Allgemeine Zeitung. Nr. 4. Augsburg, 4. Januar 1840.Beilage zur Allgemeinen Zeitung 4 Januar 1840 Europa im Jahr 1840von Wolfgang Menzel (Beschluß.) Die kleineren deutschen Staaten (7ter Abschnitt) werden ihre Gefahr stets in der Einmischung des Auslandes finden; ob Frankreich eine stärkere Dynastie oder republicanische Formen beherrschen, stets wird es, besonders im Bunde mit Rußland sie gefährden. Romanismus und Slavismus werden dem Germanismus durch die Entnationalisirung der höhern Stände noch gefährlicher. "Jede fremde Einwirkung (sagt der Verfasser) hat uns Verluste bereitet und stufenmäßig immer mehr geschwächt. Alle ihre früheren Erfolge in Deutschland verdanken die Franzosen dem wechselseitigen Vernichtungskampfe deutscher Volksparteien oder der wechselseitigen Eifersucht deutscher Cabinette. Als die Deutschen sich in eine waiblingische und welfische (kaiserliche und päpstliche) Partei spalteten, riß Frankreich das Arelat und Burgund vom deutschen Reich an sich. Als sie sich in eine liguistische und reformirte spalteten, riß Frankreich das Elsaß an sich, gewann das Bündniß der Schweizer und wurde mächtig in Italien. Das geschwächte Kaiserhaus erkaufte sich den Einfluß in Italien nur durch die Abtretung Lothringens an Frankreich zurück. Später gewährte die unglückselige Eifersucht zwischen Oesterreich und Preußen den Franzosen mannichfache Gelegenheit, auf Deutschland Einfluß zu üben, und wenn sie ihn nicht besser benützten, war nur die Erbärmlichkeit Ludwigs XV und seiner Camarilla daran Schuld. Sobald aber Frankreich in der Revolution wieder eine kräftige Regierung bekam, verstand dieselbe jene Eifersucht der beiden großen deutschen Mächte trefflich zu benutzen, isolirte Oesterreich und das Reich, indem sie Preußen zum Baseler Friedensschluß beredete, und errang nun unermeßliche Erfolge, nahm Holland und die Niederlande, das ganze linke Rheinufer und die Schweiz... "Einigen der kleineren Staaten winkten allerdings öfters große Hoffnungen, wenn sie sich mit dem Ausland gegen Deutschland verbanden. Im Ganzen aber war das System der großen Arrondirungen den kleinern Staaten verderblich, und nur die Wiederkehr des alten Gleichgewichtssystems hat sie vor dem Untergang geschützt. Jede große Arrondirung hat die Masse der kleinen Staaten, den großen Fonds der Erwerbungen und Entschädigungen geschmälert. Die wenigen einzelnen kleinern Staaten, die bei den Theilungen begünstigt wurden, sind doch nicht groß genug geworden, um sich allein behaupten zu können. Bayern, Würtemberg, Baden, Hannover sind allerdings einzeln vergrößert worden, aber die geographische Masse der alten Reichsländer ist verringert worden. Oesterreich, Preußen, Frankreich, Holland und Dänemark haben so große Stücke davon weggerissen, daß der Rest bei weitem nicht mehr die politische Wichtigkeit hat, die einst die verbundenen Reichsstände hatten, als ihnen Preußen den Fürstenbund anbot. Wenn mithin auch ein Staat eine halbe Million Einwohner mehr gewonnen, der ganze Staatennexus aber acht Millionen verloren hat, so ist die Macht der kleinern Staaten nicht verstärkt, sondern geschwächt worden. Die Möglichkeit aber, daß der einzelne Staat, dem die Flügel lang gewachsen, wieder beschnitten werden kann, hat Sachsen bewiesen. Die großen Arrondirungen sind für die kleinern Staaten eine Lotterie, in der zwar der Einzelne gewinnen kann, später aber seinen Gewinn noch ein-, noch mehreremale einsetzen muß, und in Gefahr kommt, alles wieder zu verlieren, denn zuletzt gewinnen immer nur die großen.... "Die Verluste, die der deutsche Staatennexus im Westen erlitten hat, sind die wichtigsten. Von Straßburg aus wird Oberdeutschland beständig bedroht und im Fall eines Kriegs zu den schwersten Opfern, vielleicht wieder zur Felonie