Auerbach, Berthold: Die Geschichte des Diethelm von Buchenberg. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 7. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 45–268. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.gekriegt, und für den Munde thun wir Alles, und ihm muß Alles bleiben. Diethelm biß sich die Lippe blutig über diese freche Rede, die ihm ins innerste Herz griff, aber er schwieg; er sah, wie der kecke Bursche ihn jetzt schon zu meistern begann, und schaute mit Grauen in die Zukunft. Er faßte einen tödtlichen Haß gegen den Gesellen und stampfte auf den Boden vor Zorn und Reue, daß er ihn nicht erdrosselt hatte. Jetzt war das nicht mehr möglich, von der Stube aus hätten die Dienstleute im Nebenbau den Hülferuf gehört. Welch ein ausgespitzter Bösewicht war es, an den er zeitlebens gefesselt war, auch nicht einen Augenblick hatte der sich besonnen, die That zu vollführen, während er selbst doch so gräßlich mit sich gerungen hatte. Diethelm knirschte in sich hinein, da er die Unterthänigkeit gewahr wurde, in die sein immer noch weichmüthiges Naturell gegenüber diesem versteiften, hartgesottenen Bösewicht gerieth; äußerlich aber war er freundlich und zuthulich und nickte zu dem Vorschlage Medard's, man müsse vom obern und zweiten Boden Bretter ausheben, daß die Flamme rasch einen Durchzug fände, bevor sie hinausschlage. Schwer ist oft die Verzweiflung, die einen Menschen heimsucht, der einsam den Weg des Verbrechens wandelt; aber einen Genossen haben ist höhere Pein: man kann den eigenen Mund hüten, daß er nicht rede, die eigenen Mienen, daß sie nicht zucken, und es kann Tage geben, wo man Alles vergißt und sich ausredet, was geschehen ist; in einem Genossen aber spricht bei seiner Begegnung die That sich aus, ohne Wort, ohne Wink, und weilt er fern, wer behütet den Mund, wer wahrt die Mienen, daß sie nicht den Ahnungslosen ins Verderben reißen? Das erkannte Diethelm, als er wieder allein war und es ihm vorkam, als knistere es schon in den Wänden. Als der Hahn krähte, erwachte Diethelm und ballte die Fäuste; der Gedanke schnellte ihn empor, daß nichts übrig bleibe, als gekriegt, und für den Munde thun wir Alles, und ihm muß Alles bleiben. Diethelm biß sich die Lippe blutig über diese freche Rede, die ihm ins innerste Herz griff, aber er schwieg; er sah, wie der kecke Bursche ihn jetzt schon zu meistern begann, und schaute mit Grauen in die Zukunft. Er faßte einen tödtlichen Haß gegen den Gesellen und stampfte auf den Boden vor Zorn und Reue, daß er ihn nicht erdrosselt hatte. Jetzt war das nicht mehr möglich, von der Stube aus hätten die Dienstleute im Nebenbau den Hülferuf gehört. Welch ein ausgespitzter Bösewicht war es, an den er zeitlebens gefesselt war, auch nicht einen Augenblick hatte der sich besonnen, die That zu vollführen, während er selbst doch so gräßlich mit sich gerungen hatte. Diethelm knirschte in sich hinein, da er die Unterthänigkeit gewahr wurde, in die sein immer noch weichmüthiges Naturell gegenüber diesem versteiften, hartgesottenen Bösewicht gerieth; äußerlich aber war er freundlich und zuthulich und nickte zu dem Vorschlage Medard's, man müsse vom obern und zweiten Boden Bretter ausheben, daß die Flamme rasch einen Durchzug fände, bevor sie hinausschlage. Schwer ist oft die Verzweiflung, die einen Menschen heimsucht, der einsam den Weg des Verbrechens wandelt; aber einen Genossen haben ist höhere Pein: man kann den eigenen Mund hüten, daß er nicht rede, die eigenen Mienen, daß sie nicht zucken, und es kann Tage geben, wo man Alles vergißt und sich ausredet, was geschehen ist; in einem Genossen aber spricht bei seiner Begegnung die That sich aus, ohne Wort, ohne Wink, und weilt er fern, wer behütet den Mund, wer wahrt die Mienen, daß sie nicht den Ahnungslosen ins Verderben reißen? Das erkannte Diethelm, als er wieder allein war und es ihm vorkam, als knistere es schon in den Wänden. Als der Hahn krähte, erwachte Diethelm und ballte die Fäuste; der Gedanke schnellte ihn empor, daß nichts übrig bleibe, als <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="12"> <p><pb facs="#f0088"/> gekriegt, und für den Munde thun wir Alles, und ihm muß Alles bleiben.