Allgemeine Zeitung. Nr. 37. Augsburg, 6. Februar 1840.Tarifs für ausländisches Flachs- und Hanfgarn. Der Handelsminister antwortete, daß die Regierung schon lange die Nothwendigkeit fühle, einen Gesetzesentwurf darüber einzureichen. Wenn es jetzt nicht geschehen sey, so liege der Grund darin, daß Unterhandlungen mit den englischen Commissarien angeknüpft seyen, und daß durch Vorlegung eines Entwurfs diese compromittirt werden könnten. Doch solle nächstens ein Entwurf vorgelegt werden. (Unterbrechung.) Alle obengenannten Herren bitten ums Wort. Hr. Defitte erklärt sich gegen den Aufschub, da die Leinenindustrie zu sehr darunter leide, und alle Märkte mit englischen Erzeugnissen überfüllt seyen. "Seyen wir doch, rief er aus, Franzosen, wie unsere Nachbarn Engländer! Befreien wir uns von dieser fremden Abhängigkeit!" (Sehr gut!) Hr. Guizot erschien einen Augenblick im Saal, und ward sogleich von vielen Deputirten umgeben. Er unterhielt sich längere Zeit mit Hrn. v. Lamartine. (Abgang der Post.) Paris, 1 Febr. Dieser Tage hat der preußische Gesandte, Hr. v. Arnim, dem Marschall Soult officiell angezeigt, Oesterreich und Preußen seyen der zwischen Lord Palmerston und Hrn. v. Brunnow in Betreff der orientalischen Angelegenheiten abgeschlossenen Uebereinkunft beigetreten, und ersuchte Frankreich ihrem Beispiel zu folgen. Der Marschall war darüber etwas betroffen, weil das Cabinet, auf den Grund von Depeschen des Grafen Sebastiani, glaubte, die Unterhandlungen zwischen England und Rußland hätten noch kein definitives Resultat gehabt, und Hr. Guizot würde es dahin bringen, diesen definitiven Abschluß zu hindern. Der österreichische Botschafter hat noch keine gleiche officielle Mittheilung gemacht; aber Niemand bezweifelt das Einverständniß dieser Macht mit Preußen, Rußland und England. Unsere Staatsmänner wollen behaupten, das Interesse Oesterreichs und Preußens in jener Angelegenheit sey das nämliche wie das Frankreichs, allein das österreichische Cabinet sey wohl zu vorsichtig, mit einer so wenig stabilen Regierung wie die hiesige sich in Verhältnisse einzulassen, durch die es, an Frankreich gebunden, gegen die andern Regierungen in einen zum mindesten unangenehmen Gegensatz sich gestellt sähe. Als Hrn. Thiers von obiger Mittheilung des Hrn. v. Arnim Kenntniß erhielt, sagte er in seiner auch das Ernsteste leichtnehmenden und unterschätzenden Weise: die Unterschriften von Palmerston und Brunnow auf demselben Protokoll in dieser Angelegenheit bilden einen Bruch zwischen Frankreich und England, und diesem folgt unfehlbar ein Krieg, worin Frankreich, von allen Regierungen verlassen, ganz allein stehen wird; glücklicherweise haben wir aber zwei gute Alliirte: das Geld und die Propaganda. - Die von dem englischen Hause der Gemeinen ausgesprochene Reduction der Dotation des Prinzen Albert auf 30,000 Pf. St. hat in der Deputirtenkammer und im Publicum die Hoffnung erregt, das Ministerium werde auch eine Reduction der für den Herzog von Nemours geforderten jährlichen Apanage von 500,000 Fr. bewilligen, um dieser der Dynastie nachtheiligen Angelegenheit ein Ende zu machen; man bringt dabei noch in Anschlag, daß der Vorschlag des englischen Cabinets verhältnißmäßig bei weitem nicht so außerordentlich erscheint als der des französischen, da einerseits der Prinz Albert mit der englischen sehr reichen Aristokratie gleichen Schritt zu halten genöthigt ist, während die französische Aristokratie sehr wenig Ausgaben macht, und man andrerseits bekanntlich zu der nämlichen Lebensweise in England das Vierfache der Ausgaben von Paris bedarf. Selbst die dem Hof gewogenen Deputirten sprechen den Wunsch