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Allgemeine Zeitung. Nr. 7. Augsburg, 7. Januar 1840.

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Truppen versammelt, daß binnen wenigen Tagen leicht 50,000 Mann eingeschifft werden könnten, vorausgesetzt, daß es an Transportmitteln nicht fehle. An diesen scheint aber kein Mangel zu seyn, denn ohne die kaiserliche Marine in Anschlag zu bringen, haben sich in der letzten Zeit Handels- und Transportschiffe, sowohl einheimische als fremde, in den Haupthäfen des schwarzen Meers so gehäuft, daß man am 12 Dec. in dem Hafen von Odessa allein nicht weniger als 500 derselben zählte. Es sind freilich meist fremde, zur Aufnahme von Getreide für westliche Länder bestimmte Fahrzeuge, die indessen gegen gute Frachtpreise für einen ungewöhnlichen Fall leicht zu gewinnen wären. Nicht minder häufig sind die Transportmittel in Sebastopol und im azow'schen Meere, so daß, falls Mehemed Ali sich von Leidenschaft getrieben, zu extremen Schritten verleiten lassen sollte, man ihm mit Leichtigkeit beweisen könnte, daß er sich geirrt, wenn er in seinem Eigendünkel behauptete, er werde die klügsten Berechnungen der Europäer zu Schanden machen, falls man versuchen wollte, ihn auf unbillige Art zu drücken. Was in den Augen des Aegyptiers für unbillig gelten, was er unter Mäßigung, die er für sich unaufhörlich in Anspruch nimmt, verstehen mag, läßt sich freilich nicht genau bestimmen; aus den Friedensvorschlägen indessen, die er der Pforte gemacht, aus seiner sonstigen Habsucht und seinem Ehrgeize läßt sich ahnen, daß, was man ihm auch zugestehen möchte, jede Concession weit hinter seiner Begierde zurückbleiben müßte. Daher die ungeheuern Vorbereitungen in den russischen Küstenländern, daher die Thätigkeit, mit der die Rüstungen betrieben werden. Vorzüglich in Nikolajew bemerkt man ein reges Leben: es sind dort mit der Herstellung beschädigter, mit dem Bau neuer Kriegsschiffe mehrere tausend Menschen beschäftigt. Auch sind die Truppen, die von der tscherkessischen Küste im Herbste zurückkehrten, noch nicht in ihre gewöhnlichen Winterquartiere zurückmarschirt, sondern, wie ich Ihnen bereits mittheilte, sämmtlich in der Nähe der Haupthäfen consignirt; kein einziges Schiff wird heuer abgetaut oder abgerüstet, alles steht mit einem Wort fix und fertig da zu einer imposanten Expedition nach Kleinasien, und so kann man hoffen, daß Mehemed Ali sich wohl hüten werde, irgend einen übereilten Schritt zu unternehmen.

Von der polnischen Gränze vernimmt man, daß das Königreich Polen seit vielen Jahren nicht so sehr von Soldaten entblößt gewesen als gegenwärtig. Alle Truppen sollen sich nach Süden bewegen, und bereits überaus zahlreiche Heermassen in den südwestlichen Gouvernements Rußlands, nach dem schwarzen Meer und der Donau hin zusammengezogen worden seyn. - Auch ungeheure Magazine sollen von allen Orten her mit Getreide gefüllt - man führt als Grund davon eine geringe Ernte von diesem Jahr an - Kriegsvorräthe aufgehäuft, überhaupt alle Vorbereitungen getroffen worden seyn, als stünde ein großer Krieg bevor. Wozu dieß Alles? Nicht wohl scheinen sich damit die Friedensbetheurungen vereinigen zu lassen, welche von russischer Seite seit kurzem immer lauter werden. Freilich auch die Römer rüsteten sich dann am furchtbarsten, wenn sie eben einen Frieden abgeschlossen hatten. Die russische Diplomatie hat einen augenfälligen Vortheil vor der der westlichen Seemächte voraus: sie braucht nicht mit einer in auswärtigen Angelegenheiten nur zu oft kurzsichtigen Presse zu kämpfen, und daher niemals die Sache dem Scheine hinzuopfern, sie darf vielmehr ungehindert, so lange sie es für gut hält, den bloßen Schein der Sache selber