Allgemeine Zeitung. Nr. 26. Augsburg, 26. Januar 1840.Beilage zur Allgemeinen Zeitung 26 Januar 1840Lamartine und der deutsche Rhein. Vom Rhein, 17 Jan. "Sprecht vom Rhein, von den Alpen, und man hat euch verstanden, noch ehe ihr ausgeredet habt. Dort ist Frankreichs Ruhm geblieben, dort ist noch sein Geist und eines Tages wird auch seine Fahne dahin zurückkehren. Aber behüte Gott! wir denken nicht ans Erobern, wir bleiben unbeweglich innerhalb der Verträge von 1815, die wir doch, überströmend nach Norden oder Osten, durchbrechen könnten! diese Verträge aber, von der Allgewalt des Eroberers dictirt, sind sie ewig, wie Ströme und Berge? Nein, ein Tag wird kommen, wo diese Verträge sich selbst zerreißen werden vor der Gewalt der Dinge, vor dem besser verstandenen Gleichgewicht Europa's, vor dem Willen und der Geduld Frankreichs! Unsere Politik im Osten muß im Westen die Ausgleichungen vorbereiten, die eines Tages jene rechtmäßige Vergrößerung sichern, welche keine Macht des Continents uns umsonst verbürgen wird!" Und nun hat die Phantasie des Hrn. v. Lamartine ihr rechtes Fahrwasser; er hat den Orient bereist, er segelt mit hoher Fluth, sein Auge, gegen Mekka gewendet, glänzt - "seliger Tag ruft er aus, wo der Orient noch vollständiger zusammenbrechen und so vielen unterdrückten aber kraftvollen Nationalitäten Platz geben wird, die das Gewicht des türkischen Cadavers zur Schmach der Civilisation und Menschheit erdrückt hat!" Da haben Sie eine hübsche Probe französischer Politik, französischer Logik, französischer Moral in Einem Athem. In Syrien erobert den Rhein, das ist die Politik; stellt die jungen Nationalitäten des Orients in ihrem ewigen Rechte her, und macht euch dafür an der deutschen bezahlt, das ist die Logik; haltet die Verträge, so lang ihr müßt, und brecht sie, sobald ihr könnt, das ist die Moral des Liedes. Was denn freilich den unmittelbar praktischen Werth solcher Stylproben anbelangt, so ist er geradezu Null, und wir könnten uns allenfalls auf den alten Lakonismus beschränken: ihr wollt unsre Waffen, kommt und holt sie. Man soll aber dennoch von Zeit zu Zeit diese Sachen signalisiren, denn es lauert ein ungeheuerer Ernst hinter ihnen, politisch wie moralisch. Zuerst politisch: es ist nicht Lamartine, nicht die Kammer, es ist Frankreich selbst, das mit dem Chor seines Beifalls diese Einzelstimmen bedeckt, das euch alle Tage im Angesicht Europa's betheuert, wie es die ganze Weltlage von heute nur als ein Provisorium betrachte. Gut denn, das ist offen gesprochen; wir nehmen Act von dieser Erklärung, und wenn wieder eine europäische Stunde gekommen seyn wird, sollt ihr sehen, wie wir die Warnung benutzt haben. Sodann moralisch: denn wenn irgend etwas den Bankerutt der Franzosen an Grundsätzen, ihre ungeheuere Gewissenlosigkeit in Beurtheilung der Grundlagen eines christlichen Völkerverkehrs, ihre völlige Unbekanntschaft mit dem sittlichen Wesen der Geschichte schlagend zu beurkunden vermag, so sind es solche Reden. Sie haben den alten Grundsatz Spinoza's, Recht und Gewalt seyen identisch, wieder aufgewärmt, die Möglichkeit ist das Staatsgewissen des modernen Frankreichs! Sie haben den Negerhandel geächtet*), aber ganze Völker zu verschachern und zu zerstückeln - die Sittenlehre müßte pedantisch gescholten werden, die das verböte! Die Nationen, sagt Hr. v. Lamartine, leben von den Grundsätzen ihrer Geschichten; ihr könnt keine Griechen, keine Juden, keine Türken improvisiren! Wohl - aber die Bevölkerung des schönen Delta zwischen Maas, Mosel und Rhein, diese Bevölkerung, die sich wohl mit Schwaben und