Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Allgemeine Zeitung. Nr. 35. Augsburg, 4. Februar 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Berathschlagung des Pairshofs über die Angeklagten der zweiten Kategorie dauert länger, als man anfangs geglaubt hat. Es heißt, das Erkenntniß werde erst in den ersten Tagen des Februars gefällt werden.

(Gazette des Tribunaux.) Wir haben gestern gemeldet, daß die HH. Mauguin und Berryer als Zeugen in Bezug auf die gegen Hrn. v. Crouy-Chanel eingeleitete Instruction vor den Instructionsrichter geladen worden seyen. Heute hieß es im Justizpalaste, daß Hr. Berryer allein auf die Fragen des Instructionsrichters geantwortet, Hr. Mauguin aber nach einigen an ihn ergangenen Interpellationen, die ihn in andere Stellung als die eines bloßen Zeugen zu versetzen suchten, sich geweigert zu antworten, und sich dabei mit dem Privilegium gedeckt habe, das der 14 Art. der Charte den Mitgliedern der Deputirtenkammer während der Dauer der Session ertheilt.

Hr. Guizot hat endlich die Gesandtschaft in London angenommen. Diese Nachricht ist seit zwei Tagen verbreitet, aber sie fand bis heute wenig Credit, weil die näheren Umstände unbekannt waren, die den neuen Gesandten zur Annahme der früher abgelehnten Mission bestimmt haben. Seit einiger Zeit bezeugte das Cabinet große Unzufriedenheit mit dem Gesandten Grafen Sebastiani in London, den es, als Folge seiner Altersschwäche, der Unfähigkeit beschuldigt, und ihm demnach die Nachtheile zur Last legt, womit die zwischen Hrn. v. Brunnow und Lord Palmerston getroffene Uebereinkunft Frankreich bedroht. Die mündlichen Berichte seines ersten Gesandtschaftssecretärs, Hrn. Bourqueney, der sich auf Urlaub hier befand, gestern aber wieder nach London abgegangen ist, trugen dazu bei, diese Unzufriedenheit zu vermehren. Das Ministerium verlangte die Zurückrufung des Grafen Sebastiani und die Ernennung eines rüstigen Diplomaten: es könne, wurde gesagt, die aus der Unfähigkeit des Grafen Sebastiani auf das Cabinet fallende Verantwortlichkeit nicht länger auf sich haften lassen. Höheren Orts wurde aber jenes Verlangen mehrmals abgelehnt, bis endlich vor einigen Tagen die Mitglieder des Cabinets einstimmig erklärten, sie reichten hiermit ihre Entlassungen ein, falls Graf Sebastiani nicht ersetzt würde. Man wendete sich an Hrn. Guizot, der anfänglich, seiner früheren Erklärung getreu, die Annahme jener Mission verweigerte; erst vorgestern Abends entschloß er sich, und zwar, dem Vernehmen nach, auf die Versicherung einer hohen Person, daß dieses diplomatische Amt nur eine Brücke zur Erfüllung der steten Wünsche des Staatsmannes seyn werde. Die Ernennung ist noch nicht officiell angezeigt, indessen ist die Abreise sicher; und zwar wird sie bereits in den nächsten Tagen stattfinden, weil Hr. Guizot den Hrn. v. Brunnow noch in London zu treffen wünscht, der, dem Vernehmen nach, London schon am 15 Febr. zu verlassen beabsichtigt. Man zweifelt hier, daß die sonst so glückliche Dialektik des neuen Botschafters es dahin bringe, jene beiden Unterhändler zu überzeugen, daß es im Interesse der von ihnen vertretenen Mächte liege, Frankreich das Gewicht in der orientalischen Frage zu lassen, das es erstrebt.

Niederlande.

