Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Arnim, Bettina von: Die Günderode. Bd. 1. Grünberg u. a., 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

Das mühselige Menschengeschlecht plappert wie
die Elstern, es versteht nicht das Stöhnen der Liebe,
das muß ich sagen weil die Nachtigallen so süß stöh¬
nen über mir. Vier Nachtigallen sinds, auch im vori¬
gen Jahr warens Vier. Ja lieben werd ich wohl nie,
ich müßt mich vor den Nachtigallen schämen daß ichs
nicht könnt wie die. -- Wie hauchen sie doch ihre Seel
in die Kunst der Wollust, in die Musik -- und in ei¬
nen Ton hinein, so rein, so unschuldig -- so wahr und
tief-- was keine Menschenseele weder durch die Stimme
noch durch das Instrument hervorbringen kann. War¬
um doch der Mensch erst singen lernen muß, während
die Nachtigall es so rein, so ganz ohne Fehl versteht
tief ins Herz zu singen, ich hab noch gar keinen Ge¬
sang gehört von Menschen, der mich so berührt wie die
Nachtigall -- eben dacht ich, weil ich ihnen so tief zu¬
hör, ob sie mir wohl auch zuhören wollten, wie sie eine
Pause machten, kaum heb ich die Stimm, da schmettern
sie alle vier zusammen los, als wollten sie sagen, lasse
uns unser Reich. Arien, Operngesänge sind wie lauter
falsche Tendenzen der sittlichen Welt, es ist die Decla¬
mation einer falschen Begeisterung. Doch ist der
Mensch hingerissen von erhabner Musik, Warum nur,
wenn er nicht selbst erhaben ist? -- Ja, es ist doch ein

Das mühſelige Menſchengeſchlecht plappert wie
die Elſtern, es verſteht nicht das Stöhnen der Liebe,
das muß ich ſagen weil die Nachtigallen ſo ſüß ſtöh¬
nen über mir. Vier Nachtigallen ſinds, auch im vori¬
gen Jahr warens Vier. Ja lieben werd ich wohl nie,
ich müßt mich vor den Nachtigallen ſchämen daß ichs
nicht könnt wie die. — Wie hauchen ſie doch ihre Seel
in die Kunſt der Wolluſt, in die Muſik — und in ei¬
nen Ton hinein, ſo rein, ſo unſchuldig — ſo wahr und
tief— was keine Menſchenſeele weder durch die Stimme
noch durch das Inſtrument hervorbringen kann. War¬
um doch der Menſch erſt ſingen lernen muß, während
die Nachtigall es ſo rein, ſo ganz ohne Fehl verſteht
tief ins Herz zu ſingen, ich hab noch gar keinen Ge¬
ſang gehört von Menſchen, der mich ſo berührt wie die
Nachtigall — eben dacht ich, weil ich ihnen ſo tief zu¬
hör, ob ſie mir wohl auch zuhören wollten, wie ſie eine
Pauſe machten, kaum heb ich die Stimm, da ſchmettern
ſie alle vier zuſammen los, als wollten ſie ſagen, laſſe
uns unſer Reich. Arien, Operngeſänge ſind wie lauter
falſche Tendenzen der ſittlichen Welt, es iſt die Decla¬
mation einer falſchen Begeiſterung. Doch iſt der
Menſch hingeriſſen von erhabner Muſik, Warum nur,
wenn er nicht ſelbſt erhaben iſt? — Ja, es iſt doch ein

