die Narren giebt," -- und so zerrte er mich zum Zimmer hinaus auf die Terrasse, war ganz begeistert von der Predigt, "ein Mann ists wies unter hunderttausenden keinen wieder giebt! ein Mann der seine individuelle Natur von Gott durchdringen läßt! ein lebendiger Mann der leider die Weisheit den hölzernen Maulaffen vor¬ predigt. Kein Mensch hat Andacht, Geistes-Andacht hat kein Mensch! -- Maulandacht, und eine Zucht und eine Sitte, wie man Hunde dressirt: so dressirt die ganze Menschheit ihr eigen Gewissen, sie verstehens nicht bes¬ ser, sie wissen nichts davon, daß der ganze Mensch gar kein Richter mehr über sich selber sein soll, sondern ein lebendiger Anger wo kein Urtheil mehr Statt findet, son¬ dern lauter Seelennahrung, lauter Himmelsspeis der Weisheit; wahre Weisheit die kann nur genossen wer¬ den, nicht beurtheilt, denn die ist größer als daß der geringe Verstand sie durchschaut, -- aber so gehts! -- was hilft mich die christliche Religion, die Menschen sind Narren und werdens bleiben, und da hats dem Herrn Christus auch nicht besser geglückt, daß er da herunter gekommen ist. Ein Narr der sich Christ nennt ist halt eben auch einer! -- wenn er hundertmal vom Him¬ melsthron herunter gekommen ist, er hat tauben Ohren gepredigt wie unser geistlicher Herr, oder Narren hat
die Narren giebt,“ — und ſo zerrte er mich zum Zimmer hinaus auf die Terraſſe, war ganz begeiſtert von der Predigt, „ein Mann iſts wies unter hunderttauſenden keinen wieder giebt! ein Mann der ſeine individuelle Natur von Gott durchdringen läßt! ein lebendiger Mann der leider die Weisheit den hölzernen Maulaffen vor¬ predigt. Kein Menſch hat Andacht, Geiſtes-Andacht hat kein Menſch! — Maulandacht, und eine Zucht und eine Sitte, wie man Hunde dreſſirt: ſo dreſſirt die ganze Menſchheit ihr eigen Gewiſſen, ſie verſtehens nicht beſ¬ ſer, ſie wiſſen nichts davon, daß der ganze Menſch gar kein Richter mehr über ſich ſelber ſein ſoll, ſondern ein lebendiger Anger wo kein Urtheil mehr Statt findet, ſon¬ dern lauter Seelennahrung, lauter Himmelsſpeis der Weisheit; wahre Weisheit die kann nur genoſſen wer¬ den, nicht beurtheilt, denn die iſt größer als daß der geringe Verſtand ſie durchſchaut, — aber ſo gehts! — was hilft mich die chriſtliche Religion, die Menſchen ſind Narren und werdens bleiben, und da hats dem Herrn Chriſtus auch nicht beſſer geglückt, daß er da herunter gekommen iſt. Ein Narr der ſich Chriſt nennt iſt halt eben auch einer! — wenn er hundertmal vom Him¬ melsthron herunter gekommen iſt, er hat tauben Ohren gepredigt wie unſer geiſtlicher Herr, oder Narren hat
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die Narren giebt,“ — und ſo zerrte er mich zum Zimmer
hinaus auf die Terraſſe, war ganz begeiſtert von der
Predigt, „ein Mann iſts wies unter hunderttauſenden
keinen wieder giebt! ein Mann der ſeine individuelle
Natur von Gott durchdringen läßt! ein lebendiger Mann
der leider die Weisheit den hölzernen Maulaffen vor¬
predigt. Kein Menſch hat Andacht, Geiſtes-Andacht hat
kein Menſch! — Maulandacht, und eine Zucht und eine
Sitte, wie man Hunde dreſſirt: ſo dreſſirt die ganze
Menſchheit ihr eigen Gewiſſen, ſie verſtehens nicht beſ¬
ſer, ſie wiſſen nichts davon, daß der ganze Menſch gar
kein Richter mehr über ſich ſelber ſein ſoll, ſondern ein
lebendiger Anger wo kein Urtheil mehr Statt findet, ſon¬
dern lauter Seelennahrung, lauter Himmelsſpeis der
Weisheit; wahre Weisheit die kann nur genoſſen wer¬
den, nicht beurtheilt, denn die iſt größer als daß der
geringe Verſtand ſie durchſchaut, — aber ſo gehts! —
was hilft mich die chriſtliche Religion, die Menſchen
ſind Narren und werdens bleiben, und da hats dem
Herrn Chriſtus auch nicht beſſer geglückt, daß er da
herunter gekommen iſt. Ein Narr der ſich Chriſt nennt
iſt halt eben auch einer! — wenn er hundertmal vom Him¬
melsthron herunter gekommen iſt, er hat tauben Ohren
gepredigt wie unſer geiſtlicher Herr, oder Narren hat
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Arnim, Bettina von: Die Günderode. Bd. 1. Grünberg u. a., 1840, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_guenderode01_1840/81>, abgerufen am 25.11.2024.
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