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Allgemeine Zeitung. Nr. 14. Augsburg, 14. Januar 1840.

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um die Verdrängung der polnischen Sprache besorgt zu seyn, welche unter allen slavonischen, die großrussische nicht ausgenommen, die reichste an Formen, Wörtern und Begriffen, die reinste von fremder Beimischung und von verdorbenen Dialekten, die reichste, gebildetste in der Litteratur, die kräftigste und markigste im Klang und Ausdruck ist und mindestens von der Hälfte der slavischen Welt gesprochen oder verstanden wird.

Diese litterarische Regsamkeit der Posener ist um so bemerkenswerther, als sie keineswegs bei der Regierung Unterstützung gefunden, vielmehr mit einem Antipolonismus zu kämpfen gehabt hat. Es ist nicht in Abrede zu stellen, daß hauptsächlich dieß die eingebornen Polen angetrieben hat, sich in die vom Staate unabhängigern Sphären des Lebens hineinzuwerfen und dort ihre Nationalität fester zu stellen. Hätte ohne den Antipolonismus etwa Lissa zu einem so bedeutenden Centrum litterarischer Thätigkeit werden können? Warum Lissa und z. B. nicht Bromberg? Auch ist es factisch und kann nicht bestritten werden, daß im Heere wie im Civil, bei allen Verwaltungszweigen, namentlich aber bei den höhern Anstellungen, in der gesellschaftlichen Stellung (was beim Charakter des Polen nicht zu übersehen ist), sogar beim Güterverkauf die Nationalpolen Zurücksetzungen erfuhren und die Tendenz sichtbar wurde, die Provinz zu germanisiren. Dieß Bestreben hat zwei Seiten, eine rechtliche und eine politische. Wo das strenge Recht nicht ausreicht, kömmt noch die Staatsraison in Betracht. Die Einheit des Staats, ja selbst die Concentration und Gleichförmigkeit in der Verwaltung haben mit der Germanisirung der anderthalb Millionen Polen gar nichts zu schaffen: beide, staatliche Einheit sowohl wie centrale Verwaltung, können ungehindert ohne sie bestehen und dürften sogar, nach historischer Analogie zu schließen, gerade ohne jenes Bestreben am dauerndsten bestehen. Welche Staatsraison bleibt nun noch übrig? In Bezug auf innere Politik dürfte sich in der That nichts dafür finden, was sich mit dem humanen Geiste der Regierung vertrüge. Gesetzt aber auch, es gäbe noch Gründe, die jenes Bestreben unterstützten, so können sie doch nur so geringfügiger Art seyn, daß sie vor den höhern Rücksichten der äußern Politik gänzlich verschwinden müßten. Diese liegen so nahe, treten so sichtbar in dem eifrigsten Bemühen Rußlands zu Tage, der Polen Nationalität zu zerstören, wir werden durch die russischen Sperrmaaßregeln so lebhaft und dringlich daran gemahnt, daß sie Jedermann sehen, begreifen kann. Welcher Macht hat die Theilung Polens genützt? Rußland allein, dem sie die Bahn zu seiner heutigen, gefahrdrohenden Größe gebrochen hat. Welcher Macht würde die gemeinsame Unterdrückung der polnischen Nationalität noch weit mehr nützen? Rußland allein, auf Kosten Europa's; denn jene Größe würde dadurch erst consolidirt werden, und nichts hinderte es mehr, mit seiner ganzen Macht auf Deutschland heranzudrücken. Sehen wir uns auch nach den Resultaten der germanisirenden Tendenz um, so finden wir keine ihr günstigen. Was ist denn gewonnen worden? Der Eifer der Polen für ihre Kirche und Religion ist geweckter denn je und dürfte im ersten Decennium kaum nachlassen; niemals pflegten sie ihre Sprache und Litteratur mit solcher Hingebung als gegenwärtig, sie säubern ihre Sprache von allem Ausländischen, und ihre Litteratur wird immer mehr rein national; so erscheinen die Hauptstützen der Nationalität befestigt, und nur leider das erweckte Mißtrauen ist dabei wach geblieben. "Freilich, sagen die Ultra-Antipolonisten, deren wir in nicht geringer Zahl haben, sind das keine glücklichen Resultate, aber auch die richtigen Mittel sind noch nicht angewendet worden"; und fragt man nach ihren weisern, so sind es ganz dieselben, deren sich Rußland bedient: "weg mit den Priestern - rufen sie - weg mit dem Adel, mit der polnischen Sprache und Litteratur, keine halben Maaßregeln - nur strengen, decidirten Mitteln und dem starken Willen wird sich Alles beugen!" Indessen ist unsere Regierung zu verständig und zu human, als daß sie solchen Antreibern, die ihren Mangel an politischer Einsicht und an ächtem Rechtsgefühl für Patriotismus nehmen oder sich nothwendig machen wollen, Folge leisten und das moralische Ansehen des Staats in Europa der nutzlosen Bedrückung von anderthalb Millionen Menschen aufopfern sollte.