unterordnen. Die russische Expedition nach Khiwa gibt unter gegenwärtigen Umständen viel zu denken. Im Zusammenhange mit andern Begebenheiten erscheint sie von größter Wichtigkeit. Wie, sollte man den Zug nur unternehmen, um einige russische Gefangene zu befreien? Warum wählt man denn gerade die jetzige Jahrszeit, warum einen Augenblick, wo man gefürchtete Provinzen von Truppen entblößt, um sie anderswo zu versammeln? Oder was soll man sich unter dem legitimen Einfluß vorstellen, der in den Turkomanensteppen Rußland, nach den Worten des Befehlshabers jener Expedition, gebührt? Die englisch-ostindische Compagnie hat in Afghanistan zwar gesiegt, aber der Sieg erscheint noch wenig befestigt, der neue Herrscher als englischer Statthalter ohne Stütze im Lande. Die vertriebenen Fürsten haben Schutz bei den benachbarten Horden gefunden; wer weiß, was in diesen gährt - wiewohl sie selbst unangreifbar sind, können sie doch jeden Augenblick mit Erfolg über Afghanistan herfallen, besonders wenn tüchtige Führer an ihrer Spitze stehen; über Khiwa und Bukhara geht der nächste und offenste Weg von der Wolga nach dem Indus; auch gährt es fort und fort in Persien, wo der russische Einfluß überwiegt. - Man sieht, die Truppen am schwarzen Meere sind zu sehr gelegener Zeit versammelt worden. Rußland denkt vorerst nicht, wie etwa die Franzosen in Afrika, an die Civilisirung der Beduinen und Horden. Es verfährt weit umsichtiger; indem es die Nomadenvölker gewähren läßt, sucht es nur seinen Einfluß über sie nach Südosten immer weiter auszudehnen, die Steppen nicht zu civilisiren, sondern zu beherrschen. Auf diese Weise hat es schon viel gewonnen; wo es aber entschiedener und strenger aufzutreten für nöthig erachtete, da hat es auch heftigen Widerstand gefunden. Die Tscherkessen beweisen Rußland, was ein freies, tapferes Volk vermag, das zwar an Civilisation und Macht, aber keineswegs an ächter Menschlichkeit von den Russen übertroffen zu werden scheint. Auch einige Stämme der Steppe sind voll Erbitterung gegen Rußland. Wie ließe sich nun begreifen, daß dieses bei seiner umsichtigen Politik unter den heutigen Weltverwickelungen neue Völker gegen sich aufbringen, sich gleichsam in neue Tscherkessenkriege der Ebene verwickeln sollte! Muß man nicht fast nothgedrungen an andere Absichten glauben?

Türkei.

Vorgestern ist ein türkisches Dampfboot nach Alexandria abgesegelt, an dessen Bord der ehemalige Botschafter am königl. preußischen Hofe, Kiamil Pascha, sich befand. Der Pascha ist Ueberbringer des Hattischerifs und des Fermans, der die Kundmachung des Hattischerifs in allen Provinzen, mithin auch in den der Administration Mehemed Ali's unterworfenen Ländern anbefiehlt. Warum die Pforte so lange mit dieser Sendung gezaudert, läßt sich aus der frühern Constellation erklären, die dem Vicekönig günstig war, während die gegenwärtige sich zum Vortheil der Pforte gewendet. Der Divan scheint jetzt mit Zuversicht zu erwarten, da sich der Pascha von Aegypten gegen die Kundmachung des Hattischerifs nicht sträuben werde, obwohl es nach meiner Meinung leicht möglich wäre, daß durch Vorwände aller Art sich der Nothwendigkeit einer so eclatanten Anerkennung seiner Unterordnung zu entziehen suchte. Es ist von der hohen Pforte zur Redaction der neuen Gesetze und des im Hattischerif versprochenen organischen Statuts eine Commission niedergesetzt worden. Sie besteht aus folgenden Mitgliedern: Präsident, Saib-Effendi. Beisitzer: Essaad Effendi, Ahmed Fethi Pascha, Hussein Pascha und Melek-Mehemed-Zade-kadrik Bey. - Der außerordentliche Gesandte Sr. Majestät des Königs Otto von Griechenland, Hr. Zographos, hat gestern die Insignien des ihm verliehenen preußischen Adlerordens erhalten.

