Guitarre mir nachgezogen hatte, es war schwül, nun regten sich die Lüfte stärker und trieben ein Heer von Wolken über uns zusammen. -- Die Rosenhecke wurde hochgehoben vom Wind und wieder niedergebeugt, aber der Vogel saß fest; je brausender der Sturm, je schmet- ternder ihr Gesang, die kleine Kehle strömte jubelnd ihr ganzes Leben in die aufgeregte Natur, der fallende Re- gen behinderte sie nicht, die brausenden Bäume, der Donner übertäubte und schreckte sie nicht, und ich auch auf meiner schlanken Pappel wogte im Sturmwind nie- der auf die Rosenhecke, wenn sie sich hob, und streifte über die Saiten, um den Jubel der kleinen Sängerin durch den Takt zu mäßigen. Wie still war's nach dem Gewitter! welche heilige Ruhe folgte dieser Begeistrung im Sturm! mit ihr breitete die Dämmerung sich über die weiten Gefilde, meine kleine Sängerin schwieg, sie war müde geworden. Ach, wenn der Genius aufleuchtet in uns, und unsere gesammten Kräfte aufregt, daß sie ihm dienen, wenn der ganze Mensch nichts mehr ist, als nur dienend dem Gewaltigen, dem Höheren als er selbst, und die Ruhe folgt auf solche Anstrengung, wie mild ist es da, wie sind da alle Ansprüche, selbst etwas zu sein, aufgelöst in Hingebung an den Genius! So ist Natur, wenn sie ruht vom Tagwerk: sie schläft, und
Guitarre mir nachgezogen hatte, es war ſchwül, nun regten ſich die Lüfte ſtärker und trieben ein Heer von Wolken über uns zuſammen. — Die Roſenhecke wurde hochgehoben vom Wind und wieder niedergebeugt, aber der Vogel ſaß feſt; je brauſender der Sturm, je ſchmet- ternder ihr Geſang, die kleine Kehle ſtrömte jubelnd ihr ganzes Leben in die aufgeregte Natur, der fallende Re- gen behinderte ſie nicht, die brauſenden Bäume, der Donner übertäubte und ſchreckte ſie nicht, und ich auch auf meiner ſchlanken Pappel wogte im Sturmwind nie- der auf die Roſenhecke, wenn ſie ſich hob, und ſtreifte über die Saiten, um den Jubel der kleinen Sängerin durch den Takt zu mäßigen. Wie ſtill war's nach dem Gewitter! welche heilige Ruhe folgte dieſer Begeiſtrung im Sturm! mit ihr breitete die Dämmerung ſich über die weiten Gefilde, meine kleine Sängerin ſchwieg, ſie war müde geworden. Ach, wenn der Genius aufleuchtet in uns, und unſere geſammten Kräfte aufregt, daß ſie ihm dienen, wenn der ganze Menſch nichts mehr iſt, als nur dienend dem Gewaltigen, dem Höheren als er ſelbſt, und die Ruhe folgt auf ſolche Anſtrengung, wie mild iſt es da, wie ſind da alle Anſprüche, ſelbſt etwas zu ſein, aufgelöſt in Hingebung an den Genius! So iſt Natur, wenn ſie ruht vom Tagwerk: ſie ſchläft, und
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Guitarre mir nachgezogen hatte, es war ſchwül, nun
regten ſich die Lüfte ſtärker und trieben ein Heer von
Wolken über uns zuſammen. — Die Roſenhecke wurde
hochgehoben vom Wind und wieder niedergebeugt, aber
der Vogel ſaß feſt; je brauſender der Sturm, je ſchmet-
ternder ihr Geſang, die kleine Kehle ſtrömte jubelnd ihr
ganzes Leben in die aufgeregte Natur, der fallende Re-
gen behinderte ſie nicht, die brauſenden Bäume, der
Donner übertäubte und ſchreckte ſie nicht, und ich auch
auf meiner ſchlanken Pappel wogte im Sturmwind nie-
der auf die Roſenhecke, wenn ſie ſich hob, und ſtreifte
über die Saiten, um den Jubel der kleinen Sängerin
durch den Takt zu mäßigen. Wie ſtill war's nach dem
Gewitter! welche heilige Ruhe folgte dieſer Begeiſtrung
im Sturm! mit ihr breitete die Dämmerung ſich über die
weiten Gefilde, meine kleine Sängerin ſchwieg, ſie war
müde geworden. Ach, wenn der Genius aufleuchtet in
uns, und unſere geſammten Kräfte aufregt, daß ſie ihm
dienen, wenn der ganze Menſch nichts mehr iſt, als nur
dienend dem Gewaltigen, dem Höheren als er ſelbſt,
und die Ruhe folgt auf ſolche Anſtrengung, wie mild
iſt es da, wie ſind da alle Anſprüche, ſelbſt etwas zu
ſein, aufgelöſt in Hingebung an den Genius! So iſt
Natur, wenn ſie ruht vom Tagwerk: ſie ſchläft, und
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[Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe03_1835/94>, abgerufen am 16.02.2025.
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