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Allgemeine Zeitung. Nr. 43. Augsburg, 12. Februar 1840.

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einer ausländischen Macht gegenüber, welche sie auch sey, ein anderes Gesetz als das seines eigenen freien Willens, ein anderes Vaterland als sein eignes, das seiner Sprache, seiner Geschichte anerkennte; so einfach diese Grundsätze sind, so wenig sie irgend eines Beweises, und einer neuen Darlegung bedürfen, so erkennen wir in ihnen doch zugleich so viel poetisches Element, daß man wohl einige Hyperbeln und allegorische Verirrungen bei ihrer nähern Erörterung zu gut halten mag. In einem Streite, in welchem in letzter Instanz die Stärke und die Kraft entscheiden, ist es kein Uebel, daß man von dem Gefühle seines Werthes voll sey, denn dieses Bewußtseyn erzeugt Muth und Stolz, und eine Nation kann deren nie zu viel haben. Niemand läugnet unserm lieben Deutschland die erste der beiden Tugenden, wer aber hat ihm nicht von jeher ein reicheres Maaß der zweiten gewünscht? Indessen es reicht in politischen Dingen und den heutigen Völkerverhältnissen nicht hin, einen im Allgemeinen wahren Satz ausgesprochen zu haben, wir verlangen die praktische Anwendung auf den gegebenen Fall, nur darin liegt seine Bedeutung und sein Werth. Waren die Kammerreden von Thiers und Lamartine wirklich der Art, daß sie jenen deutsch-patriotischen Erguß, jenen drohenden Fehde-Handschuh rechtfertigten? Ich glaube nicht, und ich fürchte, daß man den deutschen Erwiederungen ein wenig denselben Vorwurf machen kann, den wir bisher oft den Franzosen gemacht haben: sie sind von der Idee der "natürlichen Gränzen" d. h. wir Deutschen sind von der angeblichen Eroberungssucht der Franzosen so verfolgt, daß wir sie überall hervortreten, den Dämon überall spuken sehen, und die geringste Rede für eine wirkliche Gefahr betrachten. Erstens, ist Hr. Lamartine ein in der Politik so armseliger Kopf, ein so hohler Träumer, daß sein Für oder Gegen in dem europäischen Staatenrecht auch nicht einen Deut gilt. Sie wollen wissen, welchen Werth Sie auf seine französisch-deutsche Staatensymmetrie zu legen haben? Sehen Sie, was er über den Orient in seinem unfruchtbaren Gehirn ausgeheckt hat. Seine Politik ist lyrische Phantasie, und seine Völkerabtheilung, wie überhaupt seine ganze Philosophie, eine sterile Schwangerschaft; lassen Sie den Maconnischen Poeten seinen Wein verkaufen, denn Gedichte macht er nur noch auf dem Rednerstuhl des Palais Bourbon, und achten Sie ferner auf seine Worte nicht mehr als man hier thut, d. h. mit einem achselzuckenden Lächeln. Aber Thiers? Glauben Sie wirklich, daß Thiers im Sinn gehabt habe, einen hochpolitischen Plan der Wiedereroberung der Rheingränze dareinzulegen? Vergessen Sie nicht, daß Hr. Thiers, den man jetzt so kriegerisch und umwälzend findet, als Minister stets die Aufrechthaltung der Verträge von 1815 gegen Alle und Jede vertheidigt hat. Hr. Thiers bedurfte, als Licht und Schatten seines Vortrags, einiges volksthümlichen Nachhalles und der großen Phrasen, die in der kriegerischen Erinnerung der Nation leben; er wollte die Solidarität, die enge Gemeinschaft nachweisen, die zwischen ihm, seinen Grundsätzen und Frankreich bestehen; er wollte nicht bloß Frankreich, er wollte Deutschland und ganz Europa von sich reden machen, und siehe da, es ist ihm gelungen; bedarf es eines andern Beweises, als der ehrwerthen Antworten, denen diese Zeilen selbst zur Erwiederung dienen? Geben Sie Hrn. Thiers ein Ministerium, und von morgen an wird er officiell den Grundsatz aussprechen, daß Frankreich so wenig als irgend ein andres Land das Recht hat, fremde Nationalitäten anzutasten, ja, er wird vielleicht beifügen, daß Frankreich zu seiner Würde und zu vollständiger Entwickelung seiner Macht einen fernern Länderzuwachs nicht nöthig hat - eine Ansicht, die hier von bei weitem mehr vernünftigen Leuten getheilt wird, als man sich in Deutschland vorstellt.