Niedersachsen den Adel deutscher Nation nennen mag, weil in ihren Adern nicht ein Tropfen slavischen oder romanischen Blutes fließt, die Bevölkerung einer Landschaft, wo ihr auf jedem Zollbreit Erde den größten Erinnerungen deutscher Kaiserzeit begegnet - diese Bevölkerung über Nacht zu französiren, das ist ein Kinderspiel, ein Leichtes. Sie sehen, der Unsinn ist wieder los, aber es ist doch Methode darin, ganz die alte Methode. Die Schemen des Kaiserreichs steigen wieder auf, der gallische Hahn kräht heuer, wie er im Jahr 1811 gethan; Tausende von Herzen schlagen schon wieder dem Augenblick entgegen, wo Frankreichs Proconsuln den Segen und die Zier fremder Völker aufführen werden im Triumphe zu Paris! Und Hr. v. Lamartine ist lange nicht der Schlimmste. Er speculirt nicht kaltblütig auf unsere Erbschaft, wie ein Geyer auf Atzung; er hat Gefühl, Adel, Ehre, Religion; er ist der Chateaubriand der gegenwärtigen Kammer, ein Tröpfchen Romantik in einer See von Prosa; er hat es drucken lassen, daß er einst sein Grab mit der bescheidenen Inschrift schmücken wolle: Gott, die Poesie und die Liebe! Das ist viel von einem Franzosen, aber noch mehr: Hr. v. Lamartine hat Ideen, und zuweilen, wenn es ihm zu voll ums Herz wird bei den Debatten der Wollkrämerseelen, läßt er einige pathetische Gedanken allgemeinster Humanität wie schöne Tauben mit weißem lichtschimmernden Gefieder durch die Säle des Palais Bourbon fliegen - durch diese Steppe, wo sich augenblicklich so viel kleine Herzen und Geister skandalisiren. Wenn aber Hr. v. Lamartine auf das Auswärtige zu sprechen kommt, da tritt auch bei ihm jener Bankerutt an eigentlichen Grundsätzen widerlich heraus, maskirt durch eine gewisse ritterliche Sentimentalität, die mit der quantitativen Größe der Ereignisse buhlt, und in der Geschichte höchstens eine ästhetische, nicht eine sittliche Gerechtigkeit erkennt. Und alsdann ist auch Hr. v. Lamartine um kein Haarbreit besser als Monsieur Sarrans, Monsieur Marrast, Monsieur Durand und wie sie alle heißen die litterarischen Condottieri, die von ihrem Schreibsessel aus die Welt für Frankreich erobern. Napoleon ist das Unglück der Franzosen auf ein volles Jahrhundert; an seinen Erinnerungen werden sie noch ersticken. Sie haben das Inventarium seiner gewaltigen Gedanken angetreten, allein die rechten Testamentsvollstrecker wollen nicht kommen, und nun spielen Kinder mit den Waffen des Riesen. Sehen Sie nur nach Aegypten: auf der Landenge von Suez liegt Englands verwundbare Ferse; der Falke von Lodi erkannte das, und seit dieser Zeit ist Frankreichs ägyptische Politik eine Reminiscenz von 1799. Aber auch Napoleon sah in der Weltgeschichte nur Staaten, Aggregate, Mechanismen, nicht Organismen und Nationen. Was er nie begriffen hat, das ist der Geist der Völker in seiner eingebornen Macht und Herrlichkeit, der Geist dieser ewigen Personen, die geheiligt und unverletzbar sind, so lange sie nicht selbst durch Schuld oder Feigheit das Schicksal erzürnen. Das Centrum der Weltbewegung ist Gott und kein Anderer; wer sich statt seiner zur Mitte der Geschichte substituiren möchte, der gräbt in seiner Verblendung die eigene Grube. An diesem Grundirrthum seines Lebens, an den Nationalitäten ist Napoleon gescheitert. Was aber ein Geist, dergleichen seit Cäsar nicht mehr erschien, getragen von *) Bis jetzt nur den Handel, nicht die Sklaverei selbst, denn die von England durchgeführte Emancipation ist bekanntlich von Frankreich noch nicht angenommen, vielmehr haben viele Redner - unter ihnen Mauguin - für das Fortbestehen der Sklaverei gesprochen!
Beilage zur Allgemeinen Zeitung 26 Januar 1840Lamartine und der deutsche Rhein. Vom Rhein, 17 Jan. „Sprecht vom Rhein, von den Alpen, und man hat euch verstanden, noch ehe ihr ausgeredet habt. Dort ist Frankreichs Ruhm geblieben, dort ist noch sein Geist und eines Tages wird auch seine Fahne dahin zurückkehren. Aber behüte Gott! wir denken nicht ans Erobern, wir bleiben unbeweglich innerhalb der Verträge von 1815, die wir doch, überströmend nach Norden oder Osten, durchbrechen könnten! diese Verträge aber, von der Allgewalt des Eroberers dictirt, sind sie ewig, wie Ströme und Berge? Nein, ein Tag wird kommen, wo diese Verträge sich selbst zerreißen werden vor der Gewalt der Dinge, vor dem besser verstandenen Gleichgewicht Europa's, vor dem Willen und der Geduld Frankreichs! Unsere Politik im Osten muß im Westen die Ausgleichungen vorbereiten, die eines Tages jene rechtmäßige Vergrößerung sichern, welche keine Macht des Continents uns umsonst verbürgen wird!“ Und nun hat die Phantasie des Hrn. v. Lamartine ihr rechtes Fahrwasser; er hat den Orient bereist, er segelt mit hoher Fluth, sein Auge, gegen Mekka gewendet, glänzt – „seliger Tag ruft er aus, wo der Orient noch vollständiger zusammenbrechen und so vielen unterdrückten aber kraftvollen Nationalitäten Platz geben wird, die das Gewicht des türkischen Cadavers zur Schmach der Civilisation und Menschheit erdrückt hat!“ Da haben Sie eine hübsche Probe französischer Politik, französischer Logik, französischer Moral in Einem Athem. In Syrien erobert den Rhein, das ist die Politik; stellt die jungen Nationalitäten des Orients in ihrem ewigen Rechte her, und macht euch dafür an der deutschen bezahlt, das ist die Logik; haltet die Verträge, so lang ihr müßt, und brecht sie, sobald ihr könnt, das ist die Moral des Liedes. Was denn freilich den unmittelbar praktischen Werth solcher Stylproben anbelangt, so ist er geradezu Null, und wir könnten uns allenfalls auf den alten Lakonismus beschränken: ihr wollt unsre Waffen, kommt und holt sie. Man soll aber dennoch von Zeit zu Zeit diese Sachen signalisiren, denn es lauert ein ungeheuerer Ernst hinter ihnen, politisch wie moralisch. Zuerst politisch: es ist nicht Lamartine, nicht die Kammer, es ist Frankreich selbst, das mit dem Chor seines Beifalls diese Einzelstimmen bedeckt, das euch alle Tage im Angesicht Europa's betheuert, wie es die ganze Weltlage von heute nur als ein Provisorium betrachte. Gut denn, das ist offen gesprochen; wir nehmen Act von dieser Erklärung, und wenn wieder eine europäische Stunde gekommen seyn wird, sollt ihr sehen, wie wir die Warnung benutzt haben. Sodann moralisch: denn wenn irgend etwas den Bankerutt der Franzosen an Grundsätzen, ihre ungeheuere Gewissenlosigkeit in Beurtheilung der Grundlagen eines christlichen Völkerverkehrs, ihre völlige Unbekanntschaft mit dem sittlichen Wesen der Geschichte schlagend zu beurkunden vermag, so sind es solche Reden. Sie haben den alten Grundsatz Spinoza's, Recht und Gewalt seyen identisch, wieder aufgewärmt, die Möglichkeit ist das Staatsgewissen des modernen Frankreichs! Sie haben den Negerhandel geächtet*), aber ganze Völker zu verschachern und zu zerstückeln – die Sittenlehre müßte pedantisch gescholten werden, die das verböte! Die Nationen, sagt Hr. v. Lamartine, leben von den Grundsätzen ihrer Geschichten; ihr könnt keine Griechen, keine Juden, keine Türken improvisiren! Wohl – aber die Bevölkerung des schönen Delta zwischen Maas, Mosel und Rhein, diese Bevölkerung, die sich wohl mit Schwaben und Niedersachsen den Adel