Truppen versammelt, daß binnen wenigen Tagen leicht 50,000 Mann eingeschifft werden könnten, vorausgesetzt, daß es an Transportmitteln nicht fehle. An diesen scheint aber kein Mangel zu seyn, denn ohne die kaiserliche Marine in Anschlag zu bringen, haben sich in der letzten Zeit Handels- und Transportschiffe, sowohl einheimische als fremde, in den Haupthäfen des schwarzen Meers so gehäuft, daß man am 12 Dec. in dem Hafen von Odessa allein nicht weniger als 500 derselben zählte. Es sind freilich meist fremde, zur Aufnahme von Getreide für westliche Länder bestimmte Fahrzeuge, die indessen gegen gute Frachtpreise für einen ungewöhnlichen Fall leicht zu gewinnen wären. Nicht minder häufig sind die Transportmittel in Sebastopol und im azow'schen Meere, so daß, falls Mehemed Ali sich von Leidenschaft getrieben, zu extremen Schritten verleiten lassen sollte, man ihm mit Leichtigkeit beweisen könnte, daß er sich geirrt, wenn er in seinem Eigendünkel behauptete, er werde die klügsten Berechnungen der Europäer zu Schanden machen, falls man versuchen wollte, ihn auf unbillige Art zu drücken. Was in den Augen des Aegyptiers für unbillig gelten, was er unter Mäßigung, die er für sich unaufhörlich in Anspruch nimmt, verstehen mag, läßt sich freilich nicht genau bestimmen; aus den Friedensvorschlägen indessen, die er der Pforte gemacht, aus seiner sonstigen Habsucht und seinem Ehrgeize läßt sich ahnen, daß, was man ihm auch zugestehen möchte, jede Concession weit hinter seiner Begierde zurückbleiben müßte. Daher die ungeheuern Vorbereitungen in den russischen Küstenländern, daher die Thätigkeit, mit der die Rüstungen betrieben werden. Vorzüglich in Nikolajew bemerkt man ein reges Leben: es sind dort mit der Herstellung beschädigter, mit dem Bau neuer Kriegsschiffe mehrere tausend Menschen beschäftigt. Auch sind die Truppen, die von der tscherkessischen Küste im Herbste zurückkehrten, noch nicht in ihre gewöhnlichen Winterquartiere zurückmarschirt, sondern, wie ich Ihnen bereits mittheilte, sämmtlich in der Nähe der Haupthäfen consignirt; kein einziges Schiff wird heuer abgetaut oder abgerüstet, alles steht mit einem Wort fix und fertig da zu einer imposanten Expedition nach Kleinasien, und so kann man hoffen, daß Mehemed Ali sich wohl hüten werde, irgend einen übereilten Schritt zu unternehmen.