Zweitens: die französischen Redner haben überall nicht von einer gewaltsamen Wegnahme des linken Rheinufers, von einer Eroberung dieses Landes, von dessen gezwungener Einverleibung mit Frankreich gesprochen. Lamartine hofft die "natürlichen Gränzen" Frankreichs in Folge seiner leoninischen Theilung des Orientes, Thiers erwartet sie von dem natürlichen Laufe der Politik und der Nothwendigkeit gemäß; beide gehen von der absoluten Ueberzeugung aus, daß Frankreich nur die Arme zu öffnen brauche, damit die Rheinprovinzen sich hineinwerfen, und daß es somit keiner andern Eroberung bedürfe, als jener, welche die Glorie und die Ehre Frankreichs, die Größe seiner politischen Stellung, seiner Civilisation, seiner Gesetze und Institutionen, seine Freiheit bereits längst über jene Länder vollbracht haben. Vielleicht ist dieses Selbstgefühl noch ein wenig impertinenter als die prahlerische Unterstellung, daß nichts den französischen Waffen widerstehen könne, aber mindestens muß man bekennen, daß eine solche Bewerbung, eine solche politische Proselytenmacherei gegen den völkerrechtlichen Katechismus nicht mehr verstößt. Die Franzosen lassen sich durch die Poesie ihrer Eitelkeit hinreißen, sie überschätzen sich in frevler Selbstvergötterung. "Alles was sie den Rheinprovinzen bieten können, wiegt nicht auf, was diese haben, und was sie in dem vorgeschlagenen Tausch verlieren könnten." Gut! das ist die Antwort, welche sich hier ganz natürlich darbietet, das ist der Beweis, den man dem fremden Bewerber mit siegreichem Uebergewichte entgegenhalten möge, und die Ruhe Deutschlands, und die Freundlichkeit der Zeitungspolemik wird auf keine Weise weiter gestört werden. Wie sollten sie es? Dem bewaffneten Angriff wird eine mächtige, durch Eintracht und brüderliche Uebereinstimmung, durch innere Einheit und Gleichheit der Interessen erstarkte und unüberwindliche Nation von 50 Millionen die gebührende Antwort geben. Ich denke wohl, dieß sind die bewährten Voraussetzungen, auf welche Ihr Correspondent des antiken: "Ihr wollt unsre Waffen, kommt und holt sie" seine stolze Zuversicht gebaut hat! Den schmeichelnden Ueberredungskünsten der politischen Brautwerberei Frankreichs aber würden Deutschland und die betheiligten Provinzen das Bild ihrer eigenen politischen und socialen Vortheile entgegenhalten und antworten: ihr könnt uns nichts Besseres bieten; ihr seyd nicht reich genug, um uns zu verführen...! Ich gehe nicht weiter: dem fühlenden und sein Vaterland liebenden Deutschen wird auch ohne unsre schwache Zuthat klar seyn, daß hier ein weites Feld der Betrachtungen geöffnet ist. Die leise Behutsamkeit, mit welcher der Verfasser des Aufsatzes: "der Orient und die französischen Kammerdebatten" in der Beilage vom 29 Jan., über diesen glatten Eisboden hingeglitten ist, hat mich zur Genüge gewarnt, daß es vergebliches Unternehmen seyn würde, auf diesem verpönten Gebiete einen freien Schritt thun, der Fülle des Herzens eine wohlthätige Schleuße öffnen zu wollen. Aber wo das Wort nicht mehr hinreicht, bahnt die Phantasie sich leicht den Weg, und die Vaterlandsliebe wie jede andere Liebe hat das instinctmäßige Bewußtseyn ihrer Gefahr. Wie freudig äußern wir unsere volle und dankbare Sympathie für die bedeutungsvollen, liebenden und warnenden Worte, die Ihr eben erwähnter Correspondent seinem Lande in seiner Nachschrift zuruft, die, wie es ja häufig in Briefen geschieht, unendlich mehr werth ist, als die Hauptschrift selbst, was denn auch im Vorbeigehen beweist, daß er nicht allein ein solider Patriot, sondern auch ein gewandter Dialektiker ist, der enthüllt, wo andere verbergen, und dessen Noten selbst ohne Text zu beherzigen sind.

