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[Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835.

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wolken; die Blitze umzingelten ihn. So denke ich mir
Deine leuchtende Stirne, wie die Kuppel jenes Tempels,
unter dessen Gebälk die Vögel sich bargen, denen der
Sturm das Gefieder aufblätterte; so stolz gelagert und
beherrschend die Umgebung.

Heute Morgen, obschon der Tempel eine Stunde
Wegs von meiner Wohnung entfernt ist; weil ich am
Abend Dein Bild in ihm zu sehen wähnte, dacht' ich
hier her zu gehen und Dir hier zu schreiben. Kaum
daß der Tag sich ahnden ließ, eilt' ich durch bethaute
Wiesen hier her. -- Und nun leg' ich die Hand auf
diesen kleinen Altar, umkreis't von neun Säulen, die
mir Zeugen sind, daß ich Dir schwöre.

Was Liebster? -- Was soll ich Dir schwören? Wohl,
daß ich Dir ferner getreu sein will, ob Du es achtest
oder nicht? -- oder daß ich Dich heimlich lieben will,
heimlich; nur diesem Buch, und nicht Dir es bekennend?
Treu sein kann ich nicht schwören, das ist zu selbststän-
dig, und ich bin schon an Dich aufgegeben, und vermag
nichts über mich; da kann ich für Treue nicht stehen.
Heimlich Dich lieben, nur diesem Buch es bekennen? --
das kann ich nicht, das will ich nicht; dies Buch ist der
Wiederhall meiner Geheimnisse, und an Deiner Brust
wird er anschlagen. O nimm ihn auf, trink' ihn, lasse

wolken; die Blitze umzingelten ihn. So denke ich mir
Deine leuchtende Stirne, wie die Kuppel jenes Tempels,
unter deſſen Gebälk die Vögel ſich bargen, denen der
Sturm das Gefieder aufblätterte; ſo ſtolz gelagert und
beherrſchend die Umgebung.

Heute Morgen, obſchon der Tempel eine Stunde
Wegs von meiner Wohnung entfernt iſt; weil ich am
Abend Dein Bild in ihm zu ſehen wähnte, dacht' ich
hier her zu gehen und Dir hier zu ſchreiben. Kaum
daß der Tag ſich ahnden ließ, eilt' ich durch bethaute
Wieſen hier her. — Und nun leg' ich die Hand auf
dieſen kleinen Altar, umkreiſ't von neun Säulen, die
mir Zeugen ſind, daß ich Dir ſchwöre.

Was Liebſter? — Was ſoll ich Dir ſchwören? Wohl,
daß ich Dir ferner getreu ſein will, ob Du es achteſt
oder nicht? — oder daß ich Dich heimlich lieben will,
heimlich; nur dieſem Buch, und nicht Dir es bekennend?
Treu ſein kann ich nicht ſchwören, das iſt zu ſelbſtſtän-
dig, und ich bin ſchon an Dich aufgegeben, und vermag
nichts über mich; da kann ich für Treue nicht ſtehen.
Heimlich Dich lieben, nur dieſem Buch es bekennen? —
das kann ich nicht, das will ich nicht; dies Buch iſt der
Wiederhall meiner Geheimniſſe, und an Deiner Bruſt
wird er anſchlagen. O nimm ihn auf, trink' ihn, laſſe

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[17/0027] wolken; die Blitze umzingelten ihn. So denke ich mir Deine leuchtende Stirne, wie die Kuppel jenes Tempels, unter deſſen Gebälk die Vögel ſich bargen, denen der Sturm das Gefieder aufblätterte; ſo ſtolz gelagert und beherrſchend die Umgebung. Heute Morgen, obſchon der Tempel eine Stunde Wegs von meiner Wohnung entfernt iſt; weil ich am Abend Dein Bild in ihm zu ſehen wähnte, dacht' ich hier her zu gehen und Dir hier zu ſchreiben. Kaum daß der Tag ſich ahnden ließ, eilt' ich durch bethaute Wieſen hier her. — Und nun leg' ich die Hand auf dieſen kleinen Altar, umkreiſ't von neun Säulen, die mir Zeugen ſind, daß ich Dir ſchwöre. Was Liebſter? — Was ſoll ich Dir ſchwören? Wohl, daß ich Dir ferner getreu ſein will, ob Du es achteſt oder nicht? — oder daß ich Dich heimlich lieben will, heimlich; nur dieſem Buch, und nicht Dir es bekennend? Treu ſein kann ich nicht ſchwören, das iſt zu ſelbſtſtän- dig, und ich bin ſchon an Dich aufgegeben, und vermag nichts über mich; da kann ich für Treue nicht ſtehen. Heimlich Dich lieben, nur dieſem Buch es bekennen? — das kann ich nicht, das will ich nicht; dies Buch iſt der Wiederhall meiner Geheimniſſe, und an Deiner Bruſt wird er anſchlagen. O nimm ihn auf, trink' ihn, laſſe

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Zitationshilfe: [Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe03_1835/27>, abgerufen am 24.11.2024.