Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Allgemeine Zeitung. Nr. 29. Augsburg, 29. Januar 1840.

Bild:
<< vorherige Seite


einen kleinen Theil der Uebel, die aus solcher Quelle fließen, für den Augenblick ein Palliativ darbieten; daß sie aber diese Uebel von Grund aus heben sollten, das wäre der Natur der Dinge, der Natur des Menschen, der Natur der menschlichen Gesellschaft entgegen, die da mit auf diesem Gesetze beruht, daß Gewalt, directe Gewalt zwar ein geringfügiges Unheil beseitigen, ein dauerhafter Friede der Gesellschaft aber nur durch Güte und Versöhnlichkeit erlangt werden kann. Warum verweil' ich bei einem Thema wie dieses, das so wenig allgemein interessant ist, da es ja keine Parteifragen, nicht die Absetzung einer Regierung und die Emporhebung einer neuen betrifft? Weil es sich dabei um Principien handelt, die jede Regierung zuerst anerkennen, und dann darnach verfahren muß. Mag die Discussion Manchem eine zu allgemeine, zu theoretische und speculative scheinen: für den dermaligen Zustand unsers Landes hat sie eine höchst praktische Bedeutung. Es frägt sich also zunächst: wie ist diese Spaltung zwischen der untern und allen übrigen Volksclassen gekommen? Lassen Sie mich, was den Chartismus betrifft, vorerst bemerken, daß die Chartisten keineswegs eine so verächtliche Körperschaft sind, wie einige Leute behaupten wollen. Sie scheinen geringer an Zahl, als sie wirklich sind; sie bilden eine nahebei disciplinirte, einige Masse, entschlossen, ihre numerische Stärke fühlen zu lassen, sobald sie erst einen Führer finden, dem sie wahrhaft vertrauen können. Lassen Sie mich einer andern Thatsache erwähnen, die den Zwiespalt der zwei großen Volkshälften beweist; Juristen haben mich aus der Erfahrung ihrer Amtspraxis darauf aufmerksam gemacht. Wann, bis auf die letzten zwei oder drei Jahre, würde man es unbedenklich gefunden haben, einer gemeinen Jury die Aburtheilung solcher Fälle zu übertragen, wie der in Monmouthshire? Früher galt als Regel: daran dürfe man nicht denken, weil Freisprechung gewiß seyn würde. Eine große Aenderung ist vorgegangen, und sie deutet auf eine mächtige Entfremdung zwischen den arbeitenden Classen und den nur wenig über ihnen stehenden Gewerbsleuten und Krämern. Doch der auffallendste Beweis des Zerwürfnisses unter diesen Classen sind die Korngesetze. Wenn es eine Frage gibt, hinsichtlich derer die Interessen aller Classen, mit Ausschluß der Grundherren, anerkanntermaßen dieselben sind - und ich für meine Person nehme nicht einmal die Grundherren aus - so ist es die Aufhebung der Korngesetze. Die arbeitende Bevölkerung glaubt, und glaubt meines Erachtens mit Recht, daß ihr Vortheil die Abschaffung dieser Gesetze erheische. Edle Lords auf der Gegenseite irren sich sehr, wenn sie sich einbilden, weil nicht allgemein im Lande öffentliche Versammlungen zu diesem Zweck stattfinden, daß darum die große Volksmasse mit den Wortführern der Aufhebung der Korngesetze verschiedener Ansicht sey. Die Meinung des Volkes hat sich aber und aber darüber ausgesprochen, so oft sich eine schickliche Gelegenheit dazu darbot; jedoch das gemeine Volk hat zugleich den Satz erklärt und darnach gehandelt, daß es ihm Nachtheil bringen würde, wenn es in dem Streben auf Abschaffung der Korngesetze dem eben dahin zielenden Trachten der höheren Stände sich anschlösse. Die Folge dieser Gesinnung unter den arbeitenden Classen war, daß die der Abschaffung der Getreidegesetze Günstiggestimmten in manchen von den größten Städten des Landes keine öffentliche Versammlung zu diesem Zweck zu halten wagten. Allein über die Verwerflichkeit jener Gesetze selbst herrscht, wie gesagt, sicherlich keine Meinungsverschiedenheit, täuschen Sie sich darüber ja nicht; die Arbeiterclassen lassen sich nicht durch so thörichte Reden berücken, wie man sie in Manchester und anderwärts gehalten, in denen man ihnen weiß machen wollte, die Abschaffung der Kornzölle würde die Arbeitslöhne herabdrücken. Durch