aus, diese Angelegenheit durch eine Art von Vergleich ausgehen zu sehen, um alle Debatten über die financiellen Verhältnisse der Krone zu vermeiden. - Hr. v. Cormenin arbeitet an seiner Flugschrift, worin er die Sache durch Argument ad hominem dem Publicum klar zu machen sucht: so erzählte er dieser Tage, die königliche Familie habe nach einer auf frühere parlamentarische Mittheilungen gegründeten Berechnung täglich 59,000 Fr. zu verzehren, wovon also wohl der Vater des Herzogs von Nemours diesem den 59ten Theil überlassen könne, und dann sey gewiß der der Kammer vorgelegte Entwurf überflüssig. Paris, 1 Febr. Verweigern wird man die Dotation für den Herzog von Nemours nicht, auch nicht beschneiden; denn Hrn. Guizots Bemerkung, man könne dieß einer so feststehenden Dynastie thun, wie der englischen, nicht aber einer neuen, muß schlagend seyn für die, welche die Dynastie eben wollen, und das ist die gesammte Kammer mit Ausnahme von etwa 40 Stimmen. Das Unglück ist groß genug für deren Freunde, daß die Forderung einmal gemacht wurde. Der alle Lagen beherrschende Geldgeist rechnet dem Hofe genau nach. Er weiß, daß bisher keine Verbindung demselben viel kostete, indem Alles in den Tuilerien wohnt und an derselben Tafel, ja mit derselben Dienerschaft blieb. Mit dem Herzog von Nemours wird es derselbe Fall seyn. Man weiß, daß, wenn es mit den 17 Millionen Schulden der Civilliste seine Richtigkeit hat, dieß daher kommt, daß man das Privatvermögen zwar von derselben Verwaltung bewirthschaften, es aber zu den Kosten derselben nicht beitragen ließ, so daß das Privatvermögen sich in dem Grade vermehrte, als die Civilliste sich verschuldete. Man sieht voraus, daß das Land diese Schulden wird bezahlen müssen, wenigstens beim Antritt der Regierung des Thronerben, der eine verschuldete Civilliste nicht wird antreten wollen. Alle diese Calculs kennt man. Daher soll dem Herzog von Nemours die neue Staatsdotation nur auf so lange bewilligt werden, bis er in den Besitz seines Erbes, sey es vom Privatvermögen des Königs, sey es von dem der Madame Adelaide, tritt. - In diesem Augenblick findet eine Versammlung der Actionnärs des Siecle statt. Es ist ein Streit auf Leben und Tod zwischen den HH. Dutaq, Gerant, und Chambolle, Redacteur en Chef, von denen einer den andern vertreiben will. Gestern den ganzen Tag suchten die Freunde Barrots, der bekanntlich mit Hrn. Chambolle sehr verbündet ist, Actien vom Siecle mit Prämien aufzukaufen, um so viel Stimmen als möglich in der heutigen Versammlung zu haben. Unterläge Hr. Chambolle, so verlöre die Partei Barrot ihr wichtigstes Organ. Belgien. Brüssel, 28 Jan. Als die Repräsentantenkammer gestern die Erörterung des Budgets des Innern fortsetzte, ward der 1ste Art. in Betreff des katholischen Cultus mit 3,906,047 Fr. ohne Einwand angenommen. Das 6te Cap., die Industrie und den Handel betreffend, veranlaßte eine lange Discussion. Hr. v. Renesse forderte dringend Maaßregeln zu Gunsten des abgetretenen Theils von Limburg; Hr. Cools verlangte Erläuterungen von dem Minister über die Maaßregeln, die er zur Unterstützung der Industrie und des Handels zu treffen gesonnen sey, indem die von ihm der Centralsection zugeschickten ihm viel zu vag erscheinen. Der Minister des Innern antwortete zuerst dem Hrn. Renesse, die Regierung habe transitorische Maaßregeln ergriffen, daß gewisse Industrielle jenes Landestheils, die mit Erzeugnissen überhäuft seyen, nicht einem sichern Untergang durch den Verlust ihrer natürlichen Absatzwege zugeführt würden; er habe aber, bevor definitive Maaßregeln getroffen würden; für zweckmäßig erachtet, die Handelskammern von Lüttich und Verviers