sie unter einem großen Kastanienbaum mir gegenüber¬ stand, am Kanal, in dem der Mond sich spiegelte, mit ihren großen silberweißen Locken ihr ums Gesicht spie¬ lend, in dem langen schwarzen Grosdetourkleid mit langer Schleppe, noch nach dem früheren Schnitt der in ihrer Jugendzeit Mode war, lange Taille mit einem breiten Gurt. Ei wie fein ist doch die Großmama, alle Menschen sehen gemein aus ihr gegenüber, die Leute werfen ihr vor sie sei empfindsam, das stört mich nicht, im Gegentheil findet es Anklang in nur und obschon ich manchmal über gar zu Seltsames hab mit den andern lachen müssen, so fühl ich doch eine Wahrheit meistens in Allem. -- Wenn sie im Garten geht, da biegt sie alle Ranken wo sie gerne hinmöchten, sie kann keine Unordnung leiden, kein verdorbenes Blatt, ich muß ihr alle Tage die absterbenden Blumen ausschneiden, gestern war sie lange bei der Geisblattlaube beschäftigt, und sprach mit jedem Trieb: "Ei kleins Ästele wo willst du hin," und da flocht sie alles zart in einander und bands mit rothen Seidenfaden ganz lose zusammen und da darf kein Blatt gedrückt sein, "alles muß fein schnaufen können" sagte sie -- und da brachte ich ihr heute Morgen weiße Bohnenblüthen und rothe, weil ich ihr gestern eine Scene aus ihrem Roman vorgelesen hatte, worin die
ſie unter einem großen Kaſtanienbaum mir gegenüber¬ ſtand, am Kanal, in dem der Mond ſich ſpiegelte, mit ihren großen ſilberweißen Locken ihr ums Geſicht ſpie¬ lend, in dem langen ſchwarzen Grosdetourkleid mit langer Schleppe, noch nach dem früheren Schnitt der in ihrer Jugendzeit Mode war, lange Taille mit einem breiten Gurt. Ei wie fein iſt doch die Großmama, alle Menſchen ſehen gemein aus ihr gegenüber, die Leute werfen ihr vor ſie ſei empfindſam, das ſtört mich nicht, im Gegentheil findet es Anklang in nur und obſchon ich manchmal über gar zu Seltſames hab mit den andern lachen müſſen, ſo fühl ich doch eine Wahrheit meiſtens in Allem. — Wenn ſie im Garten geht, da biegt ſie alle Ranken wo ſie gerne hinmöchten, ſie kann keine Unordnung leiden, kein verdorbenes Blatt, ich muß ihr alle Tage die abſterbenden Blumen ausſchneiden, geſtern war ſie lange bei der Geisblattlaube beſchäftigt, und ſprach mit jedem Trieb: „Ei kleins Äſtele wo willſt du hin,“ und da flocht ſie alles zart in einander und bands mit rothen Seidenfaden ganz loſe zuſammen und da darf kein Blatt gedrückt ſein, „alles muß fein ſchnaufen können“ ſagte ſie — und da brachte ich ihr heute Morgen weiße Bohnenblüthen und rothe, weil ich ihr geſtern eine Scene aus ihrem Roman vorgeleſen hatte, worin die
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ſie unter einem großen Kaſtanienbaum mir gegenüber¬
ſtand, am Kanal, in dem der Mond ſich ſpiegelte, mit
ihren großen ſilberweißen Locken ihr ums Geſicht ſpie¬
lend, in dem langen ſchwarzen Grosdetourkleid mit
langer Schleppe, noch nach dem früheren Schnitt der
in ihrer Jugendzeit Mode war, lange Taille mit einem
breiten Gurt. Ei wie fein iſt doch die Großmama, alle
Menſchen ſehen gemein aus ihr gegenüber, die Leute
werfen ihr vor ſie ſei empfindſam, das ſtört mich nicht,
im Gegentheil findet es Anklang in nur und obſchon ich
manchmal über gar zu Seltſames hab mit den andern
lachen müſſen, ſo fühl ich doch eine Wahrheit meiſtens
in Allem. — Wenn ſie im Garten geht, da biegt ſie
alle Ranken wo ſie gerne hinmöchten, ſie kann keine
Unordnung leiden, kein verdorbenes Blatt, ich muß ihr
alle Tage die abſterbenden Blumen ausſchneiden, geſtern
war ſie lange bei der Geisblattlaube beſchäftigt, und
ſprach mit jedem Trieb: „Ei kleins Äſtele wo willſt
du hin,“ und da flocht ſie alles zart in einander und
bands mit rothen Seidenfaden ganz loſe zuſammen und
da darf kein Blatt gedrückt ſein, „alles muß fein ſchnaufen
können“ ſagte ſie — und da brachte ich ihr heute Morgen
weiße Bohnenblüthen und rothe, weil ich ihr geſtern eine
Scene aus ihrem Roman vorgeleſen hatte, worin die
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Arnim, Bettina von: Die Günderode. Bd. 1. Grünberg u. a., 1840, S. 277. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_guenderode01_1840/293>, abgerufen am 19.01.2025.
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