solche Argumentationen lassen die Arbeiter sich so wenig hintergehen, als sie sich durch die herrische Sprache imponiren lassen, womit ihre Redner wegen dieser Argumentationen von Leuten angefahren wurden, die in der Rangordnung der Stände sie nur wenig überragen - ich meine, von jenem Krämervolk, das in England auf die untern Classen mit einem plumpen Stolz herabblickt, der, wie ich Mylords versichern kann, selbst in dem Haus Ew. Lordschaften unbekannt ist. (Hört! und Gelächter.) Etwas Hochmüthigeres, Brutaleres, Rüppelhafteres, Unausstehlicheres gibt es nicht, als das Benehmen dieser mit dem Geldsack rasselnden Krämer- und Stockjobber-Noblesse gegen die Arbeiter, die an Bildung und ächtem Menschenwerth kaum merklich unter ihr, nicht selten über ihr stehen. Diese Classe will mit den Arbeitern keine Gemeinschaft pflegen, angeblich wegen der gewaltsamen Sprache, die in deren Versammlungen geführt werde. Nun, in keinem Chartistenmeeting ward eine so heftige Sprache laut, wie die Geldaristokratie (Brougham bildet das Wortungeheuer: "capitalocracy") von Manchester sich erst in diesen Tagen erlaubte, indem sie Ew. Lordschaften "unredliche Menschen" schalt, jede Meinung zu Gunsten der Korngesetze aus einem "Mangel der alltäglichsten Ehrlichkeit" ableitete, und jeden Grundherrn, der von seinem Eigenthumsrecht einen freien Gebrauch macht, vor den versammelten Tausenden als einen "Räuber" brandmarkte. So leidenschaftliche Schmähworte hat man noch in keinem Chartistenmeeting gehört. Aber ein Versuch, eine Anti-Cornlaw-Versammlung zu halten, ward in Edinburg gemacht und schlug fehl. Ein gleicher Versuch mißlang in Nottingham, und in dieser unermeßlichen Metropole London, in der man, wie ich weiß, gegen die Korngesetze auf das entschiedenste eingenommen ist, wagt doch Niemand ein Meeting zu berufen, um für deren Abschaffung zu petitioniren. Ich habe mich über die Ursache dieses scheinbaren Widerspruchs aufgeklärt: es ist die unter den geringern Volksclassen herrschende Ueberzeugung, daß es gegen ihr Interesse sey, mit der zunächst über ihnen stehenden Classe zusammenzuwirken. Und der Grund der Entfremdung dieser Classen unter einander, ich wiederhol' es, ist der Umstand, daß die große Volksmasse von aller politischen Macht in der Verfassung ausgeschlossen ist, was sie weiß und fühlt. Die Theorie factischer Vertretung, mit der man es gern die ihm fehlende rechtliche vergessen machen möchte, weist das Volk zurück. Wenn der Arbeiter selbst keine Wahlstimme besitzt, so nimmt er es als eine Beleidigung, und nicht als eine Antwort, wenn man ihn auf die Wahlstimme seines Brodherrn hinweist. Seines Brodherrn! Der Grund, warum der Arbeiter sich eine Wahlstimme wünscht, ist vielleicht gerade, damit er die Wahlstimme seines Brodherrn neutralisiren könne. Er sagt, durch einen Andern vertreten zu seyn, mit dem er nicht sympathisirt, nicht überein fühlt und denkt, das sey keine Vertretung, das sey schlimmer als gar keine parlamentarische Repräsentation im Lande, denn es sey eine Mißrepräsentation. Dieß aber ist die Lage der großen Masse des Volks, von 99 unter 100 Einwohnern des Landes; es ist die Lage fast all jener emsigen, tugendhaften und geschickten Handwerker, deren erfindungsreichem Fleiß England seinen Wohlstand verdankt; es ist zudem die Lage von neun Zehntheilen der Litteraten unsers Vaterlands, der Männer der Wissenschaft und Kunst, die unsern Namen, den Ruhm des Brittengeistes über die Erde tragen. Zwischen ihnen, die die nöthige Geldqualification nicht besitzen, und unserer auf das geistlose Metall gestellten Verfassung ist ein breiter und tiefer Graben gezogen, sie sind die Geächteten, die Auswürflinge der vielgerühmten dreigewaltigen englischen Constitution. Aber ich frage Sie, Mylords! wie