In Galizien läßt die Lage der Eingebornen wenig zu wünschen übrig. Hier herrscht redliches Einverständniß zwischen Regierung und Volk. Der Galizier sagt: wir bezahlen unsere Abgaben und sonst thun und lassen wir was wir wollen; Unzufriedenheit mit der Regierung wird nirgend im Lande laut. Dem Vertrauen, das die Regierung den Eingebornen schenkt, wird von diesen vollkommen entsprochen. Ueberhaupt sind die Polen Oesterreich zugeneigt, die Geschichte erinnert sie an viele freundschaftliche Berührungen und gemeinsame Kämpfe mit demselben. Oesterreich hat ihrem Unglück oftmals eine freundliche Hand gereicht und bis auf den heutigen Tag am redlichsten gegen sie gehandelt. Auch Religion und Kirche veranlassen keine Störung der Eintracht, knüpfen das Band vielmehr um so fester, je mehr anderwärts daran gerüttelt wird. Oesterreichisch-Polen ist also der ruhigste Sitz, die Hauptstütze der Erhaltung polnischer Nationalität. Dieß entspricht auch völlig dem Charakter des österreichischen Kaiserstaats, der im Herzen Europa's, wo sich die deutschen, slavischen und griechisch-romanischen Völker berühren, den hohen Beruf hat, diesen die freie selbstständige Entwicklung und Europa das Gleichgewicht zu erhalten. Der Unterschied zwischen dem Norden und Süden von Deutschland tritt auch in Posen und Galizien hervor. Die beiderseitige Anhänglichkeit an die Nationalität äußert sich sehr charakteristisch. Der Posener überlegt und schreibt für sie, der Galizier lebt für sie. Jener ist nachdenklicher, begrifflicher, dieser derber, frischer, inniger. Am merkwürdigsten tritt dieß in der Stellung hervor, welche der polnische Adel zum Bauern eingenommen hat. Der posen'sche Edelmann schreibt, arbeitet, opfert für den Bauer, aber er bleibt Edelmann; der galizische Edelmann wird selbst Bauer. Hierüber nur Eine Thatsache. Jemand, der kürzlich Galizien bereiste, wo er im Allgemeinen vielen Wohlstand fand, erzählt folgenden Vorfall. "Ich war in der Stadt - im Hause des Advocaten ... - als zwei junge Bauern zu diesem eintraten und mit der ausgezeichnetsten Höflichkeit von ihm empfangen wurden. Mein Erstaunen darüber wuchs, da die beiden Landleute in einem kurzen Gespräche eine ungewöhnliche Schulbildung verriethen. Als sie wieder fortgegangen waren, erkundigte ich mich nach ihnen. Der Advocat antwortete: die beiden Bauern, welche Sie sahen, sind Söhne aus den vornehmsten und reichsten Familien unseres Landes; unsere jungen Herren hat nämlich die Manie ergriffen, Bauern zu werden; sie tragen nur alte Landestracht, verkehren mit den Bauern und sind Ein Herz und Eine Seele mit ihnen. Ich zog hieraus einen günstigen Schluß für Polen." In der That geht zweierlei daraus hervor. Einmal daß französische Sprache und Litteratur, der französische Geist den für Polen so verderblichen Einfluß auf den dortigen Adel verloren hat. Sodann daß dieser alle vagen Träume von einer altpolnischen Adelsrepublik aufgegeben und zugleich begriffen hat, daß seine Nationalität nur in dem frischen Aufblühen des zahlreichen und unverdorbenen Bauerstandes eine sichere Stütze, eine feste Gewähr finden könne. Diese Ueberzeugung hat sich der Polen ziemlich allgemein bemächtigt, und wie wichtig sie ist, wie sehr sie gewürdigt, wie sie von der entgegengesetzten Seite


um die Verdrängung der polnischen Sprache besorgt zu seyn, welche unter allen slavonischen, die großrussische nicht ausgenommen, die reichste an Formen, Wörtern und Begriffen, die reinste von fremder Beimischung und von verdorbenen Dialekten, die reichste, gebildetste in der Litteratur, die kräftigste und markigste im Klang und Ausdruck ist und mindestens von der Hälfte der slavischen Welt gesprochen oder verstanden wird.

