Nähe der Häfen des schwarzen Meeres stationirt ist. Ob deren eventuelle Bestimmung ausschließlich Konstantinopel und Natolien sey, oder ob man auch für andere mögliche Conflicte genugsam vorbereitet seyn will, mag vorläufig dahingestellt bleiben; so viel ist nicht zu läugnen, daß man in Rußland selbst, und insbesondere in der Armee einen Feldzug für unvermeidlich hält. Vielleicht ist der Zug nach Khiwa, von dem man hier jetzt mit der höchsten Spannung Nachrichten erwartet, nur der erste Act eines größern Kriegsdrama's. Anzunehmen, daß diese gewaltigen Rüstungen gegen die immer noch nicht bezwungenen Tscherkessen gerichtet seyen, wie einige Blätter behauptet haben, ist thöricht, da in jenen coupirten Gebirgsgegenden ein eigener Charakter der Kriegführung nothwendig wird, der alle Entwickelung massenhafter Streitkräfte ausschließt. Ueberdieß wird dieser Kampf, trotz der Anstrengungen der HH. Bell und Consorten, für Rußland immer nur eine innere Angelegenheit bleiben, die geräuschlos, wie es die russische Politik liebt, ihrer Entwickelung entgegenschreitet, und niemals einigen Einfluß auf die auswärtigen Verhältnisse äußern wird. Wenn die Frankfurter O. P. A. Zeitung unlängst meldete: „Polnische Regimenter verwende man in diesem Kampfe nicht mehr gern, weil viele Einzelne diese Gelegenheit benutzten, um zum Feinde übergehen und gegen die russischen Adler kämpfen zu können,“ so muß darauf erwiedert werden, daß man polnischen Regimenter in diesem Kampfe schon aus dem Grunde nicht verwenden kann, weil es seit der Revolution keine polnischen Regimenter mehr gibt. Woher ferner die genannte Zeitung die Nachricht hat, daß nur der harte Winter abgewartet werde, um die Ergänzungstruppen aus dem Innern Rußlands, lauter junge Regimenter, an die Stelle derer einrücken zu lassen, welche aus dem Königreich Polen seit dem Sommer nach und nach dem Süden zugeschickt worden sind, möchten wir wohl wissen. Dergleichen Bestimmungen erfährt in Rußland kein Mensch vor der Ausführung; auch ist die Besatzung von Warschau und den polnischen Festungen keineswegs zu gering, um das Land unter den gegenwärtigen Verhältnissen vollständig zu decken. – Was französische, und nach ihnen deutsche Zeitungen über eine neuerdings in St. Petersburg stattgehabte Verschwörung, und eine in deren Folge ausgebrochene Feuersbrunst, im Publicum verbreitet, haben Sie mit Recht als gänzlich aus der Luft gegriffen bezeichnet. Woher sollten auch im Innern von Rußland jetzt Factionen entstehen, und worin eine Conspiration ihren Grund haben? Kaiser Nikolaus ist in seinem weiten Reiche durchaus populär, ja man kann sagen, er ist der Abgott des Volkes; denn er ist durch und durch Russe, und schmeichelt dem Nationalgefühl wie und wo er nur kann; dabei erhält er die Privilegien des Adels in ihrem ganzen Umfang aufrecht, und sichert sich dadurch die Anhänglichkeit der höhern Stände, die recht gut wissen, daß sie unter keinem Regenten ein besseres Loos zu gewärtigen haben, als unter ihrem jetzigen Czar. In Frankreich gehen die revolutionären Zuckungen von einer reizbaren, zahlreichen Mittelclasse aus; in Rußland gibt es aber eine solche Volksclasse fast noch gar nicht. Die französischen Blätter mögen sich daher beruhigen: an der Newa wird vor der Hand keine Revolution ausbrechen. Zweierlei ist es besonders, was zur Erweiterung und Festigung der Popularität des Kaisers wesentlich beiträgt: einmal seine Vorliebe für die russische Sprache, der er eine immer größere, sowohl conventionelle als litterarische Geltung zu verschaffen weiß, wodurch er zugleich der bis jetzt in Rußland so weit verbreiteten, dem ächten Russen aber verhaßten Ausländerei einen Damm entgegensetzt – freilich zumeist auf Kosten der deutschen und der polnischen Sprache, die immer mehr beschränkt werden – und dann seine Anhänglichkeit an die alte orthodoxe Kirche, der er erst unlängst die große Masse der unirten Griechen zugeführt hat, und die mit der Zeit die alleinherrschende im weiten Umfange des großen