einen kleinen Theil der Uebel, die aus solcher Quelle fließen, für den Augenblick ein Palliativ darbieten; daß sie aber diese Uebel von Grund aus heben sollten, das wäre der Natur der Dinge, der Natur des Menschen, der Natur der menschlichen Gesellschaft entgegen, die da mit auf diesem Gesetze beruht, daß Gewalt, directe Gewalt zwar ein geringfügiges Unheil beseitigen, ein dauerhafter Friede der Gesellschaft aber nur durch Güte und Versöhnlichkeit erlangt werden kann. Warum verweil' ich bei einem Thema wie dieses, das so wenig allgemein interessant ist, da es ja keine Parteifragen, nicht die Absetzung einer Regierung und die Emporhebung einer neuen betrifft? Weil es sich dabei um Principien handelt, die jede Regierung zuerst anerkennen, und dann darnach verfahren muß. Mag die Discussion Manchem eine zu allgemeine, zu theoretische und speculative scheinen: für den dermaligen Zustand unsers Landes hat sie eine höchst praktische Bedeutung. Es frägt sich also zunächst: wie ist diese Spaltung zwischen der untern und allen übrigen Volksclassen gekommen? Lassen Sie mich, was den Chartismus betrifft, vorerst bemerken, daß die Chartisten keineswegs eine so verächtliche Körperschaft sind, wie einige Leute behaupten wollen. Sie scheinen geringer an Zahl, als sie wirklich sind; sie bilden eine nahebei disciplinirte, einige Masse, entschlossen, ihre numerische Stärke fühlen zu lassen, sobald sie erst einen Führer finden, dem sie wahrhaft vertrauen können. Lassen Sie mich einer andern Thatsache erwähnen, die den Zwiespalt der zwei großen Volkshälften beweist; Juristen haben mich aus der Erfahrung ihrer Amtspraxis darauf aufmerksam gemacht. Wann, bis auf die letzten zwei oder drei Jahre, würde man es unbedenklich gefunden haben, einer gemeinen Jury die Aburtheilung solcher Fälle zu übertragen, wie der in Monmouthshire? Früher galt als Regel: daran dürfe man nicht denken, weil Freisprechung gewiß seyn würde. Eine große Aenderung ist vorgegangen, und sie deutet auf eine mächtige Entfremdung zwischen den arbeitenden Classen und den nur wenig über ihnen stehenden Gewerbsleuten und Krämern. Doch der auffallendste Beweis des Zerwürfnisses unter diesen Classen sind die Korngesetze. Wenn es eine Frage gibt, hinsichtlich derer die Interessen aller Classen, mit Ausschluß der Grundherren, anerkanntermaßen dieselben sind – und ich für meine Person nehme nicht einmal die Grundherren aus – so ist es die Aufhebung der Korngesetze. Die arbeitende Bevölkerung glaubt, und glaubt meines Erachtens mit Recht, daß ihr Vortheil die Abschaffung dieser Gesetze erheische. Edle Lords auf der Gegenseite irren sich sehr, wenn sie sich einbilden, weil nicht allgemein im Lande öffentliche Versammlungen zu diesem Zweck stattfinden, daß darum die große Volksmasse mit den Wortführern der Aufhebung der Korngesetze verschiedener Ansicht sey. Die Meinung des Volkes hat sich aber und aber darüber ausgesprochen, so oft sich eine schickliche Gelegenheit dazu darbot; jedoch das gemeine Volk hat zugleich den Satz erklärt und darnach gehandelt, daß es ihm Nachtheil bringen würde, wenn es in dem Streben auf Abschaffung der Korngesetze dem eben dahin zielenden Trachten der höheren Stände sich anschlösse. Die Folge dieser Gesinnung unter den arbeitenden Classen war, daß die der Abschaffung der Getreidegesetze Günstiggestimmten in manchen von den größten Städten des Landes keine öffentliche Versammlung zu diesem Zweck zu halten wagten. Allein über die Verwerflichkeit jener Gesetze selbst herrscht, wie gesagt, sicherlich keine Meinungsverschiedenheit, täuschen Sie sich darüber ja nicht; die Arbeiterclassen lassen sich nicht durch so thörichte Reden berücken, wie man sie in Manchester und anderwärts gehalten, in denen man ihnen weiß machen wollte, die Abschaffung der Kornzölle würde die Arbeitslöhne herabdrücken. Durch solche Argumentationen lassen die Arbeiter sich so wenig hintergehen, als sie sich durch die herrische Sprache imponiren lassen, womit ihre Redner wegen dieser Argumentationen von Leuten angefahren wurden, die in der Rangordnung der Stände sie nur wenig überragen – ich meine, von jenem Krämervolk, das in England auf