Auerbach, Berthold: Die Geschichte des Diethelm von Buchenberg. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 7. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 45–268. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.gedachten sie mit inniger Sehnsucht einander, und die Frau besonders war dann bestrebt, gegen Jedermann ihren Diethelm zu preisen. An Fränz, wenn sie zu Haus war und nicht nach ihrer Gewohnheit den Vater überall geleitete, hatte sie keine Stütze, denn das Mädchen hatte das hoffärtige Wesen ihres Vaters geerbt: Großthun, die Welt in Neid von sich reden machen, war ihr ewiges Dichten und Trachten, und sie schalt wie Diethelm die Grämlichkeit und das Schwarzsehen der Mutter eine Alterskrankheit, die sie höchstens bemitleidete. Martha saß jetzt allein, rückwärts schauend in die Vergangenheit und vorwärts nach ihrer einzigen Sehnsucht, dem Tod. Da hörte sie einen Wagen die Straße daherfahren, eine Männerstimme rufen, und mit der Freude eines Mädchens, das den Bräutigam erwartet, rief sie zum Fenster hinaus in die Nacht: Willkommen, Diethelm! Es antwortete Niemand, sie steckte schnell die Ampel in die Laterne, eilte hinab, und als sie die Ankommenden sah, schrie sie jammernd laut auf. Was habt Ihr, Meisterin? fragte der Schäfer, dem sein Bruder vorausgegangen war. Was will der Landjäger? fragte die Frau. Das ist kein Landjäger, das ist ja mein Munde, antwortete der Schäfer, und Munde faßte die Hand der Frau, die zitternd und kalt war. Als Medard in der Stube die Vorgänge in der Stadt erzählte, preßte die Frau die Lippen, und ihre vogelartige Nase wurde kreideweiß; sie sprach kein Wort und schüttelte nur mehrmals mit dem Kopf. Als sie endlich in ihrer Kammer allein war, warf sie sich auf die Kissen und weinte hinein und schrie die Worte: Ausborger! Vergantet! Letzweiler Lump. Dann richtete sie sich wieder schnell auf, riß die Kissen vom Bette und schrie wie rasend: Das Alles gedachten sie mit inniger Sehnsucht einander, und die Frau besonders war dann bestrebt, gegen Jedermann ihren Diethelm zu preisen. An Fränz, wenn sie zu Haus war und nicht nach ihrer Gewohnheit den Vater überall geleitete, hatte sie keine Stütze, denn das Mädchen hatte das hoffärtige Wesen ihres Vaters geerbt: Großthun, die Welt in Neid von sich reden machen, war ihr ewiges Dichten und Trachten, und sie schalt wie Diethelm die Grämlichkeit und das Schwarzsehen der Mutter eine Alterskrankheit, die sie höchstens bemitleidete. Martha saß jetzt allein, rückwärts schauend in die Vergangenheit und vorwärts nach ihrer einzigen Sehnsucht, dem Tod. Da hörte sie einen Wagen die Straße daherfahren, eine Männerstimme rufen, und mit der Freude eines Mädchens, das den Bräutigam erwartet, rief sie zum Fenster hinaus in die Nacht: Willkommen, Diethelm! Es antwortete Niemand, sie steckte schnell die Ampel in die Laterne, eilte hinab, und als sie die Ankommenden sah, schrie sie jammernd laut auf. Was habt Ihr, Meisterin? fragte der Schäfer, dem sein Bruder vorausgegangen war. Was will der Landjäger? fragte die Frau. Das ist kein Landjäger, das ist ja mein Munde, antwortete der Schäfer, und Munde faßte die Hand der Frau, die zitternd und kalt war. Als Medard in der Stube die Vorgänge in der Stadt erzählte, preßte die Frau die Lippen, und ihre vogelartige Nase wurde kreideweiß; sie sprach kein Wort und schüttelte nur mehrmals mit dem Kopf. Als sie endlich in ihrer Kammer allein war, warf sie sich auf die Kissen und weinte hinein und schrie die Worte: Ausborger! Vergantet! Letzweiler Lump. Dann richtete sie sich wieder schnell auf, riß die Kissen vom Bette und schrie wie rasend: Das Alles <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="6"> <p><pb facs="#f0048"/> gedachten sie mit inniger Sehnsucht einander, und die Frau besonders war dann bestrebt, gegen Jedermann ihren Diethelm zu preisen. An Fränz, wenn sie zu Haus war und nicht nach ihrer Gewohnheit den Vater überall geleitete, hatte sie keine Stütze, denn das Mädchen hatte das hoffärtige Wesen ihres Vaters geerbt: Großthun, die Welt in Neid von sich reden machen, war ihr ewiges Dichten und Trachten, und sie schalt wie Diethelm die Grämlichkeit und das Schwarzsehen der Mutter eine Alterskrankheit, die sie höchstens bemitleidete.