einer ausländischen Macht gegenüber, welche sie auch sey, ein anderes Gesetz als das seines eigenen freien Willens, ein anderes Vaterland als sein eignes, das seiner Sprache, seiner Geschichte anerkennte; so einfach diese Grundsätze sind, so wenig sie irgend eines Beweises, und einer neuen Darlegung bedürfen, so erkennen wir in ihnen doch zugleich so viel poetisches Element, daß man wohl einige Hyperbeln und allegorische Verirrungen bei ihrer nähern Erörterung zu gut halten mag. In einem Streite, in welchem in letzter Instanz die Stärke und die Kraft entscheiden, ist es kein Uebel, daß man von dem Gefühle seines Werthes voll sey, denn dieses Bewußtseyn erzeugt Muth und Stolz, und eine Nation kann deren nie zu viel haben. Niemand läugnet unserm lieben Deutschland die erste der beiden Tugenden, wer aber hat ihm nicht von jeher ein reicheres Maaß der zweiten gewünscht? Indessen es reicht in politischen Dingen und den heutigen Völkerverhältnissen nicht hin, einen im Allgemeinen wahren Satz ausgesprochen zu haben, wir verlangen die praktische Anwendung auf den gegebenen Fall, nur darin liegt seine Bedeutung und sein Werth. Waren die Kammerreden von Thiers und Lamartine wirklich der Art, daß sie jenen deutsch-patriotischen Erguß, jenen drohenden Fehde-Handschuh rechtfertigten? Ich glaube nicht, und ich fürchte, daß man den deutschen Erwiederungen ein wenig denselben Vorwurf machen kann, den wir bisher oft den Franzosen gemacht haben: sie sind von der Idee der „natürlichen Gränzen“ d. h. wir Deutschen sind von der angeblichen Eroberungssucht der Franzosen so verfolgt, daß wir sie überall hervortreten, den Dämon überall spuken sehen, und die geringste Rede für eine wirkliche Gefahr betrachten. Erstens, ist Hr. Lamartine ein in der Politik so armseliger Kopf, ein so hohler Träumer, daß sein Für oder Gegen in dem europäischen Staatenrecht auch nicht einen Deut gilt. Sie wollen wissen, welchen Werth Sie auf seine französisch-deutsche Staatensymmetrie zu legen haben? Sehen Sie, was er über den Orient in seinem unfruchtbaren Gehirn ausgeheckt hat. Seine Politik ist lyrische Phantasie, und seine Völkerabtheilung, wie überhaupt seine ganze Philosophie, eine sterile Schwangerschaft; lassen Sie den Maconnischen Poeten seinen Wein verkaufen, denn Gedichte macht er nur noch auf dem Rednerstuhl des Palais Bourbon, und achten Sie ferner auf seine Worte nicht mehr als man hier thut, d. h. mit einem achselzuckenden Lächeln. Aber Thiers? Glauben Sie wirklich, daß Thiers im Sinn gehabt habe, einen hochpolitischen Plan der Wiedereroberung der Rheingränze dareinzulegen? Vergessen Sie nicht, daß Hr. Thiers, den man jetzt so kriegerisch und umwälzend findet, als Minister stets die Aufrechthaltung der Verträge von 1815 gegen Alle und Jede vertheidigt hat. Hr. Thiers bedurfte, als Licht und Schatten seines Vortrags, einiges volksthümlichen Nachhalles und der großen Phrasen, die in der kriegerischen Erinnerung der Nation leben; er wollte die Solidarität, die enge Gemeinschaft nachweisen, die zwischen ihm, seinen Grundsätzen und Frankreich bestehen; er wollte nicht bloß Frankreich, er wollte Deutschland und ganz Europa von sich reden machen, und siehe da, es ist ihm gelungen; bedarf es eines andern Beweises, als der ehrwerthen Antworten, denen diese Zeilen selbst zur Erwiederung dienen? Geben Sie Hrn. Thiers ein Ministerium, und von morgen an wird er officiell den Grundsatz aussprechen, daß Frankreich so wenig als irgend ein andres Land das Recht hat, fremde Nationalitäten anzutasten, ja, er wird vielleicht beifügen, daß Frankreich zu seiner Würde und zu vollständiger Entwickelung seiner Macht einen fernern Länderzuwachs nicht nöthig hat – eine Ansicht, die hier von bei weitem mehr vernünftigen Leuten getheilt wird, als man sich in Deutschland vorstellt.