Der Vorschlag der fünf Kammermitglieder, welcher inzwischen mittelst einer motivirenden Note an die Generalstaaten zurückgenommen worden ist, beschäftigt die Geister und die Federn fortwährend auf das thätigste. Diese Zurücknahme selbst, so wie der Entschluß der Generalstaaten, durch mehrwöchentliche Vertagung der Regierung Zeit zu lassen, über die gewünschte Verfassungsreform sich gehörig zu bedenken und sie reiflich vorzubereiten, zeugt von edlem patriotischem Sinn und jenem richtigen Tacte, der sich auch in Tagen aufgereizterer Stimmung und divergirender Ansichten bei dem Holländer niemals verläugnet. Um so bedenklicher will Vielen das Petitionswesen vorkommen, welches von der einen und andern Seite her mit ungewöhnlichem Ungestüm betrieben zu werden beginnt, wenn man auch gerade keine schlimme Absicht unterschieben möchte. Die Reminiscenzen an Aehnliches im Jahr 1829 und Vergleichungen mit den damals gebrauchten Mitteln, seine Meinung durchzusetzen, sind in gegenwärtigem Fall etwas zu Natürliches, um nicht vielfache Besorgnisse zu erwecken. Unter diesen Umständen mußte denn auch die so eben erschienene Schrift des ausgezeichneten Staatsrechtslehrers Professor Thorbecke Proeve van Herziening der Grondwet (Entwurf einer Verfassungsrevision) großes Aufsehen machen, und bildet den Gegenstand eifrigster Erörterung. Verschiedene Stimmen, welche dagegen sich vernehmen ließen, werfen der Schrift vor, daß sie nicht so fast eine Revision des vorhandenen Grundgesetzes, als die Aufstellung eines ganz neuen bezwecke, indem die wesentlichsten Principien und Bestimmungen, worauf die niederländische Verfassung beruhe, durch das darin aufgestellte Project cassirt und gestrichen würden. Auch findet man durch die bekannten regtsstreeksche Verkiezingen des Hrn. Roest van Limburg und des Arnhem'schen Courant, welche bisher als das Kühnste gegolten, das die Reformopposition in neuester Zeit aufgestellt, viel weniger eingebüßt, als durch das Thorbecke'sche Manifest, welches zugleich, wie man ziemlich deutlich zu verstehen gibt, weniger als das alleinige Product einer persönlichen Ansicht, denn als das gemeinschaftliche einer Anzahl Oppositionsmitglieder betrachtet wird, zu welchem Hr. Th. bloß seine Ziffer hergegeben habe. Die Hauptidee des Ganzen ist, das der Monarchie Entzogene der Kammer, oder vielmehr der Kammer-Majorität zuzuwenden und eine stetige Mitregierung dieser letztern zu begründen. Selbst der Arnhem'sche Courant gibt dieß zu, und ruft aus: "In solchem Fall (der Annahme und Durchführung jener Grundsätze) würden die Generalstaaten und ihre Anhänger die ganze Regierung ausschließlich in die Hände bekommen; davor bewahre der Himmel den König und die Nation! Den König, weil sodann die ganze Regierung in willigem Sichschmiegen in das bon plaisir der Mehrheit der Kammermitglieder und in dem Zuwerfen von Vorrechten und Begünstigungen an dieselben (zur Erhaltung ihrer Geneigtheit) bestehen würde; die Nation, weil die Beherzigung des allgemeinen Interesses stets in den Hintergrund gestellt und ein Spielball und Opfer der gegenseitigen (und daher sich stets befehdenden) Willkür der Regierung und der Kammer bliebe."

Italien.

Mit Vergnügen vernimmt man, daß der großherzogliche Hof Pisa in einigen Tagen verlassen wird, um hieher zurückkehren. Se. k. k. Hoh. der Großherzog erwartet den Erzherzog Ferdinand d. j. von Oesterreich; man spricht bereits von verschiedenen Hoffesten, die zu Ehren des erlauchten Gastes gegeben werden sollen. - Die neue Oper, Giovanni da Brogida, Dichtung und Musik vom Fürsten Joseph Poniatowsky, ist gegenwärtig das Tagesgespräch der hiesigen Residenz. Diese Oper wurde bereits, mit vielem Glanz, zweimal in einem hiesigen Theater aufgeführt und hat außerordentliches Aufsehen erregt. Der Fürst Joseph Poniatowsky, sein Bruder Karl und dessen Gemahlin, die Fürstin Elisa, sangen darin die ersten Partien. Im verflossenen Jahre hat man in den Salons von Wien, Paris und London das ausgezeichnete Gesangstalent dieser fürstlichen Familie kennen gelernt, nächstens werden diese Städte, gleich Florenz, die herrliche Musik benannter


Die Berathschlagung des Pairshofs über die Angeklagten der zweiten Kategorie dauert länger, als man anfangs geglaubt hat. Es heißt, das Erkenntniß werde erst in den ersten Tagen des Februars gefällt werden.