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0264" n="248"/>
          <p>Das müh&#x017F;elige Men&#x017F;chenge&#x017F;chlecht plappert wie<lb/>
die El&#x017F;tern, es ver&#x017F;teht nicht das Stöhnen der Liebe,<lb/>
das muß ich &#x017F;agen weil die Nachtigallen &#x017F;o &#x017F;üß &#x017F;töh¬<lb/>
nen über mir. Vier Nachtigallen &#x017F;inds, auch im vori¬<lb/>
gen Jahr warens Vier. Ja lieben werd ich wohl nie,<lb/>
ich müßt mich vor den Nachtigallen &#x017F;chämen daß ichs<lb/>
nicht könnt wie die. &#x2014; Wie hauchen &#x017F;ie doch ihre Seel<lb/>
in die Kun&#x017F;t der Wollu&#x017F;t, in die Mu&#x017F;ik &#x2014; und in ei¬<lb/>
nen Ton hinein, &#x017F;o rein, &#x017F;o un&#x017F;chuldig &#x2014; &#x017F;o wahr und<lb/>
tief&#x2014; was keine Men&#x017F;chen&#x017F;eele weder durch die Stimme<lb/>
noch durch das In&#x017F;trument hervorbringen kann. War¬<lb/>
um doch der Men&#x017F;ch er&#x017F;t &#x017F;ingen lernen muß, während<lb/>
die Nachtigall es &#x017F;o rein, &#x017F;o ganz ohne Fehl ver&#x017F;teht<lb/>
tief ins Herz zu &#x017F;ingen, ich hab noch gar keinen Ge¬<lb/>
&#x017F;ang gehört von Men&#x017F;chen, der mich &#x017F;o berührt wie die<lb/>
Nachtigall &#x2014; eben dacht ich, weil ich ihnen &#x017F;o tief zu¬<lb/>
hör, ob &#x017F;ie mir wohl auch zuhören wollten, wie &#x017F;ie eine<lb/>
Pau&#x017F;e machten, kaum heb ich die Stimm, da &#x017F;chmettern<lb/>
&#x017F;ie alle vier zu&#x017F;ammen los, als wollten &#x017F;ie &#x017F;agen, la&#x017F;&#x017F;e<lb/>
uns un&#x017F;er Reich. Arien, Opernge&#x017F;änge &#x017F;ind wie lauter<lb/>
fal&#x017F;che Tendenzen der &#x017F;ittlichen Welt, es i&#x017F;t die Decla¬<lb/>
mation einer fal&#x017F;chen Begei&#x017F;terung. Doch i&#x017F;t der<lb/>
Men&#x017F;ch hingeri&#x017F;&#x017F;en von erhabner Mu&#x017F;ik, Warum nur,<lb/>
wenn er nicht &#x017F;elb&#x017F;t erhaben i&#x017F;t? &#x2014; Ja, es i&#x017F;t doch ein<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[248/0264] Das mühſelige Menſchengeſchlecht plappert wie die Elſtern, es verſteht nicht das Stöhnen der Liebe, das muß ich ſagen weil die Nachtigallen ſo ſüß ſtöh¬ nen über mir. Vier Nachtigallen ſinds, auch im vori¬ gen Jahr warens Vier. Ja lieben werd ich wohl nie, ich müßt mich vor den Nachtigallen ſchämen daß ichs nicht könnt wie die. — Wie hauchen ſie doch ihre Seel in die Kunſt der Wolluſt, in die Muſik — und in ei¬ nen Ton hinein, ſo rein, ſo unſchuldig — ſo wahr und tief— was keine Menſchenſeele weder durch die Stimme noch durch das Inſtrument hervorbringen kann. War¬ um doch der Menſch erſt ſingen lernen muß, während die Nachtigall es ſo rein, ſo ganz ohne Fehl verſteht tief ins Herz zu ſingen, ich hab noch gar keinen Ge¬ ſang gehört von Menſchen, der mich ſo berührt wie die Nachtigall — eben dacht ich, weil ich ihnen ſo tief zu¬ hör, ob ſie mir wohl auch zuhören wollten, wie ſie eine Pauſe machten, kaum heb ich die Stimm, da ſchmettern ſie alle vier zuſammen los, als wollten ſie ſagen, laſſe uns unſer Reich. Arien, Operngeſänge ſind wie lauter falſche Tendenzen der ſittlichen Welt, es iſt die Decla¬ mation einer falſchen Begeiſterung. Doch iſt der Menſch hingeriſſen von erhabner Muſik, Warum nur, wenn er nicht ſelbſt erhaben iſt? — Ja, es iſt doch ein

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_guenderode01_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_guenderode01_1840/264
Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Die Günderode. Bd. 1. Grünberg u. a., 1840, S. 248. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_guenderode01_1840/264>, abgerufen am 25.11.2024.