deutscher Nation nennen mag, weil in ihren Adern nicht ein Tropfen slavischen oder romanischen Blutes fließt, die Bevölkerung einer Landschaft, wo ihr auf jedem Zollbreit Erde den größten Erinnerungen deutscher Kaiserzeit begegnet – diese Bevölkerung über Nacht zu französiren, das ist ein Kinderspiel, ein Leichtes. Sie sehen, der Unsinn ist wieder los, aber es ist doch Methode darin, ganz die alte Methode. Die Schemen des Kaiserreichs steigen wieder auf, der gallische Hahn kräht heuer, wie er im Jahr 1811 gethan; Tausende von Herzen schlagen schon wieder dem Augenblick entgegen, wo Frankreichs Proconsuln den Segen und die Zier fremder Völker aufführen werden im Triumphe zu Paris! Und Hr. v. Lamartine ist lange nicht der Schlimmste. Er speculirt nicht kaltblütig auf unsere Erbschaft, wie ein Geyer auf Atzung; er hat Gefühl, Adel, Ehre, Religion; er ist der Chateaubriand der gegenwärtigen Kammer, ein Tröpfchen Romantik in einer See von Prosa; er hat es drucken lassen, daß er einst sein Grab mit der bescheidenen Inschrift schmücken wolle: Gott, die Poesie und die Liebe! Das ist viel von einem Franzosen, aber noch mehr: Hr. v. Lamartine hat Ideen, und zuweilen, wenn es ihm zu voll ums Herz wird bei den Debatten der Wollkrämerseelen, läßt er einige pathetische Gedanken allgemeinster Humanität wie schöne Tauben mit weißem lichtschimmernden Gefieder durch die Säle des Palais Bourbon fliegen – durch diese Steppe, wo sich augenblicklich so viel kleine Herzen und Geister skandalisiren. Wenn aber Hr. v. Lamartine auf das Auswärtige zu sprechen kommt, da tritt auch bei ihm jener Bankerutt an eigentlichen Grundsätzen widerlich heraus, maskirt durch eine gewisse ritterliche Sentimentalität, die mit der quantitativen Größe der Ereignisse buhlt, und in der Geschichte höchstens eine ästhetische, nicht eine sittliche Gerechtigkeit erkennt. Und alsdann ist auch Hr. v. Lamartine um kein Haarbreit besser als Monsieur Sarrans, Monsieur Marrast, Monsieur Durand und wie sie alle heißen die litterarischen Condottieri, die von ihrem Schreibsessel aus die Welt für Frankreich erobern. Napoleon ist das Unglück der Franzosen auf ein volles Jahrhundert; an seinen Erinnerungen werden sie noch ersticken. Sie haben das Inventarium seiner gewaltigen Gedanken angetreten, allein die rechten Testamentsvollstrecker wollen nicht kommen, und nun spielen Kinder mit den Waffen des Riesen. Sehen Sie nur nach Aegypten: auf der Landenge von Suez liegt Englands verwundbare Ferse; der Falke von Lodi erkannte das, und seit dieser Zeit ist Frankreichs ägyptische Politik eine Reminiscenz von 1799. Aber auch Napoleon sah in der Weltgeschichte nur Staaten, Aggregate, Mechanismen, nicht Organismen und Nationen. Was er nie begriffen hat, das ist der Geist der Völker in seiner eingebornen Macht und Herrlichkeit, der Geist dieser ewigen Personen, die geheiligt und unverletzbar sind, so lange sie nicht selbst durch Schuld oder Feigheit das Schicksal erzürnen. Das Centrum der Weltbewegung ist Gott und kein Anderer; wer sich statt seiner zur Mitte der Geschichte substituiren möchte, der gräbt in seiner Verblendung die eigene Grube. An diesem Grundirrthum seines Lebens, an den Nationalitäten ist Napoleon gescheitert. Was aber ein Geist, dergleichen seit Cäsar nicht mehr erschien, getragen von *) Bis jetzt nur den Handel, nicht die Sklaverei selbst, denn die von England durchgeführte Emancipation ist bekanntlich von Frankreich noch nicht angenommen, vielmehr haben viele Redner – unter ihnen Mauguin – für das Fortbestehen der Sklaverei gesprochen!