Von der polnischen Gränze vernimmt man, daß das Königreich Polen seit vielen Jahren nicht so sehr von Soldaten entblößt gewesen als gegenwärtig. Alle Truppen sollen sich nach Süden bewegen, und bereits überaus zahlreiche Heermassen in den südwestlichen Gouvernements Rußlands, nach dem schwarzen Meer und der Donau hin zusammengezogen worden seyn. – Auch ungeheure Magazine sollen von allen Orten her mit Getreide gefüllt – man führt als Grund davon eine geringe Ernte von diesem Jahr an – Kriegsvorräthe aufgehäuft, überhaupt alle Vorbereitungen getroffen worden seyn, als stünde ein großer Krieg bevor. Wozu dieß Alles? Nicht wohl scheinen sich damit die Friedensbetheurungen vereinigen zu lassen, welche von russischer Seite seit kurzem immer lauter werden. Freilich auch die Römer rüsteten sich dann am furchtbarsten, wenn sie eben einen Frieden abgeschlossen hatten. Die russische Diplomatie hat einen augenfälligen Vortheil vor der der westlichen Seemächte voraus: sie braucht nicht mit einer in auswärtigen Angelegenheiten nur zu oft kurzsichtigen Presse zu kämpfen, und daher niemals die Sache dem Scheine hinzuopfern, sie darf vielmehr ungehindert, so lange sie es für gut hält, den bloßen Schein der Sache selber unterordnen. Die russische Expedition nach Khiwa gibt unter gegenwärtigen Umständen viel zu denken. Im Zusammenhange mit andern Begebenheiten erscheint sie von größter Wichtigkeit. Wie, sollte man den Zug nur unternehmen, um einige russische Gefangene zu befreien? Warum wählt man denn gerade die jetzige Jahrszeit, warum einen Augenblick, wo man gefürchtete Provinzen von Truppen entblößt, um sie anderswo zu versammeln? Oder was soll man sich unter dem legitimen Einfluß vorstellen, der in den Turkomanensteppen Rußland, nach den Worten des Befehlshabers jener Expedition, gebührt? Die englisch-ostindische Compagnie hat in Afghanistan zwar gesiegt, aber der Sieg erscheint noch wenig befestigt, der neue Herrscher als englischer Statthalter ohne Stütze im Lande. Die vertriebenen Fürsten haben Schutz bei den benachbarten Horden gefunden; wer weiß, was in diesen gährt – wiewohl sie selbst unangreifbar sind, können sie doch jeden Augenblick mit Erfolg über Afghanistan herfallen, besonders wenn tüchtige Führer an ihrer Spitze stehen; über Khiwa und Bukhara geht der nächste und offenste Weg von der Wolga nach dem Indus; auch gährt es fort und fort in Persien, wo der russische Einfluß überwiegt. – Man sieht, die Truppen am schwarzen Meere sind zu sehr gelegener Zeit versammelt worden. Rußland denkt vorerst nicht, wie etwa die Franzosen in Afrika, an die Civilisirung der Beduinen und Horden. Es verfährt weit umsichtiger; indem es die Nomadenvölker gewähren läßt, sucht es nur seinen Einfluß über sie nach Südosten immer weiter auszudehnen, die Steppen nicht zu civilisiren, sondern zu beherrschen. Auf diese Weise hat es schon viel gewonnen; wo es aber entschiedener und strenger aufzutreten für nöthig erachtete, da hat es auch heftigen Widerstand gefunden. Die Tscherkessen beweisen Rußland, was ein freies, tapferes Volk vermag, das zwar an Civilisation und Macht, aber keineswegs an ächter Menschlichkeit von den Russen übertroffen zu werden scheint. Auch einige Stämme der Steppe sind voll Erbitterung gegen Rußland. Wie ließe sich nun begreifen, daß dieses bei seiner umsichtigen Politik unter den heutigen Weltverwickelungen neue Völker gegen sich aufbringen, sich gleichsam in neue Tscherkessenkriege der Ebene verwickeln sollte! Muß man nicht fast nothgedrungen an andere Absichten glauben?

Türkei.

Vorgestern ist ein türkisches Dampfboot nach Alexandria abgesegelt, an dessen Bord der ehemalige Botschafter am königl. preußischen Hofe, Kiamil Pascha, sich befand. Der Pascha ist Ueberbringer des Hattischerifs und des Fermans, der die Kundmachung des Hattischerifs in allen Provinzen, mithin auch in den der Administration Mehemed Ali's unterworfenen Ländern anbefiehlt. Warum die Pforte so lange mit dieser Sendung gezaudert, läßt sich aus der frühern Constellation erklären, die dem Vicekönig günstig war, während die gegenwärtige sich zum Vortheil der Pforte gewendet. Der Divan scheint jetzt mit Zuversicht zu erwarten, da sich der Pascha von Aegypten gegen die Kundmachung des Hattischerifs nicht sträuben werde, obwohl es nach meiner Meinung leicht möglich wäre, daß durch Vorwände aller Art sich der Nothwendigkeit einer so eclatanten Anerkennung seiner Unterordnung zu entziehen suchte. Es ist von der hohen Pforte zur Redaction der neuen Gesetze und des im Hattischerif versprochenen organischen Statuts eine Commission niedergesetzt worden. Sie besteht aus folgenden Mitgliedern: Präsident, Saib-Effendi. Beisitzer: Essaad Effendi, Ahmed Fethi Pascha, Hussein Pascha und Melek-Mehemed-Zade-kadrik Bey. – Der außerordentliche Gesandte Sr. Majestät des Königs Otto von Griechenland, Hr. Zographos, hat gestern die Insignien des ihm verliehenen preußischen Adlerordens erhalten.