</p><lb/> <p>Martha saß jetzt allein, rückwärts schauend in die Vergangenheit und vorwärts nach ihrer einzigen Sehnsucht, dem Tod. Da hörte sie einen Wagen die Straße daherfahren, eine Männerstimme rufen, und mit der Freude eines Mädchens, das den Bräutigam erwartet, rief sie zum Fenster hinaus in die Nacht: Willkommen, Diethelm! Es antwortete Niemand, sie steckte schnell die Ampel in die Laterne, eilte hinab, und als sie die Ankommenden sah, schrie sie jammernd laut auf.</p><lb/> <p>Was habt Ihr, Meisterin? fragte der Schäfer, dem sein Bruder vorausgegangen war.</p><lb/> <p>Was will der Landjäger? fragte die Frau.</p><lb/> <p>Das ist kein Landjäger, das ist ja mein Munde, antwortete der Schäfer, und Munde faßte die Hand der Frau, die zitternd und kalt war.</p><lb/> <p>Als Medard in der Stube die Vorgänge in der Stadt erzählte, preßte die Frau die Lippen, und ihre vogelartige Nase wurde kreideweiß; sie sprach kein Wort und schüttelte nur mehrmals mit dem Kopf. Als sie endlich in ihrer Kammer allein war, warf sie sich auf die Kissen und weinte hinein und schrie die Worte: Ausborger! Vergantet! Letzweiler Lump. Dann richtete sie sich wieder schnell auf, riß die Kissen vom Bette und schrie wie rasend: Das Alles<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0048]
gedachten sie mit inniger Sehnsucht einander, und die Frau besonders war dann bestrebt, gegen Jedermann ihren Diethelm zu preisen. An Fränz, wenn sie zu Haus war und nicht nach ihrer Gewohnheit den Vater überall geleitete, hatte sie keine Stütze, denn das Mädchen hatte das hoffärtige Wesen ihres Vaters geerbt: Großthun, die Welt in Neid von sich reden machen, war ihr ewiges Dichten und Trachten, und sie schalt wie Diethelm die Grämlichkeit und das Schwarzsehen der Mutter eine Alterskrankheit, die sie höchstens bemitleidete.
Martha saß jetzt allein, rückwärts schauend in die Vergangenheit und vorwärts nach ihrer einzigen Sehnsucht, dem Tod. Da hörte sie einen Wagen die Straße daherfahren, eine Männerstimme rufen, und mit der Freude eines Mädchens, das den Bräutigam erwartet, rief sie zum Fenster hinaus in die Nacht: Willkommen, Diethelm! Es antwortete Niemand, sie steckte schnell die Ampel in die Laterne, eilte hinab, und als sie die Ankommenden sah, schrie sie jammernd laut auf.
Was habt Ihr, Meisterin? fragte der Schäfer, dem sein Bruder vorausgegangen war.
Was will der Landjäger? fragte die Frau.
Das ist kein Landjäger, das ist ja mein Munde, antwortete der Schäfer, und Munde faßte die Hand der Frau, die zitternd und kalt war.
Als Medard in der Stube die Vorgänge in der Stadt erzählte, preßte die Frau die Lippen, und ihre vogelartige Nase wurde kreideweiß; sie sprach kein Wort und schüttelte nur mehrmals mit dem Kopf. Als sie endlich in ihrer Kammer allein war, warf sie sich auf die Kissen und weinte hinein und schrie die Worte: Ausborger! Vergantet! Letzweiler Lump. Dann richtete sie sich wieder schnell auf, riß die Kissen vom Bette und schrie wie rasend: Das Alles
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription.
(2017-03-14T13:04:01Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2017-03-14T13:04:01Z)
Weitere Informationen:Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: nicht gekennzeichnet; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |