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[Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835.

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Welche Anregungen auch im Leben vorkommen,
welche Wendungen auch ein Geschick nimmt, sie ist der
Weg der Modulation der alle fremde Tonarten harmo-
nisch auflös't, sie giebt die Erkenntniß den Takt einer
wahrhaft sittlichen Größe. Sie ist strenge und diese
Strenge erregt leidenschaftlich für die Liebe, ich brenne
vor Begierde zu thun was ihr gemäß ist. Ich will gern
jedes Gefühl, jede Regung an ihr abmessen.

Jetzt geh ich schlafen; könnt' ich Dir beschreiben
wie wohl mir ist!


Wenn heut' der Tag wäre, wo ich Dich wiedersähe!
Heute! in wenig Sekunden trätest Du hier in meine
vier Wände, in denen ich schon seit einem Sommer das
Zauberhandwerk treibe, Dich zu besitzen; ja und man-
chen Augenblick warst Du mein, meine Liebe zog Dich
heran. Ich sah in die Ferne, im Herzen sah ich nach Dir,
und erkannte Dich. Etwas sich aneignen, etwas be-
sitzen, dazu gehört eine große Kraft; etwas besitzen,
wenn auch nur Minuten lang, erzeugt Wunder; was
Du besitzest im Geist, das erkennst Du, was Du er-

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Welche Anregungen auch im Leben vorkommen,
welche Wendungen auch ein Geſchick nimmt, ſie iſt der
Weg der Modulation der alle fremde Tonarten harmo-
niſch auflöſ't, ſie giebt die Erkenntniß den Takt einer
wahrhaft ſittlichen Größe. Sie iſt ſtrenge und dieſe
Strenge erregt leidenſchaftlich für die Liebe, ich brenne
vor Begierde zu thun was ihr gemäß iſt. Ich will gern
jedes Gefühl, jede Regung an ihr abmeſſen.

Jetzt geh ich ſchlafen; könnt' ich Dir beſchreiben
wie wohl mir iſt!


Wenn heut' der Tag wäre, wo ich Dich wiederſähe!
Heute! in wenig Sekunden träteſt Du hier in meine
vier Wände, in denen ich ſchon ſeit einem Sommer das
Zauberhandwerk treibe, Dich zu beſitzen; ja und man-
chen Augenblick warſt Du mein, meine Liebe zog Dich
heran. Ich ſah in die Ferne, im Herzen ſah ich nach Dir,
und erkannte Dich. Etwas ſich aneignen, etwas be-
ſitzen, dazu gehört eine große Kraft; etwas beſitzen,
wenn auch nur Minuten lang, erzeugt Wunder; was
Du beſitzeſt im Geiſt, das erkennſt Du, was Du er-

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[75/0085] Welche Anregungen auch im Leben vorkommen, welche Wendungen auch ein Geſchick nimmt, ſie iſt der Weg der Modulation der alle fremde Tonarten harmo- niſch auflöſ't, ſie giebt die Erkenntniß den Takt einer wahrhaft ſittlichen Größe. Sie iſt ſtrenge und dieſe Strenge erregt leidenſchaftlich für die Liebe, ich brenne vor Begierde zu thun was ihr gemäß iſt. Ich will gern jedes Gefühl, jede Regung an ihr abmeſſen. Jetzt geh ich ſchlafen; könnt' ich Dir beſchreiben wie wohl mir iſt! Wenn heut' der Tag wäre, wo ich Dich wiederſähe! Heute! in wenig Sekunden träteſt Du hier in meine vier Wände, in denen ich ſchon ſeit einem Sommer das Zauberhandwerk treibe, Dich zu beſitzen; ja und man- chen Augenblick warſt Du mein, meine Liebe zog Dich heran. Ich ſah in die Ferne, im Herzen ſah ich nach Dir, und erkannte Dich. Etwas ſich aneignen, etwas be- ſitzen, dazu gehört eine große Kraft; etwas beſitzen, wenn auch nur Minuten lang, erzeugt Wunder; was Du beſitzeſt im Geiſt, das erkennſt Du, was Du er- 4*

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Zitationshilfe: [Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe03_1835/85>, abgerufen am 24.11.2024.