nicht meine Stimme zu erheben gegen allen Unsinn, so hab ich auch dafür an diesem harten Fels keine kleinste Welle Deiner brausenden Lebensfluthen sich brechen las¬ sen. Er steht trocken und unbeschäumt von Deinen hei¬ ligen Begeisterungen, so kannst Du auch unbekümmert darum, Dein Leben dahin fließen. -- Ich weiß, daß es Dir weh thut, weil wir den Hölderlin nicht besuchten. St. Clair ist gestern abgereist, er war noch vorher bei mir, er sah Deinen dicken Brief, er war so sehnsüchtig etwas daraus zu vernehmen, und die Zaghafte war kühn genug auf ihr richtiges Gefühl hin, ihm die Stelle zu lesen, wo die Bettine über den Oedipus spricht. -- Er wollte es abschreiben, er mußte es abschreiben, seine Seele wär sonst vergangen, und die Zaghafte war zu muthlos es ihm abzuschlagen. Er sagte, "ich lese es ihm vor, vielleicht wirkt es wie Balsam auf seine Seele, und wo nicht, so muß es doch so sein, daß die höchste Erregung durch seine Dichternatur erzeugt, auch wie¬ der an ihm verhalle, so wie er verhallte. Ich muß es ihm lesen, es wird doch zum wenigsten ihm ein Lächeln abgewinnen." -- Nun sieh mich schon wieder voll Zag¬ heit, daß Dir meine Kühnheit mißfalle, aber doch -- be¬ trog mich mein Ohr nicht, so war jener Hymnus auf dem Taubenschlag dem armen Dichter gesungen, daß
nicht meine Stimme zu erheben gegen allen Unſinn, ſo hab ich auch dafür an dieſem harten Fels keine kleinſte Welle Deiner brauſenden Lebensfluthen ſich brechen laſ¬ ſen. Er ſteht trocken und unbeſchäumt von Deinen hei¬ ligen Begeiſterungen, ſo kannſt Du auch unbekümmert darum, Dein Leben dahin fließen. — Ich weiß, daß es Dir weh thut, weil wir den Hölderlin nicht beſuchten. St. Clair iſt geſtern abgereiſt, er war noch vorher bei mir, er ſah Deinen dicken Brief, er war ſo ſehnſüchtig etwas daraus zu vernehmen, und die Zaghafte war kühn genug auf ihr richtiges Gefühl hin, ihm die Stelle zu leſen, wo die Bettine über den Oedipus ſpricht. — Er wollte es abſchreiben, er mußte es abſchreiben, ſeine Seele wär ſonſt vergangen, und die Zaghafte war zu muthlos es ihm abzuſchlagen. Er ſagte, „ich leſe es ihm vor, vielleicht wirkt es wie Balſam auf ſeine Seele, und wo nicht, ſo muß es doch ſo ſein, daß die höchſte Erregung durch ſeine Dichternatur erzeugt, auch wie¬ der an ihm verhalle, ſo wie er verhallte. Ich muß es ihm leſen, es wird doch zum wenigſten ihm ein Lächeln abgewinnen.“ — Nun ſieh mich ſchon wieder voll Zag¬ heit, daß Dir meine Kühnheit mißfalle, aber doch — be¬ trog mich mein Ohr nicht, ſo war jener Hymnus auf dem Taubenſchlag dem armen Dichter geſungen, daß
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nicht meine Stimme zu erheben gegen allen Unſinn, ſo
hab ich auch dafür an dieſem harten Fels keine kleinſte
Welle Deiner brauſenden Lebensfluthen ſich brechen laſ¬
ſen. Er ſteht trocken und unbeſchäumt von Deinen hei¬
ligen Begeiſterungen, ſo kannſt Du auch unbekümmert
darum, Dein Leben dahin fließen. — Ich weiß, daß es
Dir weh thut, weil wir den Hölderlin nicht beſuchten.
St. Clair iſt geſtern abgereiſt, er war noch vorher bei
mir, er ſah Deinen dicken Brief, er war ſo ſehnſüchtig
etwas daraus zu vernehmen, und die Zaghafte war
kühn genug auf ihr richtiges Gefühl hin, ihm die Stelle
zu leſen, wo die Bettine über den Oedipus ſpricht. —
Er wollte es abſchreiben, er mußte es abſchreiben, ſeine
Seele wär ſonſt vergangen, und die Zaghafte war zu
muthlos es ihm abzuſchlagen. Er ſagte, „ich leſe es ihm
vor, vielleicht wirkt es wie Balſam auf ſeine Seele,
und wo nicht, ſo muß es doch ſo ſein, daß die höchſte
Erregung durch ſeine Dichternatur erzeugt, auch wie¬
der an ihm verhalle, ſo wie er verhallte. Ich muß es
ihm leſen, es wird doch zum wenigſten ihm ein Lächeln
abgewinnen.“ — Nun ſieh mich ſchon wieder voll Zag¬
heit, daß Dir meine Kühnheit mißfalle, aber doch — be¬
trog mich mein Ohr nicht, ſo war jener Hymnus auf
dem Taubenſchlag dem armen Dichter geſungen, daß
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Arnim, Bettina von: Die Günderode. Bd. 1. Grünberg u. a., 1840, S. 259. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_guenderode01_1840/275>, abgerufen am 26.11.2024.
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