Allgemeine Zeitung. Nr. 31. Augsburg, 31. Januar 1840.
Schwedische Zustände. II. Beamtenbildung. Stockholm, Januar. (Beschluß.) Nicht besser, sondern vielmehr noch schlimmer sieht es mit den eigentlichen Staats- und Cameralwissenschaften aus, indem diese hier noch so gut als gar keinen Platz auf den Universitäten gefunden haben. Zwar gibt es in Upsala eine Professur, unter deren Obliegenheiten die erstern zum Theil gehören sollten, allein da derselbe Professor auch zugleich, durch eine sonderbare Mischung, die römische Sprache und Litteratur sich angewiesen hat, und zwei so verschiedenartige Fächer, von denen jedes seinen eigenen Mann vollkommen in Anspruch nimmt, schwerlich von Einem mit gleichem Glück umfaßt werden können, so ist es kaum zu verwundern, daß bisher auf diesem Lehrstuhl zwar in der Regel Tacitus gut erklärt worden ist, die Staatswissenschaften aber immer zu kurz gekommen sind. Das Verhältniß hätte besser umgekehrt seyn können, da doch in derselben Facultät eine andere, besondere Professur für die römische Litteratur besteht. Es wäre dieß auch wohl geschehen, wenn man nicht von oben her einen wundersamen Schrecken vor allen auf die Politik hinzielenden Studien auf den Universitäten hegte. Diese Scheu ist so weit gegangen, daß selbst die Reichsstände schon auf zwei verschiedenen Reichstagen bei der Regierung haben antragen müssen, daß man doch wenigstens die Grundgesetze des Vaterlandes auf den Universitäten vortragen sollte. Die Regierung konnte sich lange nicht entschließen, eine Verfügung in dieser Beziehung erscheinen zu lassen. Daß dieß so eben erst endlich geschah, ist vermuthlich eine captatio benevolentiac für den jetzt zusammentretenden Reichstag. Von Cameralwissenschaften in unserm Sinne weiß man auf den hiesigen Universitäten so gut als gar nichts. Eine nothdürftige Kenntniß von den vaterländischen Gesetzen über das Steuerwesen ist Alles, was man hier darunter versteht. Außer den Universitäten sind die hieher gehörigen Wissenschaften auf eine eben so unglaubliche Weise vernachlässigt. Nur die Bergbaulehre macht hier eine ehrenhafte Ausnahme, indem sie mit der Gründlichkeit, die dieser für Schweden so wichtige Lehrgegenstand verdient, in der Bergschule zu Falun (in Dalekarlien) studirt wird, nachdem die theoretischen Vorstudien auf der Universität absolvirt sind. Von der Forstwissenschaft aber, welche für Schweden nicht weniger wichtig seyn sollte, weiß man fast gar nichts, und welche große Reichthümer des Landes durch Mangel an Forstbeamten oder durch die Unwissenheit der vorhandenen jährlich verloren gehen, scheint man nicht zu erkennen. Die Ausnahmen in dieser Beziehung sind selten und meistens nicht unter den Staatsbeamten zu finden, sondern unter einigen wenigen Gutsbesitzern, welche sich in die Nothwendigkeit gefügt haben, deutsche Forstmänner für ihre Privatwirthschaften herbeizurufen. Auch die Landwirthschaft wird nirgends auf eine wissenschaftliche Weise gelehrt. In Upsala bestand zwar ehemals eine sogenannte ökonomische Professur, welche diesem Gegenstande besonders obliegen sollte, in späterer Zeit hat man sie in eine rein botanische umgewandelt. Die hiesige Landwirthschaftsakademie thut für den Unterricht nichts, und scheint überhaupt, obwohl reich dotirt, wenig ausgerichtet zu haben. Die Technologie wird auf den Universitäten nicht gelehrt, und das hiesige technologische Institut ist gar zu beschränkt, um den jetzigen Forderungen an einer wissenschaftlichen Anstalt entsprechen zu können. Von politischer Oekonomie, Finanz- und Polizeiwissenschaft u. s. w. ist nicht zu reden. Man hat hier die