Zweitens: die französischen Redner haben überall nicht von einer gewaltsamen Wegnahme des linken Rheinufers, von einer Eroberung dieses Landes, von dessen gezwungener Einverleibung mit Frankreich gesprochen. Lamartine hofft die „natürlichen Gränzen“ Frankreichs in Folge seiner leoninischen Theilung des Orientes, Thiers erwartet sie von dem natürlichen Laufe der Politik und der Nothwendigkeit gemäß; beide gehen von der absoluten Ueberzeugung aus, daß Frankreich nur die Arme zu öffnen brauche, damit die Rheinprovinzen sich hineinwerfen, und daß es somit keiner andern Eroberung bedürfe, als jener, welche die Glorie und die Ehre Frankreichs, die Größe seiner politischen Stellung, seiner Civilisation, seiner Gesetze und Institutionen, seine Freiheit bereits längst über jene Länder vollbracht haben. Vielleicht ist dieses Selbstgefühl noch ein wenig impertinenter als die prahlerische Unterstellung, daß nichts den französischen Waffen widerstehen könne, aber mindestens muß man bekennen, daß eine solche Bewerbung, eine solche politische Proselytenmacherei gegen den völkerrechtlichen Katechismus nicht mehr verstößt. Die Franzosen lassen sich durch die Poesie ihrer Eitelkeit hinreißen, sie überschätzen sich in frevler Selbstvergötterung. „Alles was sie den Rheinprovinzen bieten können, wiegt nicht auf, was diese haben, und was sie in dem vorgeschlagenen Tausch verlieren könnten.“ Gut! das ist die Antwort, welche sich hier ganz natürlich darbietet, das ist der Beweis, den man dem fremden Bewerber mit siegreichem Uebergewichte entgegenhalten möge, und die Ruhe Deutschlands, und die Freundlichkeit der Zeitungspolemik wird auf keine Weise weiter gestört werden. Wie sollten sie es? Dem bewaffneten Angriff wird eine mächtige, durch Eintracht und brüderliche Uebereinstimmung, durch innere Einheit und Gleichheit der Interessen erstarkte und unüberwindliche Nation von 50 Millionen die gebührende Antwort geben. Ich denke wohl, dieß sind die bewährten Voraussetzungen, auf welche Ihr Correspondent des antiken: „Ihr wollt unsre Waffen, kommt und holt sie“ seine stolze Zuversicht gebaut hat! Den schmeichelnden Ueberredungskünsten der politischen Brautwerberei Frankreichs aber würden Deutschland und die betheiligten Provinzen das Bild ihrer eigenen politischen und socialen Vortheile entgegenhalten und antworten: ihr könnt uns nichts Besseres bieten; ihr seyd nicht reich genug, um uns zu verführen...! Ich gehe nicht weiter: dem fühlenden und sein Vaterland liebenden Deutschen wird auch ohne unsre schwache Zuthat klar seyn, daß hier ein weites Feld der Betrachtungen geöffnet ist. Die leise Behutsamkeit, mit welcher der Verfasser des Aufsatzes: „der Orient und die französischen Kammerdebatten“ in der Beilage vom 29 Jan., über diesen glatten Eisboden hingeglitten ist, hat mich zur Genüge gewarnt, daß es vergebliches Unternehmen seyn würde, auf diesem verpönten Gebiete einen freien Schritt thun, der Fülle des Herzens eine wohlthätige Schleuße öffnen zu wollen. Aber wo das Wort nicht mehr hinreicht, bahnt die Phantasie sich leicht den Weg, und die Vaterlandsliebe wie jede andere Liebe hat das instinctmäßige Bewußtseyn ihrer Gefahr. Wie freudig äußern wir unsere volle und dankbare Sympathie für die bedeutungsvollen, liebenden und warnenden Worte, die Ihr eben erwähnter Correspondent seinem Lande in seiner Nachschrift zuruft, die, wie es ja häufig in Briefen geschieht, unendlich mehr werth ist, als die Hauptschrift selbst, was denn auch im Vorbeigehen beweist, daß er nicht allein ein solider Patriot, sondern auch ein gewandter Dialektiker ist, der enthüllt, wo andere verbergen, und dessen Noten selbst ohne Text zu beherzigen sind.

