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[Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835.

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Sollte ich Dir heute nichts zu sagen haben? --
Was stört mich denn heute am frühen Morgen? viel-
leicht, daß die Sperlinge die Schwalben hier aus dem
Nest unter meinem Fenster vertrieben haben? -- Die
Schwalben sind geschwätzig, aber sie sind freundlich und
friedlich; die Sperlinge argumentiren, sie behaupten,
und lassen sich ihren Witz nicht nehmen. Wenn die
Schwalbe heimkehrt von den Kreisflügen um ihre Hei-
math, dann ergießt sich die Kehle in lauter liebkosende
Mittheilung, ihr gegenseitiges Gezwitscher ist das Ele-
ment ihrer Liebeslust, wie der Äther das Element ihrer
Weltanschauung ist. Der Sperling fliegt da und dort-
hin, er hat sein Theil Eigensucht, er lebt nicht wie die
Schwalbe im Busen des Freundes.

Und nun ist die Schwalbe fort, und der Sperling
hat ihren Wohnsitz, wo süße Geheimnisse und Träume
ihre Rollen spielten.

Ach! -- Du! meine schlüpfrige Feder hätte schier
Deinen Namen geschrieben, während ich im Zorn bin,
daß die Schwalbe vom Sperling verjagt ist. -- Ich bin
die Schwalbe, wer der Sperling ist das magst Du wis-
sen, aber ich bin wahrhaftig die Schwalbe.

Tagebuch. 2

Sollte ich Dir heute nichts zu ſagen haben? —
Was ſtört mich denn heute am frühen Morgen? viel-
leicht, daß die Sperlinge die Schwalben hier aus dem
Neſt unter meinem Fenſter vertrieben haben? — Die
Schwalben ſind geſchwätzig, aber ſie ſind freundlich und
friedlich; die Sperlinge argumentiren, ſie behaupten,
und laſſen ſich ihren Witz nicht nehmen. Wenn die
Schwalbe heimkehrt von den Kreisflügen um ihre Hei-
math, dann ergießt ſich die Kehle in lauter liebkoſende
Mittheilung, ihr gegenſeitiges Gezwitſcher iſt das Ele-
ment ihrer Liebesluſt, wie der Äther das Element ihrer
Weltanſchauung iſt. Der Sperling fliegt da und dort-
hin, er hat ſein Theil Eigenſucht, er lebt nicht wie die
Schwalbe im Buſen des Freundes.

Und nun iſt die Schwalbe fort, und der Sperling
hat ihren Wohnſitz, wo ſüße Geheimniſſe und Träume
ihre Rollen ſpielten.

Ach! — Du! meine ſchlüpfrige Feder hätte ſchier
Deinen Namen geſchrieben, während ich im Zorn bin,
daß die Schwalbe vom Sperling verjagt iſt. — Ich bin
die Schwalbe, wer der Sperling iſt das magſt Du wiſ-
ſen, aber ich bin wahrhaftig die Schwalbe.

Tagebuch. 2
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[25/0035] Sollte ich Dir heute nichts zu ſagen haben? — Was ſtört mich denn heute am frühen Morgen? viel- leicht, daß die Sperlinge die Schwalben hier aus dem Neſt unter meinem Fenſter vertrieben haben? — Die Schwalben ſind geſchwätzig, aber ſie ſind freundlich und friedlich; die Sperlinge argumentiren, ſie behaupten, und laſſen ſich ihren Witz nicht nehmen. Wenn die Schwalbe heimkehrt von den Kreisflügen um ihre Hei- math, dann ergießt ſich die Kehle in lauter liebkoſende Mittheilung, ihr gegenſeitiges Gezwitſcher iſt das Ele- ment ihrer Liebesluſt, wie der Äther das Element ihrer Weltanſchauung iſt. Der Sperling fliegt da und dort- hin, er hat ſein Theil Eigenſucht, er lebt nicht wie die Schwalbe im Buſen des Freundes. Und nun iſt die Schwalbe fort, und der Sperling hat ihren Wohnſitz, wo ſüße Geheimniſſe und Träume ihre Rollen ſpielten. Ach! — Du! meine ſchlüpfrige Feder hätte ſchier Deinen Namen geſchrieben, während ich im Zorn bin, daß die Schwalbe vom Sperling verjagt iſt. — Ich bin die Schwalbe, wer der Sperling iſt das magſt Du wiſ- ſen, aber ich bin wahrhaftig die Schwalbe. Tagebuch. 2

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Zitationshilfe: [Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe03_1835/35>, abgerufen am 21.11.2024.