(Gazette des Tribunaux.) Wir haben gestern gemeldet, daß die HH. Mauguin und Berryer als Zeugen in Bezug auf die gegen Hrn. v. Crouy-Chanel eingeleitete Instruction vor den Instructionsrichter geladen worden seyen. Heute hieß es im Justizpalaste, daß Hr. Berryer allein auf die Fragen des Instructionsrichters geantwortet, Hr. Mauguin aber nach einigen an ihn ergangenen Interpellationen, die ihn in andere Stellung als die eines bloßen Zeugen zu versetzen suchten, sich geweigert zu antworten, und sich dabei mit dem Privilegium gedeckt habe, das der 14 Art. der Charte den Mitgliedern der Deputirtenkammer während der Dauer der Session ertheilt.

Hr. Guizot hat endlich die Gesandtschaft in London angenommen. Diese Nachricht ist seit zwei Tagen verbreitet, aber sie fand bis heute wenig Credit, weil die näheren Umstände unbekannt waren, die den neuen Gesandten zur Annahme der früher abgelehnten Mission bestimmt haben. Seit einiger Zeit bezeugte das Cabinet große Unzufriedenheit mit dem Gesandten Grafen Sebastiani in London, den es, als Folge seiner Altersschwäche, der Unfähigkeit beschuldigt, und ihm demnach die Nachtheile zur Last legt, womit die zwischen Hrn. v. Brunnow und Lord Palmerston getroffene Uebereinkunft Frankreich bedroht. Die mündlichen Berichte seines ersten Gesandtschaftssecretärs, Hrn. Bourqueney, der sich auf Urlaub hier befand, gestern aber wieder nach London abgegangen ist, trugen dazu bei, diese Unzufriedenheit zu vermehren. Das Ministerium verlangte die Zurückrufung des Grafen Sebastiani und die Ernennung eines rüstigen Diplomaten: es könne, wurde gesagt, die aus der Unfähigkeit des Grafen Sebastiani auf das Cabinet fallende Verantwortlichkeit nicht länger auf sich haften lassen. Höheren Orts wurde aber jenes Verlangen mehrmals abgelehnt, bis endlich vor einigen Tagen die Mitglieder des Cabinets einstimmig erklärten, sie reichten hiermit ihre Entlassungen ein, falls Graf Sebastiani nicht ersetzt würde. Man wendete sich an Hrn. Guizot, der anfänglich, seiner früheren Erklärung getreu, die Annahme jener Mission verweigerte; erst vorgestern Abends entschloß er sich, und zwar, dem Vernehmen nach, auf die Versicherung einer hohen Person, daß dieses diplomatische Amt nur eine Brücke zur Erfüllung der steten Wünsche des Staatsmannes seyn werde. Die Ernennung ist noch nicht officiell angezeigt, indessen ist die Abreise sicher; und zwar wird sie bereits in den nächsten Tagen stattfinden, weil Hr. Guizot den Hrn. v. Brunnow noch in London zu treffen wünscht, der, dem Vernehmen nach, London schon am 15 Febr. zu verlassen beabsichtigt. Man zweifelt hier, daß die sonst so glückliche Dialektik des neuen Botschafters es dahin bringe, jene beiden Unterhändler zu überzeugen, daß es im Interesse der von ihnen vertretenen Mächte liege, Frankreich das Gewicht in der orientalischen Frage zu lassen, das es erstrebt.

Niederlande.

