Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Arnim, Bettina von: Die Günderode. Bd. 2. Grünberg u. a., 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

ner Anschauungen zu entwicklen, würde es noch mehr
Werth haben. Ich hab immer Biographien mit eigner
Freude gelesen, es ist mir dabei stets vorgekommen
als könne man keinen vollständigen Menschen erdichten,
man erfindet immer nur eine Seite, die Complizirt¬
heit des menschlichen Daseins bleibt unerreicht und also
unwahr, denn alle Momente müssen immer den Einen
bestimmen oder begreiflich machen. -- Dein Verhältniß
zur Großmama würde auch schön sein, Dein Sammlen
von Deiner Mutter Kinderzügen, ein Werk der Pietät
was Dir jetzt, und vielleicht später noch ein gro¬
ßes Interesse gewährt, besonders wenn es Dir gelänge
es mit dem Dir so eigenthümlichen Geist des unmittel¬
baren Mitfühlens nieder zu schreiben, das alles sehe ich
recht gut ein, -- aber ich bin dennoch nicht entschieden
ob ich Dir dazu rathen soll; wenn ich überleg welcher
ungeheuren Zerstreutheit Du in eurem Haus ausgesetzt
bist, der Du unmöglich entgehen kannst; alles Durchrei¬
sende was zu Euch kommt, der Primas der Dich vor¬
zieht, und wo Du gar nicht ausweichen kannst hinzu¬
gehen, -- -- was das alles die Zeit zersplittert, und
wenn Du auch selbst nicht viel Umstände mit Deiner
Toilette machst so wirst Du in dem Nest voll schöner

ner Anſchauungen zu entwicklen, würde es noch mehr
Werth haben. Ich hab immer Biographien mit eigner
Freude geleſen, es iſt mir dabei ſtets vorgekommen
als könne man keinen vollſtändigen Menſchen erdichten,
man erfindet immer nur eine Seite, die Complizirt¬
heit des menſchlichen Daſeins bleibt unerreicht und alſo
unwahr, denn alle Momente müſſen immer den Einen
beſtimmen oder begreiflich machen. — Dein Verhältniß
zur Großmama würde auch ſchön ſein, Dein Sammlen
von Deiner Mutter Kinderzügen, ein Werk der Pietät
was Dir jetzt, und vielleicht ſpäter noch ein gro¬
ßes Intereſſe gewährt, beſonders wenn es Dir gelänge
es mit dem Dir ſo eigenthümlichen Geiſt des unmittel¬
baren Mitfühlens nieder zu ſchreiben, das alles ſehe ich
recht gut ein, — aber ich bin dennoch nicht entſchieden
ob ich Dir dazu rathen ſoll; wenn ich überleg welcher
ungeheuren Zerſtreutheit Du in eurem Haus ausgeſetzt
biſt, der Du unmöglich entgehen kannſt; alles Durchrei¬
ſende was zu Euch kommt, der Primas der Dich vor¬
zieht, und wo Du gar nicht ausweichen kannſt hinzu¬
gehen, — — was das alles die Zeit zerſplittert, und
wenn Du auch ſelbſt nicht viel Umſtände mit Deiner
Toilette machſt ſo wirſt Du in dem Neſt voll ſchöner

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0074" n="60"/>
ner An&#x017F;chauungen zu entwicklen, würde es noch mehr<lb/>
Werth haben. Ich hab immer Biographien mit eigner<lb/>
Freude gele&#x017F;en, es i&#x017F;t mir dabei &#x017F;tets vorgekommen<lb/>
als könne man keinen voll&#x017F;tändigen Men&#x017F;chen erdichten,<lb/>
man erfindet immer nur eine Seite, die Complizirt¬<lb/>
heit des men&#x017F;chlichen Da&#x017F;eins bleibt unerreicht und al&#x017F;o<lb/>
unwahr, denn alle Momente mü&#x017F;&#x017F;en immer den Einen<lb/>
be&#x017F;timmen oder begreiflich machen. &#x2014; Dein Verhältniß<lb/>
zur Großmama würde auch &#x017F;chön &#x017F;ein, Dein Sammlen<lb/>
von Deiner Mutter Kinderzügen, ein Werk der Pietät<lb/>
was Dir jetzt, und vielleicht &#x017F;päter noch ein gro¬<lb/>
ßes Intere&#x017F;&#x017F;e gewährt, be&#x017F;onders wenn es Dir gelänge<lb/>
es mit dem Dir &#x017F;o eigenthümlichen Gei&#x017F;t des unmittel¬<lb/>
baren Mitfühlens nieder zu &#x017F;chreiben, das alles &#x017F;ehe ich<lb/>
recht gut ein, &#x2014; aber ich bin dennoch nicht ent&#x017F;chieden<lb/>
ob ich Dir dazu rathen &#x017F;oll; wenn ich überleg welcher<lb/>
ungeheuren Zer&#x017F;treutheit Du in eurem Haus ausge&#x017F;etzt<lb/>
bi&#x017F;t, der Du unmöglich entgehen kann&#x017F;t; alles Durchrei¬<lb/>
&#x017F;ende was zu Euch kommt, der Primas der Dich vor¬<lb/>
zieht, und wo Du gar nicht ausweichen kann&#x017F;t hinzu¬<lb/>
gehen, &#x2014; &#x2014; was das alles die Zeit zer&#x017F;plittert, und<lb/>
wenn Du auch &#x017F;elb&#x017F;t nicht viel Um&#x017F;tände mit Deiner<lb/>
Toilette mach&#x017F;t &#x017F;o wir&#x017F;t Du in dem Ne&#x017F;t voll &#x017F;chöner<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[60/0074] ner Anſchauungen zu entwicklen, würde es noch mehr Werth haben. Ich hab immer Biographien mit eigner Freude geleſen, es iſt mir dabei ſtets vorgekommen als könne man keinen vollſtändigen Menſchen erdichten, man erfindet immer nur eine Seite, die Complizirt¬ heit des menſchlichen Daſeins bleibt unerreicht und alſo unwahr, denn alle Momente müſſen immer den Einen beſtimmen oder begreiflich machen. — Dein Verhältniß zur Großmama würde auch ſchön ſein, Dein Sammlen von Deiner Mutter Kinderzügen, ein Werk der Pietät was Dir jetzt, und vielleicht ſpäter noch ein gro¬ ßes Intereſſe gewährt, beſonders wenn es Dir gelänge es mit dem Dir ſo eigenthümlichen Geiſt des unmittel¬ baren Mitfühlens nieder zu ſchreiben, das alles ſehe ich recht gut ein, — aber ich bin dennoch nicht entſchieden ob ich Dir dazu rathen ſoll; wenn ich überleg welcher ungeheuren Zerſtreutheit Du in eurem Haus ausgeſetzt biſt, der Du unmöglich entgehen kannſt; alles Durchrei¬ ſende was zu Euch kommt, der Primas der Dich vor¬ zieht, und wo Du gar nicht ausweichen kannſt hinzu¬ gehen, — — was das alles die Zeit zerſplittert, und wenn Du auch ſelbſt nicht viel Umſtände mit Deiner Toilette machſt ſo wirſt Du in dem Neſt voll ſchöner

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_guenderode02_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_guenderode02_1840/74
Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Die Günderode. Bd. 2. Grünberg u. a., 1840, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_guenderode02_1840/74>, abgerufen am 26.11.2024.