Auerbach, Berthold: Die Geschichte des Diethelm von Buchenberg. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 7. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 45–268. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.sank aber wieder zurück auf den Stuhl und schlägelte mit den Händen, als hätte ihn der Schlag gerührt. Der Vetter schüttete ihm schnell Wein hinab und Diethelm erholte sich bald wieder, dann bat er mit weinender Stimme, daß sie schnell wieder heimkehren sollten, er müsse zu seiner Frau. Der Vetter war gerührt, daß Diethelm der Tod seiner Stieftochter so nahe ging, er versprach, Alles zu besorgen, und eilte hinaus. Diethelm faltete die Hände vor dem Mund und sprach etwas wie ein Gebet, und so zutraulich auch heute wieder der Sternenwirth war, er gab ihm keine Antwort und eilte hinaus in den Stall und weinte dort so laut, daß man meinte, es müsse ihm das Herz abstoßen. Er hatte den Arm auf den Hals des Handpferdes gelegt und weinte so heftig auf die Mähne und sprach unverständliche und doch flehend klingende Worte, als wollte er die Pferde bitten, ihn mit schnellster Macht heim zu bringen. Er hatte Verbrechen auf Verbrechen gehäuft, um seine Ehre zu retten, und nun war Alles unnöthig, die Erbschaft von seiner Stieftochter stellte ihn ja hin, glänzender als je. Er zitterte am ganzen Leibe, und nur Ein Gedanke hielt ihn noch fest, daß daheim die grause That noch gut zu machen sei, und er faßte die besten Vorsätze, die sollten das Schicksal zwingen, daß die böse That ungeschehen sei. Gewaltsam ballte er die Fäuste und preßte die Lippen, um sich nicht zu verrathen, wenn es doch zu spät sei, aber nein, das darf nicht sein, das kann nicht sein. -- Jede Minute, die mit Festschnallen eines Riemens, mit Anlegen eines Stranges verging, däuchte Diethelm eine Ewigkeit; er wollte Vorspann, er wollte frische Pferde nehmen, um mit Windesschnelle heim zu eilen, aber er fürchtete wieder, daß ihn jedes Wort verrathe, und wagte nicht einmal mehr die Einspannenden zur Eile zu drängen. Als der Vetter vorsorglich eine Laterne mitnahm und sogar nach einem zweiten Licht als Ersatz schickte, erschrak Diethelm, aber er hatte gelernt zu schweigen. Er mußte vor dem sank aber wieder zurück auf den Stuhl und schlägelte mit den Händen, als hätte ihn der Schlag gerührt. Der Vetter schüttete ihm schnell Wein hinab und Diethelm erholte sich bald wieder, dann bat er mit weinender Stimme, daß sie schnell wieder heimkehren sollten, er müsse zu seiner Frau. Der Vetter war gerührt, daß Diethelm der Tod seiner Stieftochter so nahe ging, er versprach, Alles zu besorgen, und eilte hinaus. Diethelm faltete die Hände vor dem Mund und sprach etwas wie ein Gebet, und so zutraulich auch heute wieder der Sternenwirth war, er gab ihm keine Antwort und eilte hinaus in den Stall und weinte dort so laut, daß man meinte, es müsse ihm das Herz abstoßen. Er hatte den Arm auf den Hals des Handpferdes gelegt und weinte so heftig auf die Mähne und sprach unverständliche und doch flehend klingende Worte, als wollte er die Pferde bitten, ihn mit schnellster Macht heim zu bringen. Er hatte Verbrechen auf Verbrechen gehäuft, um seine Ehre zu retten, und nun war Alles unnöthig, die Erbschaft von seiner Stieftochter stellte ihn ja hin, glänzender als je. Er zitterte am ganzen Leibe, und nur Ein Gedanke hielt ihn noch fest, daß daheim die grause That noch gut zu machen sei, und er faßte die besten Vorsätze, die sollten das Schicksal zwingen, daß die böse That ungeschehen sei. Gewaltsam ballte er die Fäuste und preßte die Lippen, um sich nicht zu verrathen, wenn es doch zu spät sei, aber nein, das darf nicht sein, das kann nicht sein. — Jede Minute, die mit Festschnallen eines Riemens, mit Anlegen eines Stranges verging, däuchte Diethelm eine Ewigkeit; er wollte Vorspann, er wollte frische Pferde nehmen, um mit Windesschnelle heim zu eilen, aber er fürchtete wieder, daß ihn jedes Wort verrathe, und wagte nicht einmal mehr die Einspannenden zur Eile zu drängen. Als der Vetter vorsorglich eine Laterne mitnahm und sogar nach einem zweiten Licht als Ersatz schickte, erschrak Diethelm, aber er hatte gelernt zu schweigen. 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sank aber wieder zurück auf den Stuhl und schlägelte mit den Händen, als hätte ihn der Schlag gerührt. Der Vetter schüttete ihm schnell Wein hinab und Diethelm erholte sich bald wieder, dann bat er mit weinender Stimme, daß sie schnell wieder heimkehren sollten, er müsse zu seiner Frau. Der Vetter war gerührt, daß Diethelm der Tod seiner Stieftochter so nahe ging, er versprach, Alles zu besorgen, und eilte hinaus. Diethelm faltete die Hände vor dem Mund und sprach etwas wie ein Gebet, und so zutraulich auch heute wieder der Sternenwirth war, er gab ihm keine Antwort und eilte hinaus in den Stall und weinte dort so laut, daß man meinte, es müsse ihm das Herz abstoßen. Er hatte den Arm auf den Hals des Handpferdes gelegt und weinte so heftig auf die Mähne und sprach unverständliche und doch flehend klingende Worte, als wollte er die Pferde bitten, ihn mit schnellster Macht heim zu bringen.
Er hatte Verbrechen auf Verbrechen gehäuft, um seine Ehre zu retten, und nun war Alles unnöthig, die Erbschaft von seiner Stieftochter stellte ihn ja hin, glänzender als je. Er zitterte am ganzen Leibe, und nur Ein Gedanke hielt ihn noch fest, daß daheim die grause That noch gut zu machen sei, und er faßte die besten Vorsätze, die sollten das Schicksal zwingen, daß die böse That ungeschehen sei. Gewaltsam ballte er die Fäuste und preßte die Lippen, um sich nicht zu verrathen, wenn es doch zu spät sei, aber nein, das darf nicht sein, das kann nicht sein. —
Jede Minute, die mit Festschnallen eines Riemens, mit Anlegen eines Stranges verging, däuchte Diethelm eine Ewigkeit; er wollte Vorspann, er wollte frische Pferde nehmen, um mit Windesschnelle heim zu eilen, aber er fürchtete wieder, daß ihn jedes Wort verrathe, und wagte nicht einmal mehr die Einspannenden zur Eile zu drängen. Als der Vetter vorsorglich eine Laterne mitnahm und sogar nach einem zweiten Licht als Ersatz schickte, erschrak Diethelm, aber er hatte gelernt zu schweigen. Er mußte vor dem
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Zitationshilfe: | Auerbach, Berthold: Die Geschichte des Diethelm von Buchenberg. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 7. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 45–268. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/auerbach_diethelm_1910/109>, abgerufen am 16.02.2025. |