Der Vorschlag der fünf Kammermitglieder, welcher inzwischen mittelst einer motivirenden Note an die Generalstaaten zurückgenommen worden ist, beschäftigt die Geister und die Federn fortwährend auf das thätigste. Diese Zurücknahme selbst, so wie der Entschluß der Generalstaaten, durch mehrwöchentliche Vertagung der Regierung Zeit zu lassen, über die gewünschte Verfassungsreform sich gehörig zu bedenken und sie reiflich vorzubereiten, zeugt von edlem patriotischem Sinn und jenem richtigen Tacte, der sich auch in Tagen aufgereizterer Stimmung und divergirender Ansichten bei dem Holländer niemals verläugnet. Um so bedenklicher will Vielen das Petitionswesen vorkommen, welches von der einen und andern Seite her mit ungewöhnlichem Ungestüm betrieben zu werden beginnt, wenn man auch gerade keine schlimme Absicht unterschieben möchte. Die Reminiscenzen an Aehnliches im Jahr 1829 und Vergleichungen mit den damals gebrauchten Mitteln, seine Meinung durchzusetzen, sind in gegenwärtigem Fall etwas zu Natürliches, um nicht vielfache Besorgnisse zu erwecken. Unter diesen Umständen mußte denn auch die so eben erschienene Schrift des ausgezeichneten Staatsrechtslehrers Professor Thorbecke Proeve van Herziening der Grondwet (Entwurf einer Verfassungsrevision) großes Aufsehen machen, und bildet den Gegenstand eifrigster Erörterung. Verschiedene Stimmen, welche dagegen sich vernehmen ließen, werfen der Schrift vor, daß sie nicht so fast eine Revision des vorhandenen Grundgesetzes, als die Aufstellung eines ganz neuen bezwecke, indem die wesentlichsten Principien und Bestimmungen, worauf die niederländische Verfassung beruhe, durch das darin aufgestellte Project cassirt und gestrichen würden. Auch findet man durch die bekannten regtsstreeksche Verkiezingen des Hrn. Roest van Limburg und des Arnhem'schen Courant, welche bisher als das Kühnste gegolten, das die Reformopposition in neuester Zeit aufgestellt, viel weniger eingebüßt, als durch das Thorbecke'sche Manifest, welches zugleich, wie man ziemlich deutlich zu verstehen gibt, weniger als das alleinige Product einer persönlichen Ansicht, denn als das gemeinschaftliche einer Anzahl Oppositionsmitglieder betrachtet wird, zu welchem Hr. Th. bloß seine Ziffer hergegeben habe. Die Hauptidee des Ganzen ist, das der Monarchie Entzogene der Kammer, oder vielmehr der Kammer-Majorität zuzuwenden und eine stetige Mitregierung dieser letztern zu begründen. Selbst der Arnhem'sche Courant gibt dieß zu, und ruft aus: „In solchem Fall (der Annahme und Durchführung jener Grundsätze) würden die Generalstaaten und ihre Anhänger die ganze Regierung ausschließlich in die Hände bekommen; davor bewahre der Himmel den König und die Nation! Den König, weil sodann die ganze Regierung in willigem Sichschmiegen in das bon plaisir der Mehrheit der Kammermitglieder und in dem Zuwerfen von Vorrechten und Begünstigungen an dieselben (zur Erhaltung ihrer Geneigtheit) bestehen würde; die Nation, weil die Beherzigung des allgemeinen Interesses stets in den Hintergrund gestellt und ein Spielball und Opfer der gegenseitigen (und daher sich stets befehdenden) Willkür der Regierung und der Kammer bliebe.“

Italien.

Mit Vergnügen vernimmt man, daß der großherzogliche Hof Pisa in einigen Tagen verlassen wird, um hieher zurückkehren. Se. k. k. Hoh. der Großherzog erwartet den Erzherzog Ferdinand d. j. von Oesterreich; man spricht bereits von verschiedenen Hoffesten, die zu Ehren des erlauchten Gastes gegeben werden sollen. – Die neue Oper, Giovanni da Brogida, Dichtung und Musik vom Fürsten Joseph Poniatowsky, ist gegenwärtig das Tagesgespräch der hiesigen Residenz. Diese Oper wurde bereits, mit vielem Glanz, zweimal in einem hiesigen Theater aufgeführt und hat außerordentliches Aufsehen erregt. Der Fürst Joseph Poniatowsky, sein Bruder Karl und dessen Gemahlin, die Fürstin Elisa, sangen darin die ersten Partien. Im verflossenen Jahre hat man in den Salons von Wien, Paris und London das ausgezeichnete Gesangstalent dieser fürstlichen Familie kennen gelernt, nächstens werden diese Städte, gleich Florenz, die herrliche Musik benannter