Ansicht, daß der Cameralist so wenig Kenntnisse brauche, daß man sogar bei der Aufnahme auf der Universität Rücksichten darauf nimmt, wenn Jemand sich als kuftigen Cameralisten meldet. Man stellt geringere Forderungen von Vorstudien an ihn. Auch bleibt der Cameralist in der Regel nur ein Jahr auf der Universität. In der Prüfung, welche er dann besteht, um unmittelbar in den Staatsdienst überzugehen, gilt die Bruchrechnung als ein non plus ultra, und ich habe selbst in Upsala neulich einer solchen öffentlichen Prüfung beigewohnt, wo der Examinandus auch in dieser zu kurz gekommen ist, und zwar auf eine Weise, die einem deutschen Schulknaben zur Schande gereichen würde. Hier schien dieß nichts Auffallendes zu seyn, und der auf diese Art Examinirte ist nicht durchgefallen. Er kann jetzt ohne weiteres bis zum Collegienpräsidenten avanciren, wenn der Wind gut bläst, besonders wenn er vom Adel ist oder einen Staatsminister zum Oheim hat! Ob alle diese Mängel mehr den Universitäten oder der Regierung zur Last gelegt werden müssen, weiß ich nicht. Doch scheinen die erstern noch heutzutage fast nur auf dieselben Mittel angewiesen zu seyn, welche sie seit Jahrhunderten als ihr Privateigenthum besessen haben; aus eigener Kraft dürften sie daher für ihre zeitgemäße Erweiterung, auch mit dem besten Willen, wenig haben ausrichten können. Ohne Zweifel hätten sie jedoch aus eigener Machtvollkommenheit mehr Ernst in den Prüfungen zeigen und mit dringenderen Vorstellungen über die nothwendigen Reformen und Erweiterung der Lehrgegenstände bei der Regierung oder sogar bei den Reichsständen einkommen können. Allein die meisten hiesigen Gelehrten und Universitätsprofessoren scheinen die praktischen Staats- und Cameralwissenschaften entweder gar für gefährlich oder wenigstens nicht für würdig genug zu halten, auf den Universitäten gelehrt zu werden, und mancher lächelt vornehm, wenn man z. B. von Forstwissenschaft oder Polizeiwissenschaft spricht. Es gehört vielleicht diese Ansicht zu den "idealen Prätentionen", von denen Geijer in dem in meinem vorigen Brief angeführten Citate gesprochen hat. Die Folgen aber für den Staat und für das Leben sind nichts weniger als idealisch, und thun
Schwedische Zustände. II. Beamtenbildung. Stockholm, Januar. (Beschluß.) Nicht besser, sondern vielmehr noch schlimmer sieht es mit den eigentlichen Staats- und Cameralwissenschaften aus, indem diese hier noch so gut als gar keinen Platz auf den Universitäten gefunden haben. Zwar gibt es in Upsala eine Professur, unter deren Obliegenheiten die erstern zum Theil gehören sollten, allein da derselbe Professor auch zugleich, durch eine sonderbare Mischung, die römische Sprache und Litteratur sich angewiesen hat, und zwei so verschiedenartige Fächer, von denen jedes seinen eigenen Mann vollkommen in Anspruch nimmt, schwerlich von Einem mit gleichem Glück umfaßt werden können, so ist es kaum zu verwundern, daß bisher auf diesem Lehrstuhl zwar in der Regel Tacitus gut erklärt worden ist, die Staatswissenschaften aber immer zu kurz gekommen sind. Das Verhältniß hätte besser umgekehrt seyn können, da doch in derselben Facultät eine andere, besondere Professur für die römische Litteratur besteht. Es wäre dieß auch wohl geschehen, wenn man nicht von oben her einen wundersamen Schrecken vor allen auf die Politik hinzielenden Studien auf den Universitäten hegte. Diese Scheu ist so weit gegangen, daß selbst die Reichsstände schon auf zwei verschiedenen Reichstagen bei der Regierung haben antragen müssen, daß man doch wenigstens die Grundgesetze des Vaterlandes auf den Universitäten vortragen