*) Wir verweisen auf unsre umständlichen Berichte in der Allg. Zeitung vom 15 Febr.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="jArticle" n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0013" n="0437"/>
gebahnt. <note place="foot" n="*)">Wir verweisen auf unsre umständlichen Berichte in der Allg. Zeitung vom 15 Febr.</note> Eisgänge, wie sie in früheren Jahren schon viel gewaltiger stattgefunden, haben in diesem sommerlichen Winter eine Revolution herbeigeführt, die gewissermaßen eine Andeutung der Natur zu seyn scheint, daß die Weichsel gegen den Osten auf ihrer Hut zu seyn habe; denn indem sie nach dieser Seite hin mit Macht ein neues Bett sich brach, hat sie einerseits mit demjenigen Weichselarme, der sich in das Frische Haff ergießt, und andrerseits mit ihrem eigenen ältern Flußbette, das jetzt die Mottlau allein durchströmt, zwei Inseln gebildet, die wie zur unüberwindlichen Vertheidigung der Strommündungen gemacht zu seyn scheinen. Danzig dagegen, das den großen Strom verloren hat, der sich nun zwei Meilen seitwärts ins Meer ergießt, büßt darum doch seine Vortheile als Hafenstadt nicht ein, denn die Mottlau fließt nach wie vor durch die Stadt in das Meer, und erhält die Verbindung der letztern mit der Weichsel, wenn auch jetzt vielleicht ein Canalbau nöthig wird, um in trockener Jahreszeit dem Mangel an Fahrwasser vorzubeugen. Die Stadt selbst scheint nicht unzufrieden zu seyn mit der neuen ans Wunderbare gränzenden Abschweifung der Weichsel, denn diese pflegte immer Ueberschwemmungen und große Schäden für Danzig herbeizuführen, so oft sie stark angeschwellt, oder mit der Gewalt des Eisganges von den Karpathen herkam; doch lassen sich wohl alle Folgen, die dieses Ereigniß für den Ort und seinen Handel haben wird, in diesem Augenblick noch nicht ermessen. Der in der Nehrung neu entstandene Arm der Weichsel und seine breite Mündung sollen übrigens vollkommen schiffbar und so bequem gelegen seyn, daß dadurch ein vor mehreren Jahren von einem bekannten Wasserbaumeister entworfener Plan zur Abkürzung des Weichsellaufes, dessen Ausführung über zwei Millionen Thaler gekostet hätte, von selbst und zwar ohne alle Kosten zur Wirklichkeit geworden ist. Eine ähnliche Revolution soll früher einmal mit dem Rhein vorgegangen seyn, dessen Lauf nach der Richtung, in welcher sich jetzt die Zuyder-See befindet, von Kundigen nachgewiesen wird, während er seit Jahrhunderten in Holland, statt geradeaus den Weg zu verfolgen, den er von Deutschland aus nimmt, links sich wendet, und Rotterdam zum Welthafen macht. Bei dieser Gelegenheit scheint die Bemerkung am rechten Orte, daß man hier zu Lande die Folgen des im vorigen Jahre mit Holland abgeschlossenen Handelstractats eben nicht sehr ersprießlich zu finden, und daß daher die Aussicht, diesen Tractat bei seinem Ablaufe prolongirt zu sehen, schon jetzt sich etwas zu trüben scheint. Wahrscheinlich werden jedoch die Herren Holländer noch zeitig genug einlenken, um nicht den Grund, auf welchem sie ihre jetzigen Handelsspeculationen bauen, wanken und den ganzen schönen Plan wieder einstürzen zu sehen. &#x2013; Der in preußischen Diensten stehende Prinz August von Würtemberg, Bruder Sr. Maj. des Königs, ist zum Chef des Garde-Cuirassierregiments ernannt worden.</p><lb/>
        </div>
      </div>
      <div type="jArticle" n="1">
        <head> <hi rendition="#b">Rußland.</hi> </head><lb/>
        <div n="2">
          <byline>
            <docAuthor>
              <gap reason="insignificant"/>
            </docAuthor>
          </byline>
          <dateline><hi rendition="#b">Von der polnischen Gränze,</hi> 15 Febr.</dateline>
