übersponnen mit Fäden, an denen die Thauperlen auf- gereiht waren.
Manchmal hält die Natur Dir die Wage, und ich empfinde die Wahrheit der Worte: "Weg du Traum, so gold' du bist, hier auch Lieb' und Leben ist." So ein Gang, wenn ich wieder unter die Menschen komme, macht mich einsam.
Ach, die zahmen Menschen, ich verstehe ihren Geist nicht. Geist lenkt, er deutet, er fliegt voran auf immer neuen Wegen oder er kommt entgegen wie die Leiden- schaft und senkt sich in die Brust und regt sich da. Geist ist flüchtig wie Äther, drum sucht ihn die Liebe, und wenn sie ihn erfaßt dann geht sie in ihm auf. Das ist meine List daß die Liebe dem Geist nachgeht.
Dir geh' ich nach auf einsamen Wegen, wenn's still und ruhig ist dann lispelt jedes Blatt von Dir, das vom Wind gehoben wird, da lasse ich meine Ge- danken still stehen, und lausche, da breiten sich die Sinne aus wie ein Netz um Dich zu fangen, es ist nicht der große Dichter, nicht Dein weltgepriesener Ruhm! in Deinen Augen liegt's, in dem nachlässigen und feierlichen Be- wegen Deiner Glieder, in den Schwingungen Deiner Stimme, in diesem Schweigen und Harren, bis die Sprache aus der Tiefe Deines Herzens sich zum Wort
überſponnen mit Fäden, an denen die Thauperlen auf- gereiht waren.
Manchmal hält die Natur Dir die Wage, und ich empfinde die Wahrheit der Worte: „Weg du Traum, ſo gold' du biſt, hier auch Lieb' und Leben iſt.“ So ein Gang, wenn ich wieder unter die Menſchen komme, macht mich einſam.
Ach, die zahmen Menſchen, ich verſtehe ihren Geiſt nicht. Geiſt lenkt, er deutet, er fliegt voran auf immer neuen Wegen oder er kommt entgegen wie die Leiden- ſchaft und ſenkt ſich in die Bruſt und regt ſich da. Geiſt iſt flüchtig wie Äther, drum ſucht ihn die Liebe, und wenn ſie ihn erfaßt dann geht ſie in ihm auf. Das iſt meine Liſt daß die Liebe dem Geiſt nachgeht.
Dir geh' ich nach auf einſamen Wegen, wenn's ſtill und ruhig iſt dann liſpelt jedes Blatt von Dir, das vom Wind gehoben wird, da laſſe ich meine Ge- danken ſtill ſtehen, und lauſche, da breiten ſich die Sinne aus wie ein Netz um Dich zu fangen, es iſt nicht der große Dichter, nicht Dein weltgeprieſener Ruhm! in Deinen Augen liegt's, in dem nachläſſigen und feierlichen Be- wegen Deiner Glieder, in den Schwingungen Deiner Stimme, in dieſem Schweigen und Harren, bis die Sprache aus der Tiefe Deines Herzens ſich zum Wort
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überſponnen mit Fäden, an denen die Thauperlen auf-
gereiht waren.
Manchmal hält die Natur Dir die Wage, und ich
empfinde die Wahrheit der Worte: „Weg du Traum,
ſo gold' du biſt, hier auch Lieb' und Leben iſt.“
So ein Gang, wenn ich wieder unter die Menſchen
komme, macht mich einſam.
Ach, die zahmen Menſchen, ich verſtehe ihren Geiſt
nicht. Geiſt lenkt, er deutet, er fliegt voran auf immer
neuen Wegen oder er kommt entgegen wie die Leiden-
ſchaft und ſenkt ſich in die Bruſt und regt ſich da.
Geiſt iſt flüchtig wie Äther, drum ſucht ihn die Liebe,
und wenn ſie ihn erfaßt dann geht ſie in ihm auf.
Das iſt meine Liſt daß die Liebe dem Geiſt nachgeht.
Dir geh' ich nach auf einſamen Wegen, wenn's
ſtill und ruhig iſt dann liſpelt jedes Blatt von Dir,
das vom Wind gehoben wird, da laſſe ich meine Ge-
danken ſtill ſtehen, und lauſche, da breiten ſich die Sinne
aus wie ein Netz um Dich zu fangen, es iſt nicht der große
Dichter, nicht Dein weltgeprieſener Ruhm! in Deinen
Augen liegt's, in dem nachläſſigen und feierlichen Be-
wegen Deiner Glieder, in den Schwingungen Deiner
Stimme, in dieſem Schweigen und Harren, bis die
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[Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe03_1835/41>, abgerufen am 17.02.2025.
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