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[0339/0011] einer ausländischen Macht gegenüber, welche sie auch sey, ein anderes Gesetz als das seines eigenen freien Willens, ein anderes Vaterland als sein eignes, das seiner Sprache, seiner Geschichte anerkennte; so einfach diese Grundsätze sind, so wenig sie irgend eines Beweises, und einer neuen Darlegung bedürfen, so erkennen wir in ihnen doch zugleich so viel poetisches Element, daß man wohl einige Hyperbeln und allegorische Verirrungen bei ihrer nähern Erörterung zu gut halten mag. In einem Streite, in welchem in letzter Instanz die Stärke und die Kraft entscheiden, ist es kein Uebel, daß man von dem Gefühle seines Werthes voll sey, denn dieses Bewußtseyn erzeugt Muth und Stolz, und eine Nation kann deren nie zu viel haben. Niemand läugnet unserm lieben Deutschland die erste der beiden Tugenden, wer aber hat ihm nicht von jeher ein reicheres Maaß der zweiten gewünscht? Indessen es reicht in politischen Dingen und den heutigen Völkerverhältnissen nicht hin, einen im Allgemeinen wahren Satz ausgesprochen zu haben, wir verlangen die praktische Anwendung auf den gegebenen Fall, nur darin liegt seine Bedeutung und sein Werth. Waren die Kammerreden von Thiers und Lamartine wirklich der Art, daß sie jenen deutsch-patriotischen Erguß, jenen drohenden Fehde-Handschuh rechtfertigten? Ich glaube nicht, und ich fürchte, daß man den deutschen Erwiederungen ein wenig denselben Vorwurf machen kann, den wir bisher oft den Franzosen gemacht haben: sie sind von der Idee der „natürlichen Gränzen“ d. h. wir Deutschen sind von der angeblichen Eroberungssucht der Franzosen so verfolgt, daß wir sie überall hervortreten, den Dämon überall spuken sehen, und die geringste Rede für eine wirkliche Gefahr betrachten. Erstens, ist Hr. Lamartine ein in der Politik so armseliger Kopf, ein so hohler Träumer, daß sein Für oder Gegen in dem europäischen Staatenrecht auch nicht einen Deut gilt. Sie wollen wissen, welchen Werth Sie auf seine französisch-deutsche Staatensymmetrie zu legen haben? Sehen Sie, was er über den Orient in seinem unfruchtbaren Gehirn ausgeheckt hat. Seine Politik ist lyrische Phantasie, und seine Völkerabtheilung, wie überhaupt seine ganze Philosophie, eine sterile Schwangerschaft; lassen Sie den Maconnischen Poeten seinen Wein verkaufen, denn Gedichte macht er nur noch auf dem Rednerstuhl des Palais Bourbon, und achten Sie ferner auf seine Worte nicht mehr als man hier thut, d. h. mit einem achselzuckenden Lächeln. Aber Thiers? Glauben Sie wirklich, daß Thiers im Sinn gehabt habe, einen hochpolitischen Plan der Wiedereroberung der Rheingränze dareinzulegen? Vergessen Sie nicht, daß Hr. Thiers, den man jetzt so kriegerisch und umwälzend findet, als Minister stets die Aufrechthaltung der Verträge von 1815 gegen Alle und Jede vertheidigt hat. Hr. Thiers bedurfte, als Licht und Schatten seines Vortrags, einiges volksthümlichen Nachhalles und der großen Phrasen, die in der kriegerischen Erinnerung der Nation leben; er wollte die Solidarität, die enge Gemeinschaft nachweisen, die zwischen ihm, seinen Grundsätzen und Frankreich bestehen; er wollte nicht bloß Frankreich, er wollte Deutschland und ganz Europa von sich reden machen, und siehe da, es ist ihm gelungen; bedarf es eines andern Beweises, als der ehrwerthen Antworten, denen diese Zeilen selbst zur Erwiederung dienen? Geben Sie Hrn. Thiers ein Ministerium, und von morgen an wird er officiell den Grundsatz aussprechen, daß Frankreich so wenig als irgend ein andres Land das Recht hat, fremde Nationalitäten anzutasten, ja, er wird vielleicht beifügen, daß Frankreich zu seiner Würde und zu vollständiger Entwickelung seiner Macht einen fernern Länderzuwachs nicht nöthig hat – eine Ansicht, die hier von bei weitem mehr vernünftigen Leuten getheilt wird, als man sich in Deutschland