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div type="jArticle" n="2">
          <pb facs="#f0004" n="0276"/><lb/>
          <p>Die Berathschlagung des Pairshofs über die Angeklagten der zweiten Kategorie dauert länger, als man anfangs geglaubt hat. Es heißt, das Erkenntniß werde erst in den ersten Tagen des Februars gefällt werden.</p><lb/>
          <p>(<hi rendition="#g">Gazette des Tribunaux</hi>.) Wir haben gestern gemeldet, daß die HH. Mauguin und Berryer als Zeugen in Bezug auf die gegen Hrn. v. Crouy-Chanel eingeleitete Instruction vor den Instructionsrichter geladen worden seyen. Heute hieß es im Justizpalaste, daß Hr. Berryer allein auf die Fragen des Instructionsrichters geantwortet, Hr. Mauguin aber nach einigen an ihn ergangenen Interpellationen, die ihn in andere Stellung als die eines bloßen Zeugen zu versetzen suchten, sich geweigert zu antworten, und sich dabei mit dem Privilegium gedeckt habe, das der 14 Art. der Charte den Mitgliedern der Deputirtenkammer während der Dauer der Session ertheilt.</p>
        </div><lb/>
        <div type="jArticle" n="2">
          <byline>&#x2238;</byline>
          <dateline><hi rendition="#b">Paris,</hi> 30 Jan.</dateline>
          <p> Hr. Guizot hat endlich die Gesandtschaft in London angenommen. Diese Nachricht ist seit zwei Tagen verbreitet, aber sie fand bis heute wenig Credit, weil die näheren Umstände unbekannt waren, die den neuen Gesandten zur Annahme der früher abgelehnten Mission bestimmt haben. Seit einiger Zeit bezeugte das Cabinet große Unzufriedenheit mit dem Gesandten Grafen Sebastiani in London, den es, als Folge seiner Altersschwäche, der Unfähigkeit beschuldigt, und ihm demnach die Nachtheile zur Last legt, womit die zwischen Hrn. v. Brunnow und Lord Palmerston getroffene Uebereinkunft Frankreich bedroht. Die mündlichen Berichte seines ersten Gesandtschaftssecretärs, Hrn. Bourqueney, der sich auf Urlaub hier befand, gestern aber wieder nach London abgegangen ist, trugen dazu bei, diese Unzufriedenheit zu vermehren. Das Ministerium verlangte die Zurückrufung des Grafen Sebastiani und die Ernennung eines rüstigen Diplomaten: es könne, wurde gesagt, die aus der Unfähigkeit des Grafen Sebastiani auf das Cabinet fallende Verantwortlichkeit nicht länger auf sich haften lassen. Höheren Orts wurde aber jenes Verlangen mehrmals abgelehnt, bis endlich vor einigen Tagen die Mitglieder des Cabinets einstimmig erklärten, sie reichten hiermit ihre Entlassungen ein, falls Graf Sebastiani nicht ersetzt würde. Man wendete sich an Hrn. Guizot, der anfänglich, seiner früheren Erklärung getreu, die Annahme jener Mission verweigerte; erst vorgestern Abends entschloß er sich, und zwar, dem Vernehmen nach, auf die Versicherung einer hohen Person, daß dieses diplomatische Amt nur eine Brücke zur Erfüllung der steten Wünsche des Staatsmannes seyn werde. Die Ernennung ist noch nicht officiell angezeigt, indessen ist die Abreise sicher; und zwar wird sie bereits in den nächsten Tagen stattfinden, weil Hr. Guizot den Hrn. v. Brunnow noch in London zu treffen wünscht, der, dem Vernehmen nach, London schon am 15 Febr. zu verlassen beabsichtigt. Man zweifelt hier, daß die sonst so glückliche Dialektik des neuen Botschafters es dahin bringe, jene beiden Unterhändler zu überzeugen, daß es im Interesse der von ihnen vertretenen Mächte liege, Frankreich das Gewicht in der orientalischen Frage zu lassen, das es erstrebt.</p><lb/>
        </div>
      </div>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b">Niederlande.</hi> </head><lb/>
        <div type="jArticle" n="2">
          <byline>&#x271D;&#x271D;</byline>
          <dateline><hi rendition="#b">Haag,</hi> 21 Jan.</dateline>