gegen den deutschen Bund gezwungen. Dieß thut der Unabhängigkeit und freien Stellung des kleinern deutschen Staatennexus offenbar Abbruch. Eine freie und sichere Stellung hätte derselbe erst dann, wenn die Vogesen des deutschen Bundes Gränze und Straßburg eine deutsche Bundesfestung wäre. Dazu kommt noch, daß Frankreich den Gedanken, einmal das ganze linke Rheinufer zu bekommen, nie aufgibt. Käme dieser Gedanke je zur Ausführung, so verlöre Bayern nicht nur seine Pfalz, sondern die Franzosen würden auch vom Rhein herüber einen Einfluß auf den noch übrigen Rest der kleinen deutschen Bundesstaaten üben, der sie zu einer neuen Vasallenschaft verdammen würde, wenn sie derselben nicht durch eine Arrondirung im Großen überhoben und insgesammt an die Großmächte vertheilt würden.... "In dem Maaß, in welchem die kleinern deutschen Fürsten dem französischen Protectorat nicht trauen würden, würde sich Frankreich unfehlbar an den Liberalismus in der deutschen Bevölkerung adressiren. "Wir glauben, diejenigen sind im Irrthum, die bisher gemeint haben, das deutsche Verfassungswesen verberge eine radicale Tendenz; wir halten es vielmehr für sehr conservativ, und zwar in solcher Weise, daß wir überzeugt sind, der französische Einfluß auf die politische Stimmung in Deutschland wird in dem Maaße abnehmen, in welchem sich der Glaube an das deutsche Verfassungswesen befestigt, und umgekehrt, er wird zunehmen, je mehr man dahin arbeiten sollte, jenen Glauben zu vernichten. "Hierbei drängt sich jedem die hannover'sche Frage auf. An sich ist Hannover freilich viel zu klein, als daß dessen Schicksal auf die große Politik Europa's wichtigen Einfluß üben könnte. Allein von der Entscheidung der Verfassungsfrage in Hannover hängt der künftige Credit des modernen Verfassungswesens überhaupt ab, und sie übt wesentlichen Einfluß auf den Glauben oder Unglauben in Sachen der innern Politik Deutschlands. "Der Glaube scheint uns eine Bedingung der Zufriedenheit und Treue und mithin etwas sehr Conservatives zu seyn. "Er scheint uns überdieß eine moralische Kraft zu begünstigen, die man niemals ungestraft aus dem öffentlichen Leben verschwinden sieht. Zugegeben, daß solche Bevölkerungen des nördlichen und östlichen Deutschlands, die noch nicht an constitutionelle Formen gewöhnt sind, bei diesem politischen Proceß unbetheiligt bleiben, und daß ihr Glaube auf einer andern Basis beruhen mag, so ist doch nicht zu verkennen, daß die westlichen Bevölkerungen entweder in ihrem guten Glauben an das bei ihnen längst seit Jahrhunderten herkömmliche, nur im vorigen Jahrhundert unterbrochene und seitdem wieder hergestellte und reformirte, den veränderten Zeitbedürfnissen angepaßte ständische Vertretungssystem bestärkt und befestigt werden müssen, oder daß man Gefahr läuft, sie in einen Beilage zur Allgemeinen Zeitung 4 Januar 1840 Europa im Jahr 1840von Wolfgang Menzel (Beschluß.) Die kleineren deutschen Staaten (7ter Abschnitt) werden ihre Gefahr stets in der Einmischung des Auslandes finden; ob Frankreich eine stärkere Dynastie oder republicanische Formen beherrschen, stets wird es, besonders im Bunde mit Rußland sie gefährden. Romanismus und Slavismus werden dem Germanismus durch die Entnationalisirung der höhern Stände noch gefährlicher. „Jede fremde Einwirkung (sagt der Verfasser) hat uns Verluste bereitet und stufenmäßig immer mehr geschwächt. Alle ihre früheren Erfolge in Deutschland verdanken die Franzosen dem wechselseitigen Vernichtungskampfe deutscher Volksparteien oder der wechselseitigen Eifersucht deutscher Cabinette. Als die Deutschen sich in eine waiblingische und welfische (kaiserliche und päpstliche) Partei spalteten, riß Frankreich das Arelat und Burgund vom deutschen Reich an sich. Als sie sich in eine liguistische