Diese litterarische Regsamkeit der Posener ist um so bemerkenswerther, als sie keineswegs bei der Regierung Unterstützung gefunden, vielmehr mit einem Antipolonismus zu kämpfen gehabt hat. Es ist nicht in Abrede zu stellen, daß hauptsächlich dieß die eingebornen Polen angetrieben hat, sich in die vom Staate unabhängigern Sphären des Lebens hineinzuwerfen und dort ihre Nationalität fester zu stellen. Hätte ohne den Antipolonismus etwa Lissa zu einem so bedeutenden Centrum litterarischer Thätigkeit werden können? Warum Lissa und z. B. nicht Bromberg? Auch ist es factisch und kann nicht bestritten werden, daß im Heere wie im Civil, bei allen Verwaltungszweigen, namentlich aber bei den höhern Anstellungen, in der gesellschaftlichen Stellung (was beim Charakter des Polen nicht zu übersehen ist), sogar beim Güterverkauf die Nationalpolen Zurücksetzungen erfuhren und die Tendenz sichtbar wurde, die Provinz zu germanisiren. Dieß Bestreben hat zwei Seiten, eine rechtliche und eine politische. Wo das strenge Recht nicht ausreicht, kömmt noch die Staatsraison in Betracht. Die Einheit des Staats, ja selbst die Concentration und Gleichförmigkeit in der Verwaltung haben mit der Germanisirung der anderthalb Millionen Polen gar nichts zu schaffen: beide, staatliche Einheit sowohl wie centrale Verwaltung, können ungehindert ohne sie bestehen und dürften sogar, nach historischer Analogie zu schließen, gerade ohne jenes Bestreben am dauerndsten bestehen. Welche Staatsraison bleibt nun noch übrig? In Bezug auf innere Politik dürfte sich in der That nichts dafür finden, was sich mit dem humanen Geiste der Regierung vertrüge. Gesetzt aber auch, es gäbe noch Gründe, die jenes Bestreben unterstützten, so können sie doch nur so geringfügiger Art seyn, daß sie vor den höhern Rücksichten der äußern Politik gänzlich verschwinden müßten. Diese liegen so nahe, treten so sichtbar in dem eifrigsten Bemühen Rußlands zu Tage, der Polen Nationalität zu zerstören, wir werden durch die russischen Sperrmaaßregeln so lebhaft und dringlich daran gemahnt, daß sie Jedermann sehen, begreifen kann. Welcher Macht hat die Theilung Polens genützt? Rußland allein, dem sie die Bahn zu seiner heutigen, gefahrdrohenden Größe gebrochen hat. Welcher Macht würde die gemeinsame Unterdrückung der polnischen Nationalität noch weit mehr nützen? Rußland allein, auf Kosten Europa's; denn jene Größe würde dadurch erst consolidirt werden, und nichts hinderte es mehr, mit seiner ganzen Macht auf Deutschland heranzudrücken. Sehen wir uns auch nach den Resultaten der germanisirenden Tendenz um, so finden wir keine ihr günstigen. Was ist denn gewonnen worden? Der Eifer der Polen für ihre Kirche und Religion ist geweckter denn je und dürfte im ersten Decennium kaum nachlassen; niemals pflegten sie ihre Sprache und Litteratur mit solcher Hingebung als gegenwärtig, sie säubern ihre Sprache von allem Ausländischen, und ihre Litteratur wird immer mehr rein national; so erscheinen die Hauptstützen der Nationalität befestigt, und nur leider das erweckte Mißtrauen ist dabei wach geblieben. „Freilich, sagen die Ultra-Antipolonisten, deren wir in nicht geringer Zahl haben, sind das keine glücklichen Resultate, aber auch die richtigen Mittel sind noch nicht angewendet worden“; und fragt man nach ihren weisern, so sind es ganz dieselben, deren sich Rußland bedient: „weg mit den Priestern – rufen sie – weg mit dem Adel, mit der polnischen Sprache und Litteratur, keine halben Maaßregeln – nur strengen, decidirten Mitteln und dem starken Willen wird sich Alles beugen!“ Indessen ist unsere Regierung zu verständig und zu human, als daß sie solchen Antreibern, die ihren Mangel an politischer Einsicht und an ächtem Rechtsgefühl für Patriotismus nehmen oder sich nothwendig machen wollen, Folge leisten und das moralische Ansehen des Staats in Europa der nutzlosen Bedrückung von anderthalb Millionen Menschen aufopfern sollte.