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Truppen versammelt, daß binnen wenigen Tagen leicht 50,000 Mann eingeschifft werden könnten, vorausgesetzt, daß es an Transportmitteln nicht fehle. An diesen scheint aber kein Mangel zu seyn, denn ohne die kaiserliche Marine in Anschlag zu bringen, haben sich in der letzten Zeit Handels- und Transportschiffe, sowohl einheimische als fremde, in den Haupthäfen des schwarzen Meers so gehäuft, daß man am 12 Dec. in dem Hafen von Odessa allein nicht weniger als 500 derselben zählte. Es sind freilich meist fremde, zur Aufnahme von Getreide für westliche Länder bestimmte Fahrzeuge, die indessen gegen gute Frachtpreise für einen ungewöhnlichen Fall leicht zu gewinnen wären. Nicht minder häufig sind die Transportmittel in Sebastopol und im azow'schen Meere, so daß, falls Mehemed Ali sich von Leidenschaft getrieben, zu extremen Schritten verleiten lassen sollte, man ihm mit Leichtigkeit beweisen könnte, daß er sich geirrt, wenn er in seinem Eigendünkel behauptete, er werde die klügsten Berechnungen der Europäer zu Schanden machen, falls man versuchen wollte, ihn auf unbillige Art zu drücken. Was in den Augen des Aegyptiers für unbillig gelten, was er unter Mäßigung, die er für sich unaufhörlich in Anspruch nimmt, verstehen mag, läßt sich freilich nicht genau bestimmen; aus den Friedensvorschlägen indessen, die er der Pforte gemacht, aus seiner sonstigen Habsucht und seinem Ehrgeize läßt sich ahnen, daß, was man ihm auch zugestehen möchte, jede Concession weit hinter seiner Begierde zurückbleiben müßte. Daher die ungeheuern Vorbereitungen in den russischen Küstenländern, daher die Thätigkeit, mit der die Rüstungen betrieben werden. Vorzüglich in Nikolajew bemerkt man ein reges Leben: es sind dort mit der Herstellung beschädigter, mit dem Bau neuer Kriegsschiffe mehrere tausend Menschen beschäftigt. Auch sind die Truppen, die von der tscherkessischen Küste im Herbste zurückkehrten, noch nicht in ihre gewöhnlichen Winterquartiere zurückmarschirt, sondern, wie ich Ihnen bereits mittheilte, sämmtlich in der Nähe der Haupthäfen consignirt; kein einziges Schiff wird heuer abgetaut oder abgerüstet, alles steht mit einem Wort fix und fertig da zu einer imposanten Expedition nach Kleinasien, und so kann man hoffen, daß Mehemed Ali sich wohl hüten werde, irgend einen übereilten Schritt zu unternehmen.</p>
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[0055/0007] Truppen versammelt, daß binnen wenigen Tagen leicht 50,000 Mann eingeschifft werden könnten, vorausgesetzt, daß es an Transportmitteln nicht fehle. An diesen scheint aber kein Mangel zu seyn, denn ohne die kaiserliche Marine in Anschlag zu bringen, haben sich in der letzten Zeit Handels- und Transportschiffe, sowohl einheimische als fremde, in den Haupthäfen des schwarzen Meers so gehäuft, daß man am 12 Dec. in dem Hafen von Odessa allein nicht weniger als 500 derselben zählte. Es sind freilich meist fremde, zur Aufnahme von Getreide für westliche Länder bestimmte Fahrzeuge, die indessen gegen gute Frachtpreise für einen ungewöhnlichen Fall leicht zu gewinnen wären. Nicht minder häufig sind die Transportmittel in Sebastopol und im azow'schen Meere, so daß, falls Mehemed Ali sich von Leidenschaft getrieben, zu extremen Schritten verleiten lassen sollte, man ihm mit Leichtigkeit beweisen