und die Provincialdeputationen von Limburg zu Rathe zu ziehen, und es sey für gut befunden Tarifs für ausländisches Flachs- und Hanfgarn. Der Handelsminister antwortete, daß die Regierung schon lange die Nothwendigkeit fühle, einen Gesetzesentwurf darüber einzureichen. Wenn es jetzt nicht geschehen sey, so liege der Grund darin, daß Unterhandlungen mit den englischen Commissarien angeknüpft seyen, und daß durch Vorlegung eines Entwurfs diese compromittirt werden könnten. Doch solle nächstens ein Entwurf vorgelegt werden. (Unterbrechung.) Alle obengenannten Herren bitten ums Wort. Hr. Defitte erklärt sich gegen den Aufschub, da die Leinenindustrie zu sehr darunter leide, und alle Märkte mit englischen Erzeugnissen überfüllt seyen. „Seyen wir doch, rief er aus, Franzosen, wie unsere Nachbarn Engländer! Befreien wir uns von dieser fremden Abhängigkeit!“ (Sehr gut!) Hr. Guizot erschien einen Augenblick im Saal, und ward sogleich von vielen Deputirten umgeben. Er unterhielt sich längere Zeit mit Hrn. v. Lamartine. (Abgang der Post.) Paris, 1 Febr. Dieser Tage hat der preußische Gesandte, Hr. v. Arnim, dem Marschall Soult officiell angezeigt, Oesterreich und Preußen seyen der zwischen Lord Palmerston und Hrn. v. Brunnow in Betreff der orientalischen Angelegenheiten abgeschlossenen Uebereinkunft beigetreten, und ersuchte Frankreich ihrem Beispiel zu folgen. Der Marschall war darüber etwas betroffen, weil das Cabinet, auf den Grund von Depeschen des Grafen Sebastiani, glaubte, die Unterhandlungen zwischen England und Rußland hätten noch kein definitives Resultat gehabt, und Hr. Guizot würde es dahin bringen, diesen definitiven Abschluß zu hindern. Der österreichische Botschafter hat noch keine gleiche officielle Mittheilung gemacht; aber Niemand bezweifelt das Einverständniß dieser Macht mit Preußen, Rußland und England. Unsere Staatsmänner wollen behaupten, das Interesse Oesterreichs und Preußens in jener Angelegenheit sey das nämliche wie das Frankreichs, allein das österreichische Cabinet sey wohl zu vorsichtig, mit einer so wenig stabilen Regierung wie die hiesige sich in Verhältnisse einzulassen, durch die es, an Frankreich gebunden, gegen die andern Regierungen in einen zum mindesten unangenehmen Gegensatz sich gestellt sähe. Als Hrn. Thiers von obiger Mittheilung des Hrn. v. Arnim Kenntniß erhielt, sagte er in seiner auch das Ernsteste leichtnehmenden und unterschätzenden Weise: die Unterschriften von Palmerston und Brunnow auf demselben Protokoll in dieser Angelegenheit bilden einen Bruch zwischen Frankreich und England, und diesem folgt unfehlbar ein Krieg, worin Frankreich, von allen Regierungen verlassen, ganz allein stehen wird; glücklicherweise haben wir aber zwei gute Alliirte: das Geld und die Propaganda. – Die von dem englischen Hause der Gemeinen ausgesprochene Reduction der Dotation des Prinzen Albert auf 30,000 Pf. St. hat in der Deputirtenkammer und im Publicum die Hoffnung erregt, das Ministerium werde auch eine Reduction der für den Herzog von Nemours geforderten jährlichen Apanage von 500,000 Fr. bewilligen, um dieser der Dynastie nachtheiligen Angelegenheit ein Ende zu machen; man bringt dabei noch in Anschlag, daß der Vorschlag des englischen Cabinets verhältnißmäßig bei weitem nicht so außerordentlich erscheint als der des französischen, da einerseits der Prinz Albert mit der englischen sehr reichen Aristokratie gleichen Schritt zu halten genöthigt ist, während die französische Aristokratie sehr wenig Ausgaben macht, und man andrerseits bekanntlich zu der nämlichen Lebensweise in England das Vierfache der Ausgaben von Paris bedarf. Selbst die dem Hof gewogenen