Auerbach, Berthold: Die Geschichte des Diethelm von Buchenberg. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 7. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 45–268. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.gewohnte, wenig beherzigte, wenn gleich Munde dem ältern Bruder mit kindlicher Hingebung zugethan war und es ihm nie in den Sinn kam, eine Einsprache dagegen zu erheben, daß ihn Medard stets "Büble" hieß. Medard konnte, wenn auch mit einem lahmen Fuße, seinem Geschäfte nachgehen; die Ruhe, die es mit sich brachte, war ihm nun besonders genehm. Munde war in der Schule, und Medard blickte auf die Tage, da es ihm das Kind wie mit einem Zauber angethan hatte, mit verwundertem Lächeln zurück; und doch war etwas eingetroffen, und wer wußte, was noch daraus wird. Munde lebte im Hause Diethelm's wie das eigene Kind, und es war nicht anders zu vermuthen, als Diethelm würde dem Munde gern seine Fränz zur Frau geben, denn Diethelm war wegen seiner Gutherzigkeit berühmt, die er allerdings zunächst nur auf seine Freundschaft (Verwandtschaft) anwendete. Munde war und blieb eben der Schäferprinz, wie ihn Medard oft im Stillen nannte. Bei all seiner Zärtlichkeit für das kleine Brüderchen und dessen große Hoffnungen versäumte indessen Medard doch seinen einstweiligen Vortheil nicht, er wollte für alle Fälle geborgen sein, er verstand es, wie man hier erst recht sagen kann, sein Schäfchen ins Trockene zu bringen, und zwar mit so verschlagener List, daß Diethelm das unbedingteste Vertrauen in ihn setzte, obgleich er es ihm noch manchmal vorrückte, daß er ein Sträfling sei. Medard machte sich nicht im Entferntesten ein Gewissen daraus, das Vertrauen Diethelm's zu mißbrauchen; denn das ist das Unergründliche in des Menschen Brust, daß oft Betrügerei neben Treuherzigkeit, Verstocktheit neben Zartsinn friedlich zu wohnen vermag. Als Munde confirmirt war, wurde er Schäfer, aber der ältere Bruder gab seine Hoffnung noch nicht auf, Munde mußte einst die Fränz heirathen; und je mehr das Mädchen heranwuchs, um so größer wurde auch seine Liebe zu dem jungen Schäfer, immer hütete Medard seinen Bruder wie seinen Augapfel und diente ihm, als wäre er sein angeborener gewohnte, wenig beherzigte, wenn gleich Munde dem ältern Bruder mit kindlicher Hingebung zugethan war und es ihm nie in den Sinn kam, eine Einsprache dagegen zu erheben, daß ihn Medard stets „Büble“ hieß. Medard konnte, wenn auch mit einem lahmen Fuße, seinem Geschäfte nachgehen; die Ruhe, die es mit sich brachte, war ihm nun besonders genehm. Munde war in der Schule, und Medard blickte auf die Tage, da es ihm das Kind wie mit einem Zauber angethan hatte, mit verwundertem Lächeln zurück; und doch war etwas eingetroffen, und wer wußte, was noch daraus wird. Munde lebte im Hause Diethelm's wie das eigene Kind, und es war nicht anders zu vermuthen, als Diethelm würde dem Munde gern seine Fränz zur Frau geben, denn Diethelm war wegen seiner Gutherzigkeit berühmt, die er allerdings zunächst nur auf seine Freundschaft (Verwandtschaft) anwendete. Munde war und blieb eben der Schäferprinz, wie ihn Medard oft im Stillen nannte. Bei all seiner Zärtlichkeit für das kleine Brüderchen und dessen große Hoffnungen versäumte indessen Medard doch seinen einstweiligen Vortheil nicht, er wollte für alle Fälle geborgen sein, er verstand es, wie man hier erst recht sagen kann, sein Schäfchen ins Trockene zu bringen, und zwar mit so verschlagener List, daß Diethelm das unbedingteste Vertrauen in ihn setzte, obgleich er es ihm noch manchmal vorrückte, daß er ein Sträfling sei. Medard machte sich nicht im Entferntesten ein Gewissen daraus, das Vertrauen Diethelm's zu mißbrauchen; denn das ist das Unergründliche in des Menschen Brust, daß oft Betrügerei neben Treuherzigkeit, Verstocktheit neben Zartsinn friedlich zu wohnen vermag. Als Munde confirmirt war, wurde er Schäfer, aber der ältere Bruder gab seine Hoffnung noch nicht auf, Munde mußte einst die Fränz heirathen; und je mehr das Mädchen heranwuchs, um so größer wurde auch seine Liebe zu dem jungen Schäfer, immer hütete Medard seinen Bruder wie seinen Augapfel und diente ihm, als wäre