          <p> Was auch Gegentheiliges berichtet werden mag, es ist gewiß, daß die Rüstungen im russischen Nachbarlande ihren ungestörten Fortgang haben, und daß in diesem Augenblick wohl schon eine Heeresmacht von mehr als hunderttausend Mann der verschiedensten Truppengattungen in der Nähe der Häfen des schwarzen Meeres stationirt ist. Ob deren eventuelle Bestimmung ausschließlich Konstantinopel und Natolien sey, oder ob man auch für andere mögliche Conflicte genugsam vorbereitet seyn will, mag vorläufig dahingestellt bleiben; so viel ist nicht zu läugnen, daß man in Rußland selbst, und insbesondere in der Armee einen Feldzug für unvermeidlich hält. Vielleicht ist der Zug nach Khiwa, von dem man hier jetzt mit der höchsten Spannung Nachrichten erwartet, nur der erste Act eines größern Kriegsdrama's. Anzunehmen, daß diese gewaltigen Rüstungen gegen die immer noch nicht bezwungenen Tscherkessen gerichtet seyen, wie einige Blätter behauptet haben, ist thöricht, da in jenen coupirten Gebirgsgegenden ein eigener Charakter der Kriegführung nothwendig wird, der alle Entwickelung massenhafter Streitkräfte ausschließt. Ueberdieß wird dieser Kampf, trotz der Anstrengungen der HH. Bell und Consorten, für Rußland immer nur eine innere Angelegenheit bleiben, die geräuschlos, wie es die russische Politik liebt, ihrer Entwickelung entgegenschreitet, und niemals einigen Einfluß auf die auswärtigen Verhältnisse äußern wird. Wenn die Frankfurter O. P. A. Zeitung unlängst meldete: &#x201E;Polnische Regimenter verwende man in diesem Kampfe nicht mehr gern, weil viele Einzelne diese Gelegenheit benutzten, um zum Feinde übergehen und gegen die russischen Adler kämpfen zu können,&#x201C; so muß darauf erwiedert werden, daß man polnischen Regimenter in diesem Kampfe schon aus dem Grunde nicht verwenden kann, weil es seit der Revolution keine polnischen Regimenter mehr gibt. Woher ferner die genannte Zeitung die Nachricht hat, daß nur der harte Winter abgewartet werde, um die Ergänzungstruppen aus dem Innern Rußlands, lauter junge Regimenter, an die Stelle derer einrücken zu lassen, welche aus dem Königreich Polen seit dem Sommer nach und nach dem Süden zugeschickt worden sind, möchten wir wohl wissen. Dergleichen Bestimmungen erfährt in Rußland kein Mensch vor der Ausführung; auch ist die Besatzung von Warschau und den polnischen Festungen keineswegs zu gering, um das Land unter den gegenwärtigen Verhältnissen vollständig zu decken. &#x2013; Was französische, und nach ihnen deutsche Zeitungen über eine neuerdings in St. Petersburg stattgehabte Verschwörung, und eine in deren Folge ausgebrochene Feuersbrunst, im Publicum verbreitet, haben Sie mit Recht als gänzlich aus der Luft gegriffen bezeichnet. Woher sollten auch im Innern von Rußland jetzt Factionen entstehen, und worin eine Conspiration ihren Grund haben? Kaiser Nikolaus ist in seinem weiten Reiche durchaus populär, ja man kann sagen, er ist der Abgott des Volkes; denn er ist durch und durch Russe, und schmeichelt dem Nationalgefühl wie und wo er nur kann; dabei erhält er die Privilegien des Adels in ihrem ganzen Umfang aufrecht, und sichert sich dadurch die Anhänglichkeit der höhern Stände, die recht gut wissen, daß sie unter keinem Regenten ein besseres Loos zu gewärtigen haben, als unter ihrem jetzigen Czar. In Frankreich gehen die revolutionären Zuckungen von einer reizbaren, zahlreichen Mittelclasse aus; in Rußland gibt es aber eine solche Volksclasse fast noch gar nicht. Die französischen Blätter mögen sich daher beruhigen: an der Newa wird vor der Hand keine Revolution ausbrechen. Zweierlei ist es besonders, was zur Erweiterung und Festigung der Popularität des Kaisers wesentlich beiträgt: einmal seine Vorliebe für die russische Sprache, der er eine immer größere, sowohl conventionelle als litterarische Geltung zu verschaffen weiß, wodurch er zugleich der bis jetzt in Rußland so weit verbreiteten, dem ächten Russen aber verhaßten Ausländerei einen Damm entgegensetzt &#x2013; freilich zumeist auf Kosten der deutschen und der polnischen Sprache, die immer mehr beschränkt werden &#x2013; und dann seine Anhänglichkeit an die alte orthodoxe Kirche, der er erst unlängst die große Masse der unirten Griechen zugeführt hat, und die mit der Zeit die alleinherrschende im weiten Umfange des großen<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0437/0013] gebahnt. *) Eisgänge, wie sie in früheren Jahren schon viel gewaltiger stattgefunden, haben in diesem sommerlichen