die untern Classen mit einem plumpen Stolz herabblickt, der, wie ich Mylords versichern kann, selbst in dem Haus Ew. Lordschaften unbekannt ist. (Hört! und Gelächter.) Etwas Hochmüthigeres, Brutaleres, Rüppelhafteres, Unausstehlicheres gibt es nicht, als das Benehmen dieser mit dem Geldsack rasselnden Krämer- und Stockjobber-Noblesse gegen die Arbeiter, die an Bildung und ächtem Menschenwerth kaum merklich unter ihr, nicht selten über ihr stehen. Diese Classe will mit den Arbeitern keine Gemeinschaft pflegen, angeblich wegen der gewaltsamen Sprache, die in deren Versammlungen geführt werde. Nun, in keinem Chartistenmeeting ward eine so heftige Sprache laut, wie die Geldaristokratie (Brougham bildet das Wortungeheuer: „capitalocracy“) von Manchester sich erst in diesen Tagen erlaubte, indem sie Ew. Lordschaften „unredliche Menschen“ schalt, jede Meinung zu Gunsten der Korngesetze aus einem „Mangel der alltäglichsten Ehrlichkeit“ ableitete, und jeden Grundherrn, der von seinem Eigenthumsrecht einen freien Gebrauch macht, vor den versammelten Tausenden als einen „Räuber“ brandmarkte. So leidenschaftliche Schmähworte hat man noch in keinem Chartistenmeeting gehört. Aber ein Versuch, eine Anti-Cornlaw-Versammlung zu halten, ward in Edinburg gemacht und schlug fehl. Ein gleicher Versuch mißlang in Nottingham, und in dieser unermeßlichen Metropole London, in der man, wie ich weiß, gegen die Korngesetze auf das entschiedenste eingenommen ist, wagt doch Niemand ein Meeting zu berufen, um für deren Abschaffung zu petitioniren. Ich habe mich über die Ursache dieses scheinbaren Widerspruchs aufgeklärt: es ist die unter den geringern Volksclassen herrschende Ueberzeugung, daß es gegen ihr Interesse sey, mit der zunächst über ihnen stehenden Classe zusammenzuwirken. Und der Grund der Entfremdung dieser Classen unter einander, ich wiederhol' es, ist der Umstand, daß die große Volksmasse von aller politischen Macht in der Verfassung ausgeschlossen ist, was sie weiß und fühlt. Die Theorie factischer Vertretung, mit der man es gern die ihm fehlende rechtliche vergessen machen möchte, weist das Volk zurück. Wenn der Arbeiter selbst keine Wahlstimme besitzt, so nimmt er es als eine Beleidigung, und nicht als eine Antwort, wenn man ihn auf die Wahlstimme seines Brodherrn hinweist. Seines Brodherrn! Der Grund, warum der Arbeiter sich eine Wahlstimme wünscht, ist vielleicht gerade, damit er die Wahlstimme seines Brodherrn neutralisiren könne. Er sagt, durch einen Andern vertreten zu seyn, mit dem er nicht sympathisirt, nicht überein fühlt und denkt, das sey keine Vertretung, das sey schlimmer als gar keine parlamentarische Repräsentation im Lande, denn es sey eine Mißrepräsentation. Dieß aber ist die Lage der großen Masse des Volks, von 99 unter 100 Einwohnern des Landes; es ist die Lage fast all jener emsigen, tugendhaften und geschickten Handwerker, deren erfindungsreichem Fleiß England seinen Wohlstand verdankt; es ist zudem die Lage von neun Zehntheilen der Litteraten unsers Vaterlands, der Männer der Wissenschaft und Kunst, die unsern Namen, den Ruhm des Brittengeistes über die Erde tragen. Zwischen ihnen, die die nöthige Geldqualification nicht besitzen, und unserer auf das geistlose Metall gestellten Verfassung ist ein breiter und tiefer Graben gezogen, sie sind die Geächteten, die Auswürflinge der vielgerühmten dreigewaltigen englischen Constitution. Aber ich frage Sie, Mylords! wie

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div type="jArticle" n="2">
          <p><pb facs="#f0002" n="0226"/><lb/>