könnte, daß er sich geirrt, wenn er in seinem Eigendünkel behauptete, er werde die klügsten Berechnungen der Europäer zu Schanden machen, falls man versuchen wollte, ihn auf unbillige Art zu drücken. Was in den Augen des Aegyptiers für unbillig gelten, was er unter Mäßigung, die er für sich unaufhörlich in Anspruch nimmt, verstehen mag, läßt sich freilich nicht genau bestimmen; aus den Friedensvorschlägen indessen, die er der Pforte gemacht, aus seiner sonstigen Habsucht und seinem Ehrgeize läßt sich ahnen, daß, was man ihm auch zugestehen möchte, jede Concession weit hinter seiner Begierde zurückbleiben müßte. Daher die ungeheuern Vorbereitungen in den russischen Küstenländern, daher die Thätigkeit, mit der die Rüstungen betrieben werden. Vorzüglich in Nikolajew bemerkt man ein reges Leben: es sind dort mit der Herstellung beschädigter, mit dem Bau neuer Kriegsschiffe mehrere tausend Menschen beschäftigt. Auch sind die Truppen, die von der tscherkessischen Küste im Herbste zurückkehrten, noch nicht in ihre gewöhnlichen Winterquartiere zurückmarschirt, sondern, wie ich Ihnen bereits mittheilte, sämmtlich in der Nähe der Haupthäfen consignirt; kein einziges Schiff wird heuer abgetaut oder abgerüstet, alles steht mit einem Wort fix und fertig da zu einer imposanten Expedition nach Kleinasien, und so kann man hoffen, daß Mehemed Ali sich wohl hüten werde, irgend einen übereilten Schritt zu unternehmen. _ Berlin, 31 Dec. Von der polnischen Gränze vernimmt man, daß das Königreich Polen seit vielen Jahren nicht so sehr von Soldaten entblößt gewesen als gegenwärtig. Alle Truppen sollen sich nach Süden bewegen, und bereits überaus zahlreiche Heermassen in den südwestlichen Gouvernements Rußlands, nach dem schwarzen Meer und der Donau hin zusammengezogen worden seyn. – Auch ungeheure Magazine sollen von allen Orten her mit Getreide gefüllt – man führt als Grund davon eine geringe Ernte von diesem Jahr an – Kriegsvorräthe aufgehäuft, überhaupt alle Vorbereitungen getroffen worden seyn, als stünde ein großer Krieg bevor. Wozu dieß Alles? Nicht wohl scheinen sich damit die Friedensbetheurungen vereinigen zu lassen, welche von russischer Seite seit kurzem immer lauter werden. Freilich auch die Römer rüsteten sich dann am furchtbarsten, wenn sie eben einen Frieden abgeschlossen hatten. Die russische Diplomatie hat einen augenfälligen Vortheil vor der der westlichen Seemächte voraus: sie braucht nicht mit einer in auswärtigen Angelegenheiten nur zu oft kurzsichtigen Presse zu kämpfen, und daher niemals die Sache dem Scheine hinzuopfern, sie darf vielmehr ungehindert, so lange sie es für gut hält, den bloßen Schein der Sache selber unterordnen. Die russische Expedition nach Khiwa gibt unter gegenwärtigen Umständen viel zu denken. Im Zusammenhange mit andern Begebenheiten erscheint sie von größter Wichtigkeit. Wie, sollte man den Zug nur unternehmen, um einige russische Gefangene zu befreien? Warum wählt man denn gerade die jetzige Jahrszeit, warum einen Augenblick, wo man gefürchtete Provinzen von Truppen entblößt, um sie anderswo zu versammeln? Oder was soll man sich unter dem legitimen Einfluß vorstellen, der in den Turkomanensteppen Rußland, nach den Worten des Befehlshabers jener Expedition, gebührt? Die englisch-ostindische Compagnie hat in Afghanistan zwar gesiegt, aber der Sieg erscheint noch wenig