</p><lb/> <p>Diethelm biß sich die Lippe blutig über diese freche Rede, die ihm ins innerste Herz griff, aber er schwieg; er sah, wie der kecke Bursche ihn jetzt schon zu meistern begann, und schaute mit Grauen in die Zukunft. Er faßte einen tödtlichen Haß gegen den Gesellen und stampfte auf den Boden vor Zorn und Reue, daß er ihn nicht erdrosselt hatte. Jetzt war das nicht mehr möglich, von der Stube aus hätten die Dienstleute im Nebenbau den Hülferuf gehört. Welch ein ausgespitzter Bösewicht war es, an den er zeitlebens gefesselt war, auch nicht einen Augenblick hatte der sich besonnen, die That zu vollführen, während er selbst doch so gräßlich mit sich gerungen hatte. Diethelm knirschte in sich hinein, da er die Unterthänigkeit gewahr wurde, in die sein immer noch weichmüthiges Naturell gegenüber diesem versteiften, hartgesottenen Bösewicht gerieth; äußerlich aber war er freundlich und zuthulich und nickte zu dem Vorschlage Medard's, man müsse vom obern und zweiten Boden Bretter ausheben, daß die Flamme rasch einen Durchzug fände, bevor sie hinausschlage.</p><lb/> <p>Schwer ist oft die Verzweiflung, die einen Menschen heimsucht, der einsam den Weg des Verbrechens wandelt; aber einen Genossen haben ist höhere Pein: man kann den eigenen Mund hüten, daß er nicht rede, die eigenen Mienen, daß sie nicht zucken, und es kann Tage geben, wo man Alles vergißt und sich ausredet, was geschehen ist; in einem Genossen aber spricht bei seiner Begegnung die That sich aus, ohne Wort, ohne Wink, und weilt er fern, wer behütet den Mund, wer wahrt die Mienen, daß sie nicht den Ahnungslosen ins Verderben reißen?</p><lb/> <p>Das erkannte Diethelm, als er wieder allein war und es ihm vorkam, als knistere es schon in den Wänden. 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gekriegt, und für den Munde thun wir Alles, und ihm muß Alles bleiben.
Diethelm biß sich die Lippe blutig über diese freche Rede, die ihm ins innerste Herz griff, aber er schwieg; er sah, wie der kecke Bursche ihn jetzt schon zu meistern begann, und schaute mit Grauen in die Zukunft. Er faßte einen tödtlichen Haß gegen den Gesellen und stampfte auf den Boden vor Zorn und Reue, daß er ihn nicht erdrosselt hatte. Jetzt war das nicht mehr möglich, von der Stube aus hätten die Dienstleute im Nebenbau den Hülferuf gehört. Welch ein ausgespitzter Bösewicht war es, an den er zeitlebens gefesselt war, auch nicht einen Augenblick hatte der sich besonnen, die That zu vollführen, während er selbst doch so gräßlich mit sich gerungen hatte. Diethelm knirschte in sich hinein, da er die Unterthänigkeit gewahr wurde, in die sein immer noch weichmüthiges Naturell gegenüber diesem versteiften, hartgesottenen Bösewicht gerieth; äußerlich aber war er freundlich und zuthulich und nickte zu dem Vorschlage Medard's, man müsse vom obern und zweiten Boden Bretter ausheben, daß die Flamme rasch einen Durchzug fände, bevor sie hinausschlage.
Schwer ist oft die Verzweiflung, die einen Menschen heimsucht, der einsam den Weg des Verbrechens wandelt; aber einen Genossen haben ist höhere Pein: man kann den eigenen Mund hüten, daß er nicht rede, die eigenen Mienen, daß sie nicht zucken, und es kann Tage geben, wo man Alles vergißt und sich ausredet, was geschehen ist; in einem Genossen aber spricht bei seiner Begegnung die That sich aus, ohne Wort, ohne Wink, und weilt er fern, wer behütet den Mund, wer wahrt die Mienen, daß sie nicht den Ahnungslosen ins Verderben reißen?
Das erkannte Diethelm, als er wieder allein war und es ihm vorkam, als knistere es schon in den Wänden. Als der Hahn krähte, erwachte Diethelm und ballte die Fäuste; der Gedanke schnellte ihn empor, daß nichts übrig bleibe, als
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Zitationshilfe: | Auerbach, Berthold: Die Geschichte des Diethelm von Buchenberg. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 7. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 45–268. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/auerbach_diethelm_1910/88>, abgerufen am 25.07.2024. |