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Aber behüte Gott! wir denken nicht ans Erobern, wir bleiben unbeweglich innerhalb der Verträge von 1815, die wir doch, überströmend nach Norden oder Osten, durchbrechen könnten! diese Verträge aber, von der Allgewalt des Eroberers dictirt, sind sie ewig, wie Ströme und Berge? Nein, ein Tag wird kommen, wo diese Verträge sich selbst zerreißen werden vor der Gewalt der Dinge, vor dem besser verstandenen Gleichgewicht Europa's, vor dem Willen und der Geduld Frankreichs! Unsere Politik im Osten muß im Westen die Ausgleichungen vorbereiten, die eines Tages jene rechtmäßige Vergrößerung sichern, welche keine Macht des Continents uns umsonst verbürgen wird!“ Und nun hat die Phantasie des Hrn. v. Lamartine ihr rechtes Fahrwasser; er hat den Orient bereist, er segelt mit hoher Fluth, sein Auge, gegen Mekka gewendet, glänzt – „seliger Tag ruft er aus, wo der Orient noch vollständiger zusammenbrechen und so vielen unterdrückten aber kraftvollen Nationalitäten Platz geben wird, die das Gewicht des türkischen Cadavers zur Schmach der Civilisation und Menschheit erdrückt hat!“</p><lb/> <p>Da haben Sie eine hübsche Probe französischer Politik, französischer Logik, französischer Moral in Einem Athem. In Syrien erobert den Rhein, das ist die Politik; stellt die jungen Nationalitäten des Orients in ihrem ewigen Rechte her, und macht euch dafür an der deutschen bezahlt, das ist die Logik; haltet die Verträge, so lang ihr müßt, und brecht sie, sobald ihr könnt, das ist die Moral des Liedes. Was denn freilich den unmittelbar praktischen Werth solcher Stylproben anbelangt, so ist er geradezu Null, und wir könnten uns allenfalls auf den alten Lakonismus beschränken: ihr wollt unsre Waffen, kommt und holt sie. Man soll aber dennoch von Zeit zu Zeit diese Sachen signalisiren, denn es lauert ein ungeheuerer Ernst hinter ihnen, politisch wie moralisch. Zuerst politisch: es ist nicht Lamartine, nicht die Kammer, es ist Frankreich selbst, das mit dem Chor seines Beifalls diese Einzelstimmen bedeckt, das euch alle Tage im Angesicht Europa's betheuert, wie es die ganze Weltlage von heute nur als ein Provisorium betrachte. Gut denn, das ist offen gesprochen; wir nehmen Act von dieser Erklärung, und wenn wieder eine europäische Stunde gekommen seyn wird, sollt ihr sehen, wie wir die Warnung benutzt haben. Sodann moralisch: denn wenn irgend etwas den Bankerutt der Franzosen an Grundsätzen, ihre ungeheuere Gewissenlosigkeit in Beurtheilung der Grundlagen eines christlichen Völkerverkehrs, ihre völlige Unbekanntschaft mit dem sittlichen Wesen der Geschichte schlagend zu beurkunden vermag, so sind es solche Reden. Sie haben den alten Grundsatz Spinoza's, Recht und Gewalt seyen identisch, wieder aufgewärmt, die Möglichkeit ist das Staatsgewissen des modernen Frankreichs! Sie haben den Negerhandel geächtet<note place="foot" n="*)">Bis jetzt nur den Handel, nicht die Sklaverei selbst, denn die von England durchgeführte Emancipation ist bekanntlich von Frankreich noch nicht angenommen, vielmehr haben viele Redner – unter ihnen <hi rendition="#g">Mauguin</hi> – für das Fortbestehen der Sklaverei gesprochen!