Deputirten sprechen den Wunsch aus, diese Angelegenheit durch eine Art von Vergleich ausgehen zu sehen, um alle Debatten über die financiellen Verhältnisse der Krone zu vermeiden. – Hr. v. Cormenin arbeitet an seiner Flugschrift, worin er die Sache durch Argument ad hominem dem Publicum klar zu machen sucht: so erzählte er dieser Tage, die königliche Familie habe nach einer auf frühere parlamentarische Mittheilungen gegründeten Berechnung täglich 59,000 Fr. zu verzehren, wovon also wohl der Vater des Herzogs von Nemours diesem den 59ten Theil überlassen könne, und dann sey gewiß der der Kammer vorgelegte Entwurf überflüssig. Paris, 1 Febr. Verweigern wird man die Dotation für den Herzog von Nemours nicht, auch nicht beschneiden; denn Hrn. Guizots Bemerkung, man könne dieß einer so feststehenden Dynastie thun, wie der englischen, nicht aber einer neuen, muß schlagend seyn für die, welche die Dynastie eben wollen, und das ist die gesammte Kammer mit Ausnahme von etwa 40 Stimmen. Das Unglück ist groß genug für deren Freunde, daß die Forderung einmal gemacht wurde. Der alle Lagen beherrschende Geldgeist rechnet dem Hofe genau nach. Er weiß, daß bisher keine Verbindung demselben viel kostete, indem Alles in den Tuilerien wohnt und an derselben Tafel, ja mit derselben Dienerschaft blieb. Mit dem Herzog von Nemours wird es derselbe Fall seyn. Man weiß, daß, wenn es mit den 17 Millionen Schulden der Civilliste seine Richtigkeit hat, dieß daher kommt, daß man das Privatvermögen zwar von derselben Verwaltung bewirthschaften, es aber zu den Kosten derselben nicht beitragen ließ, so daß das Privatvermögen sich in dem Grade vermehrte, als die Civilliste sich verschuldete. Man sieht voraus, daß das Land diese Schulden wird bezahlen müssen, wenigstens beim Antritt der Regierung des Thronerben, der eine verschuldete Civilliste nicht wird antreten wollen. Alle diese Calculs kennt man. Daher soll dem Herzog von Nemours die neue Staatsdotation nur auf so lange bewilligt werden, bis er in den Besitz seines Erbes, sey es vom Privatvermögen des Königs, sey es von dem der Madame Adelaide, tritt. – In diesem Augenblick findet eine Versammlung der Actionnärs des Siècle statt. Es ist ein Streit auf Leben und Tod zwischen den HH. Dutaq, Gerant, und Chambolle, Redacteur en Chef, von denen einer den andern vertreiben will. Gestern den ganzen Tag suchten die Freunde Barrots, der bekanntlich mit Hrn. Chambolle sehr verbündet ist, Actien vom Siècle mit Prämien aufzukaufen, um so viel Stimmen als möglich in der heutigen Versammlung zu haben. Unterläge Hr. Chambolle, so verlöre die Partei Barrot ihr wichtigstes Organ. Belgien. Brüssel, 28 Jan. Als die Repräsentantenkammer gestern die Erörterung des Budgets des Innern fortsetzte, ward der 1ste Art. in Betreff des katholischen Cultus mit 3,906,047 Fr. ohne Einwand angenommen. Das 6te Cap., die Industrie und den Handel betreffend, veranlaßte eine lange Discussion. Hr. v. Renesse forderte dringend Maaßregeln zu Gunsten des abgetretenen Theils von Limburg; Hr. Cools verlangte Erläuterungen von dem Minister über die Maaßregeln, die er zur Unterstützung der Industrie und des Handels zu treffen gesonnen sey, indem die von ihm der Centralsection zugeschickten ihm viel zu vag erscheinen. Der Minister des Innern antwortete zuerst dem Hrn. Renesse, die Regierung habe transitorische Maaßregeln ergriffen, daß gewisse Industrielle jenes Landestheils, die mit Erzeugnissen überhäuft seyen, nicht einem sichern Untergang durch den Verlust ihrer natürlichen Absatzwege zugeführt würden; er habe aber, bevor definitive Maaßregeln getroffen würden; für zweckmäßig erachtet, die