sollte. Die Regierung konnte sich lange nicht entschließen, eine Verfügung in dieser Beziehung erscheinen zu lassen. Daß dieß so eben erst endlich geschah, ist vermuthlich eine captatio benevolentiac für den jetzt zusammentretenden Reichstag. Von Cameralwissenschaften in unserm Sinne weiß man auf den hiesigen Universitäten so gut als gar nichts. Eine nothdürftige Kenntniß von den vaterländischen Gesetzen über das Steuerwesen ist Alles, was man hier darunter versteht. Außer den Universitäten sind die hieher gehörigen Wissenschaften auf eine eben so unglaubliche Weise vernachlässigt. Nur die Bergbaulehre macht hier eine ehrenhafte Ausnahme, indem sie mit der Gründlichkeit, die dieser für Schweden so wichtige Lehrgegenstand verdient, in der Bergschule zu Falun (in Dalekarlien) studirt wird, nachdem die theoretischen Vorstudien auf der Universität absolvirt sind. Von der Forstwissenschaft aber, welche für Schweden nicht weniger wichtig seyn sollte, weiß man fast gar nichts, und welche große Reichthümer des Landes durch Mangel an Forstbeamten oder durch die Unwissenheit der vorhandenen jährlich verloren gehen, scheint man nicht zu erkennen. Die Ausnahmen in dieser Beziehung sind selten und meistens nicht unter den Staatsbeamten zu finden, sondern unter einigen wenigen Gutsbesitzern, welche sich in die Nothwendigkeit gefügt haben, deutsche Forstmänner für ihre Privatwirthschaften herbeizurufen. Auch die Landwirthschaft wird nirgends auf eine wissenschaftliche Weise gelehrt. In Upsala bestand zwar ehemals eine sogenannte ökonomische Professur, welche diesem Gegenstande besonders obliegen sollte, in späterer Zeit hat man sie in eine rein botanische umgewandelt. Die hiesige Landwirthschaftsakademie thut für den Unterricht nichts, und scheint überhaupt, obwohl reich dotirt, wenig ausgerichtet zu haben. Die Technologie wird auf den Universitäten nicht gelehrt, und das hiesige technologische Institut ist gar zu beschränkt, um den jetzigen Forderungen an einer wissenschaftlichen Anstalt entsprechen zu können. Von politischer Oekonomie, Finanz- und Polizeiwissenschaft u. s. w. ist nicht zu reden. Man hat hier die Ansicht, daß der Cameralist so wenig Kenntnisse brauche, daß man sogar bei der Aufnahme auf der Universität Rücksichten darauf nimmt, wenn Jemand sich als kuftigen Cameralisten meldet. Man stellt geringere Forderungen von Vorstudien an ihn. Auch bleibt der Cameralist in der Regel nur ein Jahr auf der Universität. In der Prüfung, welche er dann besteht, um unmittelbar in den Staatsdienst überzugehen, gilt die Bruchrechnung als ein non plus ultra, und ich habe selbst in Upsala neulich einer solchen öffentlichen Prüfung beigewohnt, wo der Examinandus auch in dieser zu kurz gekommen ist, und zwar auf eine Weise, die einem deutschen Schulknaben zur Schande gereichen würde. Hier schien dieß nichts Auffallendes zu seyn, und der auf diese Art Examinirte ist nicht durchgefallen. Er kann jetzt ohne weiteres bis zum Collegienpräsidenten avanciren, wenn der Wind gut bläst, besonders wenn er vom Adel ist oder einen Staatsminister zum Oheim hat! Ob alle diese Mängel mehr den Universitäten oder der Regierung zur Last gelegt werden müssen, weiß ich nicht. Doch scheinen die erstern noch heutzutage fast nur auf dieselben Mittel angewiesen zu seyn, welche sie seit Jahrhunderten als ihr Privateigenthum besessen haben; aus eigener Kraft dürften sie daher für ihre zeitgemäße Erweiterung, auch mit dem besten Willen, wenig haben ausrichten können. Ohne Zweifel hätten sie jedoch aus eigener Machtvollkommenheit mehr Ernst in den Prüfungen zeigen und mit