Winter eine Revolution herbeigeführt, die gewissermaßen eine Andeutung der Natur zu seyn scheint, daß die Weichsel gegen den Osten auf ihrer Hut zu seyn habe; denn indem sie nach dieser Seite hin mit Macht ein neues Bett sich brach, hat sie einerseits mit demjenigen Weichselarme, der sich in das Frische Haff ergießt, und andrerseits mit ihrem eigenen ältern Flußbette, das jetzt die Mottlau allein durchströmt, zwei Inseln gebildet, die wie zur unüberwindlichen Vertheidigung der Strommündungen gemacht zu seyn scheinen. Danzig dagegen, das den großen Strom verloren hat, der sich nun zwei Meilen seitwärts ins Meer ergießt, büßt darum doch seine Vortheile als Hafenstadt nicht ein, denn die Mottlau fließt nach wie vor durch die Stadt in das Meer, und erhält die Verbindung der letztern mit der Weichsel, wenn auch jetzt vielleicht ein Canalbau nöthig wird, um in trockener Jahreszeit dem Mangel an Fahrwasser vorzubeugen. Die Stadt selbst scheint nicht unzufrieden zu seyn mit der neuen ans Wunderbare gränzenden Abschweifung der Weichsel, denn diese pflegte immer Ueberschwemmungen und große Schäden für Danzig herbeizuführen, so oft sie stark angeschwellt, oder mit der Gewalt des Eisganges von den Karpathen herkam; doch lassen sich wohl alle Folgen, die dieses Ereigniß für den Ort und seinen Handel haben wird, in diesem Augenblick noch nicht ermessen. Der in der Nehrung neu entstandene Arm der Weichsel und seine breite Mündung sollen übrigens vollkommen schiffbar und so bequem gelegen seyn, daß dadurch ein vor mehreren Jahren von einem bekannten Wasserbaumeister entworfener Plan zur Abkürzung des Weichsellaufes, dessen Ausführung über zwei Millionen Thaler gekostet hätte, von selbst und zwar ohne alle Kosten zur Wirklichkeit geworden ist. Eine ähnliche Revolution soll früher einmal mit dem Rhein vorgegangen seyn, dessen Lauf nach der Richtung, in welcher sich jetzt die Zuyder-See befindet, von Kundigen nachgewiesen wird, während er seit Jahrhunderten in Holland, statt geradeaus den Weg zu verfolgen, den er von Deutschland aus nimmt, links sich wendet, und Rotterdam zum Welthafen macht. Bei dieser Gelegenheit scheint die Bemerkung am rechten Orte, daß man hier zu Lande die Folgen des im vorigen Jahre mit Holland abgeschlossenen Handelstractats eben nicht sehr ersprießlich zu finden, und daß daher die Aussicht, diesen Tractat bei seinem Ablaufe prolongirt zu sehen, schon jetzt sich etwas zu trüben scheint. Wahrscheinlich werden jedoch die Herren Holländer noch zeitig genug einlenken, um nicht den Grund, auf welchem sie ihre jetzigen Handelsspeculationen bauen, wanken und den ganzen schönen Plan wieder einstürzen zu sehen. – Der in preußischen Diensten stehende Prinz August von Würtemberg, Bruder Sr. Maj. des Königs, ist zum Chef des Garde-Cuirassierregiments ernannt worden. Rußland. _ Von der polnischen Gränze, 15 Febr. Was auch Gegentheiliges berichtet werden mag, es ist gewiß, daß die Rüstungen im russischen Nachbarlande ihren ungestörten Fortgang haben, und daß in diesem Augenblick wohl schon eine Heeresmacht von mehr als hunderttausend Mann der verschiedensten Truppengattungen in der Nähe der Häfen des schwarzen Meeres stationirt ist. Ob deren eventuelle Bestimmung ausschließlich Konstantinopel und Natolien sey, oder ob man auch für andere mögliche Conflicte genugsam vorbereitet seyn will, mag vorläufig dahingestellt bleiben; so viel ist nicht zu läugnen, daß man in Rußland selbst, und insbesondere in der Armee einen Feldzug für unvermeidlich hält. Vielleicht ist der Zug nach Khiwa, von dem man hier jetzt mit der höchsten Spannung Nachrichten erwartet, nur der erste Act eines größern Kriegsdrama's. Anzunehmen, daß diese gewaltigen Rüstungen gegen die immer noch nicht bezwungenen Tscherkessen gerichtet seyen, wie einige Blätter behauptet haben, ist thöricht, da in jenen coupirten Gebirgsgegenden ein eigener Charakter der Kriegführung nothwendig wird, der alle Entwickelung massenhafter Streitkräfte ausschließt. Ueberdieß wird dieser Kampf, trotz der Anstrengungen der