Handelskammern von Lüttich und Verviers und die Provincialdeputationen von Limburg zu Rathe zu ziehen, und es sey für gut befunden <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div type="jArticle" n="2"> <p><pb facs="#f0005" n="0293"/> Tarifs für ausländisches Flachs- und Hanfgarn. Der Handelsminister antwortete, daß die Regierung schon lange die Nothwendigkeit fühle, einen Gesetzesentwurf darüber einzureichen. Wenn es jetzt nicht geschehen sey, so liege der Grund darin, daß Unterhandlungen mit den englischen Commissarien angeknüpft seyen, und daß durch Vorlegung eines Entwurfs diese compromittirt werden könnten. Doch solle nächstens ein Entwurf vorgelegt werden. (Unterbrechung.) Alle obengenannten Herren bitten ums Wort. Hr. Defitte erklärt sich gegen den Aufschub, da die Leinenindustrie zu sehr darunter leide, und alle Märkte mit englischen Erzeugnissen überfüllt seyen. „Seyen wir doch, rief er aus, Franzosen, wie unsere Nachbarn Engländer! Befreien wir uns von dieser fremden Abhängigkeit!“ (Sehr gut!) Hr. Guizot erschien einen Augenblick im Saal, und ward sogleich von vielen Deputirten umgeben. Er unterhielt sich längere Zeit mit Hrn. v. Lamartine. (Abgang der Post.)</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <byline>∸</byline> <dateline><hi rendition="#b">Paris,</hi> 1 Febr.</dateline> <p> Dieser Tage hat der preußische Gesandte, Hr. v. Arnim, dem Marschall Soult officiell angezeigt, Oesterreich und Preußen seyen der zwischen Lord Palmerston und Hrn. v. Brunnow in Betreff der orientalischen Angelegenheiten abgeschlossenen Uebereinkunft beigetreten, und ersuchte Frankreich ihrem Beispiel zu folgen. Der Marschall war darüber etwas betroffen, weil das Cabinet, auf den Grund von Depeschen des Grafen Sebastiani, glaubte, die Unterhandlungen zwischen England und Rußland hätten noch kein definitives Resultat gehabt, und Hr. Guizot würde es dahin bringen, diesen definitiven Abschluß zu hindern. Der österreichische Botschafter hat noch keine gleiche officielle Mittheilung gemacht; aber Niemand bezweifelt das Einverständniß dieser Macht mit Preußen, Rußland und England. Unsere Staatsmänner wollen behaupten, das Interesse Oesterreichs und Preußens in jener Angelegenheit sey das nämliche wie das Frankreichs, allein das österreichische Cabinet sey wohl zu vorsichtig, mit einer so wenig stabilen Regierung wie die hiesige sich in Verhältnisse einzulassen, durch die es, an Frankreich gebunden, gegen die andern Regierungen in einen zum mindesten unangenehmen Gegensatz sich gestellt sähe. Als Hrn. Thiers von obiger Mittheilung des Hrn. v. Arnim Kenntniß erhielt, sagte er in seiner auch das Ernsteste leichtnehmenden und unterschätzenden Weise: die Unterschriften von Palmerston und Brunnow auf demselben Protokoll in dieser Angelegenheit bilden einen Bruch zwischen Frankreich und England, und diesem folgt unfehlbar ein Krieg, worin Frankreich, von allen Regierungen verlassen, ganz allein stehen wird; glücklicherweise haben wir aber zwei gute Alliirte: das Geld und die Propaganda. – Die von dem englischen Hause der Gemeinen ausgesprochene Reduction der Dotation des Prinzen Albert auf 30,000 Pf. St. hat in der Deputirtenkammer und im Publicum die Hoffnung erregt, das Ministerium werde auch eine Reduction der für den Herzog von Nemours geforderten jährlichen Apanage von 500,000 Fr. bewilligen, um dieser der Dynastie nachtheiligen Angelegenheit ein Ende zu machen; man bringt dabei noch in Anschlag, daß der Vorschlag des englischen Cabinets verhältnißmäßig bei weitem nicht so außerordentlich erscheint als der des französischen, da einerseits der Prinz Albert mit der englischen sehr