schwieg. "Ich bin leicht zu betrügen, mich kann jeder betrügen, betrüge mich nicht, mir ist lieber die Wahrheit und wenn sie auch schmerzt, als daß ich umgangen werde." Wenn ich dann aufgeregt durch solche Reden Dir mein Herz aussprach, da sagtest Du: "Ja du bist wahr, so was kann nur die Liebe sagen." -- Goethe hör' mich an! -- Heute spricht auch die Liebe aus mir; heute am dreißigsten März, acht Tage nach dem, wel- chen man als den Tag Deines Todes bezeichnet, seit welchem Tag alle Deine Rechte mir im Busen sich gel- tend machen als läg ich noch zu Deinen Füßen; heute will die Liebe Dir klagen: Du! oben -- über den Wol- ken, nicht getrübt durch ihre Schwere, nicht gestört durch ihre Thränen; können Klagen in Dein Ohr dringen? -- O löse meine Klagen auf, und erlöse mich, mache mich frei von dieser Sehnsucht erkannt zu werden und daß man meiner auch bedürfen möge, -- hast Du nicht mich erkannt? -- ja mit prophetischer Stimme schlummernde Kräfte der Begeistrung in mir geweckt, die mir ewige Jugend zusagen, die mich weit über die Fähigkeit der Menschen sich mir zu nähern hinwegtragen? Hast Du mir nicht reichlich ersetzt im ersten Einklang mit meinem Herzen, alles was je mir konnte entzogen werden? Du an den zu denken mir leises Gewittern im Herzen er-
ſchwieg. „Ich bin leicht zu betrügen, mich kann jeder betrügen, betrüge mich nicht, mir iſt lieber die Wahrheit und wenn ſie auch ſchmerzt, als daß ich umgangen werde.“ Wenn ich dann aufgeregt durch ſolche Reden Dir mein Herz ausſprach, da ſagteſt Du: „Ja du biſt wahr, ſo was kann nur die Liebe ſagen.“ — Goethe hör' mich an! — Heute ſpricht auch die Liebe aus mir; heute am dreißigſten März, acht Tage nach dem, wel- chen man als den Tag Deines Todes bezeichnet, ſeit welchem Tag alle Deine Rechte mir im Buſen ſich gel- tend machen als läg ich noch zu Deinen Füßen; heute will die Liebe Dir klagen: Du! oben — über den Wol- ken, nicht getrübt durch ihre Schwere, nicht geſtört durch ihre Thränen; können Klagen in Dein Ohr dringen? — O löſe meine Klagen auf, und erlöſe mich, mache mich frei von dieſer Sehnſucht erkannt zu werden und daß man meiner auch bedürfen möge, — haſt Du nicht mich erkannt? — ja mit prophetiſcher Stimme ſchlummernde Kräfte der Begeiſtrung in mir geweckt, die mir ewige Jugend zuſagen, die mich weit über die Fähigkeit der Menſchen ſich mir zu nähern hinwegtragen? Haſt Du mir nicht reichlich erſetzt im erſten Einklang mit meinem Herzen, alles was je mir konnte entzogen werden? Du an den zu denken mir leiſes Gewittern im Herzen er-
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ſchwieg. „Ich bin leicht zu betrügen, mich kann jeder
betrügen, betrüge mich nicht, mir iſt lieber die Wahrheit
und wenn ſie auch ſchmerzt, als daß ich umgangen
werde.“ Wenn ich dann aufgeregt durch ſolche Reden
Dir mein Herz ausſprach, da ſagteſt Du: „Ja du biſt
wahr, ſo was kann nur die Liebe ſagen.“ — Goethe
hör' mich an! — Heute ſpricht auch die Liebe aus mir;
heute am dreißigſten März, acht Tage nach dem, wel-
chen man als den Tag Deines Todes bezeichnet, ſeit
welchem Tag alle Deine Rechte mir im Buſen ſich gel-
tend machen als läg ich noch zu Deinen Füßen; heute
will die Liebe Dir klagen: Du! oben — über den Wol-
ken, nicht getrübt durch ihre Schwere, nicht geſtört durch
ihre Thränen; können Klagen in Dein Ohr dringen? —
O löſe meine Klagen auf, und erlöſe mich, mache mich
frei von dieſer Sehnſucht erkannt zu werden und daß
man meiner auch bedürfen möge, — haſt Du nicht mich
erkannt? — ja mit prophetiſcher Stimme ſchlummernde
Kräfte der Begeiſtrung in mir geweckt, die mir ewige
Jugend zuſagen, die mich weit über die Fähigkeit der
Menſchen ſich mir zu nähern hinwegtragen? Haſt Du
mir nicht reichlich erſetzt im erſten Einklang mit meinem
Herzen, alles was je mir konnte entzogen werden? Du
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[Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe03_1835/220>, abgerufen am 22.07.2024.
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