und reformirte spalteten, riß Frankreich das Elsaß an sich, gewann das Bündniß der Schweizer und wurde mächtig in Italien. Das geschwächte Kaiserhaus erkaufte sich den Einfluß in Italien nur durch die Abtretung Lothringens an Frankreich zurück. Später gewährte die unglückselige Eifersucht zwischen Oesterreich und Preußen den Franzosen mannichfache Gelegenheit, auf Deutschland Einfluß zu üben, und wenn sie ihn nicht besser benützten, war nur die Erbärmlichkeit Ludwigs XV und seiner Camarilla daran Schuld. Sobald aber Frankreich in der Revolution wieder eine kräftige Regierung bekam, verstand dieselbe jene Eifersucht der beiden großen deutschen Mächte trefflich zu benutzen, isolirte Oesterreich und das Reich, indem sie Preußen zum Baseler Friedensschluß beredete, und errang nun unermeßliche Erfolge, nahm Holland und die Niederlande, das ganze linke Rheinufer und die Schweiz... „Einigen der kleineren Staaten winkten allerdings öfters große Hoffnungen, wenn sie sich mit dem Ausland gegen Deutschland verbanden. Im Ganzen aber war das System der großen Arrondirungen den kleinern Staaten verderblich, und nur die Wiederkehr des alten Gleichgewichtssystems hat sie vor dem Untergang geschützt. Jede große Arrondirung hat die Masse der kleinen Staaten, den großen Fonds der Erwerbungen und Entschädigungen geschmälert. Die wenigen einzelnen kleinern Staaten, die bei den Theilungen begünstigt wurden, sind doch nicht groß genug geworden, um sich allein behaupten zu können. Bayern, Würtemberg, Baden, Hannover sind allerdings einzeln vergrößert worden, aber die geographische Masse der alten Reichsländer ist verringert worden. Oesterreich, Preußen, Frankreich, Holland und Dänemark haben so große Stücke davon weggerissen, daß der Rest bei weitem nicht mehr die politische Wichtigkeit hat, die einst die verbundenen Reichsstände hatten, als ihnen Preußen den Fürstenbund anbot. Wenn mithin auch ein Staat eine halbe Million Einwohner mehr gewonnen, der ganze Staatennexus aber acht Millionen verloren hat, so ist die Macht der kleinern Staaten nicht verstärkt, sondern geschwächt worden. Die Möglichkeit aber, daß der einzelne Staat, dem die Flügel lang gewachsen, wieder beschnitten werden kann, hat Sachsen bewiesen. Die großen Arrondirungen sind für die kleinern Staaten eine Lotterie, in der zwar der Einzelne gewinnen kann, später aber seinen Gewinn noch ein-, noch mehreremale einsetzen muß, und in Gefahr kommt, alles wieder zu verlieren, denn zuletzt gewinnen immer nur die großen.... „Die Verluste, die der deutsche Staatennexus im Westen erlitten hat, sind die wichtigsten. Von Straßburg aus wird Oberdeutschland beständig bedroht und im Fall eines Kriegs zu den schwersten Opfern, vielleicht wieder zur Felonie gegen den deutschen Bund gezwungen. Dieß thut der Unabhängigkeit und freien Stellung des kleinern deutschen Staatennexus offenbar Abbruch. Eine freie und sichere Stellung hätte derselbe erst dann, wenn die Vogesen des deutschen Bundes Gränze und Straßburg eine deutsche Bundesfestung wäre. Dazu kommt noch, daß Frankreich den Gedanken, einmal das ganze linke Rheinufer zu bekommen, nie aufgibt. Käme dieser Gedanke je zur Ausführung, so verlöre Bayern nicht nur seine Pfalz, sondern die Franzosen würden auch vom Rhein herüber einen Einfluß auf den noch übrigen Rest der kleinen deutschen Bundesstaaten üben, der sie zu einer neuen Vasallenschaft verdammen würde, wenn sie derselben nicht durch eine Arrondirung im Großen überhoben und insgesammt an die Großmächte vertheilt würden.... „In dem Maaß, in welchem die kleinern deutschen Fürsten dem französischen Protectorat nicht trauen würden, würde sich Frankreich unfehlbar an den Liberalismus in der deutschen Bevölkerung adressiren. „Wir glauben, diejenigen sind im