noch einen Samen bewahrte kannte es, das gute Kind. -- Da war ein kleiner Storchschnabel im Win¬ ter ausgefroren, es holte ihn aus einer Felsritze hervor, wo die Pflanze ganz unverletzt geblüht hatte, und so verdorrt war; dies Blumengerippe war so schön wie die Blume gar nicht ist. In ihrer Einfachheit kann die Pflanze nicht größeren Anspruch machen als andre Feld- und Waldblumen, aber ihr feines Gerippe ist wie ein gothisch Kunstwerk. Der kleine Spieß der aus der Blumenkrone hervorwächst, theilt sich von un¬ ten in fünf Fingerchen die sich aufwärts schwingen und mit jedem, in einem kleinen verschloßnen Becher ein Samenkörnchen der Sonne entgegen halten, das so fein und wunderschön geformt und geschliffen ist wie ein Edelstein, wenn nun die Sonne drauf scheint so thun diese Samenkörnchen nach allen Seiten einen muthigen Sprung, so sind sie alle fünf um die Mutterstaude ver¬ setzt, ein bischen Erde, ein bischen vermodert Moos giebt ihnen Nahrung daß sie im nächsten Jahr im Familien¬ kreis aufblühen. -- Nein! ich hab die Natur lieb, mag ich auch nur wie ein trockner Storchschnabel, das ge¬ ringste aller Pflänzchen -- später unter den Füßen des Wanderers zertreten werden, so will ich ihr doch mich hinhalten so lang sie ihren kunstfühligen Geist über
noch einen Samen bewahrte kannte es, das gute Kind. — Da war ein kleiner Storchſchnabel im Win¬ ter ausgefroren, es holte ihn aus einer Felsritze hervor, wo die Pflanze ganz unverletzt geblüht hatte, und ſo verdorrt war; dies Blumengerippe war ſo ſchön wie die Blume gar nicht iſt. In ihrer Einfachheit kann die Pflanze nicht größeren Anſpruch machen als andre Feld- und Waldblumen, aber ihr feines Gerippe iſt wie ein gothiſch Kunſtwerk. Der kleine Spieß der aus der Blumenkrone hervorwächſt, theilt ſich von un¬ ten in fünf Fingerchen die ſich aufwärts ſchwingen und mit jedem, in einem kleinen verſchloßnen Becher ein Samenkörnchen der Sonne entgegen halten, das ſo fein und wunderſchön geformt und geſchliffen iſt wie ein Edelſtein, wenn nun die Sonne drauf ſcheint ſo thun dieſe Samenkörnchen nach allen Seiten einen muthigen Sprung, ſo ſind ſie alle fünf um die Mutterſtaude ver¬ ſetzt, ein bischen Erde, ein bischen vermodert Moos giebt ihnen Nahrung daß ſie im nächſten Jahr im Familien¬ kreis aufblühen. — Nein! ich hab die Natur lieb, mag ich auch nur wie ein trockner Storchſchnabel, das ge¬ ringſte aller Pflänzchen — ſpäter unter den Füßen des Wanderers zertreten werden, ſo will ich ihr doch mich hinhalten ſo lang ſie ihren kunſtfühligen Geiſt über
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noch einen Samen bewahrte kannte es, das gute
Kind. — Da war ein kleiner Storchſchnabel im Win¬
ter ausgefroren, es holte ihn aus einer Felsritze hervor,
wo die Pflanze ganz unverletzt geblüht hatte, und
ſo verdorrt war; dies Blumengerippe war ſo ſchön wie
die Blume gar nicht iſt. In ihrer Einfachheit kann die
Pflanze nicht größeren Anſpruch machen als andre
Feld- und Waldblumen, aber ihr feines Gerippe iſt
wie ein gothiſch Kunſtwerk. Der kleine Spieß der
aus der Blumenkrone hervorwächſt, theilt ſich von un¬
ten in fünf Fingerchen die ſich aufwärts ſchwingen und
mit jedem, in einem kleinen verſchloßnen Becher ein
Samenkörnchen der Sonne entgegen halten, das ſo fein
und wunderſchön geformt und geſchliffen iſt wie ein
Edelſtein, wenn nun die Sonne drauf ſcheint ſo thun
dieſe Samenkörnchen nach allen Seiten einen muthigen
Sprung, ſo ſind ſie alle fünf um die Mutterſtaude ver¬
ſetzt, ein bischen Erde, ein bischen vermodert Moos giebt
ihnen Nahrung daß ſie im nächſten Jahr im Familien¬
kreis aufblühen. — Nein! ich hab die Natur lieb, mag
ich auch nur wie ein trockner Storchſchnabel, das ge¬
ringſte aller Pflänzchen — ſpäter unter den Füßen des
Wanderers zertreten werden, ſo will ich ihr doch mich
hinhalten ſo lang ſie ihren kunſtfühligen Geiſt über
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Arnim, Bettina von: Die Günderode. Bd. 2. Grünberg u. a., 1840, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_guenderode02_1840/163>, abgerufen am 22.11.2024.
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