          <p> Der Vorschlag der fünf Kammermitglieder, welcher inzwischen mittelst einer motivirenden Note an die Generalstaaten zurückgenommen worden ist, beschäftigt die Geister und die Federn fortwährend auf das thätigste. Diese Zurücknahme selbst, so wie der Entschluß der Generalstaaten, durch mehrwöchentliche Vertagung der Regierung Zeit zu lassen, über die gewünschte Verfassungsreform sich gehörig zu bedenken und sie reiflich vorzubereiten, zeugt von edlem patriotischem Sinn und jenem richtigen Tacte, der sich auch in Tagen aufgereizterer Stimmung und divergirender Ansichten bei dem Holländer niemals verläugnet. Um so bedenklicher will Vielen das Petitionswesen vorkommen, welches von der einen und andern Seite her mit ungewöhnlichem Ungestüm betrieben zu werden beginnt, wenn man auch gerade keine schlimme Absicht unterschieben möchte. Die Reminiscenzen an Aehnliches im Jahr 1829 und Vergleichungen mit den damals gebrauchten Mitteln, seine Meinung durchzusetzen, sind in gegenwärtigem Fall etwas zu Natürliches, um nicht vielfache Besorgnisse zu erwecken. Unter diesen Umständen mußte denn auch die so eben erschienene Schrift des ausgezeichneten Staatsrechtslehrers Professor <hi rendition="#g">Thorbecke</hi> Proeve van Herziening der Grondwet (Entwurf einer Verfassungsrevision) großes Aufsehen machen, und bildet den Gegenstand eifrigster Erörterung. Verschiedene Stimmen, welche dagegen sich vernehmen ließen, werfen der Schrift vor, daß sie nicht so fast eine Revision des vorhandenen Grundgesetzes, als die Aufstellung eines ganz neuen bezwecke, indem die wesentlichsten Principien und Bestimmungen, worauf die niederländische Verfassung beruhe, durch das darin aufgestellte Project cassirt und gestrichen würden. Auch findet man durch die bekannten regtsstreeksche Verkiezingen des Hrn. <hi rendition="#g">Roest van Limburg</hi> und des <hi rendition="#g">Arnhem</hi>'<hi rendition="#g">schen Courant</hi>, welche bisher als das Kühnste gegolten, das die Reformopposition in neuester Zeit aufgestellt, viel weniger eingebüßt, als durch das Thorbecke'sche Manifest, welches zugleich, wie man ziemlich deutlich zu verstehen gibt, weniger als das alleinige Product einer persönlichen Ansicht, denn als das gemeinschaftliche einer Anzahl Oppositionsmitglieder betrachtet wird, zu welchem Hr. Th. bloß seine Ziffer hergegeben habe. Die Hauptidee des Ganzen ist, das der Monarchie Entzogene der Kammer, oder vielmehr der Kammer-<hi rendition="#g">Majorität</hi> zuzuwenden und eine stetige Mitregierung dieser letztern zu begründen. Selbst der Arnhem'sche Courant gibt dieß zu, und ruft aus: &#x201E;In solchem Fall (der Annahme und Durchführung jener Grundsätze) würden die Generalstaaten und ihre Anhänger die ganze Regierung ausschließlich in die Hände bekommen; davor bewahre der Himmel den König und die Nation! Den König, weil sodann die ganze Regierung in willigem Sichschmiegen in das bon plaisir der Mehrheit der Kammermitglieder und in dem Zuwerfen von Vorrechten und Begünstigungen an dieselben (zur Erhaltung ihrer Geneigtheit) bestehen würde; die Nation, weil die Beherzigung des allgemeinen Interesses stets in den Hintergrund gestellt und ein Spielball und Opfer der gegenseitigen (und daher sich stets befehdenden) Willkür der Regierung und der Kammer bliebe.&#x201C;</p><lb/>
        </div>
      </div>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b">Italien.</hi> </head><lb/>
        <div type="jArticle" n="2">
          <byline>*</byline>
          <dateline><hi rendition="#b">Florenz,</hi> 28 Jan.</dateline>
          <p> Mit Vergnügen vernimmt man, daß der großherzogliche Hof Pisa in einigen Tagen verlassen wird, um hieher zurückkehren. Se. k. k. Hoh. der Großherzog erwartet den Erzherzog Ferdinand d. j. von Oesterreich; man spricht bereits von verschiedenen Hoffesten, die zu Ehren des erlauchten Gastes gegeben werden sollen. &#x2013; Die neue Oper, Giovanni da Brogida, Dichtung und Musik vom Fürsten Joseph Poniatowsky, ist gegenwärtig das Tagesgespräch der hiesigen Residenz. Diese Oper wurde bereits, mit vielem Glanz, zweimal in einem hiesigen Theater aufgeführt und hat außerordentliches Aufsehen erregt. Der Fürst Joseph Poniatowsky, sein Bruder Karl und dessen Gemahlin, die Fürstin Elisa, sangen darin die ersten Partien. Im verflossenen Jahre hat man in den Salons von Wien, Paris und London das ausgezeichnete Gesangstalent dieser fürstlichen Familie kennen gelernt, nächstens werden diese Städte, gleich Florenz, die