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Arnold, Gottfried: Unpartheyische Kirchen- und Ketzer-Historie. Bd. 2 (T. 3/4). Frankfurt (Main), 1700.

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Th. IV. Sect. II. Num. XXVII. Schrifft der Muͤnſt. Wiedertaͤuffer.
[Spaltenumbruch]

Wir gedencken noch/ daß wir hiebevor von
den Lutheriſchen gehoͤret/ und auch in Luthers
ſchrifften geleſen haben/ als mit namen in dem
buch von Luthero beſchrieben gegen die Wieder-
taͤuffer/ da ſagt Luther: Ein menſch mag ſei-
nes glaubens nicht gewiß ſeyn/ es ſeye wahr/ der
taͤuffling muͤſſe glauben/ aber er wiſſe nicht/ ob
er glaube ꝛc. Sonder zweiffel richten hier die
Lutheriſchen nach ihren eigenen hertzen/ dieweil
ſie meynen/ ſie glauben/ wiſſens doch nicht ge-
wiß/ ſo achten ſie es ſeye mit jedermann alſo;
dann GOtt behuͤte uns vor ſolchem glauben/
davon wir nicht mehr beſcheyd wuͤſten. Deß-
gleichen ſie haͤtten glauben/ wann ſie einen
ſpruch auß der ſchrifft faſſen/ und ſich darauff
verlaſſen. Hiermit geben ſie gnug zu verſtehen/
wie weit ſie noch von der warheit ſeyn/ wiewol
ſie ſich der warheit hoch beruͤhmen/ Doctor
und Rabbi laſſen nennen. Doch hievon gnug/
ein jeder bedencke ſeine ſeligkeit/ und lerne die
ſchrifft recht entzwey ſchneiden und theilen/ und
trachte/ daß er Chriſtum recht lerne erkennen/
weil ſeine reine erkaͤntnis das ewige leben iſt/ die
aber noch leider bey dem gemeinen mann/ ſo wol
gelehrten als ungelehrten/ ſehr verfinſtert und
begraben ligt.

Endlich daß Chriſtus ſpricht: Jch bin die
warheit/ das iſt das andere theil/ in dem weſend-
lichē tabernackel ſonder haͤnde gemacht/ welcher
zuvor in dem figuͤrlichen tabernackel in dem hei-
ligen ware abgemahlet/ nemlich in Chriſto/
wann er ſpricht: Jch bin der weg/ in dem
vorhofe bedeutet es/ und wie man muß durch
den vorhof in das heilige/ alſo muß man erſt den
weg der gerechtigkeit in Chriſto wandern/ ehe
dann man in der warheit GOttes mag geheili-
get werden.

Und welche mit wahrem glauben Chriſto
durch die Tauffe noch nicht einverleibet/ noch
auff den weg GOttes recht getreten ſind/ die
werden als ſchweine und hunde vor GOtt und
ſeiner gemeine geachtet/ und moͤgen ins heilige
nimmermehr kommen/ auch nicht wuͤrdig daß
ihnen einige verborgenheit des heiligthums ge-
zeiget und vorgelegt werde. Darum ſpricht
Chriſtus: Jhr ſolt das heilige nicht fuͤr die hun-
de werffen/ noch die perlen vor die ſaͤue; dann
die bitten/ ſollen kriegen/ die ſuchen/ ſollen fin-
den/ die anklopffen/ denen ſoll auffgethan wer-
den.

Welche nun aber eingetreten ſind/ und durch
das bad der wiedergeburt von dem unflath die-
ſer welt abgewaſchen ſind/ und ſie dannoch wie-
der umkehren und ſich mit dem unflath dieſer
welt beſudeln/ ſo wiſſen wir/ was vor ein urtheil
der heilige Petrus davon ſpricht: Nemlich
daß das letzte aͤrger ſoll ſeyn/ dann das erſte ge-
weſen iſt. Darum wer in Chriſto auff den
rechten weg getreten iſt/ der trete alſo fort/ daß
er zu der warheit komme/ und darinnen geheili-
get moͤge werden/ gleich als GOTT der Va-
ter/ aus deme er wieder gebohren wird/ heilig
iſt. Das iſt dann nun die heiligmachende
warheit/ daß wir allerdings den ſuͤnden geſtor-
ben ſeynd/ mit rein gewaſchenen fuͤſſen vor
GOTT beſtehen und wandeln/ nicht mehr
ſuͤndigen/ als Johannes ſagt 1. Epiſtel c. III.
Der auß GOTT gebohren iſt/ ſuͤndiget nicht
mehr/ ſondern iſt billich in der warheit/ ſchme-
cket und findet GOttes gnaͤdige verheiſſung in
[Spaltenumbruch] der warheit/ und dieſelbe warheit iſt Chriſtus/
wie dann auch ſein fleiſch warhafftig eine ſpeiſe
iſt denen/ die recht an ihn glauben. Alſo muß
man fortgehen von einer tugend in die andere/
und die leyter Jacobs auffſteigen/ in der ſchrifft
wachſen und zunehmen/ in der erkaͤntnis Chri-
ſti/ biß zum vollkommenen manne. Und alſo
muß auch die ſchrifft darnach recht voneinander
geſchnitten/ und verſtanden werden/ ein jeder
auff das ſeine/ anders iſt es eytel und vergebens
alles/ das man in der ſchrifft arbeitet. Aber
diß wird leider wenig angemercket und verſtan-
den. Dann die noch unter den boͤſen ſind/ den
erſten vorhang in dem vorhof noch nicht durch-
getreten/ und noch nie auff den rechten weg
kommen/ daß ſie ſich einiger ſchrifft recht moͤch-
ten annehmen/ dieſelben maſſen ſich an/ daß ſie
ſchon ins heilige/ ja ins allerheiligſte biß zum
leben gekommen/ und aller troſt und gnade in
der ſchrifft gehoͤre ihnen zu/ alſo liegen die ſaͤue
und wuͤhlen im heiligthum. Doch wie dem
allen/ ein jeder pruͤfe ſich ſelber wohl/ und
ſehe zu/ daß er mit eytelm hoffen ſich nicht betruͤ-
ge; dann wann der alte betagte die buͤcher
auffthut/ und will richten/ ſo werden keine
feygenblaͤtter helffen; dann ein jeder muß na-
cket und bloß gerichtet werden/ demnach er in
ſeinem tabernackel auffrecht gewandelt/ und
tugendſam in der gerechtigkeit und heiligkeit
der warheit geweſen iſt. Und diß ſeye nun gnug
von dem andern. Nun wollen wir zum dritten
greiffen.

Das dritte der figuͤrlichen huͤtten iſt das hei-
lige der heiligen/ in welchem das guͤldene
rauchfaß/ die guͤldenen eymer/ die lade deß
bundes und der gnadelſtul ꝛc. erhalten werden/
diß hat Chriſtus außgeſprochen in dem/ daß er
ſagte: Jch bin das leben. Wie nun das al-
ler heiligſte der huͤtten das letzte iſt/ darinnen
alle dinge auffs allerherrlichſte ſind: Alſo iſt
auch das ende in Chriſto das ewige leben/ und
alſo von anfang an/ auß dem einen grad in
den andern/ endiget ſich die huͤtte ins herr-
lichſte; deßgleichen Chriſtus iſt von einer tu-
gend und herrlichkeit in die andere getreten. Al-
ſo auch die kinder GOttes/ die Chriſten/ gehen
von einer herrlichkeit in die andere/ biß daß ſie
endlich in GOtt und urſpruͤngliche herrlichkeit
deß ewigen lebens gerathen/ da haben ſie dann
das ende ihres lauffes erlanget/ daß ſie GOtt/
welcher auff den Cherubim ſitzet/ beſchauen/
und mit ihm ewig zu leben verſichert ſind/ daſ-
ſelbe leben iſt Chriſtus. Nun/ zu dieſem leben
einzugehen/ iſt vonnoͤthen/ daß man ordentlich
den vorhof und das heilige durchwandere/ den
weg und warheit Chriſti einnehme/ und behal-
te/ als Chriſtus ſagt: Wilt du zum leben
eingehen/ ſo halte die gebott. Darnach wird
einem nach dem rauch werck in dem heiligen/ der
eingang zu dem heiligen der heiligē/ zu dem ewi-
gen leben auffgethan/ gleich als nach dem fuͤß-
waſchen auß dem vorhofe die thuͤr in das heilige
geoͤffnet wird.

Sehet/ alſo iſt die huͤtte/ die mit haͤnden ge-
macht iſt/ mit dem rechten tabernackel/ der nicht
mit haͤnden gemacht iſt/ das iſt/ Chriſtus/ zu
vergleichen/ und hieraus mag man auch verſte-
hen/ was Chriſtus ſeye/ nemlich der rechte ta-
bernackel/ in welchem die Gottheit wohnet/ und

in

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Zitationshilfe: Arnold, Gottfried: Unpartheyische Kirchen- und Ketzer-Historie. Bd. 2 (T. 3/4). Frankfurt (Main), 1700, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnold_ketzerhistorie02_1700/506>, abgerufen am 07.01.2025.