In Galizien läßt die Lage der Eingebornen wenig zu wünschen übrig. Hier herrscht redliches Einverständniß zwischen Regierung und Volk. Der Galizier sagt: wir bezahlen unsere Abgaben und sonst thun und lassen wir was wir wollen; Unzufriedenheit mit der Regierung wird nirgend im Lande laut. Dem Vertrauen, das die Regierung den Eingebornen schenkt, wird von diesen vollkommen entsprochen. Ueberhaupt sind die Polen Oesterreich zugeneigt, die Geschichte erinnert sie an viele freundschaftliche Berührungen und gemeinsame Kämpfe mit demselben. Oesterreich hat ihrem Unglück oftmals eine freundliche Hand gereicht und bis auf den heutigen Tag am redlichsten gegen sie gehandelt. Auch Religion und Kirche veranlassen keine Störung der Eintracht, knüpfen das Band vielmehr um so fester, je mehr anderwärts daran gerüttelt wird. Oesterreichisch-Polen ist also der ruhigste Sitz, die Hauptstütze der Erhaltung polnischer Nationalität. Dieß entspricht auch völlig dem Charakter des österreichischen Kaiserstaats, der im Herzen Europa's, wo sich die deutschen, slavischen und griechisch-romanischen Völker berühren, den hohen Beruf hat, diesen die freie selbstständige Entwicklung und Europa das Gleichgewicht zu erhalten. Der Unterschied zwischen dem Norden und Süden von Deutschland tritt auch in Posen und Galizien hervor. Die beiderseitige Anhänglichkeit an die Nationalität äußert sich sehr charakteristisch. Der Posener überlegt und schreibt für sie, der Galizier lebt für sie. Jener ist nachdenklicher, begrifflicher, dieser derber, frischer, inniger. Am merkwürdigsten tritt dieß in der Stellung hervor, welche der polnische Adel zum Bauern eingenommen hat. Der posen'sche Edelmann schreibt, arbeitet, opfert für den Bauer, aber er bleibt Edelmann; der galizische Edelmann wird selbst Bauer. Hierüber nur Eine Thatsache. Jemand, der kürzlich Galizien bereiste, wo er im Allgemeinen vielen Wohlstand fand, erzählt folgenden Vorfall. „Ich war in der Stadt – im Hause des Advocaten ... – als zwei junge Bauern zu diesem eintraten und mit der ausgezeichnetsten Höflichkeit von ihm empfangen wurden. Mein Erstaunen darüber wuchs, da die beiden Landleute in einem kurzen Gespräche eine ungewöhnliche Schulbildung verriethen. Als sie wieder fortgegangen waren, erkundigte ich mich nach ihnen. Der Advocat antwortete: die beiden Bauern, welche Sie sahen, sind Söhne aus den vornehmsten und reichsten Familien unseres Landes; unsere jungen Herren hat nämlich die Manie ergriffen, Bauern zu werden; sie tragen nur alte Landestracht, verkehren mit den Bauern und sind Ein Herz und Eine Seele mit ihnen. Ich zog hieraus einen günstigen Schluß für Polen.“ In der That geht zweierlei daraus hervor. Einmal daß französische Sprache und Litteratur, der französische Geist den für Polen so verderblichen Einfluß auf den dortigen Adel verloren hat. Sodann daß dieser alle vagen Träume von einer altpolnischen Adelsrepublik aufgegeben und zugleich begriffen hat, daß seine Nationalität nur in dem frischen Aufblühen des zahlreichen und unverdorbenen Bauerstandes eine sichere Stütze, eine feste Gewähr finden könne. Diese Ueberzeugung hat sich der Polen ziemlich allgemein bemächtigt, und wie wichtig sie ist, wie sehr sie gewürdigt, wie sie von der entgegengesetzten Seite

