Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Arnim, Bettina von: Die Günderode. Bd. 1. Grünberg u. a., 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

die Sonn mir aufs Papier scheint und meine Gedanken
beleuchtet, da lese ich so deutlich in meinem Herzen. --

Der Gärtner ist so gut, er suchte mir aus allen
Büschen die schönsten Blumen heraus, der Strauß ragte
mir über den Kopf mit schönem Bandgras, auch frisches
Laub dabei, und vom Lerchenbaum und von der Schar¬
lach-Eiche. Dieser Baum ist, was man schön gewachsen
nennt, er streckt sein scharlachroth Laub in die blaue
Luft hinaus zum Tanzen, der leiseste Wind bewegt ihn. --
Im Heimgehn hatt ich Gedanken, die mich ergözten, an
denen mir gelegen ist, daß sie wahr sein möchten, sie
waren nicht in mich gepflanzt, sie wuchsen von selbst
auf wie jene Blumen auf der Haide. -- Morgenstund
hat Gold im Mund -- wär ich nicht früh draus gewe¬
sen, so hätt ich sie nicht denken können. -- Natur ist
lehrsam, wer ihre Lehrstund nicht versäumt, der hat zu
denken genug, er kriegt die trocknen Lebenswege gar
nicht unter die Füße, auf denen andern die Sohlen
brennen. Was hast Du zu sorgen um mein Nacht¬
wachen? -- So viel Blumen, die nur des Nachts duf¬
ten! -- Müssen denn alle Menschen in der Nacht schla¬
fen? -- können sie nicht auch wie der Nachtschatten und
Viola matronalis am Tag schlafen und Nachts ihren
Duft aushauchen? -- Warum sind manche Menschen

die Sonn mir aufs Papier ſcheint und meine Gedanken
beleuchtet, da leſe ich ſo deutlich in meinem Herzen. —

