Beilage zum Brief der Günderode. (Ein apokaliptisches Fragment.)
1. Auf hohem Fels im Mittelmeer stand ich, vor mir der Ost, hinter mir der West, und der Wind ruhte auf der See.
2. Die Sonne sank, kaum war sie verhüllt im Niedergang, enthüllte im Aufgang sich das Morgen¬ roth; Morgen, Mittag, Abend und Nacht jagten in schwindlender Eile um des Himmels Bogen.
3. Ich sah staunend sie sich drehen, mein Blut, meine Gedanken bewegten sich nicht rascher; die Zeit, indeß sie außer mir nach neuen Gesetzen sich bewegte, ging in mir den gewohnten Gang.
4. Ich wollte ins Morgenroth mich stürzen oder mich tauchen in die Schatten der Nacht, eilend mit ihr dahin strömend um nicht so langsam zu leben, aber im Schauen versunken ward ich müde und entschlief.
5. Da sah ich ein Meer vor mir von keinem Ufer umgeben, nicht im Ost, noch Süd, noch West, noch im Nord; kein Windstoß bewegte die Wellen, aber in ihren Tiefen bewegte sich, wie von innerer Gährung gereizt, die unermeßliche See.
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Beilage zum Brief der Günderode. (Ein apokaliptisches Fragment.)
1. Auf hohem Fels im Mittelmeer ſtand ich, vor mir der Oſt, hinter mir der Weſt, und der Wind ruhte auf der See.
2. Die Sonne ſank, kaum war ſie verhüllt im Niedergang, enthüllte im Aufgang ſich das Morgen¬ roth; Morgen, Mittag, Abend und Nacht jagten in ſchwindlender Eile um des Himmels Bogen.
3. Ich ſah ſtaunend ſie ſich drehen, mein Blut, meine Gedanken bewegten ſich nicht raſcher; die Zeit, indeß ſie außer mir nach neuen Geſetzen ſich bewegte, ging in mir den gewohnten Gang.
4. Ich wollte ins Morgenroth mich ſtürzen oder mich tauchen in die Schatten der Nacht, eilend mit ihr dahin ſtrömend um nicht ſo langſam zu leben, aber im Schauen verſunken ward ich müde und entſchlief.
5. Da ſah ich ein Meer vor mir von keinem Ufer umgeben, nicht im Oſt, noch Süd, noch Weſt, noch im Nord; kein Windſtoß bewegte die Wellen, aber in ihren Tiefen bewegte ſich, wie von innerer Gährung gereizt, die unermeßliche See.
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Beilage zum Brief der Günderode.
(Ein apokaliptisches Fragment.)
1. Auf hohem Fels im Mittelmeer ſtand ich, vor
mir der Oſt, hinter mir der Weſt, und der Wind
ruhte auf der See.
2. Die Sonne ſank, kaum war ſie verhüllt im
Niedergang, enthüllte im Aufgang ſich das Morgen¬
roth; Morgen, Mittag, Abend und Nacht jagten in
ſchwindlender Eile um des Himmels Bogen.
3. Ich ſah ſtaunend ſie ſich drehen, mein Blut,
meine Gedanken bewegten ſich nicht raſcher; die Zeit,
indeß ſie außer mir nach neuen Geſetzen ſich bewegte,
ging in mir den gewohnten Gang.
4. Ich wollte ins Morgenroth mich ſtürzen oder
mich tauchen in die Schatten der Nacht, eilend mit ihr
dahin ſtrömend um nicht ſo langſam zu leben, aber
im Schauen verſunken ward ich müde und entſchlief.
5. Da ſah ich ein Meer vor mir von keinem Ufer
umgeben, nicht im Oſt, noch Süd, noch Weſt, noch im
Nord; kein Windſtoß bewegte die Wellen, aber in ihren
Tiefen bewegte ſich, wie von innerer Gährung gereizt,
die unermeßliche See.
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Arnim, Bettina von: Die Günderode. Bd. 1. Grünberg u. a., 1840, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_guenderode01_1840/41>, abgerufen am 22.12.2024.
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