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[0107/0010] um die Verdrängung der polnischen Sprache besorgt zu seyn, welche unter allen slavonischen, die großrussische nicht ausgenommen, die reichste an Formen, Wörtern und Begriffen, die reinste von fremder Beimischung und von verdorbenen Dialekten, die reichste, gebildetste in der Litteratur, die kräftigste und markigste im Klang und Ausdruck ist und mindestens von der Hälfte der slavischen Welt gesprochen oder verstanden wird. Diese litterarische Regsamkeit der Posener ist um so bemerkenswerther, als sie keineswegs bei der Regierung Unterstützung gefunden, vielmehr mit einem Antipolonismus zu kämpfen gehabt hat. Es ist nicht in Abrede zu stellen, daß hauptsächlich dieß die eingebornen Polen angetrieben hat, sich in die vom Staate unabhängigern Sphären des Lebens hineinzuwerfen und dort ihre Nationalität fester zu stellen. Hätte ohne den Antipolonismus etwa Lissa zu einem so bedeutenden Centrum litterarischer Thätigkeit werden können? Warum Lissa und z. B. nicht Bromberg? Auch ist es factisch und kann nicht bestritten werden, daß im Heere wie im Civil, bei allen Verwaltungszweigen, namentlich aber bei den höhern Anstellungen, in der gesellschaftlichen Stellung (was beim Charakter des Polen nicht zu übersehen ist), sogar beim Güterverkauf die Nationalpolen Zurücksetzungen erfuhren und die Tendenz sichtbar wurde, die Provinz zu germanisiren. Dieß Bestreben hat zwei Seiten, eine rechtliche und eine politische. Wo das strenge Recht nicht ausreicht, kömmt noch die Staatsraison in Betracht. Die Einheit des Staats, ja selbst die Concentration und Gleichförmigkeit in der Verwaltung haben mit der Germanisirung der anderthalb Millionen Polen gar nichts zu schaffen: beide, staatliche Einheit sowohl wie centrale Verwaltung, können ungehindert ohne sie bestehen und dürften sogar, nach historischer Analogie zu schließen, gerade ohne jenes Bestreben am dauerndsten bestehen. Welche Staatsraison bleibt nun noch übrig? In Bezug auf innere Politik dürfte sich in der That nichts dafür finden, was sich mit dem humanen Geiste der Regierung vertrüge. Gesetzt aber auch, es gäbe noch Gründe, die jenes Bestreben unterstützten, so können sie doch nur so geringfügiger Art seyn, daß sie vor den höhern Rücksichten der äußern Politik gänzlich verschwinden müßten. Diese liegen so nahe, treten so sichtbar in dem eifrigsten Bemühen Rußlands zu Tage, der Polen Nationalität zu zerstören, wir werden durch die russischen Sperrmaaßregeln so lebhaft und dringlich daran gemahnt, daß sie Jedermann sehen, begreifen kann. Welcher Macht hat die Theilung Polens genützt? Rußland allein, dem sie die Bahn zu seiner heutigen, gefahrdrohenden Größe gebrochen hat. Welcher Macht würde die gemeinsame Unterdrückung der polnischen Nationalität noch weit mehr nützen? Rußland allein, auf Kosten Europa's; denn jene Größe würde dadurch erst consolidirt werden, und nichts hinderte es mehr, mit seiner ganzen Macht auf Deutschland heranzudrücken. Sehen wir uns auch nach den Resultaten der germanisirenden Tendenz um, so finden wir keine ihr günstigen. Was ist denn gewonnen worden? Der Eifer der Polen für ihre Kirche und Religion ist geweckter denn je und dürfte im ersten Decennium kaum nachlassen; niemals pflegten sie ihre Sprache und Litteratur mit solcher Hingebung als gegenwärtig, sie säubern ihre Sprache von allem Ausländischen, und ihre Litteratur wird immer mehr rein national; so erscheinen die Hauptstützen der Nationalität befestigt, und nur leider das erweckte Mißtrauen ist dabei wach geblieben. „Freilich, sagen die Ultra-Antipolonisten, deren wir in nicht geringer Zahl haben, sind das keine glücklichen Resultate, aber auch die richtigen Mittel sind noch nicht angewendet worden“; und fragt man nach ihren weisern, so sind es ganz dieselben, deren sich Rußland bedient: „weg mit den Priestern – rufen sie – weg mit dem Adel, mit der polnischen Sprache und Litteratur, keine halben Maaßregeln – nur strengen, decidirten Mitteln und dem starken Willen wird sich Alles beugen!