dringenderen Vorstellungen über die nothwendigen Reformen und Erweiterung der Lehrgegenstände bei der Regierung oder sogar bei den Reichsständen einkommen können. Allein die meisten hiesigen Gelehrten und Universitätsprofessoren scheinen die praktischen Staats- und Cameralwissenschaften entweder gar für gefährlich oder wenigstens nicht für würdig genug zu halten, auf den Universitäten gelehrt zu werden, und mancher lächelt vornehm, wenn man z. B. von Forstwissenschaft oder Polizeiwissenschaft spricht. Es gehört vielleicht diese Ansicht zu den „idealen Prätentionen“, von denen Geijer in dem in meinem vorigen Brief angeführten Citate gesprochen hat. Die Folgen aber für den Staat und für das Leben sind nichts weniger als idealisch, und thun <TEI> <text> <body> <div type="jSupplement" n="1"> <floatingText> <body> <div n="2"> <div type="jArticle" n="3"> <p><pb facs="#f0010" n="0242"/><lb/> Ein sehr schöner Glaswagen fuhr durch eine stille Menschenmenge hin, aus der nur hie und da ein schwaches Vivat hervortönte; darüber aber erbrauste ein Hurrahruf aus dem „Reformclub.“ Sonderbarer Zeitenwechsel! Und Sie werden in unsern Blättern lesen, daß ein tapferer Whigjüngling des Unterhauses von einem Tory zum Zweikampf gefordert worden, und wie die Pistolen knallten und das Kleingewehrfeuer durch die rasselnde Correspondenz der beiden Combattanten in den Journalen noch übertönt ward. Broughams Rede vom gestrigen werden Sie schon gelesen haben; man unterhält sich heute von nichts Anderm. Der desappointirte Demagog hat dem glücklichen Demagogen allerdings einige harte Püffe versetzt, und die Tories, welche die Hülfe Broughams und des Gottseybeiuns selbst gegen die Whigs anzunehmen bereit sind, jubiliren über den Sturmlauf ihres Kämpen. Verlassen Sie sich darauf, O'Connell kann ebenso gut Hiebe austheilen, wie einnehmen, und so darf man sich auf ein großes Billingsgate-Gefecht zwischen den beiden Ehrenmännern gefaßt halten. Klägliche Zungendrescherei! Der hohläugige Hunger geht mit langen Schritten durch das Land, und die Riesin Unzufriedenheit zerrt an ihrer klirrenden Kette; Hunderttausende greifen zu Schwert und Lanze, und diese Lords und Gemeinen schwatzen und klatschen und stimmen ab. Die neuen Kanuts! sie glauben, der Brandung jenes sturmdurchwühlten Volksoceans mit dem Wink ihrer Hand gebieten zu können!</p><lb/> </div> </div> <div n="1"> <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Schwedische Zustände</hi>.</hi> </head><lb/> <p>II. <hi rendition="#g">Beamtenbildung</hi>.</p><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <byline> <gap reason="insignificant" unit="chars" quantity="1"/> </byline> <dateline><hi rendition="#b">Stockholm,</hi> Januar.</dateline> <p> (Beschluß.) Nicht besser, sondern vielmehr noch schlimmer sieht es mit den eigentlichen Staats- und Cameralwissenschaften aus, indem diese hier noch so gut als gar keinen Platz auf den Universitäten gefunden haben. 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Diese Scheu ist so weit gegangen, daß selbst die Reichsstände schon auf zwei verschiedenen Reichstagen bei der Regierung haben antragen müssen, daß man doch wenigstens die Grundgesetze des Vaterlandes auf den Universitäten vortragen sollte. Die Regierung konnte sich lange nicht entschließen, eine Verfügung in dieser Beziehung erscheinen zu lassen. Daß dieß so eben erst endlich geschah, ist vermuthlich eine captatio benevolentiac für den jetzt zusammentretenden Reichstag.