einen kleinen Theil der Uebel, die aus solcher Quelle fließen, für den Augenblick ein Palliativ darbieten; daß sie aber diese Uebel von Grund aus heben sollten, das wäre der Natur der Dinge, der Natur des Menschen, der Natur der menschlichen Gesellschaft entgegen, die da mit auf diesem Gesetze beruht, daß Gewalt, directe Gewalt zwar ein geringfügiges Unheil beseitigen, ein dauerhafter Friede der Gesellschaft aber nur durch Güte und Versöhnlichkeit erlangt werden kann. Warum verweil' ich bei einem Thema wie dieses, das so wenig allgemein interessant ist, da es ja keine Parteifragen, nicht die Absetzung einer Regierung und die Emporhebung einer neuen betrifft? Weil es sich dabei um Principien handelt, die <hi rendition="#g">jede</hi> Regierung zuerst anerkennen, und dann darnach verfahren muß. Mag die Discussion Manchem eine zu allgemeine, zu theoretische und speculative scheinen: für den dermaligen Zustand unsers Landes hat sie eine höchst praktische Bedeutung. Es frägt sich also zunächst: wie ist diese Spaltung zwischen der untern und allen übrigen Volksclassen gekommen? Lassen Sie mich, was den Chartismus betrifft, vorerst bemerken, daß die Chartisten keineswegs eine so verächtliche Körperschaft sind, wie einige Leute behaupten wollen. Sie scheinen geringer an Zahl, als sie wirklich sind; sie bilden eine nahebei disciplinirte, einige Masse, entschlossen, ihre numerische Stärke fühlen zu lassen, sobald sie erst einen Führer finden, dem sie wahrhaft vertrauen können. Lassen Sie mich einer andern Thatsache erwähnen, die den Zwiespalt der zwei großen Volkshälften beweist; Juristen haben mich aus der Erfahrung ihrer Amtspraxis darauf aufmerksam gemacht. Wann, bis auf die letzten zwei oder drei Jahre, würde man es unbedenklich gefunden haben, einer gemeinen Jury die Aburtheilung solcher Fälle zu übertragen, wie der in Monmouthshire? Früher galt als Regel: daran dürfe man nicht denken, weil Freisprechung gewiß seyn würde. Eine große Aenderung ist vorgegangen, und sie deutet auf eine mächtige Entfremdung zwischen den arbeitenden Classen und den nur wenig über ihnen stehenden Gewerbsleuten und Krämern. Doch der auffallendste Beweis des Zerwürfnisses unter diesen Classen sind die <hi rendition="#g">Korngesetze</hi>. Wenn es eine Frage gibt, hinsichtlich derer die Interessen aller Classen, mit Ausschluß der Grundherren, anerkanntermaßen dieselben sind &#x2013; und ich für meine Person nehme nicht einmal die Grundherren aus &#x2013; so ist es die Aufhebung der Korngesetze. Die arbeitende Bevölkerung glaubt, und glaubt meines Erachtens mit Recht, daß ihr Vortheil die Abschaffung dieser Gesetze erheische. Edle Lords auf der Gegenseite irren sich sehr, wenn sie sich einbilden, weil nicht allgemein im Lande öffentliche Versammlungen zu diesem Zweck stattfinden, daß darum die große Volksmasse mit den Wortführern der Aufhebung der Korngesetze verschiedener Ansicht sey. Die Meinung des Volkes hat sich aber und aber darüber ausgesprochen, so oft sich eine schickliche Gelegenheit dazu darbot; jedoch das gemeine Volk hat zugleich den Satz erklärt und darnach gehandelt, daß es ihm Nachtheil bringen würde, wenn es in dem Streben auf Abschaffung der Korngesetze dem eben dahin zielenden Trachten der höheren Stände sich anschlösse. Die Folge dieser Gesinnung unter den arbeitenden Classen war, daß die der Abschaffung der Getreidegesetze Günstiggestimmten in manchen von den größten Städten des Landes keine öffentliche Versammlung zu diesem Zweck zu halten wagten. Allein über die Verwerflichkeit jener Gesetze selbst herrscht, wie gesagt, sicherlich keine Meinungsverschiedenheit, täuschen Sie sich darüber ja nicht; die Arbeiterclassen lassen sich nicht durch so thörichte Reden berücken, wie man sie in Manchester und anderwärts gehalten, in denen man ihnen weiß machen wollte, die Abschaffung der Kornzölle würde die Arbeitslöhne herabdrücken. Durch solche Argumentationen lassen die Arbeiter sich so wenig hintergehen, als sie sich durch die herrische Sprache imponiren lassen, womit ihre Redner wegen dieser Argumentationen von Leuten angefahren wurden, die in der Rangordnung der Stände sie nur wenig überragen &#x2013; ich meine, von jenem Krämervolk, das in England auf die untern Classen mit einem plumpen Stolz herabblickt, der, wie ich Mylords versichern kann, selbst in dem Haus Ew. Lordschaften unbekannt