</note>, aber ganze Völker zu verschachern und zu zerstückeln – die Sittenlehre müßte pedantisch gescholten werden, die das verböte! Die Nationen, sagt Hr. v. Lamartine, leben von den Grundsätzen ihrer Geschichten; ihr könnt keine Griechen, keine Juden, keine Türken improvisiren! Wohl – aber die Bevölkerung des schönen Delta zwischen Maas, Mosel und Rhein, diese Bevölkerung, die sich wohl mit Schwaben und Niedersachsen den Adel deutscher Nation nennen mag, weil in ihren Adern nicht ein Tropfen slavischen oder romanischen Blutes fließt, die Bevölkerung einer Landschaft, wo ihr auf jedem Zollbreit Erde den größten Erinnerungen deutscher Kaiserzeit begegnet – diese Bevölkerung über Nacht zu französiren, das ist ein Kinderspiel, ein Leichtes.</p><lb/> <p>Sie sehen, der Unsinn ist wieder los, aber es ist doch Methode darin, ganz die alte Methode. Die Schemen des Kaiserreichs steigen wieder auf, der gallische Hahn kräht heuer, wie er im Jahr 1811 gethan; Tausende von Herzen schlagen schon wieder dem Augenblick entgegen, wo Frankreichs Proconsuln den Segen und die Zier fremder Völker aufführen werden im Triumphe zu Paris! Und Hr. v. Lamartine ist lange nicht der Schlimmste. Er speculirt nicht kaltblütig auf unsere Erbschaft, wie ein Geyer auf Atzung; er hat Gefühl, Adel, Ehre, Religion; er ist der Chateaubriand der gegenwärtigen Kammer, ein Tröpfchen Romantik in einer See von Prosa; er hat es drucken lassen, daß er einst sein Grab mit der bescheidenen Inschrift schmücken wolle: Gott, die Poesie und die Liebe! Das ist viel von einem Franzosen, aber noch mehr: Hr. v. Lamartine hat Ideen, und zuweilen, wenn es ihm zu voll ums Herz wird bei den Debatten der Wollkrämerseelen, läßt er einige pathetische Gedanken allgemeinster Humanität wie schöne Tauben mit weißem lichtschimmernden Gefieder durch die Säle des Palais Bourbon fliegen – durch diese Steppe, wo sich augenblicklich so viel kleine Herzen und Geister skandalisiren. Wenn aber Hr. v. Lamartine auf das Auswärtige zu sprechen kommt, da tritt auch bei ihm jener Bankerutt an eigentlichen Grundsätzen widerlich heraus, maskirt durch eine gewisse ritterliche Sentimentalität, die mit der quantitativen Größe der Ereignisse buhlt, und in der Geschichte höchstens eine ästhetische, nicht eine sittliche Gerechtigkeit erkennt. Und alsdann ist auch Hr. v. Lamartine um kein Haarbreit besser als Monsieur Sarrans, Monsieur Marrast, Monsieur Durand und wie sie alle heißen die litterarischen Condottieri, die von ihrem Schreibsessel aus die Welt für Frankreich erobern.</p><lb/> <p>Napoleon ist das Unglück der Franzosen auf ein volles Jahrhundert; an seinen Erinnerungen werden sie noch ersticken. Sie haben das Inventarium seiner gewaltigen Gedanken angetreten, allein die rechten Testamentsvollstrecker wollen nicht kommen, und nun spielen Kinder mit den Waffen des Riesen. Sehen Sie nur nach Aegypten: auf der Landenge von Suez liegt Englands verwundbare Ferse; der Falke von Lodi erkannte das, und seit dieser Zeit ist Frankreichs ägyptische Politik eine Reminiscenz von 1799. Aber auch Napoleon sah in der Weltgeschichte nur Staaten, Aggregate, Mechanismen, nicht Organismen und Nationen. Was er nie begriffen hat, das ist der Geist der Völker in seiner eingebornen Macht und Herrlichkeit, der Geist dieser ewigen Personen, die geheiligt und unverletzbar sind, so lange sie nicht selbst durch Schuld oder Feigheit das Schicksal erzürnen. Das Centrum der Weltbewegung ist Gott und kein Anderer; wer sich statt seiner zur Mitte der Geschichte substituiren möchte, der gräbt in seiner Verblendung die eigene Grube. An diesem Grundirrthum seines Lebens, an <hi rendition="#g">den Nationalitäten ist Napoleon gescheitert</hi>. 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Beilage zur Allgemeinen Zeitung 26 Januar 1840
Lamartine und der deutsche Rhein.