reichen Aristokratie gleichen Schritt zu halten genöthigt ist, während die französische Aristokratie sehr wenig Ausgaben macht, und man andrerseits bekanntlich zu der nämlichen Lebensweise in England das Vierfache der Ausgaben von Paris bedarf. Selbst die dem Hof gewogenen Deputirten sprechen den Wunsch aus, diese Angelegenheit durch eine Art von Vergleich ausgehen zu sehen, um alle Debatten über die financiellen Verhältnisse der Krone zu vermeiden. – Hr. v. Cormenin arbeitet an seiner Flugschrift, worin er die Sache durch Argument ad hominem dem Publicum klar zu machen sucht: so erzählte er dieser Tage, die königliche Familie habe nach einer auf frühere parlamentarische Mittheilungen gegründeten Berechnung täglich 59,000 Fr. zu verzehren, wovon also wohl der Vater des Herzogs von Nemours diesem den 59ten Theil überlassen könne, und dann sey gewiß der der Kammer vorgelegte Entwurf überflüssig.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <byline>**</byline> <dateline><hi rendition="#b">Paris,</hi> 1 Febr.</dateline> <p> Verweigern wird man die Dotation für den Herzog von Nemours nicht, auch nicht beschneiden; denn Hrn. Guizots Bemerkung, man könne dieß einer so feststehenden Dynastie thun, wie der englischen, nicht aber einer neuen, muß schlagend seyn für die, welche die Dynastie eben wollen, und das ist die gesammte Kammer mit Ausnahme von etwa 40 Stimmen. Das Unglück ist groß genug für deren Freunde, daß die Forderung einmal gemacht wurde. Der alle Lagen beherrschende Geldgeist rechnet dem Hofe genau nach. Er weiß, daß bisher keine Verbindung demselben viel kostete, indem Alles in den Tuilerien wohnt und an derselben Tafel, ja mit derselben Dienerschaft blieb. Mit dem Herzog von Nemours wird es derselbe Fall seyn. Man weiß, daß, wenn es mit den 17 Millionen Schulden der Civilliste seine Richtigkeit hat, dieß daher kommt, daß man das Privatvermögen zwar von derselben Verwaltung bewirthschaften, es aber zu den Kosten derselben nicht beitragen ließ, so daß das Privatvermögen sich in dem Grade vermehrte, als die Civilliste sich verschuldete. Man sieht voraus, daß das Land diese Schulden wird bezahlen müssen, wenigstens beim Antritt der Regierung des Thronerben, der eine verschuldete Civilliste nicht wird antreten wollen. Alle diese Calculs kennt man. Daher soll dem Herzog von Nemours die neue Staatsdotation nur auf so lange bewilligt werden, bis er in den Besitz seines Erbes, sey es vom Privatvermögen des Königs, sey es von dem der Madame Adelaide, tritt. – In diesem Augenblick findet eine Versammlung der Actionnärs des Siècle statt. Es ist ein Streit auf Leben und Tod zwischen den HH. Dutaq, Gerant, und Chambolle, Redacteur en Chef, von denen einer den andern vertreiben will. Gestern den ganzen Tag suchten die Freunde Barrots, der bekanntlich mit Hrn. Chambolle sehr verbündet ist, Actien vom Siècle mit Prämien aufzukaufen, um so viel Stimmen als möglich in der heutigen Versammlung zu haben. Unterläge Hr. 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Renesse, die Regierung habe transitorische Maaßregeln ergriffen, daß gewisse Industrielle jenes Landestheils, die mit Erzeugnissen überhäuft seyen, nicht einem sichern Untergang durch den Verlust ihrer natürlichen Absatzwege zugeführt würden; er habe aber, bevor definitive Maaßregeln getroffen würden; für zweckmäßig erachtet, die Handelskammern von Lüttich und Verviers und die Provincialdeputationen von Limburg zu Rathe zu ziehen, und es sey für gut befunden<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0293/0005]
