sondern vielmehr ganz hingegeben bewußtlos, aus Dir heraus, zerfließt alle Wirklichkeit wie Nebel, menschlich Thun, menschlich Fühlen in das bist Du nicht hineingebo¬ ren, und doch bist Du immer bereit, unbekümmert alles zu beherrschen, Dich allem anzueignen. Da war der Icarus ein vorsichtiger, überlegter, prüfender Knabe gegen Dich, er versuchte doch das Durchschiffen des Sonnenoceans, mit Flügeln, aber Du brauchst nicht Deine Füße zum Schreiten, Deinen Begriff nicht zum Fassen, Dein Ge¬ dächtniß nicht zur Erfahrung, und diese nicht zum Fol¬ gern. Deine gepanzerte Phantasie die im Sturm alle Wirklichkeit zerstiebt, bleibt bei einer Schwarzwurzel in Verzückung stocken. Der Strahlenbündel im Blu¬ menkelch, der Dir am Sonntag im Feldweg in die Quer kam, wie Du dem rückwärts gehenden Philosophen Ebel Deine Philosophie eintrichtern wolltest, ist eine blü¬ hende Scorza nera, so sagt Lehr der weise Meister. -- Ich werd eingeschüchtert von Deinen Behauptungen, ins Feuer gehalten von Deiner Überschwenglichkeit. Hier am Schreibtisch verlier ich die Geduld über das Farblose meiner poetischen Versuche, wenn ich Deines Hölderlin gedenke. Du kannst nicht dichten, weil Du das bist was die Dichter poetisch nennen, der Stoff bildet sich nicht selber, er wird gebildet, Du deuchst mir
ſondern vielmehr ganz hingegeben bewußtlos, aus Dir heraus, zerfließt alle Wirklichkeit wie Nebel, menſchlich Thun, menſchlich Fühlen in das biſt Du nicht hineingebo¬ ren, und doch biſt Du immer bereit, unbekümmert alles zu beherrſchen, Dich allem anzueignen. Da war der Icarus ein vorſichtiger, überlegter, prüfender Knabe gegen Dich, er verſuchte doch das Durchſchiffen des Sonnenoceans, mit Flügeln, aber Du brauchſt nicht Deine Füße zum Schreiten, Deinen Begriff nicht zum Faſſen, Dein Ge¬ dächtniß nicht zur Erfahrung, und dieſe nicht zum Fol¬ gern. Deine gepanzerte Phantaſie die im Sturm alle Wirklichkeit zerſtiebt, bleibt bei einer Schwarzwurzel in Verzückung ſtocken. Der Strahlenbündel im Blu¬ menkelch, der Dir am Sonntag im Feldweg in die Quer kam, wie Du dem rückwärts gehenden Philoſophen Ebel Deine Philoſophie eintrichtern wollteſt, iſt eine blü¬ hende Scorza nera, ſo ſagt Lehr der weiſe Meiſter. — Ich werd eingeſchüchtert von Deinen Behauptungen, ins Feuer gehalten von Deiner Überſchwenglichkeit. Hier am Schreibtiſch verlier ich die Geduld über das Farbloſe meiner poetiſchen Verſuche, wenn ich Deines Hölderlin gedenke. Du kannst nicht dichten, weil Du das biſt was die Dichter poetiſch nennen, der Stoff bildet ſich nicht ſelber, er wird gebildet, Du deuchſt mir
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ſondern vielmehr ganz hingegeben bewußtlos, aus Dir
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Thun, menſchlich Fühlen in das biſt Du nicht hineingebo¬
ren, und doch biſt Du immer bereit, unbekümmert alles zu
beherrſchen, Dich allem anzueignen. Da war der Icarus
ein vorſichtiger, überlegter, prüfender Knabe gegen Dich,
er verſuchte doch das Durchſchiffen des Sonnenoceans,
mit Flügeln, aber Du brauchſt nicht Deine Füße zum
Schreiten, Deinen Begriff nicht zum Faſſen, Dein Ge¬
dächtniß nicht zur Erfahrung, und dieſe nicht zum Fol¬
gern. Deine gepanzerte Phantaſie die im Sturm alle
Wirklichkeit zerſtiebt, bleibt bei einer Schwarzwurzel
in Verzückung ſtocken. Der Strahlenbündel im Blu¬
menkelch, der Dir am Sonntag im Feldweg in die
Quer kam, wie Du dem rückwärts gehenden Philoſophen
Ebel Deine Philoſophie eintrichtern wollteſt, iſt eine blü¬
hende Scorza nera, ſo ſagt Lehr der weiſe Meiſter. —
Ich werd eingeſchüchtert von Deinen Behauptungen,
ins Feuer gehalten von Deiner Überſchwenglichkeit.
Hier am Schreibtiſch verlier ich die Geduld über das
Farbloſe meiner poetiſchen Verſuche, wenn ich Deines
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das biſt was die Dichter poetiſch nennen, der Stoff
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Arnim, Bettina von: Die Günderode. Bd. 1. Grünberg u. a., 1840, S. 234. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_guenderode01_1840/250>, abgerufen am 24.11.2024.
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