ist. (Hört! und Gelächter.) Etwas Hochmüthigeres, Brutaleres, Rüppelhafteres, Unausstehlicheres gibt es nicht, als das Benehmen dieser mit dem Geldsack rasselnden Krämer- und Stockjobber-Noblesse gegen die Arbeiter, die an Bildung und ächtem Menschenwerth kaum merklich unter ihr, nicht selten über ihr stehen. Diese Classe will mit den Arbeitern keine Gemeinschaft pflegen, angeblich wegen der gewaltsamen Sprache, die in deren Versammlungen geführt werde. Nun, in keinem Chartistenmeeting ward eine so heftige Sprache laut, wie die Geldaristokratie (Brougham bildet das Wortungeheuer: &#x201E;capitalocracy&#x201C;) von Manchester sich erst in diesen Tagen erlaubte, indem sie Ew. Lordschaften &#x201E;unredliche Menschen&#x201C; schalt, jede Meinung zu Gunsten der Korngesetze aus einem &#x201E;Mangel der alltäglichsten Ehrlichkeit&#x201C; ableitete, und jeden Grundherrn, der von seinem Eigenthumsrecht einen freien Gebrauch macht, vor den versammelten Tausenden als einen &#x201E;Räuber&#x201C; brandmarkte. So leidenschaftliche Schmähworte hat man noch in keinem Chartistenmeeting gehört. Aber ein Versuch, eine Anti-Cornlaw-Versammlung zu halten, ward in Edinburg gemacht und schlug fehl. Ein gleicher Versuch mißlang in Nottingham, und in dieser unermeßlichen Metropole London, in der man, wie ich weiß, gegen die Korngesetze auf das entschiedenste eingenommen ist, wagt doch Niemand ein Meeting zu berufen, um für deren Abschaffung zu petitioniren. Ich habe mich über die Ursache dieses scheinbaren Widerspruchs aufgeklärt: es ist die unter den geringern Volksclassen herrschende Ueberzeugung, daß es gegen ihr Interesse sey, mit der zunächst über ihnen stehenden Classe zusammenzuwirken. Und der Grund der Entfremdung dieser Classen unter einander, ich wiederhol' es, ist der Umstand, daß die große Volksmasse von aller politischen Macht in der Verfassung ausgeschlossen ist, was sie weiß und fühlt. Die Theorie factischer Vertretung, mit der man es gern die ihm fehlende rechtliche vergessen machen möchte, weist das Volk zurück. Wenn der Arbeiter selbst keine Wahlstimme besitzt, so nimmt er es als eine Beleidigung, und nicht als eine Antwort, wenn man ihn auf die Wahlstimme seines Brodherrn hinweist. Seines Brodherrn! Der Grund, warum der Arbeiter sich eine Wahlstimme wünscht, ist vielleicht gerade, damit er die Wahlstimme seines Brodherrn neutralisiren könne. Er sagt, durch einen Andern vertreten zu seyn, mit dem er nicht sympathisirt, nicht überein fühlt und denkt, das sey keine Vertretung, das sey schlimmer als gar keine parlamentarische Repräsentation im Lande, denn es sey eine Mißrepräsentation. Dieß aber ist die Lage der großen Masse des Volks, von 99 unter 100 Einwohnern des Landes; es ist die Lage fast all jener emsigen, tugendhaften und geschickten Handwerker, deren erfindungsreichem Fleiß England seinen Wohlstand verdankt; es ist zudem die Lage von neun Zehntheilen der Litteraten unsers Vaterlands, der Männer der Wissenschaft und Kunst, die unsern Namen, den Ruhm des Brittengeistes über die Erde tragen. Zwischen ihnen, die die nöthige Geldqualification nicht besitzen, und unserer auf das geistlose Metall gestellten Verfassung ist ein breiter und tiefer Graben gezogen, sie sind die Geächteten, die Auswürflinge der vielgerühmten dreigewaltigen englischen Constitution. Aber ich frage Sie, Mylords! wie<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0226/0002] einen kleinen Theil der Uebel, die aus solcher Quelle fließen, für den Augenblick ein Palliativ darbieten; daß sie aber diese Uebel von Grund aus heben sollten, das wäre der Natur der Dinge, der Natur des Menschen, der Natur der menschlichen Gesellschaft entgegen, die da mit auf diesem Gesetze beruht, daß Gewalt, directe Gewalt zwar ein geringfügiges Unheil beseitigen, ein dauerhafter Friede der Gesellschaft aber nur durch Güte und Versöhnlichkeit erlangt werden kann. Warum verweil' ich bei einem Thema wie dieses, das so wenig