♁Vom Rhein, 17 Jan. „Sprecht vom Rhein, von den Alpen, und man hat euch verstanden, noch ehe ihr ausgeredet habt. Dort ist Frankreichs Ruhm geblieben, dort ist noch sein Geist und eines Tages wird auch seine Fahne dahin zurückkehren. Aber behüte Gott! wir denken nicht ans Erobern, wir bleiben unbeweglich innerhalb der Verträge von 1815, die wir doch, überströmend nach Norden oder Osten, durchbrechen könnten! diese Verträge aber, von der Allgewalt des Eroberers dictirt, sind sie ewig, wie Ströme und Berge? Nein, ein Tag wird kommen, wo diese Verträge sich selbst zerreißen werden vor der Gewalt der Dinge, vor dem besser verstandenen Gleichgewicht Europa's, vor dem Willen und der Geduld Frankreichs! Unsere Politik im Osten muß im Westen die Ausgleichungen vorbereiten, die eines Tages jene rechtmäßige Vergrößerung sichern, welche keine Macht des Continents uns umsonst verbürgen wird!“ Und nun hat die Phantasie des Hrn. v. Lamartine ihr rechtes Fahrwasser; er hat den Orient bereist, er segelt mit hoher Fluth, sein Auge, gegen Mekka gewendet, glänzt – „seliger Tag ruft er aus, wo der Orient noch vollständiger zusammenbrechen und so vielen unterdrückten aber kraftvollen Nationalitäten Platz geben wird, die das Gewicht des türkischen Cadavers zur Schmach der Civilisation und Menschheit erdrückt hat!“
Da haben Sie eine hübsche Probe französischer Politik, französischer Logik, französischer Moral in Einem Athem. In Syrien erobert den Rhein, das ist die Politik; stellt die jungen Nationalitäten des Orients in ihrem ewigen Rechte her, und macht euch dafür an der deutschen bezahlt, das ist die Logik; haltet die Verträge, so lang ihr müßt, und brecht sie, sobald ihr könnt, das ist die Moral des Liedes. Was denn freilich den unmittelbar praktischen Werth solcher Stylproben anbelangt, so ist er geradezu Null, und wir könnten uns allenfalls auf den alten Lakonismus beschränken: ihr wollt unsre Waffen, kommt und holt sie. Man soll aber dennoch von Zeit zu Zeit diese Sachen signalisiren, denn es lauert ein ungeheuerer Ernst hinter ihnen, politisch wie moralisch. Zuerst politisch: es ist nicht Lamartine, nicht die Kammer, es ist Frankreich selbst, das mit dem Chor seines Beifalls diese Einzelstimmen bedeckt, das euch alle Tage im Angesicht Europa's betheuert, wie es die ganze Weltlage von heute nur als ein Provisorium betrachte. Gut denn, das ist offen gesprochen; wir nehmen Act von dieser Erklärung, und wenn wieder eine europäische Stunde gekommen seyn wird, sollt ihr sehen, wie wir die Warnung benutzt haben. Sodann moralisch: denn wenn irgend etwas den Bankerutt der Franzosen an Grundsätzen, ihre ungeheuere Gewissenlosigkeit in Beurtheilung der Grundlagen eines christlichen Völkerverkehrs, ihre völlige Unbekanntschaft mit dem sittlichen Wesen der Geschichte schlagend zu beurkunden vermag, so sind es solche Reden. Sie haben den alten Grundsatz Spinoza's, Recht und Gewalt seyen identisch, wieder aufgewärmt, die Möglichkeit ist das Staatsgewissen des modernen Frankreichs! Sie haben den Negerhandel geächtet *), aber ganze Völker zu verschachern und zu zerstückeln – die Sittenlehre müßte pedantisch gescholten werden, die das verböte! Die Nationen, sagt Hr. v. Lamartine, leben von den Grundsätzen ihrer Geschichten; ihr könnt keine Griechen, keine Juden, keine Türken improvisiren! Wohl – aber die Bevölkerung des schönen Delta zwischen Maas, Mosel und Rhein, diese Bevölkerung, die sich wohl mit Schwaben und Niedersachsen den Adel deutscher Nation nennen mag, weil in ihren Adern nicht ein Tropfen slavischen oder romanischen Blutes fließt, die Bevölkerung einer Landschaft, wo ihr auf jedem Zollbreit Erde den größten Erinnerungen deutscher Kaiserzeit begegnet – diese Bevölkerung über Nacht zu französiren, das ist ein Kinderspiel, ein Leichtes.
