[Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835.diese Zeilen! ach sie bezeichnen die Zeit des Verlassen- Komm! laß uns noch einmal die hängenden Gär- dieſe Zeilen! ach ſie bezeichnen die Zeit des Verlaſſen- Komm! laß uns noch einmal die hängenden Gär- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0066" n="56"/> dieſe Zeilen! ach ſie bezeichnen die Zeit des Verlaſſen-<lb/> ſeins! Verlaſſen! war ich denn je vereint mit dem,<lb/> was ich liebte? War ich verſtanden? — ach warum<lb/> will ich verſtanden ſein? — alles iſt Geheimniß, die<lb/> ganze Natur, ihr Zauber, die Liebe, ihre Beſeligung,<lb/> wie ihre Schmerzen. Die Sonne ſcheint, und treibt<lb/> Blüthe und Frucht, aber ihr folgen die Schatten, und<lb/> die winterliche Zeit. — Sind denn die Bäume auch ſo<lb/> troſtlos, ſo verzweiflungsvoll in ihrem Winter, wie das<lb/> Herz in ſeiner Verlaſſenheit? — ſehnen ſich die Pflan-<lb/> zen? ringen ſie nach dem Blühen, wie mein Herz heute<lb/> ringt, daß es lieben will, daß es empfunden ſein will? —<lb/> Du mich empfinden? — Wer biſt Du, daß ich's von<lb/> Dir verlangen muß? — Ach! — die ganze Welt iſt<lb/> todt; in jedem Buſen iſt's öde! gäb's <hi rendition="#g">ein</hi> Herz, <hi rendition="#g">einen</hi><lb/> Geiſt, der mir erwachte! —</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <p>Komm! laß uns noch einmal die hängenden Gär-<lb/> ten, in denen meine Kindheit einheimiſch war, durchlau-<lb/> fen; laß Dich durch die langen Laubgänge geleiten zu<lb/> dem Glockenthurm, wo ich mit leichter Mühe das Seil<lb/> in Schwung brachte, um zu Tiſch oder zum Gebet zu<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [56/0066]
dieſe Zeilen! ach ſie bezeichnen die Zeit des Verlaſſen-
ſeins! Verlaſſen! war ich denn je vereint mit dem,
was ich liebte? War ich verſtanden? — ach warum
will ich verſtanden ſein? — alles iſt Geheimniß, die
ganze Natur, ihr Zauber, die Liebe, ihre Beſeligung,
wie ihre Schmerzen. Die Sonne ſcheint, und treibt
Blüthe und Frucht, aber ihr folgen die Schatten, und
die winterliche Zeit. — Sind denn die Bäume auch ſo
troſtlos, ſo verzweiflungsvoll in ihrem Winter, wie das
Herz in ſeiner Verlaſſenheit? — ſehnen ſich die Pflan-
zen? ringen ſie nach dem Blühen, wie mein Herz heute
ringt, daß es lieben will, daß es empfunden ſein will? —
Du mich empfinden? — Wer biſt Du, daß ich's von
Dir verlangen muß? — Ach! — die ganze Welt iſt
todt; in jedem Buſen iſt's öde! gäb's ein Herz, einen
Geiſt, der mir erwachte! —
Komm! laß uns noch einmal die hängenden Gär-
ten, in denen meine Kindheit einheimiſch war, durchlau-
fen; laß Dich durch die langen Laubgänge geleiten zu
dem Glockenthurm, wo ich mit leichter Mühe das Seil
in Schwung brachte, um zu Tiſch oder zum Gebet zu
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