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[Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835.

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im Schlaf giebt es Gott den Seinen. So ist der Mensch,
der unterworfen ist dem Genius der Kunst, dem das
elektrische Feuer der Poesie die Adern durchströmt,
den prophetische Gabe durchleuchtet, oder der, wie Beet-
hoven eine Sprache führt, die nicht auf Erden, sondern
im Äther Muttersprache ist. Wenn solche ruhen von
begeisterter Anstrengung, dann ist es so mild, so kühl,
wie es heute nach dem Gewitter war in der ganzen
Natur, und mehr noch in der Brust der kleinen Nach-
tigall, denn die schlief wahrscheinlich heute noch tiefer
als alle andren Vögel, und um so kräftiger und um so
inniger wird ihr der Genius, der es den Seinen im
Schlaf giebt, vergolten haben, ich aber stieg nach ein-
geathmeter Abendstille von meinem Baum herab, und
durchdrungen von den hohen Ereignissen des eben Er-
lebten, sah ich unwillkührlich die Menschheit über die
Achsel an.


Alles ändert sich, die Menschen denken anders, wenn
sie älter sind, als in der Jugend. Ach! -- was werde
ich denn einstens denken, wenn mich dies irdische Leben
so lange bewahrt, bis ich älter in ihm werde! vielleicht

im Schlaf giebt es Gott den Seinen. So iſt der Menſch,
der unterworfen iſt dem Genius der Kunſt, dem das
elektriſche Feuer der Poeſie die Adern durchſtrömt,
den prophetiſche Gabe durchleuchtet, oder der, wie Beet-
hoven eine Sprache führt, die nicht auf Erden, ſondern
im Äther Mutterſprache iſt. Wenn ſolche ruhen von
begeiſterter Anſtrengung, dann iſt es ſo mild, ſo kühl,
wie es heute nach dem Gewitter war in der ganzen
Natur, und mehr noch in der Bruſt der kleinen Nach-
tigall, denn die ſchlief wahrſcheinlich heute noch tiefer
als alle andren Vögel, und um ſo kräftiger und um ſo
inniger wird ihr der Genius, der es den Seinen im
Schlaf giebt, vergolten haben, ich aber ſtieg nach ein-
geathmeter Abendſtille von meinem Baum herab, und
durchdrungen von den hohen Ereigniſſen des eben Er-
lebten, ſah ich unwillkührlich die Menſchheit über die
Achſel an.


Alles ändert ſich, die Menſchen denken anders, wenn
ſie älter ſind, als in der Jugend. Ach! — was werde
ich denn einſtens denken, wenn mich dies irdiſche Leben
ſo lange bewahrt, bis ich älter in ihm werde! vielleicht

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[85/0095] im Schlaf giebt es Gott den Seinen. So iſt der Menſch, der unterworfen iſt dem Genius der Kunſt, dem das elektriſche Feuer der Poeſie die Adern durchſtrömt, den prophetiſche Gabe durchleuchtet, oder der, wie Beet- hoven eine Sprache führt, die nicht auf Erden, ſondern im Äther Mutterſprache iſt. Wenn ſolche ruhen von begeiſterter Anſtrengung, dann iſt es ſo mild, ſo kühl, wie es heute nach dem Gewitter war in der ganzen Natur, und mehr noch in der Bruſt der kleinen Nach- tigall, denn die ſchlief wahrſcheinlich heute noch tiefer als alle andren Vögel, und um ſo kräftiger und um ſo inniger wird ihr der Genius, der es den Seinen im Schlaf giebt, vergolten haben, ich aber ſtieg nach ein- geathmeter Abendſtille von meinem Baum herab, und durchdrungen von den hohen Ereigniſſen des eben Er- lebten, ſah ich unwillkührlich die Menſchheit über die Achſel an. Alles ändert ſich, die Menſchen denken anders, wenn ſie älter ſind, als in der Jugend. Ach! — was werde ich denn einſtens denken, wenn mich dies irdiſche Leben ſo lange bewahrt, bis ich älter in ihm werde! vielleicht

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Zitationshilfe: [Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe03_1835/95>, abgerufen am 28.11.2024.