Sie sehen, der Unsinn ist wieder los, aber es ist doch Methode darin, ganz die alte Methode. Die Schemen des Kaiserreichs steigen wieder auf, der gallische Hahn kräht heuer, wie er im Jahr 1811 gethan; Tausende von Herzen schlagen schon wieder dem Augenblick entgegen, wo Frankreichs Proconsuln den Segen und die Zier fremder Völker aufführen werden im Triumphe zu Paris! Und Hr. v. Lamartine ist lange nicht der Schlimmste. Er speculirt nicht kaltblütig auf unsere Erbschaft, wie ein Geyer auf Atzung; er hat Gefühl, Adel, Ehre, Religion; er ist der Chateaubriand der gegenwärtigen Kammer, ein Tröpfchen Romantik in einer See von Prosa; er hat es drucken lassen, daß er einst sein Grab mit der bescheidenen Inschrift schmücken wolle: Gott, die Poesie und die Liebe! Das ist viel von einem Franzosen, aber noch mehr: Hr. v. Lamartine hat Ideen, und zuweilen, wenn es ihm zu voll ums Herz wird bei den Debatten der Wollkrämerseelen, läßt er einige pathetische Gedanken allgemeinster Humanität wie schöne Tauben mit weißem lichtschimmernden Gefieder durch die Säle des Palais Bourbon fliegen – durch diese Steppe, wo sich augenblicklich so viel kleine Herzen und Geister skandalisiren. Wenn aber Hr. v. Lamartine auf das Auswärtige zu sprechen kommt, da tritt auch bei ihm jener Bankerutt an eigentlichen Grundsätzen widerlich heraus, maskirt durch eine gewisse ritterliche Sentimentalität, die mit der quantitativen Größe der Ereignisse buhlt, und in der Geschichte höchstens eine ästhetische, nicht eine sittliche Gerechtigkeit erkennt. Und alsdann ist auch Hr. v. Lamartine um kein Haarbreit besser als Monsieur Sarrans, Monsieur Marrast, Monsieur Durand und wie sie alle heißen die litterarischen Condottieri, die von ihrem Schreibsessel aus die Welt für Frankreich erobern.
Napoleon ist das Unglück der Franzosen auf ein volles Jahrhundert; an seinen Erinnerungen werden sie noch ersticken. Sie haben das Inventarium seiner gewaltigen Gedanken angetreten, allein die rechten Testamentsvollstrecker wollen nicht kommen, und nun spielen Kinder mit den Waffen des Riesen. Sehen Sie nur nach Aegypten: auf der Landenge von Suez liegt Englands verwundbare Ferse; der Falke von Lodi erkannte das, und seit dieser Zeit ist Frankreichs ägyptische Politik eine Reminiscenz von 1799. Aber auch Napoleon sah in der Weltgeschichte nur Staaten, Aggregate, Mechanismen, nicht Organismen und Nationen. Was er nie begriffen hat, das ist der Geist der Völker in seiner eingebornen Macht und Herrlichkeit, der Geist dieser ewigen Personen, die geheiligt und unverletzbar sind, so lange sie nicht selbst durch Schuld oder Feigheit das Schicksal erzürnen. Das Centrum der Weltbewegung ist Gott und kein Anderer; wer sich statt seiner zur Mitte der Geschichte substituiren möchte, der gräbt in seiner Verblendung die eigene Grube. An diesem Grundirrthum seines Lebens, an den Nationalitäten ist Napoleon gescheitert. Was aber ein Geist, dergleichen seit Cäsar nicht mehr erschien, getragen von
*) Bis jetzt nur den Handel, nicht die Sklaverei selbst, denn die von England durchgeführte Emancipation ist bekanntlich von Frankreich noch nicht angenommen, vielmehr haben viele Redner – unter ihnen Mauguin – für das Fortbestehen der Sklaverei gesprochen!
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