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Arnim, Bettina von: Die Günderode. Bd. 2. Grünberg u. a., 1840.

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Verwundrung hierüber, und daß ich nichts davon gewußt
habe, nicht Glauben beigemessen wurde.

Vom Clemens weiß ich nicht, ob ich wohlthun würde
ihm so nachzugehen wie Du es meinst, es läßt sich da
nicht einbiegen und ihm in den Weg treten um ihm zu
begegnen, wo ich ihn aber begegnen werde, da sei über¬
zeugt daß es nur friedliche und herzliche Gesinnung sein
wird, ich bin weit entfernt ihn aufzugeben, er steht mir
vielmehr zu hoch für meine Kräfte, die nicht an ihn rei¬
chen. Mein Tadel ist, daß er diese hohen Anlagen alle
vergeude, aber ich glaube Dir daß dies kleinlich von
mir ist, und hab mich auch schon gebessert.

Ich weiß nicht ob ich so reden würde, wie er mei¬
nen Brief in dem seinigen reden läßt; aber es kommt
mir sonderbar vor daß ich zuhöre wie ich spreche, und
meine eignen Worte kommen mir fast fremder vor als
fremde. -- Auch die wahrsten Briefe sind meiner Ansicht
nach nur Leichen, sie bezeichnen ein ihnen einwohnend
gewesenes Leben, und ob sie gleich dem Lebendigen ähn¬
lich sehen, so ist doch der Moment ihres Lebens schon
dahin; deswegen kommt es mir vor wenn ich lese was
ich vor einiger Zeit geschrieben habe, als sähe ich mich
im Sarg liegen, und meine beiden Ichs starren sich ganz
verwundert an.

Verwundrung hierüber, und daß ich nichts davon gewußt
habe, nicht Glauben beigemeſſen wurde.

Vom Clemens weiß ich nicht, ob ich wohlthun würde
ihm ſo nachzugehen wie Du es meinſt, es läßt ſich da
nicht einbiegen und ihm in den Weg treten um ihm zu
begegnen, wo ich ihn aber begegnen werde, da ſei über¬
zeugt daß es nur friedliche und herzliche Geſinnung ſein
wird, ich bin weit entfernt ihn aufzugeben, er ſteht mir
vielmehr zu hoch für meine Kräfte, die nicht an ihn rei¬
chen. Mein Tadel iſt, daß er dieſe hohen Anlagen alle
vergeude, aber ich glaube Dir daß dies kleinlich von
mir iſt, und hab mich auch ſchon gebeſſert.

Ich weiß nicht ob ich ſo reden würde, wie er mei¬
nen Brief in dem ſeinigen reden läßt; aber es kommt
mir ſonderbar vor daß ich zuhöre wie ich ſpreche, und
meine eignen Worte kommen mir faſt fremder vor als
fremde. — Auch die wahrſten Briefe ſind meiner Anſicht
nach nur Leichen, ſie bezeichnen ein ihnen einwohnend
geweſenes Leben, und ob ſie gleich dem Lebendigen ähn¬
lich ſehen, ſo iſt doch der Moment ihres Lebens ſchon
dahin; deswegen kommt es mir vor wenn ich leſe was
ich vor einiger Zeit geſchrieben habe, als ſähe ich mich
im Sarg liegen, und meine beiden Ichs ſtarren ſich ganz
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[198/0212] Verwundrung hierüber, und daß ich nichts davon gewußt habe, nicht Glauben beigemeſſen wurde. Vom Clemens weiß ich nicht, ob ich wohlthun würde ihm ſo nachzugehen wie Du es meinſt, es läßt ſich da nicht einbiegen und ihm in den Weg treten um ihm zu begegnen, wo ich ihn aber begegnen werde, da ſei über¬ zeugt daß es nur friedliche und herzliche Geſinnung ſein wird, ich bin weit entfernt ihn aufzugeben, er ſteht mir vielmehr zu hoch für meine Kräfte, die nicht an ihn rei¬ chen. Mein Tadel iſt, daß er dieſe hohen Anlagen alle vergeude, aber ich glaube Dir daß dies kleinlich von mir iſt, und hab mich auch ſchon gebeſſert. Ich weiß nicht ob ich ſo reden würde, wie er mei¬ nen Brief in dem ſeinigen reden läßt; aber es kommt mir ſonderbar vor daß ich zuhöre wie ich ſpreche, und meine eignen Worte kommen mir faſt fremder vor als fremde. — Auch die wahrſten Briefe ſind meiner Anſicht nach nur Leichen, ſie bezeichnen ein ihnen einwohnend geweſenes Leben, und ob ſie gleich dem Lebendigen ähn¬ lich ſehen, ſo iſt doch der Moment ihres Lebens ſchon dahin; deswegen kommt es mir vor wenn ich leſe was ich vor einiger Zeit geſchrieben habe, als ſähe ich mich im Sarg liegen, und meine beiden Ichs ſtarren ſich ganz verwundert an.

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Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Die Günderode. Bd. 2. Grünberg u. a., 1840, S. 198. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_guenderode02_1840/212>, abgerufen am 25.11.2024.