</p><lb/> <p>Von Cameralwissenschaften in unserm Sinne weiß man auf den hiesigen Universitäten so gut als gar nichts. Eine nothdürftige Kenntniß von den vaterländischen Gesetzen über das Steuerwesen ist Alles, was man hier darunter versteht. Außer den Universitäten sind die hieher gehörigen Wissenschaften auf eine eben so unglaubliche Weise vernachlässigt. Nur die Bergbaulehre macht hier eine ehrenhafte Ausnahme, indem sie mit der Gründlichkeit, die dieser für Schweden so wichtige Lehrgegenstand verdient, in der Bergschule zu Falun (in Dalekarlien) studirt wird, nachdem die theoretischen Vorstudien auf der Universität absolvirt sind. Von der Forstwissenschaft aber, welche für Schweden nicht weniger wichtig seyn sollte, weiß man fast gar nichts, und welche große Reichthümer des Landes durch Mangel an Forstbeamten oder durch die Unwissenheit der vorhandenen jährlich verloren gehen, scheint man nicht zu erkennen. Die Ausnahmen in dieser Beziehung sind selten und meistens nicht unter den Staatsbeamten zu finden, sondern unter einigen wenigen Gutsbesitzern, welche sich in die Nothwendigkeit gefügt haben, deutsche Forstmänner für ihre Privatwirthschaften herbeizurufen. Auch die Landwirthschaft wird nirgends auf eine wissenschaftliche Weise gelehrt. In Upsala bestand zwar ehemals eine sogenannte ökonomische Professur, welche diesem Gegenstande besonders obliegen sollte, in späterer Zeit hat man sie in eine rein botanische umgewandelt. Die hiesige Landwirthschaftsakademie thut für den Unterricht nichts, und scheint überhaupt, obwohl reich dotirt, wenig ausgerichtet zu haben. Die Technologie wird auf den Universitäten nicht gelehrt, und das hiesige technologische Institut ist gar zu beschränkt, um den jetzigen Forderungen an einer wissenschaftlichen Anstalt entsprechen zu können. Von politischer Oekonomie, Finanz- und Polizeiwissenschaft u. s. w. ist nicht zu reden.</p><lb/> <p>Man hat hier die Ansicht, daß der Cameralist so wenig Kenntnisse brauche, daß man sogar bei der Aufnahme auf der Universität Rücksichten darauf nimmt, wenn Jemand sich als kuftigen Cameralisten meldet. Man stellt geringere Forderungen von Vorstudien an ihn. Auch bleibt der Cameralist in der Regel nur <hi rendition="#g">ein</hi> Jahr auf der Universität. In der Prüfung, welche er dann besteht, um unmittelbar in den Staatsdienst überzugehen, gilt die Bruchrechnung als ein non plus ultra, und ich habe selbst in Upsala neulich einer solchen öffentlichen Prüfung beigewohnt, wo der Examinandus auch in dieser zu kurz gekommen ist, und zwar auf eine Weise, die einem deutschen Schulknaben zur Schande gereichen würde. Hier schien dieß nichts Auffallendes zu seyn, und der auf diese Art Examinirte ist nicht durchgefallen. Er kann jetzt ohne weiteres bis zum Collegienpräsidenten avanciren, wenn der Wind gut bläst, besonders wenn er vom Adel ist oder einen Staatsminister zum Oheim hat!</p><lb/> <p>Ob alle diese Mängel mehr den Universitäten oder der Regierung zur Last gelegt werden müssen, weiß ich nicht. Doch scheinen die erstern noch heutzutage fast nur auf dieselben Mittel angewiesen zu seyn, welche sie seit Jahrhunderten als ihr Privateigenthum besessen haben; aus eigener Kraft dürften sie daher für ihre zeitgemäße Erweiterung, auch mit dem besten Willen, wenig haben ausrichten können. Ohne Zweifel hätten sie jedoch aus eigener Machtvollkommenheit mehr Ernst in den Prüfungen zeigen und mit dringenderen Vorstellungen über die nothwendigen Reformen und Erweiterung der Lehrgegenstände bei der Regierung oder sogar bei den Reichsständen einkommen können. Allein die meisten hiesigen Gelehrten und Universitätsprofessoren scheinen die praktischen Staats- und Cameralwissenschaften entweder gar für gefährlich oder wenigstens nicht für würdig genug zu halten, auf den Universitäten gelehrt zu werden, und mancher lächelt vornehm, wenn man z. B. von Forstwissenschaft oder Polizeiwissenschaft spricht. Es gehört vielleicht diese Ansicht zu den „idealen Prätentionen“, von denen Geijer in dem in meinem vorigen Brief angeführten Citate gesprochen hat. Die Folgen aber für den Staat und für das Leben sind nichts weniger als idealisch, und thun<lb/></p> </div> </div> </body> </floatingText> </div> </body> </text> </TEI> [0242/0010]