Tarifs für ausländisches Flachs- und Hanfgarn. Der Handelsminister antwortete, daß die Regierung schon lange die Nothwendigkeit fühle, einen Gesetzesentwurf darüber einzureichen. Wenn es jetzt nicht geschehen sey, so liege der Grund darin, daß Unterhandlungen mit den englischen Commissarien angeknüpft seyen, und daß durch Vorlegung eines Entwurfs diese compromittirt werden könnten. Doch solle nächstens ein Entwurf vorgelegt werden. (Unterbrechung.) Alle obengenannten Herren bitten ums Wort. Hr. Defitte erklärt sich gegen den Aufschub, da die Leinenindustrie zu sehr darunter leide, und alle Märkte mit englischen Erzeugnissen überfüllt seyen. „Seyen wir doch, rief er aus, Franzosen, wie unsere Nachbarn Engländer! Befreien wir uns von dieser fremden Abhängigkeit!“ (Sehr gut!) Hr. Guizot erschien einen Augenblick im Saal, und ward sogleich von vielen Deputirten umgeben. Er unterhielt sich längere Zeit mit Hrn. v. Lamartine. (Abgang der Post.)
∸ Paris, 1 Febr. Dieser Tage hat der preußische Gesandte, Hr. v. Arnim, dem Marschall Soult officiell angezeigt, Oesterreich und Preußen seyen der zwischen Lord Palmerston und Hrn. v. Brunnow in Betreff der orientalischen Angelegenheiten abgeschlossenen Uebereinkunft beigetreten, und ersuchte Frankreich ihrem Beispiel zu folgen. Der Marschall war darüber etwas betroffen, weil das Cabinet, auf den Grund von Depeschen des Grafen Sebastiani, glaubte, die Unterhandlungen zwischen England und Rußland hätten noch kein definitives Resultat gehabt, und Hr. Guizot würde es dahin bringen, diesen definitiven Abschluß zu hindern. Der österreichische Botschafter hat noch keine gleiche officielle Mittheilung gemacht; aber Niemand bezweifelt das Einverständniß dieser Macht mit Preußen, Rußland und England. Unsere Staatsmänner wollen behaupten, das Interesse Oesterreichs und Preußens in jener Angelegenheit sey das nämliche wie das Frankreichs, allein das österreichische Cabinet sey wohl zu vorsichtig, mit einer so wenig stabilen Regierung wie die hiesige sich in Verhältnisse einzulassen, durch die es, an Frankreich gebunden, gegen die andern Regierungen in einen zum mindesten unangenehmen Gegensatz sich gestellt sähe. Als Hrn. Thiers von obiger Mittheilung des Hrn. v. Arnim Kenntniß erhielt, sagte er in seiner auch das Ernsteste leichtnehmenden und unterschätzenden Weise: die Unterschriften von Palmerston und Brunnow auf demselben Protokoll in dieser Angelegenheit bilden einen Bruch zwischen Frankreich und England, und diesem folgt unfehlbar ein Krieg, worin Frankreich, von allen Regierungen verlassen, ganz allein stehen wird; glücklicherweise haben wir aber zwei gute Alliirte: das Geld und die Propaganda. – Die von dem englischen Hause der Gemeinen ausgesprochene Reduction der Dotation des Prinzen Albert auf 30,000 Pf. St. hat in der Deputirtenkammer und im Publicum die Hoffnung erregt, das Ministerium werde auch eine Reduction der für den Herzog von Nemours geforderten jährlichen Apanage von 500,000 Fr. bewilligen, um dieser der Dynastie nachtheiligen Angelegenheit ein Ende zu machen; man bringt dabei noch in Anschlag, daß der Vorschlag des englischen Cabinets verhältnißmäßig bei weitem nicht so außerordentlich erscheint als der des französischen, da einerseits der Prinz Albert mit der englischen sehr reichen Aristokratie gleichen Schritt zu halten genöthigt ist, während die französische Aristokratie sehr wenig Ausgaben macht, und man andrerseits bekanntlich zu der nämlichen Lebensweise in England das Vierfache der Ausgaben von Paris bedarf. Selbst die dem Hof gewogenen Deputirten sprechen den Wunsch aus, diese Angelegenheit durch eine Art von Vergleich ausgehen zu sehen, um alle Debatten über die financiellen Verhältnisse der Krone zu vermeiden. – Hr. v. Cormenin arbeitet an seiner Flugschrift, worin er die Sache durch Argument ad hominem dem Publicum klar zu machen sucht: so erzählte er dieser Tage, die königliche Familie habe nach einer auf frühere parlamentarische Mittheilungen gegründeten Berechnung täglich 59,000 Fr. zu verzehren, wovon also wohl der Vater des Herzogs von Nemours diesem den 59ten Theil überlassen könne, und dann sey gewiß der der Kammer vorgelegte Entwurf überflüssig.
