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Auerbach, Berthold: Die Geschichte des Diethelm von Buchenberg. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 7. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 45–268. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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von seinem Bruder auf ewig geschieden sei. Munde hatte sein weiches sanftes Gemüth bewährt, und er streichelte den Rock, als deckte er noch den, der ihn einst trug. Drei Tage kämpfte Munde einen schweren Kampf mit sich und mit dem Vater. Der Gedanke, Fränz zu besitzen, entflammte ihn! und wenn er wieder dachte, daß er ewig um den Mann sein und ihn Vater nennen solle, der vielleicht am Tode seines Bruders schuld war -- die Asche des Bruders lag auf all dem großen Besitzthum. Aber was kann Fränz dafür? Es ist nur eine alte Dorfgewohnheit, daß das Kind die Schande erdulden muß, die auf dem Vater ruht, und ist nicht Diethelm freigesprochen und hoch geehrt?

Am dritten Abend als Munde das Dorf hinaufging, begegnete er Fränz, sie reichte ihm froh und innig die Willkommshand, aber es mochte seine ganze Gemüthsverfassung zeigen, daß das Erste, was Munde sprach, dahin lautete: er müsse ihr das Geld wieder geben, das er ohne zu wissen bei ihrer Abreise aus der Hauptstadt von ihr genommen habe. Er überreichte ihr das Geld, das er in einem Papiere wohl verwahrt hatte, sie empfing es mit den Worten: Sonst hast du gar nichts zu sagen?

Die trotz aller Tändeleien und Anknüpfungen nie völlig erstorbene Liebe zu Munde erwachte in ihr, und dabei die Erinnerung an jenen Schreckensabend und etwas von der Milde und Demuth, die damals in ihr aufgesproßt war. Nach einer stummen Pause setzte sie daher hinzu:

Kannst dir denken, wie hart es uns Allen zu Herzen geht, daß dein Medard dabei verunglückt ist. Wir sind ja alle zu ihm gewesen, als wenn er das Kind vom Haus wär', und dein Vater hat schweres Herzeleid über uns gebracht.

Mein Medard hat ihm das Gleiche gesagt, wie mir. Weißt wohl?

Und du denkst noch daran? sagte Fränz schaudernd. In ihrem Wissen um das Geschehene fühlte sie, daß noch nicht Alles gesühnt war, und auch in ihrem Herzen kämpfte

von seinem Bruder auf ewig geschieden sei. Munde hatte sein weiches sanftes Gemüth bewährt, und er streichelte den Rock, als deckte er noch den, der ihn einst trug. Drei Tage kämpfte Munde einen schweren Kampf mit sich und mit dem Vater. Der Gedanke, Fränz zu besitzen, entflammte ihn! und wenn er wieder dachte, daß er ewig um den Mann sein und ihn Vater nennen solle, der vielleicht am Tode seines Bruders schuld war — die Asche des Bruders lag auf all dem großen Besitzthum. Aber was kann Fränz dafür? Es ist nur eine alte Dorfgewohnheit, daß das Kind die Schande erdulden muß, die auf dem Vater ruht, und ist nicht Diethelm freigesprochen und hoch geehrt?

Am dritten Abend als Munde das Dorf hinaufging, begegnete er Fränz, sie reichte ihm froh und innig die Willkommshand, aber es mochte seine ganze Gemüthsverfassung zeigen, daß das Erste, was Munde sprach, dahin lautete: er müsse ihr das Geld wieder geben, das er ohne zu wissen bei ihrer Abreise aus der Hauptstadt von ihr genommen habe. Er überreichte ihr das Geld, das er in einem Papiere wohl verwahrt hatte, sie empfing es mit den Worten: Sonst hast du gar nichts zu sagen?

Die trotz aller Tändeleien und Anknüpfungen nie völlig erstorbene Liebe zu Munde erwachte in ihr, und dabei die Erinnerung an jenen Schreckensabend und etwas von der Milde und Demuth, die damals in ihr aufgesproßt war. Nach einer stummen Pause setzte sie daher hinzu:

Kannst dir denken, wie hart es uns Allen zu Herzen geht, daß dein Medard dabei verunglückt ist. Wir sind ja alle zu ihm gewesen, als wenn er das Kind vom Haus wär', und dein Vater hat schweres Herzeleid über uns gebracht.

Mein Medard hat ihm das Gleiche gesagt, wie mir. Weißt wohl?

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[0159] von seinem Bruder auf ewig geschieden sei. Munde hatte sein weiches sanftes Gemüth bewährt, und er streichelte den Rock, als deckte er noch den, der ihn einst trug. Drei Tage kämpfte Munde einen schweren Kampf mit sich und mit dem Vater. Der Gedanke, Fränz zu besitzen, entflammte ihn! und wenn er wieder dachte, daß er ewig um den Mann sein und ihn Vater nennen solle, der vielleicht am Tode seines Bruders schuld war — die Asche des Bruders lag auf all dem großen Besitzthum. Aber was kann Fränz dafür? Es ist nur eine alte Dorfgewohnheit, daß das Kind die Schande erdulden muß, die auf dem Vater ruht, und ist nicht Diethelm freigesprochen und hoch geehrt? Am dritten Abend als Munde das Dorf hinaufging, begegnete er Fränz, sie reichte ihm froh und innig die Willkommshand, aber es mochte seine ganze Gemüthsverfassung zeigen, daß das Erste, was Munde sprach, dahin lautete: er müsse ihr das Geld wieder geben, das er ohne zu wissen bei ihrer Abreise aus der Hauptstadt von ihr genommen habe. Er überreichte ihr das Geld, das er in einem Papiere wohl verwahrt hatte, sie empfing es mit den Worten: Sonst hast du gar nichts zu sagen? Die trotz aller Tändeleien und Anknüpfungen nie völlig erstorbene Liebe zu Munde erwachte in ihr, und dabei die Erinnerung an jenen Schreckensabend und etwas von der Milde und Demuth, die damals in ihr aufgesproßt war. Nach einer stummen Pause setzte sie daher hinzu: Kannst dir denken, wie hart es uns Allen zu Herzen geht, daß dein Medard dabei verunglückt ist. Wir sind ja alle zu ihm gewesen, als wenn er das Kind vom Haus wär', und dein Vater hat schweres Herzeleid über uns gebracht. Mein Medard hat ihm das Gleiche gesagt, wie mir. Weißt wohl? Und du denkst noch daran? sagte Fränz schaudernd. In ihrem Wissen um das Geschehene fühlte sie, daß noch nicht Alles gesühnt war, und auch in ihrem Herzen kämpfte

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Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-14T13:04:01Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Auerbach, Berthold: Die Geschichte des Diethelm von Buchenberg. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 7. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 45–268. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/auerbach_diethelm_1910/159>, abgerufen am 23.11.2024.