was Dir Dein Genius sagt, trotz dem, daß Du ihn oft nicht zu verstehen wagst. Denn Du bist feige -- seine Eingebungen fordern Dich auf zum Denken; das willst Du nicht, Du willst nicht geweckt sein, Du willst schla¬ fen. Es wird sich rächen an Dir -- magst Du den Lie¬ benden so abweisen? -- der sich Dir feurig nähert? -- ist das nicht Sünde? -- ich meine nicht mich, nicht den Clemens, der mit Besorgniß Deinen Bewegungen lauscht, ich meine Dich selbst, -- Deinen eignen Geist, der so treu über Dir wacht und den Du so bockig zurückstößt. -- Je näher die Berge, je größer ihr Schatten, vielleicht daß Dich die Gegenwart nicht befriedigt, was uns nä¬ her liegt wirft Schatten in unsre Anschauung, und da¬ her ist gut, daß der Vergangenheit Licht die dunkle Ge¬ genwart beleuchte. Darum schien mir die Geschichte we¬ sentlich, um das träge Pflanzenleben Deiner Gedanken aufzufrischen, in ihr liegt die starke Gewalt aller Bil¬ dung, -- die Vergangenheit treibt vorwärts, alle Keime der Entwicklung in uns sind von ihrer Hand gesäet. Sie ist die eine der beiden Welten der Ewigkeit, die in dem Menschengeist wogt, die andere ist die Zukunft, daher kömmt jede Gedankenwelle, und dorthin eilt sie! Wär der Gedanke blos der Moment, in uns geboren? -- Dies ist nicht. Dein Genius ist von Ewigkeit zwar,
was Dir Dein Genius ſagt, trotz dem, daß Du ihn oft nicht zu verſtehen wagſt. Denn Du biſt feige — ſeine Eingebungen fordern Dich auf zum Denken; das willſt Du nicht, Du willſt nicht geweckt ſein, Du willſt ſchla¬ fen. Es wird ſich rächen an Dir — magſt Du den Lie¬ benden ſo abweiſen? — der ſich Dir feurig nähert? — iſt das nicht Sünde? — ich meine nicht mich, nicht den Clemens, der mit Beſorgniß Deinen Bewegungen lauſcht, ich meine Dich ſelbſt, — Deinen eignen Geiſt, der ſo treu über Dir wacht und den Du ſo bockig zurückſtößt. — Je näher die Berge, je größer ihr Schatten, vielleicht daß Dich die Gegenwart nicht befriedigt, was uns nä¬ her liegt wirft Schatten in unſre Anſchauung, und da¬ her iſt gut, daß der Vergangenheit Licht die dunkle Ge¬ genwart beleuchte. Darum ſchien mir die Geſchichte we¬ ſentlich, um das träge Pflanzenleben Deiner Gedanken aufzufriſchen, in ihr liegt die ſtarke Gewalt aller Bil¬ dung, — die Vergangenheit treibt vorwärts, alle Keime der Entwicklung in uns ſind von ihrer Hand geſäet. Sie iſt die eine der beiden Welten der Ewigkeit, die in dem Menſchengeiſt wogt, die andere iſt die Zukunft, daher kömmt jede Gedankenwelle, und dorthin eilt ſie! Wär der Gedanke blos der Moment, in uns geboren? — Dies iſt nicht. Dein Genius iſt von Ewigkeit zwar,
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was Dir Dein Genius ſagt, trotz dem, daß Du ihn oft
nicht zu verſtehen wagſt. Denn Du biſt feige — ſeine
Eingebungen fordern Dich auf zum Denken; das willſt
Du nicht, Du willſt nicht geweckt ſein, Du willſt ſchla¬
fen. Es wird ſich rächen an Dir — magſt Du den Lie¬
benden ſo abweiſen? — der ſich Dir feurig nähert? —
iſt das nicht Sünde? — ich meine nicht mich, nicht den
Clemens, der mit Beſorgniß Deinen Bewegungen lauſcht,
ich meine Dich ſelbſt, — Deinen eignen Geiſt, der ſo
treu über Dir wacht und den Du ſo bockig zurückſtößt. —
Je näher die Berge, je größer ihr Schatten, vielleicht
daß Dich die Gegenwart nicht befriedigt, was uns nä¬
her liegt wirft Schatten in unſre Anſchauung, und da¬
her iſt gut, daß der Vergangenheit Licht die dunkle Ge¬
genwart beleuchte. Darum ſchien mir die Geſchichte we¬
ſentlich, um das träge Pflanzenleben Deiner Gedanken
aufzufriſchen, in ihr liegt die ſtarke Gewalt aller Bil¬
dung, — die Vergangenheit treibt vorwärts, alle Keime
der Entwicklung in uns ſind von ihrer Hand geſäet.
Sie iſt die eine der beiden Welten der Ewigkeit, die in
dem Menſchengeiſt wogt, die andere iſt die Zukunft,
daher kömmt jede Gedankenwelle, und dorthin eilt ſie!
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Dies iſt nicht. Dein Genius iſt von Ewigkeit zwar,
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Arnim, Bettina von: Die Günderode. Bd. 1. Grünberg u. a., 1840, S. 178. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_guenderode01_1840/194>, abgerufen am 24.11.2024.
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