allgemein interessant ist, da es ja keine Parteifragen, nicht die Absetzung einer Regierung und die Emporhebung einer neuen betrifft? Weil es sich dabei um Principien handelt, die jede Regierung zuerst anerkennen, und dann darnach verfahren muß. Mag die Discussion Manchem eine zu allgemeine, zu theoretische und speculative scheinen: für den dermaligen Zustand unsers Landes hat sie eine höchst praktische Bedeutung. Es frägt sich also zunächst: wie ist diese Spaltung zwischen der untern und allen übrigen Volksclassen gekommen? Lassen Sie mich, was den Chartismus betrifft, vorerst bemerken, daß die Chartisten keineswegs eine so verächtliche Körperschaft sind, wie einige Leute behaupten wollen. Sie scheinen geringer an Zahl, als sie wirklich sind; sie bilden eine nahebei disciplinirte, einige Masse, entschlossen, ihre numerische Stärke fühlen zu lassen, sobald sie erst einen Führer finden, dem sie wahrhaft vertrauen können. Lassen Sie mich einer andern Thatsache erwähnen, die den Zwiespalt der zwei großen Volkshälften beweist; Juristen haben mich aus der Erfahrung ihrer Amtspraxis darauf aufmerksam gemacht. Wann, bis auf die letzten zwei oder drei Jahre, würde man es unbedenklich gefunden haben, einer gemeinen Jury die Aburtheilung solcher Fälle zu übertragen, wie der in Monmouthshire? Früher galt als Regel: daran dürfe man nicht denken, weil Freisprechung gewiß seyn würde. Eine große Aenderung ist vorgegangen, und sie deutet auf eine mächtige Entfremdung zwischen den arbeitenden Classen und den nur wenig über ihnen stehenden Gewerbsleuten und Krämern. Doch der auffallendste Beweis des Zerwürfnisses unter diesen Classen sind die Korngesetze. Wenn es eine Frage gibt, hinsichtlich derer die Interessen aller Classen, mit Ausschluß der Grundherren, anerkanntermaßen dieselben sind – und ich für meine Person nehme nicht einmal die Grundherren aus – so ist es die Aufhebung der Korngesetze. Die arbeitende Bevölkerung glaubt, und glaubt meines Erachtens mit Recht, daß ihr Vortheil die Abschaffung dieser Gesetze erheische. Edle Lords auf der Gegenseite irren sich sehr, wenn sie sich einbilden, weil nicht allgemein im Lande öffentliche Versammlungen zu diesem Zweck stattfinden, daß darum die große Volksmasse mit den Wortführern der Aufhebung der Korngesetze verschiedener Ansicht sey. Die Meinung des Volkes hat sich aber und aber darüber ausgesprochen, so oft sich eine schickliche Gelegenheit dazu darbot; jedoch das gemeine Volk hat zugleich den Satz erklärt und darnach gehandelt, daß es ihm Nachtheil bringen würde, wenn es in dem Streben auf Abschaffung der Korngesetze dem eben dahin zielenden Trachten der höheren Stände sich anschlösse. Die Folge dieser Gesinnung unter den arbeitenden Classen war, daß die der Abschaffung der Getreidegesetze Günstiggestimmten in manchen von den größten Städten des Landes keine öffentliche Versammlung zu diesem Zweck zu halten wagten. Allein über die Verwerflichkeit jener Gesetze selbst herrscht, wie gesagt, sicherlich keine Meinungsverschiedenheit, täuschen Sie sich darüber ja nicht; die Arbeiterclassen lassen sich nicht durch so thörichte Reden berücken, wie man sie in Manchester und anderwärts gehalten, in denen man ihnen weiß machen wollte, die Abschaffung der Kornzölle würde die Arbeitslöhne herabdrücken. Durch solche Argumentationen lassen die Arbeiter sich so wenig hintergehen, als sie sich durch die herrische Sprache imponiren lassen, womit ihre Redner wegen dieser Argumentationen von Leuten angefahren wurden, die in der Rangordnung der Stände sie nur wenig überragen – ich meine, von jenem Krämervolk, das in England auf die untern Classen mit einem plumpen Stolz herabblickt, der, wie ich Mylords versichern kann, selbst in dem Haus Ew. Lordschaften unbekannt ist. (Hört! und Gelächter.) Etwas Hochmüthigeres, Brutaleres, Rüppelhafteres, Unausstehlicheres gibt es nicht, als das Benehmen dieser mit dem Geldsack rasselnden Krämer- und Stockjobber-Noblesse gegen die