Irrthum, die bisher gemeint haben, das deutsche Verfassungswesen verberge eine radicale Tendenz; wir halten es vielmehr für sehr conservativ, und zwar in solcher Weise, daß wir überzeugt sind, der französische Einfluß auf die politische Stimmung in Deutschland wird in dem Maaße abnehmen, in welchem sich der Glaube an das deutsche Verfassungswesen befestigt, und umgekehrt, er wird zunehmen, je mehr man dahin arbeiten sollte, jenen Glauben zu vernichten. „Hierbei drängt sich jedem die hannover'sche Frage auf. An sich ist Hannover freilich viel zu klein, als daß dessen Schicksal auf die große Politik Europa's wichtigen Einfluß üben könnte. Allein von der Entscheidung der Verfassungsfrage in Hannover hängt der künftige Credit des modernen Verfassungswesens überhaupt ab, und sie übt wesentlichen Einfluß auf den Glauben oder Unglauben in Sachen der innern Politik Deutschlands. „Der Glaube scheint uns eine Bedingung der Zufriedenheit und Treue und mithin etwas sehr Conservatives zu seyn. „Er scheint uns überdieß eine moralische Kraft zu begünstigen, die man niemals ungestraft aus dem öffentlichen Leben verschwinden sieht. Zugegeben, daß solche Bevölkerungen des nördlichen und östlichen Deutschlands, die noch nicht an constitutionelle Formen gewöhnt sind, bei diesem politischen Proceß unbetheiligt bleiben, und daß ihr Glaube auf einer andern Basis beruhen mag, so ist doch nicht zu verkennen, daß die westlichen Bevölkerungen entweder in ihrem guten Glauben an das bei ihnen längst seit Jahrhunderten herkömmliche, nur im vorigen Jahrhundert unterbrochene und seitdem wieder hergestellte und reformirte, den veränderten Zeitbedürfnissen angepaßte ständische Vertretungssystem bestärkt und befestigt werden müssen, oder daß man Gefahr läuft, sie in einen <TEI> <text> <body> <div type="jArticle" n="1"> <pb facs="#f0008" n="0025"/><lb/> <div type="jSupplement" n="1"> <floatingText> <front> <titlePage type="heading"> <docTitle> <titlePart type="main">Beilage zur Allgemeinen Zeitung</titlePart> </docTitle> <docImprint> <docDate>4 Januar 1840</docDate> </docImprint> </titlePage> </front> <body><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <head> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#g">Europa im Jahr 1840</hi> </hi> <hi rendition="#g">von Wolfgang Menzel</hi> </head><lb/><lb/> <p>(Beschluß.)</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Die kleineren deutschen Staaten</hi> (7ter Abschnitt) werden ihre Gefahr stets in der Einmischung des Auslandes finden; ob Frankreich eine stärkere Dynastie oder republicanische Formen beherrschen, stets wird es, besonders im Bunde mit Rußland sie gefährden. 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Später gewährte die unglückselige Eifersucht zwischen Oesterreich und Preußen den Franzosen mannichfache Gelegenheit, auf Deutschland Einfluß zu üben, und wenn sie ihn nicht besser benützten, war nur die Erbärmlichkeit Ludwigs XV und seiner Camarilla daran Schuld. Sobald aber Frankreich in der Revolution wieder eine kräftige Regierung bekam, verstand dieselbe jene Eifersucht der beiden großen deutschen Mächte trefflich zu benutzen, isolirte Oesterreich und das Reich, indem sie Preußen zum Baseler Friedensschluß beredete, und errang nun unermeßliche Erfolge, nahm Holland und die Niederlande, das ganze linke Rheinufer und die Schweiz...