Ein sehr schöner Glaswagen fuhr durch eine stille Menschenmenge hin, aus der nur hie und da ein schwaches Vivat hervortönte; darüber aber erbrauste ein Hurrahruf aus dem „Reformclub.“ Sonderbarer Zeitenwechsel! Und Sie werden in unsern Blättern lesen, daß ein tapferer Whigjüngling des Unterhauses von einem Tory zum Zweikampf gefordert worden, und wie die Pistolen knallten und das Kleingewehrfeuer durch die rasselnde Correspondenz der beiden Combattanten in den Journalen noch übertönt ward. Broughams Rede vom gestrigen werden Sie schon gelesen haben; man unterhält sich heute von nichts Anderm. Der desappointirte Demagog hat dem glücklichen Demagogen allerdings einige harte Püffe versetzt, und die Tories, welche die Hülfe Broughams und des Gottseybeiuns selbst gegen die Whigs anzunehmen bereit sind, jubiliren über den Sturmlauf ihres Kämpen. Verlassen Sie sich darauf, O'Connell kann ebenso gut Hiebe austheilen, wie einnehmen, und so darf man sich auf ein großes Billingsgate-Gefecht zwischen den beiden Ehrenmännern gefaßt halten. Klägliche Zungendrescherei! Der hohläugige Hunger geht mit langen Schritten durch das Land, und die Riesin Unzufriedenheit zerrt an ihrer klirrenden Kette; Hunderttausende greifen zu Schwert und Lanze, und diese Lords und Gemeinen schwatzen und klatschen und stimmen ab. Die neuen Kanuts! sie glauben, der Brandung jenes sturmdurchwühlten Volksoceans mit dem Wink ihrer Hand gebieten zu können!
Schwedische Zustände.
II. Beamtenbildung.
_Stockholm, Januar. (Beschluß.) Nicht besser, sondern vielmehr noch schlimmer sieht es mit den eigentlichen Staats- und Cameralwissenschaften aus, indem diese hier noch so gut als gar keinen Platz auf den Universitäten gefunden haben. Zwar gibt es in Upsala eine Professur, unter deren Obliegenheiten die erstern zum Theil gehören sollten, allein da derselbe Professor auch zugleich, durch eine sonderbare Mischung, die römische Sprache und Litteratur sich angewiesen hat, und zwei so verschiedenartige Fächer, von denen jedes seinen eigenen Mann vollkommen in Anspruch nimmt, schwerlich von Einem mit gleichem Glück umfaßt werden können, so ist es kaum zu verwundern, daß bisher auf diesem Lehrstuhl zwar in der Regel Tacitus gut erklärt worden ist, die Staatswissenschaften aber immer zu kurz gekommen sind. Das Verhältniß hätte besser umgekehrt seyn können, da doch in derselben Facultät eine andere, besondere Professur für die römische Litteratur besteht. Es wäre dieß auch wohl geschehen, wenn man nicht von oben her einen wundersamen Schrecken vor allen auf die Politik hinzielenden Studien auf den Universitäten hegte. Diese Scheu ist so weit gegangen, daß selbst die Reichsstände schon auf zwei verschiedenen Reichstagen bei der Regierung haben antragen müssen, daß man doch wenigstens die Grundgesetze des Vaterlandes auf den Universitäten vortragen sollte. Die Regierung konnte sich lange nicht entschließen, eine Verfügung in dieser Beziehung erscheinen zu lassen. Daß dieß so eben erst endlich geschah, ist vermuthlich eine captatio benevolentiac für den jetzt zusammentretenden Reichstag.