herrliche Musik benannter<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0276/0004] Die Berathschlagung des Pairshofs über die Angeklagten der zweiten Kategorie dauert länger, als man anfangs geglaubt hat. Es heißt, das Erkenntniß werde erst in den ersten Tagen des Februars gefällt werden. (Gazette des Tribunaux.) Wir haben gestern gemeldet, daß die HH. Mauguin und Berryer als Zeugen in Bezug auf die gegen Hrn. v. Crouy-Chanel eingeleitete Instruction vor den Instructionsrichter geladen worden seyen. Heute hieß es im Justizpalaste, daß Hr. Berryer allein auf die Fragen des Instructionsrichters geantwortet, Hr. Mauguin aber nach einigen an ihn ergangenen Interpellationen, die ihn in andere Stellung als die eines bloßen Zeugen zu versetzen suchten, sich geweigert zu antworten, und sich dabei mit dem Privilegium gedeckt habe, das der 14 Art. der Charte den Mitgliedern der Deputirtenkammer während der Dauer der Session ertheilt. ∸ Paris, 30 Jan. Hr. Guizot hat endlich die Gesandtschaft in London angenommen. Diese Nachricht ist seit zwei Tagen verbreitet, aber sie fand bis heute wenig Credit, weil die näheren Umstände unbekannt waren, die den neuen Gesandten zur Annahme der früher abgelehnten Mission bestimmt haben. Seit einiger Zeit bezeugte das Cabinet große Unzufriedenheit mit dem Gesandten Grafen Sebastiani in London, den es, als Folge seiner Altersschwäche, der Unfähigkeit beschuldigt, und ihm demnach die Nachtheile zur Last legt, womit die zwischen Hrn. v. Brunnow und Lord Palmerston getroffene Uebereinkunft Frankreich bedroht. Die mündlichen Berichte seines ersten Gesandtschaftssecretärs, Hrn. Bourqueney, der sich auf Urlaub hier befand, gestern aber wieder nach London abgegangen ist, trugen dazu bei, diese Unzufriedenheit zu vermehren. Das Ministerium verlangte die Zurückrufung des Grafen Sebastiani und die Ernennung eines rüstigen Diplomaten: es könne, wurde gesagt, die aus der Unfähigkeit des Grafen Sebastiani auf das Cabinet fallende Verantwortlichkeit nicht länger auf sich haften lassen. Höheren Orts wurde aber jenes Verlangen mehrmals abgelehnt, bis endlich vor einigen Tagen die Mitglieder des Cabinets einstimmig erklärten, sie reichten hiermit ihre Entlassungen ein, falls Graf Sebastiani nicht ersetzt würde. Man wendete sich an Hrn. Guizot, der anfänglich, seiner früheren Erklärung getreu, die Annahme jener Mission verweigerte; erst vorgestern Abends entschloß er sich, und zwar, dem Vernehmen nach, auf die Versicherung einer hohen Person, daß dieses diplomatische Amt nur eine Brücke zur Erfüllung der steten Wünsche des Staatsmannes seyn werde. Die Ernennung ist noch nicht officiell angezeigt, indessen ist die Abreise sicher; und zwar wird sie bereits in den nächsten Tagen stattfinden, weil Hr. Guizot den Hrn. v. Brunnow noch in London zu treffen wünscht, der, dem Vernehmen nach, London schon am 15 Febr. zu verlassen beabsichtigt. Man zweifelt hier, daß die sonst so glückliche Dialektik des neuen Botschafters es dahin bringe, jene beiden Unterhändler zu überzeugen, daß es im Interesse der von ihnen vertretenen Mächte liege, Frankreich das Gewicht in der orientalischen Frage zu lassen, das es erstrebt. Niederlande. ✝✝Haag, 21 Jan. Der Vorschlag der fünf Kammermitglieder, welcher inzwischen mittelst einer motivirenden Note an die Generalstaaten zurückgenommen worden ist, beschäftigt die Geister und die Federn fortwährend auf das thätigste. Diese Zurücknahme selbst, so wie der Entschluß der Generalstaaten, durch mehrwöchentliche Vertagung der Regierung Zeit zu lassen, über die gewünschte Verfassungsreform sich gehörig zu bedenken und sie reiflich vorzubereiten, zeugt von edlem patriotischem Sinn und jenem richtigen Tacte, der sich auch in Tagen aufgereizterer Stimmung und divergirender Ansichten bei dem Holländer niemals verläugnet. Um so bedenklicher will Vielen das Petitionswesen vorkommen, welches von der einen und andern Seite her mit ungewöhnlichem Ungestüm betrieben zu werden beginnt, wenn man auch gerade keine schlimme Absicht unterschieben möchte. Die Reminiscenzen an Aehnliches im Jahr 1829 und