Der Gärtner iſt ſo gut, er ſuchte mir aus allen
Büſchen die ſchönſten Blumen heraus, der Strauß ragte
mir über den Kopf mit ſchönem Bandgras, auch friſches
Laub dabei, und vom Lerchenbaum und von der Schar¬
lach-Eiche. Dieſer Baum iſt, was man ſchön gewachſen
nennt, er ſtreckt ſein ſcharlachroth Laub in die blaue
Luft hinaus zum Tanzen, der leiſeſte Wind bewegt ihn. —
Im Heimgehn hatt ich Gedanken, die mich ergözten, an
denen mir gelegen iſt, daß ſie wahr ſein möchten, ſie
waren nicht in mich gepflanzt, ſie wuchſen von ſelbſt
auf wie jene Blumen auf der Haide. — Morgenſtund
hat Gold im Mund — wär ich nicht früh draus gewe¬
ſen, ſo hätt ich ſie nicht denken können. — Natur iſt
lehrſam, wer ihre Lehrſtund nicht verſäumt, der hat zu
denken genug, er kriegt die trocknen Lebenswege gar
nicht unter die Füße, auf denen andern die Sohlen
brennen. Was haſt Du zu ſorgen um mein Nacht¬
wachen? — So viel Blumen, die nur des Nachts duf¬
ten! — Müſſen denn alle Menſchen in der Nacht ſchla¬
fen? — können ſie nicht auch wie der Nachtſchatten und
Viola matronalis am Tag ſchlafen und Nachts ihren
Duft aushauchen? — Warum ſind manche Menſchen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0220" n="204"/>
die Sonn mir aufs Papier &#x017F;cheint und meine Gedanken<lb/>
beleuchtet, da le&#x017F;e ich &#x017F;o deutlich in meinem Herzen. &#x2014;<lb/></p>
          <p>Der Gärtner i&#x017F;t &#x017F;o gut, er &#x017F;uchte mir aus allen<lb/>&#x017F;chen die &#x017F;chön&#x017F;ten Blumen heraus, der Strauß ragte<lb/>
mir über den Kopf mit &#x017F;chönem Bandgras, auch fri&#x017F;ches<lb/>
Laub dabei, und vom Lerchenbaum und von der Schar¬<lb/>
lach-Eiche. Die&#x017F;er Baum i&#x017F;t, was man &#x017F;chön gewach&#x017F;en<lb/>
nennt, er &#x017F;treckt &#x017F;ein &#x017F;charlachroth Laub in die blaue<lb/>
Luft hinaus zum Tanzen, der lei&#x017F;e&#x017F;te Wind bewegt ihn. &#x2014;<lb/>
Im Heimgehn hatt ich Gedanken, die mich ergözten, an<lb/>
denen mir gelegen i&#x017F;t, daß &#x017F;ie wahr &#x017F;ein möchten, &#x017F;ie<lb/>
waren nicht in mich gepflanzt, &#x017F;ie wuch&#x017F;en von &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
auf wie jene Blumen auf der Haide. &#x2014; Morgen&#x017F;tund<lb/>
hat Gold im Mund &#x2014; wär ich nicht früh draus gewe¬<lb/>
&#x017F;en, &#x017F;o hätt ich &#x017F;ie nicht denken können. &#x2014; Natur i&#x017F;t<lb/>
lehr&#x017F;am, wer ihre Lehr&#x017F;tund nicht ver&#x017F;äumt, der hat zu<lb/>
denken genug, er kriegt die trocknen Lebenswege gar<lb/>
nicht unter die Füße, auf denen andern die Sohlen<lb/>
brennen. Was ha&#x017F;t Du zu &#x017F;orgen um mein Nacht¬<lb/>
wachen? &#x2014; So viel Blumen, die nur des Nachts duf¬<lb/>
ten! &#x2014;&#x017F;&#x017F;en denn alle Men&#x017F;chen in der Nacht &#x017F;chla¬<lb/>
fen? &#x2014; können &#x017F;ie nicht auch wie der Nacht&#x017F;chatten und<lb/><hi rendition="#aq">Viola matronalis</hi> am Tag &#x017F;chlafen und Nachts ihren<lb/>
Duft aushauchen? &#x2014; Warum &#x017F;ind manche Men&#x017F;chen<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[204/0220] die Sonn mir aufs Papier ſcheint und meine Gedanken beleuchtet, da leſe ich ſo deutlich in meinem Herzen. — Der Gärtner iſt ſo gut, er ſuchte mir aus allen Büſchen die ſchönſten Blumen heraus, der Strauß ragte mir über den Kopf mit ſchönem Bandgras, auch friſches Laub dabei, und vom Lerchenbaum und von der Schar¬ lach-Eiche. Dieſer Baum iſt, was man ſchön gewachſen nennt, er ſtreckt ſein ſcharlachroth Laub in die blaue Luft hinaus zum Tanzen, der leiſeſte Wind bewegt ihn. — Im Heimgehn hatt ich Gedanken, die mich ergözten, an denen mir gelegen iſt, daß ſie wahr ſein möchten, ſie waren nicht in mich gepflanzt, ſie wuchſen von ſelbſt auf wie jene Blumen auf der Haide. — Morgenſtund hat Gold im Mund — wär ich nicht früh draus gewe¬ ſen, ſo hätt ich ſie nicht denken können. — Natur iſt lehrſam, wer ihre Lehrſtund nicht verſäumt, der hat zu denken genug, er kriegt die trocknen Lebenswege gar nicht unter die Füße, auf denen andern die Sohlen brennen. Was haſt Du zu ſorgen um mein Nacht¬ wachen? — So viel Blumen, die nur des Nachts duf¬ ten! — Müſſen denn alle Menſchen in der Nacht ſchla¬ fen? — können ſie nicht auch wie der Nachtſchatten und Viola matronalis am Tag ſchlafen und Nachts ihren Duft aushauchen? — Warum ſind manche Menſchen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_guenderode01_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_guenderode01_1840/220
Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Die Günderode. Bd. 1. Grünberg u. a., 1840, S. 204. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_guenderode01_1840/220>, abgerufen am 24.11.2024.