vorstellt. Zweitens: die französischen Redner haben überall nicht von einer gewaltsamen Wegnahme des linken Rheinufers, von einer Eroberung dieses Landes, von dessen gezwungener Einverleibung mit Frankreich gesprochen. Lamartine hofft die „natürlichen Gränzen“ Frankreichs in Folge seiner leoninischen Theilung des Orientes, Thiers erwartet sie von dem natürlichen Laufe der Politik und der Nothwendigkeit gemäß; beide gehen von der absoluten Ueberzeugung aus, daß Frankreich nur die Arme zu öffnen brauche, damit die Rheinprovinzen sich hineinwerfen, und daß es somit keiner andern Eroberung bedürfe, als jener, welche die Glorie und die Ehre Frankreichs, die Größe seiner politischen Stellung, seiner Civilisation, seiner Gesetze und Institutionen, seine Freiheit bereits längst über jene Länder vollbracht haben. Vielleicht ist dieses Selbstgefühl noch ein wenig impertinenter als die prahlerische Unterstellung, daß nichts den französischen Waffen widerstehen könne, aber mindestens muß man bekennen, daß eine solche Bewerbung, eine solche politische Proselytenmacherei gegen den völkerrechtlichen Katechismus nicht mehr verstößt. Die Franzosen lassen sich durch die Poesie ihrer Eitelkeit hinreißen, sie überschätzen sich in frevler Selbstvergötterung. „Alles was sie den Rheinprovinzen bieten können, wiegt nicht auf, was diese haben, und was sie in dem vorgeschlagenen Tausch verlieren könnten.“ Gut! das ist die Antwort, welche sich hier ganz natürlich darbietet, das ist der Beweis, den man dem fremden Bewerber mit siegreichem Uebergewichte entgegenhalten möge, und die Ruhe Deutschlands, und die Freundlichkeit der Zeitungspolemik wird auf keine Weise weiter gestört werden. Wie sollten sie es? Dem bewaffneten Angriff wird eine mächtige, durch Eintracht und brüderliche Uebereinstimmung, durch innere Einheit und Gleichheit der Interessen erstarkte und unüberwindliche Nation von 50 Millionen die gebührende Antwort geben. Ich denke wohl, dieß sind die bewährten Voraussetzungen, auf welche Ihr Correspondent des antiken: „Ihr wollt unsre Waffen, kommt und holt sie“ seine stolze Zuversicht gebaut hat! Den schmeichelnden Ueberredungskünsten der politischen Brautwerberei Frankreichs aber würden Deutschland und die betheiligten Provinzen das Bild ihrer eigenen politischen und socialen Vortheile entgegenhalten und antworten: ihr könnt uns nichts Besseres bieten; ihr seyd nicht reich genug, um uns zu verführen...! Ich gehe nicht weiter: dem fühlenden und sein Vaterland liebenden Deutschen wird auch ohne unsre schwache Zuthat klar seyn, daß hier ein weites Feld der Betrachtungen geöffnet ist. Die leise Behutsamkeit, mit welcher der Verfasser des Aufsatzes: „der Orient und die französischen Kammerdebatten“ in der Beilage vom 29 Jan., über diesen glatten Eisboden hingeglitten ist, hat mich zur Genüge gewarnt, daß es vergebliches Unternehmen seyn würde, auf diesem verpönten Gebiete einen freien Schritt thun, der Fülle des Herzens eine wohlthätige Schleuße öffnen zu wollen. Aber wo das Wort nicht mehr hinreicht, bahnt die Phantasie sich leicht den Weg, und die Vaterlandsliebe wie jede andere Liebe hat das instinctmäßige Bewußtseyn ihrer Gefahr. Wie freudig äußern wir unsere volle und dankbare Sympathie für die bedeutungsvollen, liebenden und warnenden Worte, die Ihr eben erwähnter Correspondent seinem Lande in seiner Nachschrift zuruft, die, wie es ja häufig in Briefen geschieht, unendlich mehr werth ist, als die Hauptschrift selbst, was denn auch im Vorbeigehen beweist, daß er nicht allein ein solider Patriot, sondern auch ein gewandter Dialektiker ist, der enthüllt, wo andere verbergen, und dessen Noten selbst ohne Text zu beherzigen sind.

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 43. Augsburg, 12. Februar 1840, S. 0339. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_043_18400212/11>, abgerufen am 25.11.2024.