Vergleichungen mit den damals gebrauchten Mitteln, seine Meinung durchzusetzen, sind in gegenwärtigem Fall etwas zu Natürliches, um nicht vielfache Besorgnisse zu erwecken. Unter diesen Umständen mußte denn auch die so eben erschienene Schrift des ausgezeichneten Staatsrechtslehrers Professor Thorbecke Proeve van Herziening der Grondwet (Entwurf einer Verfassungsrevision) großes Aufsehen machen, und bildet den Gegenstand eifrigster Erörterung. Verschiedene Stimmen, welche dagegen sich vernehmen ließen, werfen der Schrift vor, daß sie nicht so fast eine Revision des vorhandenen Grundgesetzes, als die Aufstellung eines ganz neuen bezwecke, indem die wesentlichsten Principien und Bestimmungen, worauf die niederländische Verfassung beruhe, durch das darin aufgestellte Project cassirt und gestrichen würden. Auch findet man durch die bekannten regtsstreeksche Verkiezingen des Hrn. Roest van Limburg und des Arnhem'schen Courant, welche bisher als das Kühnste gegolten, das die Reformopposition in neuester Zeit aufgestellt, viel weniger eingebüßt, als durch das Thorbecke'sche Manifest, welches zugleich, wie man ziemlich deutlich zu verstehen gibt, weniger als das alleinige Product einer persönlichen Ansicht, denn als das gemeinschaftliche einer Anzahl Oppositionsmitglieder betrachtet wird, zu welchem Hr. Th. bloß seine Ziffer hergegeben habe. Die Hauptidee des Ganzen ist, das der Monarchie Entzogene der Kammer, oder vielmehr der Kammer-Majorität zuzuwenden und eine stetige Mitregierung dieser letztern zu begründen. Selbst der Arnhem'sche Courant gibt dieß zu, und ruft aus: „In solchem Fall (der Annahme und Durchführung jener Grundsätze) würden die Generalstaaten und ihre Anhänger die ganze Regierung ausschließlich in die Hände bekommen; davor bewahre der Himmel den König und die Nation! Den König, weil sodann die ganze Regierung in willigem Sichschmiegen in das bon plaisir der Mehrheit der Kammermitglieder und in dem Zuwerfen von Vorrechten und Begünstigungen an dieselben (zur Erhaltung ihrer Geneigtheit) bestehen würde; die Nation, weil die Beherzigung des allgemeinen Interesses stets in den Hintergrund gestellt und ein Spielball und Opfer der gegenseitigen (und daher sich stets befehdenden) Willkür der Regierung und der Kammer bliebe.“ Italien. *Florenz, 28 Jan. Mit Vergnügen vernimmt man, daß der großherzogliche Hof Pisa in einigen Tagen verlassen wird, um hieher zurückkehren. Se. k. k. Hoh. der Großherzog erwartet den Erzherzog Ferdinand d. j. von Oesterreich; man spricht bereits von verschiedenen Hoffesten, die zu Ehren des erlauchten Gastes gegeben werden sollen. – Die neue Oper, Giovanni da Brogida, Dichtung und Musik vom Fürsten Joseph Poniatowsky, ist gegenwärtig das Tagesgespräch der hiesigen Residenz. Diese Oper wurde bereits, mit vielem Glanz, zweimal in einem hiesigen Theater aufgeführt und hat außerordentliches Aufsehen erregt. Der Fürst Joseph Poniatowsky, sein Bruder Karl und dessen Gemahlin, die Fürstin Elisa, sangen darin die ersten Partien. Im verflossenen Jahre hat man in den Salons von Wien, Paris und London das ausgezeichnete Gesangstalent dieser fürstlichen Familie kennen gelernt, nächstens werden diese Städte, gleich Florenz, die herrliche Musik benannter

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Deutsches Textarchiv: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-06-28T11:37:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-28T11:37:15Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: Lautwert transkribiert; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: gekennzeichnet; Kustoden: gekennzeichnet; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: Lautwert transkribiert; Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert; Vollständigkeit: teilweise erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_035_18400204
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_035_18400204/4
Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 35. Augsburg, 4. Februar 1840, S. 0276. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_035_18400204/4>, abgerufen am 24.11.2024.