“ Indessen ist unsere Regierung zu verständig und zu human, als daß sie solchen Antreibern, die ihren Mangel an politischer Einsicht und an ächtem Rechtsgefühl für Patriotismus nehmen oder sich nothwendig machen wollen, Folge leisten und das moralische Ansehen des Staats in Europa der nutzlosen Bedrückung von anderthalb Millionen Menschen aufopfern sollte. In Galizien läßt die Lage der Eingebornen wenig zu wünschen übrig. Hier herrscht redliches Einverständniß zwischen Regierung und Volk. Der Galizier sagt: wir bezahlen unsere Abgaben und sonst thun und lassen wir was wir wollen; Unzufriedenheit mit der Regierung wird nirgend im Lande laut. Dem Vertrauen, das die Regierung den Eingebornen schenkt, wird von diesen vollkommen entsprochen. Ueberhaupt sind die Polen Oesterreich zugeneigt, die Geschichte erinnert sie an viele freundschaftliche Berührungen und gemeinsame Kämpfe mit demselben. Oesterreich hat ihrem Unglück oftmals eine freundliche Hand gereicht und bis auf den heutigen Tag am redlichsten gegen sie gehandelt. Auch Religion und Kirche veranlassen keine Störung der Eintracht, knüpfen das Band vielmehr um so fester, je mehr anderwärts daran gerüttelt wird. Oesterreichisch-Polen ist also der ruhigste Sitz, die Hauptstütze der Erhaltung polnischer Nationalität. Dieß entspricht auch völlig dem Charakter des österreichischen Kaiserstaats, der im Herzen Europa's, wo sich die deutschen, slavischen und griechisch-romanischen Völker berühren, den hohen Beruf hat, diesen die freie selbstständige Entwicklung und Europa das Gleichgewicht zu erhalten. Der Unterschied zwischen dem Norden und Süden von Deutschland tritt auch in Posen und Galizien hervor. Die beiderseitige Anhänglichkeit an die Nationalität äußert sich sehr charakteristisch. Der Posener überlegt und schreibt für sie, der Galizier lebt für sie. Jener ist nachdenklicher, begrifflicher, dieser derber, frischer, inniger. Am merkwürdigsten tritt dieß in der Stellung hervor, welche der polnische Adel zum Bauern eingenommen hat. Der posen'sche Edelmann schreibt, arbeitet, opfert für den Bauer, aber er bleibt Edelmann; der galizische Edelmann wird selbst Bauer. Hierüber nur Eine Thatsache. Jemand, der kürzlich Galizien bereiste, wo er im Allgemeinen vielen Wohlstand fand, erzählt folgenden Vorfall. „Ich war in der Stadt – im Hause des Advocaten ... – als zwei junge Bauern zu diesem eintraten und mit der ausgezeichnetsten Höflichkeit von ihm empfangen wurden. Mein Erstaunen darüber wuchs, da die beiden Landleute in einem kurzen Gespräche eine ungewöhnliche Schulbildung verriethen. Als sie wieder fortgegangen waren, erkundigte ich mich nach ihnen. Der Advocat antwortete: die beiden Bauern, welche Sie sahen, sind Söhne aus den vornehmsten und reichsten Familien unseres Landes; unsere jungen Herren hat nämlich die Manie ergriffen, Bauern zu werden; sie tragen nur alte Landestracht, verkehren mit den Bauern und sind Ein Herz und Eine Seele mit ihnen. Ich zog hieraus einen günstigen Schluß für Polen.“ In der That geht zweierlei daraus hervor. Einmal daß französische Sprache und Litteratur, der französische Geist den für Polen so verderblichen Einfluß auf den dortigen Adel verloren hat. Sodann daß dieser alle vagen Träume von einer altpolnischen Adelsrepublik aufgegeben und zugleich begriffen hat, daß seine Nationalität nur in dem frischen Aufblühen des zahlreichen und unverdorbenen Bauerstandes eine sichere Stütze, eine feste Gewähr finden könne. Diese Ueberzeugung hat sich der Polen ziemlich allgemein bemächtigt, und wie wichtig sie ist, wie sehr sie gewürdigt, wie sie von der entgegengesetzten Seite

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 14. Augsburg, 14. Januar 1840, S. 0107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_014_18400114/10>, abgerufen am 11.12.2024.