Von Cameralwissenschaften in unserm Sinne weiß man auf den hiesigen Universitäten so gut als gar nichts. Eine nothdürftige Kenntniß von den vaterländischen Gesetzen über das Steuerwesen ist Alles, was man hier darunter versteht. Außer den Universitäten sind die hieher gehörigen Wissenschaften auf eine eben so unglaubliche Weise vernachlässigt. Nur die Bergbaulehre macht hier eine ehrenhafte Ausnahme, indem sie mit der Gründlichkeit, die dieser für Schweden so wichtige Lehrgegenstand verdient, in der Bergschule zu Falun (in Dalekarlien) studirt wird, nachdem die theoretischen Vorstudien auf der Universität absolvirt sind. Von der Forstwissenschaft aber, welche für Schweden nicht weniger wichtig seyn sollte, weiß man fast gar nichts, und welche große Reichthümer des Landes durch Mangel an Forstbeamten oder durch die Unwissenheit der vorhandenen jährlich verloren gehen, scheint man nicht zu erkennen. Die Ausnahmen in dieser Beziehung sind selten und meistens nicht unter den Staatsbeamten zu finden, sondern unter einigen wenigen Gutsbesitzern, welche sich in die Nothwendigkeit gefügt haben, deutsche Forstmänner für ihre Privatwirthschaften herbeizurufen. Auch die Landwirthschaft wird nirgends auf eine wissenschaftliche Weise gelehrt. In Upsala bestand zwar ehemals eine sogenannte ökonomische Professur, welche diesem Gegenstande besonders obliegen sollte, in späterer Zeit hat man sie in eine rein botanische umgewandelt. Die hiesige Landwirthschaftsakademie thut für den Unterricht nichts, und scheint überhaupt, obwohl reich dotirt, wenig ausgerichtet zu haben. Die Technologie wird auf den Universitäten nicht gelehrt, und das hiesige technologische Institut ist gar zu beschränkt, um den jetzigen Forderungen an einer wissenschaftlichen Anstalt entsprechen zu können. Von politischer Oekonomie, Finanz- und Polizeiwissenschaft u. s. w. ist nicht zu reden.
Man hat hier die Ansicht, daß der Cameralist so wenig Kenntnisse brauche, daß man sogar bei der Aufnahme auf der Universität Rücksichten darauf nimmt, wenn Jemand sich als kuftigen Cameralisten meldet. Man stellt geringere Forderungen von Vorstudien an ihn. Auch bleibt der Cameralist in der Regel nur ein Jahr auf der Universität. In der Prüfung, welche er dann besteht, um unmittelbar in den Staatsdienst überzugehen, gilt die Bruchrechnung als ein non plus ultra, und ich habe selbst in Upsala neulich einer solchen öffentlichen Prüfung beigewohnt, wo der Examinandus auch in dieser zu kurz gekommen ist, und zwar auf eine Weise, die einem deutschen Schulknaben zur Schande gereichen würde. Hier schien dieß nichts Auffallendes zu seyn, und der auf diese Art Examinirte ist nicht durchgefallen. Er kann jetzt ohne weiteres bis zum Collegienpräsidenten avanciren, wenn der Wind gut bläst, besonders wenn er vom Adel ist oder einen Staatsminister zum Oheim hat!
Ob alle diese Mängel mehr den Universitäten oder der Regierung zur Last gelegt werden müssen, weiß ich nicht. Doch scheinen die erstern noch heutzutage fast nur auf dieselben Mittel angewiesen zu seyn, welche sie seit Jahrhunderten als ihr Privateigenthum besessen haben; aus eigener Kraft dürften sie daher für ihre zeitgemäße Erweiterung, auch mit dem besten Willen, wenig haben ausrichten können. Ohne Zweifel hätten sie jedoch aus eigener Machtvollkommenheit mehr Ernst in den Prüfungen zeigen und mit dringenderen Vorstellungen über die nothwendigen Reformen und Erweiterung der Lehrgegenstände bei der Regierung oder sogar bei den Reichsständen einkommen können. Allein die meisten hiesigen Gelehrten und Universitätsprofessoren scheinen die praktischen Staats- und Cameralwissenschaften entweder gar für gefährlich oder wenigstens nicht für würdig genug zu halten, auf den Universitäten gelehrt zu werden, und mancher lächelt vornehm, wenn man z. B. von Forstwissenschaft oder Polizeiwissenschaft spricht. Es gehört vielleicht diese Ansicht zu den „idealen Prätentionen“, von denen Geijer in dem in meinem vorigen Brief angeführten Citate gesprochen hat. Die Folgen aber für den Staat und für das Leben sind nichts weniger als idealisch, und thun
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