er sein angeborener <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="4"> <p><pb facs="#f0032"/> gewohnte, wenig beherzigte, wenn gleich Munde dem ältern Bruder mit kindlicher Hingebung zugethan war und es ihm nie in den Sinn kam, eine Einsprache dagegen zu erheben, daß ihn Medard stets „Büble“ hieß. Medard konnte, wenn auch mit einem lahmen Fuße, seinem Geschäfte nachgehen; die Ruhe, die es mit sich brachte, war ihm nun besonders genehm. Munde war in der Schule, und Medard blickte auf die Tage, da es ihm das Kind wie mit einem Zauber angethan hatte, mit verwundertem Lächeln zurück; und doch war etwas eingetroffen, und wer wußte, was noch daraus wird. Munde lebte im Hause Diethelm's wie das eigene Kind, und es war nicht anders zu vermuthen, als Diethelm würde dem Munde gern seine Fränz zur Frau geben, denn Diethelm war wegen seiner Gutherzigkeit berühmt, die er allerdings zunächst nur auf seine Freundschaft (Verwandtschaft) anwendete. Munde war und blieb eben der Schäferprinz, wie ihn Medard oft im Stillen nannte. Bei all seiner Zärtlichkeit für das kleine Brüderchen und dessen große Hoffnungen versäumte indessen Medard doch seinen einstweiligen Vortheil nicht, er wollte für alle Fälle geborgen sein, er verstand es, wie man hier erst recht sagen kann, sein Schäfchen ins Trockene zu bringen, und zwar mit so verschlagener List, daß Diethelm das unbedingteste Vertrauen in ihn setzte, obgleich er es ihm noch manchmal vorrückte, daß er ein Sträfling sei. Medard machte sich nicht im Entferntesten ein Gewissen daraus, das Vertrauen Diethelm's zu mißbrauchen; denn das ist das Unergründliche in des Menschen Brust, daß oft Betrügerei neben Treuherzigkeit, Verstocktheit neben Zartsinn friedlich zu wohnen vermag. Als Munde confirmirt war, wurde er Schäfer, aber der ältere Bruder gab seine Hoffnung noch nicht auf, Munde mußte einst die Fränz heirathen; und je mehr das Mädchen heranwuchs, um so größer wurde auch seine Liebe zu dem jungen Schäfer, immer hütete Medard seinen Bruder wie seinen Augapfel und diente ihm, als wäre er sein angeborener<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0032]
gewohnte, wenig beherzigte, wenn gleich Munde dem ältern Bruder mit kindlicher Hingebung zugethan war und es ihm nie in den Sinn kam, eine Einsprache dagegen zu erheben, daß ihn Medard stets „Büble“ hieß. Medard konnte, wenn auch mit einem lahmen Fuße, seinem Geschäfte nachgehen; die Ruhe, die es mit sich brachte, war ihm nun besonders genehm. Munde war in der Schule, und Medard blickte auf die Tage, da es ihm das Kind wie mit einem Zauber angethan hatte, mit verwundertem Lächeln zurück; und doch war etwas eingetroffen, und wer wußte, was noch daraus wird. Munde lebte im Hause Diethelm's wie das eigene Kind, und es war nicht anders zu vermuthen, als Diethelm würde dem Munde gern seine Fränz zur Frau geben, denn Diethelm war wegen seiner Gutherzigkeit berühmt, die er allerdings zunächst nur auf seine Freundschaft (Verwandtschaft) anwendete. Munde war und blieb eben der Schäferprinz, wie ihn Medard oft im Stillen nannte. Bei all seiner Zärtlichkeit für das kleine Brüderchen und dessen große Hoffnungen versäumte indessen Medard doch seinen einstweiligen Vortheil nicht, er wollte für alle Fälle geborgen sein, er verstand es, wie man hier erst recht sagen kann, sein Schäfchen ins Trockene zu bringen, und zwar mit so verschlagener List, daß Diethelm das unbedingteste Vertrauen in ihn setzte, obgleich er es ihm noch manchmal vorrückte, daß er ein Sträfling sei. Medard machte sich nicht im Entferntesten ein Gewissen daraus, das Vertrauen Diethelm's zu mißbrauchen; denn das ist das Unergründliche in des Menschen Brust, daß oft Betrügerei neben Treuherzigkeit, Verstocktheit neben Zartsinn friedlich zu wohnen vermag. Als Munde confirmirt war, wurde er Schäfer, aber der ältere Bruder gab seine Hoffnung noch nicht auf, Munde mußte einst die Fränz heirathen; und je mehr das Mädchen heranwuchs, um so größer wurde auch seine Liebe zu dem jungen Schäfer, immer hütete Medard seinen Bruder wie seinen Augapfel und diente ihm, als wäre er sein angeborener
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