HH. Bell und Consorten, für Rußland immer nur eine innere Angelegenheit bleiben, die geräuschlos, wie es die russische Politik liebt, ihrer Entwickelung entgegenschreitet, und niemals einigen Einfluß auf die auswärtigen Verhältnisse äußern wird. Wenn die Frankfurter O. P. A. Zeitung unlängst meldete: „Polnische Regimenter verwende man in diesem Kampfe nicht mehr gern, weil viele Einzelne diese Gelegenheit benutzten, um zum Feinde übergehen und gegen die russischen Adler kämpfen zu können,“ so muß darauf erwiedert werden, daß man polnischen Regimenter in diesem Kampfe schon aus dem Grunde nicht verwenden kann, weil es seit der Revolution keine polnischen Regimenter mehr gibt. Woher ferner die genannte Zeitung die Nachricht hat, daß nur der harte Winter abgewartet werde, um die Ergänzungstruppen aus dem Innern Rußlands, lauter junge Regimenter, an die Stelle derer einrücken zu lassen, welche aus dem Königreich Polen seit dem Sommer nach und nach dem Süden zugeschickt worden sind, möchten wir wohl wissen. Dergleichen Bestimmungen erfährt in Rußland kein Mensch vor der Ausführung; auch ist die Besatzung von Warschau und den polnischen Festungen keineswegs zu gering, um das Land unter den gegenwärtigen Verhältnissen vollständig zu decken. – Was französische, und nach ihnen deutsche Zeitungen über eine neuerdings in St. Petersburg stattgehabte Verschwörung, und eine in deren Folge ausgebrochene Feuersbrunst, im Publicum verbreitet, haben Sie mit Recht als gänzlich aus der Luft gegriffen bezeichnet. Woher sollten auch im Innern von Rußland jetzt Factionen entstehen, und worin eine Conspiration ihren Grund haben? Kaiser Nikolaus ist in seinem weiten Reiche durchaus populär, ja man kann sagen, er ist der Abgott des Volkes; denn er ist durch und durch Russe, und schmeichelt dem Nationalgefühl wie und wo er nur kann; dabei erhält er die Privilegien des Adels in ihrem ganzen Umfang aufrecht, und sichert sich dadurch die Anhänglichkeit der höhern Stände, die recht gut wissen, daß sie unter keinem Regenten ein besseres Loos zu gewärtigen haben, als unter ihrem jetzigen Czar. In Frankreich gehen die revolutionären Zuckungen von einer reizbaren, zahlreichen Mittelclasse aus; in Rußland gibt es aber eine solche Volksclasse fast noch gar nicht. Die französischen Blätter mögen sich daher beruhigen: an der Newa wird vor der Hand keine Revolution ausbrechen. Zweierlei ist es besonders, was zur Erweiterung und Festigung der Popularität des Kaisers wesentlich beiträgt: einmal seine Vorliebe für die russische Sprache, der er eine immer größere, sowohl conventionelle als litterarische Geltung zu verschaffen weiß, wodurch er zugleich der bis jetzt in Rußland so weit verbreiteten, dem ächten Russen aber verhaßten Ausländerei einen Damm entgegensetzt – freilich zumeist auf Kosten der deutschen und der polnischen Sprache, die immer mehr beschränkt werden – und dann seine Anhänglichkeit an die alte orthodoxe Kirche, der er erst unlängst die große Masse der unirten Griechen zugeführt hat, und die mit der Zeit die alleinherrschende im weiten Umfange des großen *) Wir verweisen auf unsre umständlichen Berichte in der Allg. Zeitung vom 15 Febr.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Deutsches Textarchiv: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-06-28T11:37:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-28T11:37:15Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: Lautwert transkribiert; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: gekennzeichnet; Kustoden: gekennzeichnet; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: Lautwert transkribiert; Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert; Vollständigkeit: teilweise erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_055_18400224
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_055_18400224/13
Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 55. Augsburg, 24. Februar 1840, S. 0437. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_055_18400224/13>, abgerufen am 21.11.2024.