</p><lb/> <p>„Einigen der kleineren Staaten winkten allerdings öfters große Hoffnungen, wenn sie sich mit dem Ausland gegen Deutschland verbanden. Im Ganzen aber war das System der großen Arrondirungen den kleinern Staaten verderblich, und nur die Wiederkehr des alten Gleichgewichtssystems hat sie vor dem Untergang geschützt. Jede große Arrondirung hat die Masse der kleinen Staaten, den großen Fonds der Erwerbungen und Entschädigungen geschmälert. Die wenigen einzelnen kleinern Staaten, die bei den Theilungen begünstigt wurden, sind doch nicht groß genug geworden, um sich allein behaupten zu können. Bayern, Würtemberg, Baden, Hannover sind allerdings einzeln vergrößert worden, aber die geographische Masse der alten Reichsländer ist verringert worden. Oesterreich, Preußen, Frankreich, Holland und Dänemark haben so große Stücke davon weggerissen, daß der Rest bei weitem nicht mehr die politische Wichtigkeit hat, die einst die verbundenen Reichsstände hatten, als ihnen Preußen den Fürstenbund anbot. Wenn mithin auch ein Staat eine halbe Million Einwohner mehr gewonnen, der ganze Staatennexus aber acht Millionen verloren hat, so ist die Macht der kleinern Staaten nicht verstärkt, sondern geschwächt worden. Die Möglichkeit aber, daß der einzelne Staat, dem die Flügel lang gewachsen, wieder beschnitten werden kann, hat Sachsen bewiesen. Die großen Arrondirungen sind für die kleinern Staaten eine Lotterie, in der zwar der Einzelne gewinnen kann, später aber seinen Gewinn noch ein-, noch mehreremale einsetzen muß, und in Gefahr kommt, alles wieder zu verlieren, denn zuletzt gewinnen immer nur die großen....</p><lb/> <p>„Die Verluste, die der deutsche Staatennexus im Westen erlitten hat, sind die wichtigsten. Von Straßburg aus wird Oberdeutschland beständig bedroht und im Fall eines Kriegs zu den schwersten Opfern, vielleicht wieder zur Felonie gegen den deutschen Bund gezwungen. Dieß thut der Unabhängigkeit und freien Stellung des kleinern deutschen Staatennexus offenbar Abbruch. Eine freie und sichere Stellung hätte derselbe erst dann, wenn die Vogesen des deutschen Bundes Gränze und Straßburg eine deutsche Bundesfestung wäre. Dazu kommt noch, daß Frankreich den Gedanken, einmal das ganze linke Rheinufer zu bekommen, nie aufgibt. 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Beilage zur Allgemeinen Zeitung 4 Januar 1840
Europa im Jahr 1840von Wolfgang Menzel
(Beschluß.)
Die kleineren deutschen Staaten (7ter Abschnitt) werden ihre Gefahr stets in der Einmischung des Auslandes finden; ob Frankreich eine stärkere Dynastie oder republicanische Formen beherrschen, stets wird es, besonders im Bunde mit Rußland sie gefährden. Romanismus und Slavismus werden dem Germanismus durch die Entnationalisirung der höhern Stände noch gefährlicher.
„Jede fremde Einwirkung (sagt der Verfasser) hat uns Verluste bereitet und stufenmäßig immer mehr geschwächt. Alle ihre früheren Erfolge in Deutschland verdanken die Franzosen dem wechselseitigen Vernichtungskampfe deutscher Volksparteien oder der wechselseitigen Eifersucht deutscher Cabinette. Als die Deutschen sich in eine waiblingische und welfische (kaiserliche und päpstliche) Partei spalteten, riß Frankreich das Arelat und Burgund vom deutschen Reich an sich. Als sie sich in eine liguistische und reformirte spalteten, riß Frankreich das Elsaß an sich, gewann das Bündniß der Schweizer und wurde mächtig in Italien. Das geschwächte Kaiserhaus erkaufte sich den Einfluß in Italien nur durch die Abtretung Lothringens an Frankreich zurück. Später gewährte die unglückselige Eifersucht zwischen Oesterreich und Preußen den Franzosen mannichfache Gelegenheit, auf Deutschland Einfluß zu üben, und wenn sie ihn nicht besser benützten, war nur die Erbärmlichkeit Ludwigs XV und seiner Camarilla daran Schuld. Sobald aber Frankreich in der Revolution wieder eine kräftige Regierung bekam, verstand dieselbe jene Eifersucht der beiden großen deutschen Mächte trefflich zu benutzen, isolirte Oesterreich und das Reich, indem sie Preußen zum Baseler Friedensschluß beredete, und errang nun unermeßliche Erfolge, nahm Holland und die Niederlande, das ganze linke Rheinufer und die Schweiz...