Arbeiter, die an Bildung und ächtem Menschenwerth kaum merklich unter ihr, nicht selten über ihr stehen. Diese Classe will mit den Arbeitern keine Gemeinschaft pflegen, angeblich wegen der gewaltsamen Sprache, die in deren Versammlungen geführt werde. Nun, in keinem Chartistenmeeting ward eine so heftige Sprache laut, wie die Geldaristokratie (Brougham bildet das Wortungeheuer: „capitalocracy“) von Manchester sich erst in diesen Tagen erlaubte, indem sie Ew. Lordschaften „unredliche Menschen“ schalt, jede Meinung zu Gunsten der Korngesetze aus einem „Mangel der alltäglichsten Ehrlichkeit“ ableitete, und jeden Grundherrn, der von seinem Eigenthumsrecht einen freien Gebrauch macht, vor den versammelten Tausenden als einen „Räuber“ brandmarkte. So leidenschaftliche Schmähworte hat man noch in keinem Chartistenmeeting gehört. Aber ein Versuch, eine Anti-Cornlaw-Versammlung zu halten, ward in Edinburg gemacht und schlug fehl. Ein gleicher Versuch mißlang in Nottingham, und in dieser unermeßlichen Metropole London, in der man, wie ich weiß, gegen die Korngesetze auf das entschiedenste eingenommen ist, wagt doch Niemand ein Meeting zu berufen, um für deren Abschaffung zu petitioniren. Ich habe mich über die Ursache dieses scheinbaren Widerspruchs aufgeklärt: es ist die unter den geringern Volksclassen herrschende Ueberzeugung, daß es gegen ihr Interesse sey, mit der zunächst über ihnen stehenden Classe zusammenzuwirken. Und der Grund der Entfremdung dieser Classen unter einander, ich wiederhol' es, ist der Umstand, daß die große Volksmasse von aller politischen Macht in der Verfassung ausgeschlossen ist, was sie weiß und fühlt. Die Theorie factischer Vertretung, mit der man es gern die ihm fehlende rechtliche vergessen machen möchte, weist das Volk zurück. Wenn der Arbeiter selbst keine Wahlstimme besitzt, so nimmt er es als eine Beleidigung, und nicht als eine Antwort, wenn man ihn auf die Wahlstimme seines Brodherrn hinweist. Seines Brodherrn! Der Grund, warum der Arbeiter sich eine Wahlstimme wünscht, ist vielleicht gerade, damit er die Wahlstimme seines Brodherrn neutralisiren könne. Er sagt, durch einen Andern vertreten zu seyn, mit dem er nicht sympathisirt, nicht überein fühlt und denkt, das sey keine Vertretung, das sey schlimmer als gar keine parlamentarische Repräsentation im Lande, denn es sey eine Mißrepräsentation. Dieß aber ist die Lage der großen Masse des Volks, von 99 unter 100 Einwohnern des Landes; es ist die Lage fast all jener emsigen, tugendhaften und geschickten Handwerker, deren erfindungsreichem Fleiß England seinen Wohlstand verdankt; es ist zudem die Lage von neun Zehntheilen der Litteraten unsers Vaterlands, der Männer der Wissenschaft und Kunst, die unsern Namen, den Ruhm des Brittengeistes über die Erde tragen. Zwischen ihnen, die die nöthige Geldqualification nicht besitzen, und unserer auf das geistlose Metall gestellten Verfassung ist ein breiter und tiefer Graben gezogen, sie sind die Geächteten, die Auswürflinge der vielgerühmten dreigewaltigen englischen Constitution. Aber ich frage Sie, Mylords! wie

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Deutsches Textarchiv: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-06-28T11:37:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-28T11:37:15Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: Lautwert transkribiert; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: gekennzeichnet; Kustoden: gekennzeichnet; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: Lautwert transkribiert; Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert; Vollständigkeit: teilweise erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_029_18400129
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_029_18400129/2
Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 29. Augsburg, 29. Januar 1840, S. 0226. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_029_18400129/2>, abgerufen am 21.11.2024.