** Paris, 1 Febr. Verweigern wird man die Dotation für den Herzog von Nemours nicht, auch nicht beschneiden; denn Hrn. Guizots Bemerkung, man könne dieß einer so feststehenden Dynastie thun, wie der englischen, nicht aber einer neuen, muß schlagend seyn für die, welche die Dynastie eben wollen, und das ist die gesammte Kammer mit Ausnahme von etwa 40 Stimmen. Das Unglück ist groß genug für deren Freunde, daß die Forderung einmal gemacht wurde. Der alle Lagen beherrschende Geldgeist rechnet dem Hofe genau nach. Er weiß, daß bisher keine Verbindung demselben viel kostete, indem Alles in den Tuilerien wohnt und an derselben Tafel, ja mit derselben Dienerschaft blieb. Mit dem Herzog von Nemours wird es derselbe Fall seyn. Man weiß, daß, wenn es mit den 17 Millionen Schulden der Civilliste seine Richtigkeit hat, dieß daher kommt, daß man das Privatvermögen zwar von derselben Verwaltung bewirthschaften, es aber zu den Kosten derselben nicht beitragen ließ, so daß das Privatvermögen sich in dem Grade vermehrte, als die Civilliste sich verschuldete. Man sieht voraus, daß das Land diese Schulden wird bezahlen müssen, wenigstens beim Antritt der Regierung des Thronerben, der eine verschuldete Civilliste nicht wird antreten wollen. Alle diese Calculs kennt man. Daher soll dem Herzog von Nemours die neue Staatsdotation nur auf so lange bewilligt werden, bis er in den Besitz seines Erbes, sey es vom Privatvermögen des Königs, sey es von dem der Madame Adelaide, tritt. – In diesem Augenblick findet eine Versammlung der Actionnärs des Siècle statt. Es ist ein Streit auf Leben und Tod zwischen den HH. Dutaq, Gerant, und Chambolle, Redacteur en Chef, von denen einer den andern vertreiben will. Gestern den ganzen Tag suchten die Freunde Barrots, der bekanntlich mit Hrn. Chambolle sehr verbündet ist, Actien vom Siècle mit Prämien aufzukaufen, um so viel Stimmen als möglich in der heutigen Versammlung zu haben. Unterläge Hr. Chambolle, so verlöre die Partei Barrot ihr wichtigstes Organ.
Belgien.
Brüssel, 28 Jan. Als die Repräsentantenkammer gestern die Erörterung des Budgets des Innern fortsetzte, ward der 1ste Art. in Betreff des katholischen Cultus mit 3,906,047 Fr. ohne Einwand angenommen. Das 6te Cap., die Industrie und den Handel betreffend, veranlaßte eine lange Discussion. Hr. v. Renesse forderte dringend Maaßregeln zu Gunsten des abgetretenen Theils von Limburg; Hr. Cools verlangte Erläuterungen von dem Minister über die Maaßregeln, die er zur Unterstützung der Industrie und des Handels zu treffen gesonnen sey, indem die von ihm der Centralsection zugeschickten ihm viel zu vag erscheinen. Der Minister des Innern antwortete zuerst dem Hrn. Renesse, die Regierung habe transitorische Maaßregeln ergriffen, daß gewisse Industrielle jenes Landestheils, die mit Erzeugnissen überhäuft seyen, nicht einem sichern Untergang durch den Verlust ihrer natürlichen Absatzwege zugeführt würden; er habe aber, bevor definitive Maaßregeln getroffen würden; für zweckmäßig erachtet, die Handelskammern von Lüttich und Verviers und die Provincialdeputationen von Limburg zu Rathe zu ziehen, und es sey für gut befunden
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