„Einigen der kleineren Staaten winkten allerdings öfters große Hoffnungen, wenn sie sich mit dem Ausland gegen Deutschland verbanden. Im Ganzen aber war das System der großen Arrondirungen den kleinern Staaten verderblich, und nur die Wiederkehr des alten Gleichgewichtssystems hat sie vor dem Untergang geschützt. Jede große Arrondirung hat die Masse der kleinen Staaten, den großen Fonds der Erwerbungen und Entschädigungen geschmälert. Die wenigen einzelnen kleinern Staaten, die bei den Theilungen begünstigt wurden, sind doch nicht groß genug geworden, um sich allein behaupten zu können. Bayern, Würtemberg, Baden, Hannover sind allerdings einzeln vergrößert worden, aber die geographische Masse der alten Reichsländer ist verringert worden. Oesterreich, Preußen, Frankreich, Holland und Dänemark haben so große Stücke davon weggerissen, daß der Rest bei weitem nicht mehr die politische Wichtigkeit hat, die einst die verbundenen Reichsstände hatten, als ihnen Preußen den Fürstenbund anbot. Wenn mithin auch ein Staat eine halbe Million Einwohner mehr gewonnen, der ganze Staatennexus aber acht Millionen verloren hat, so ist die Macht der kleinern Staaten nicht verstärkt, sondern geschwächt worden. Die Möglichkeit aber, daß der einzelne Staat, dem die Flügel lang gewachsen, wieder beschnitten werden kann, hat Sachsen bewiesen. Die großen Arrondirungen sind für die kleinern Staaten eine Lotterie, in der zwar der Einzelne gewinnen kann, später aber seinen Gewinn noch ein-, noch mehreremale einsetzen muß, und in Gefahr kommt, alles wieder zu verlieren, denn zuletzt gewinnen immer nur die großen....
„Die Verluste, die der deutsche Staatennexus im Westen erlitten hat, sind die wichtigsten. Von Straßburg aus wird Oberdeutschland beständig bedroht und im Fall eines Kriegs zu den schwersten Opfern, vielleicht wieder zur Felonie gegen den deutschen Bund gezwungen. Dieß thut der Unabhängigkeit und freien Stellung des kleinern deutschen Staatennexus offenbar Abbruch. Eine freie und sichere Stellung hätte derselbe erst dann, wenn die Vogesen des deutschen Bundes Gränze und Straßburg eine deutsche Bundesfestung wäre. Dazu kommt noch, daß Frankreich den Gedanken, einmal das ganze linke Rheinufer zu bekommen, nie aufgibt. Käme dieser Gedanke je zur Ausführung, so verlöre Bayern nicht nur seine Pfalz, sondern die Franzosen würden auch vom Rhein herüber einen Einfluß auf den noch übrigen Rest der kleinen deutschen Bundesstaaten üben, der sie zu einer neuen Vasallenschaft verdammen würde, wenn sie derselben nicht durch eine Arrondirung im Großen überhoben und insgesammt an die Großmächte vertheilt würden....
„In dem Maaß, in welchem die kleinern deutschen Fürsten dem französischen Protectorat nicht trauen würden, würde sich Frankreich unfehlbar an den Liberalismus in der deutschen Bevölkerung adressiren.
„Wir glauben, diejenigen sind im Irrthum, die bisher gemeint haben, das deutsche Verfassungswesen verberge eine radicale Tendenz; wir halten es vielmehr für sehr conservativ, und zwar in solcher Weise, daß wir überzeugt sind, der französische Einfluß auf die politische Stimmung in Deutschland wird in dem Maaße abnehmen, in welchem sich der Glaube an das deutsche Verfassungswesen befestigt, und umgekehrt, er wird zunehmen, je mehr man dahin arbeiten sollte, jenen Glauben zu vernichten.
„Hierbei drängt sich jedem die hannover'sche Frage auf. An sich ist Hannover freilich viel zu klein, als daß dessen Schicksal auf die große Politik Europa's wichtigen Einfluß üben könnte. Allein von der Entscheidung der Verfassungsfrage in Hannover hängt der künftige Credit des modernen Verfassungswesens überhaupt ab, und sie übt wesentlichen Einfluß auf den Glauben oder Unglauben in Sachen der innern Politik Deutschlands.
„Der Glaube scheint uns eine Bedingung der Zufriedenheit und Treue und mithin etwas sehr Conservatives zu seyn.
„Er scheint uns überdieß eine moralische Kraft zu begünstigen, die man niemals ungestraft aus dem öffentlichen Leben verschwinden sieht. Zugegeben, daß solche Bevölkerungen des nördlichen und östlichen Deutschlands, die noch nicht an constitutionelle Formen gewöhnt sind, bei diesem politischen Proceß unbetheiligt bleiben, und daß ihr Glaube auf einer andern Basis beruhen mag, so ist doch nicht zu verkennen, daß die westlichen Bevölkerungen entweder in ihrem guten Glauben an das bei ihnen längst seit Jahrhunderten herkömmliche, nur im vorigen Jahrhundert unterbrochene und seitdem wieder hergestellte und reformirte, den veränderten Zeitbedürfnissen angepaßte ständische Vertretungssystem bestärkt und befestigt werden müssen, oder daß man Gefahr läuft, sie in einen
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