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Auerbach, Berthold: Die Geschichte des Diethelm von Buchenberg. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 7. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 45–268. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Freude und Trauer folgten sich auf dem Fuße. Am andern Tage ließ Diethelm die Ueberreste des Entseelten, die der Vater willig hergab, feierlich begraben, und die Menschen, die Diethelm immer als harten Mann gekannt hatten, lobten ihn sehr, weil er bei dem Begräbnisse so heftig weinte.

Die volle Kraft war wieder über Diethelm gekommen, er besuchte die Brandstätte und ordnete den Bau und fuhr oft mit seinen Rappen über Land. Draußen fühlte er sich erst recht wohl. Zwar blieb es eine Widrigkeit, daß er von jedem neu Begegnenden eine Beileidsbezeugung anhören und darauf mit einer schmerzvollen Miene oder auch mit einem Ausruf der Trauer dankend erwidern mußte; war aber dies vorüber, hatte man hin und her den Heuchlerzoll bezahlt, dann überließ man sich ohne Scheu der Freude und dem Glückwunsche. Diese immer wiederkehrende Wahrnehmung, wie lügnerisch die ganze Welt sei, da man Mitleid darlegte, wo man keines hatte und im Gegentheil fast Neid empfand, da man Klagen auspreßte, wo man Freude vermuthen mußte, dieses ganze jämmerliche Possenspiel war für Diethelm fast ein Labsal. Es war ihm recht, daß die ganze Welt schlecht war und es keinen ehrlichen Menschen giebt.

Die ganze Welt verachten, das ist im Bauernrock wie in der Gala-Uniform das beste Mittel, um nicht zur richtigen Schätzung seines eigenen Werthes zu gelangen.

Diethelm gewöhnte sich an das Bewußtsein seines Verbrechens, wie man sich an ein untilgbares körperliches Leiden gewöhnt; Anfangs will sich die gesunde Kraft nicht drein fügen, immerdar eine Behinderung zu finden, nach und nach aber setzt sie sich damit zurecht. Wir sind allzumal gebrechlich und sündhaft, das lernt der Stolz der übermüthigen Kraft einsehen, und es fragt sich nur noch um das Maß des nothwendigen Mangels.

Während Diethelm sich draußen tummelte, war Munde daheim viel beschäftigt und viel bewegt. Er war gerade in

Freude und Trauer folgten sich auf dem Fuße. Am andern Tage ließ Diethelm die Ueberreste des Entseelten, die der Vater willig hergab, feierlich begraben, und die Menschen, die Diethelm immer als harten Mann gekannt hatten, lobten ihn sehr, weil er bei dem Begräbnisse so heftig weinte.

Die volle Kraft war wieder über Diethelm gekommen, er besuchte die Brandstätte und ordnete den Bau und fuhr oft mit seinen Rappen über Land. Draußen fühlte er sich erst recht wohl. Zwar blieb es eine Widrigkeit, daß er von jedem neu Begegnenden eine Beileidsbezeugung anhören und darauf mit einer schmerzvollen Miene oder auch mit einem Ausruf der Trauer dankend erwidern mußte; war aber dies vorüber, hatte man hin und her den Heuchlerzoll bezahlt, dann überließ man sich ohne Scheu der Freude und dem Glückwunsche. Diese immer wiederkehrende Wahrnehmung, wie lügnerisch die ganze Welt sei, da man Mitleid darlegte, wo man keines hatte und im Gegentheil fast Neid empfand, da man Klagen auspreßte, wo man Freude vermuthen mußte, dieses ganze jämmerliche Possenspiel war für Diethelm fast ein Labsal. Es war ihm recht, daß die ganze Welt schlecht war und es keinen ehrlichen Menschen giebt.

Die ganze Welt verachten, das ist im Bauernrock wie in der Gala-Uniform das beste Mittel, um nicht zur richtigen Schätzung seines eigenen Werthes zu gelangen.

Diethelm gewöhnte sich an das Bewußtsein seines Verbrechens, wie man sich an ein untilgbares körperliches Leiden gewöhnt; Anfangs will sich die gesunde Kraft nicht drein fügen, immerdar eine Behinderung zu finden, nach und nach aber setzt sie sich damit zurecht. Wir sind allzumal gebrechlich und sündhaft, das lernt der Stolz der übermüthigen Kraft einsehen, und es fragt sich nur noch um das Maß des nothwendigen Mangels.

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[0167] Freude und Trauer folgten sich auf dem Fuße. Am andern Tage ließ Diethelm die Ueberreste des Entseelten, die der Vater willig hergab, feierlich begraben, und die Menschen, die Diethelm immer als harten Mann gekannt hatten, lobten ihn sehr, weil er bei dem Begräbnisse so heftig weinte. Die volle Kraft war wieder über Diethelm gekommen, er besuchte die Brandstätte und ordnete den Bau und fuhr oft mit seinen Rappen über Land. Draußen fühlte er sich erst recht wohl. Zwar blieb es eine Widrigkeit, daß er von jedem neu Begegnenden eine Beileidsbezeugung anhören und darauf mit einer schmerzvollen Miene oder auch mit einem Ausruf der Trauer dankend erwidern mußte; war aber dies vorüber, hatte man hin und her den Heuchlerzoll bezahlt, dann überließ man sich ohne Scheu der Freude und dem Glückwunsche. Diese immer wiederkehrende Wahrnehmung, wie lügnerisch die ganze Welt sei, da man Mitleid darlegte, wo man keines hatte und im Gegentheil fast Neid empfand, da man Klagen auspreßte, wo man Freude vermuthen mußte, dieses ganze jämmerliche Possenspiel war für Diethelm fast ein Labsal. Es war ihm recht, daß die ganze Welt schlecht war und es keinen ehrlichen Menschen giebt. Die ganze Welt verachten, das ist im Bauernrock wie in der Gala-Uniform das beste Mittel, um nicht zur richtigen Schätzung seines eigenen Werthes zu gelangen. Diethelm gewöhnte sich an das Bewußtsein seines Verbrechens, wie man sich an ein untilgbares körperliches Leiden gewöhnt; Anfangs will sich die gesunde Kraft nicht drein fügen, immerdar eine Behinderung zu finden, nach und nach aber setzt sie sich damit zurecht. Wir sind allzumal gebrechlich und sündhaft, das lernt der Stolz der übermüthigen Kraft einsehen, und es fragt sich nur noch um das Maß des nothwendigen Mangels. Während Diethelm sich draußen tummelte, war Munde daheim viel beschäftigt und viel bewegt. Er war gerade in

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Zitationshilfe: Auerbach, Berthold: Die Geschichte des Diethelm von Buchenberg. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 7. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 45–268. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/auerbach_diethelm_1910/167>, abgerufen am 24.11.2024.