befestigt, der neue Herrscher als englischer Statthalter ohne Stütze im Lande. Die vertriebenen Fürsten haben Schutz bei den benachbarten Horden gefunden; wer weiß, was in diesen gährt – wiewohl sie selbst unangreifbar sind, können sie doch jeden Augenblick mit Erfolg über Afghanistan herfallen, besonders wenn tüchtige Führer an ihrer Spitze stehen; über Khiwa und Bukhara geht der nächste und offenste Weg von der Wolga nach dem Indus; auch gährt es fort und fort in Persien, wo der russische Einfluß überwiegt. – Man sieht, die Truppen am schwarzen Meere sind zu sehr gelegener Zeit versammelt worden. Rußland denkt vorerst nicht, wie etwa die Franzosen in Afrika, an die Civilisirung der Beduinen und Horden. Es verfährt weit umsichtiger; indem es die Nomadenvölker gewähren läßt, sucht es nur seinen Einfluß über sie nach Südosten immer weiter auszudehnen, die Steppen nicht zu civilisiren, sondern zu beherrschen. Auf diese Weise hat es schon viel gewonnen; wo es aber entschiedener und strenger aufzutreten für nöthig erachtete, da hat es auch heftigen Widerstand gefunden. Die Tscherkessen beweisen Rußland, was ein freies, tapferes Volk vermag, das zwar an Civilisation und Macht, aber keineswegs an ächter Menschlichkeit von den Russen übertroffen zu werden scheint. Auch einige Stämme der Steppe sind voll Erbitterung gegen Rußland. Wie ließe sich nun begreifen, daß dieses bei seiner umsichtigen Politik unter den heutigen Weltverwickelungen neue Völker gegen sich aufbringen, sich gleichsam in neue Tscherkessenkriege der Ebene verwickeln sollte! Muß man nicht fast nothgedrungen an andere Absichten glauben? Türkei. _ Konstantinopel, 18 Dec. Vorgestern ist ein türkisches Dampfboot nach Alexandria abgesegelt, an dessen Bord der ehemalige Botschafter am königl. preußischen Hofe, Kiamil Pascha, sich befand. Der Pascha ist Ueberbringer des Hattischerifs und des Fermans, der die Kundmachung des Hattischerifs in allen Provinzen, mithin auch in den der Administration Mehemed Ali's unterworfenen Ländern anbefiehlt. Warum die Pforte so lange mit dieser Sendung gezaudert, läßt sich aus der frühern Constellation erklären, die dem Vicekönig günstig war, während die gegenwärtige sich zum Vortheil der Pforte gewendet. Der Divan scheint jetzt mit Zuversicht zu erwarten, da sich der Pascha von Aegypten gegen die Kundmachung des Hattischerifs nicht sträuben werde, obwohl es nach meiner Meinung leicht möglich wäre, daß durch Vorwände aller Art sich der Nothwendigkeit einer so eclatanten Anerkennung seiner Unterordnung zu entziehen suchte. Es ist von der hohen Pforte zur Redaction der neuen Gesetze und des im Hattischerif versprochenen organischen Statuts eine Commission niedergesetzt worden. Sie besteht aus folgenden Mitgliedern: Präsident, Saib-Effendi. Beisitzer: Essaad Effendi, Ahmed Fethi Pascha, Hussein Pascha und Melek-Mehemed-Zade-kadrik Bey. – Der außerordentliche Gesandte Sr. Majestät des Königs Otto von Griechenland, Hr. Zographos, hat gestern die Insignien des ihm verliehenen preußischen Adlerordens erhalten.

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Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-28T11:37:15Z)

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 7. Augsburg, 7. Januar 1840, S. 0055. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_007_18400107/7>, abgerufen am 11.12.2024.