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[Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835.

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nicht, vergesse was Dir nicht zusagte, wenn ich manch-
mal zu heftig war, und Deine leisen Winke nicht ver-
stand. Meine leidenschaftlichen Stimmungen sind ohne
Ansprüche, sie sind wie Musik, auch die verlangt keinen
irdischen Besitz, aber sie stimmt den Geist, der ihr Ge-
hör giebt zum Mitgefühl, zur Nachempfindung, ja klings
in Deinen Ohren, in Deinem Herzen noch eine Weile
nach, alles was ich Dir sagen durfte. Leidenschaft ist
Musik, ein Werk höchster Mächte, nicht außer sondern
tief in uns, sie führt uns mit dem idealischen Ich zu-
sammen, um dessentwillen der Geist in den Leib ge-
boren ist: dies Ich, das allein Leidenschaft entzünden
sie gestalten und bilden kann. Der Mensch wird von
der Begeistrung erzogen, das ganze irdische Leben ver-
hält sich dann zu diesem Geistigen wie der Boden zum
Fruchtkorn, das aus ihm emporsteigt um tausendfältig
zu tragen.

Nur die Ewigkeit giebt Wirklichkeit, denn was ein-
mal zu Grunde geht, mags gleich zu Grunde gehn, ob
heute oder morgen, das ist einerlei; aber die Liebe trägt
alles zum himmlischen Reich, sie ist allumfassend all-
durchdringend wie die Sonne, und doch bildet sie jeden
geistigen Reiz zu einem in sich abgeschlossnen sich selber
anheim gegebenen Eigenthum, sie bewegt den Geist daß

Tagebuch. 9

nicht, vergeſſe was Dir nicht zuſagte, wenn ich manch-
mal zu heftig war, und Deine leiſen Winke nicht ver-
ſtand. Meine leidenſchaftlichen Stimmungen ſind ohne
Anſprüche, ſie ſind wie Muſik, auch die verlangt keinen
irdiſchen Beſitz, aber ſie ſtimmt den Geiſt, der ihr Ge-
hör giebt zum Mitgefühl, zur Nachempfindung, ja klings
in Deinen Ohren, in Deinem Herzen noch eine Weile
nach, alles was ich Dir ſagen durfte. Leidenſchaft iſt
Muſik, ein Werk höchſter Mächte, nicht außer ſondern
tief in uns, ſie führt uns mit dem idealiſchen Ich zu-
ſammen, um deſſentwillen der Geiſt in den Leib ge-
boren iſt: dies Ich, das allein Leidenſchaft entzünden
ſie geſtalten und bilden kann. Der Menſch wird von
der Begeiſtrung erzogen, das ganze irdiſche Leben ver-
hält ſich dann zu dieſem Geiſtigen wie der Boden zum
Fruchtkorn, das aus ihm emporſteigt um tauſendfältig
zu tragen.

Nur die Ewigkeit giebt Wirklichkeit, denn was ein-
mal zu Grunde geht, mags gleich zu Grunde gehn, ob
heute oder morgen, das iſt einerlei; aber die Liebe trägt
alles zum himmliſchen Reich, ſie iſt allumfaſſend all-
durchdringend wie die Sonne, und doch bildet ſie jeden
geiſtigen Reiz zu einem in ſich abgeſchloſſnen ſich ſelber
anheim gegebenen Eigenthum, ſie bewegt den Geiſt daß

Tagebuch. 9
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[193/0203] nicht, vergeſſe was Dir nicht zuſagte, wenn ich manch- mal zu heftig war, und Deine leiſen Winke nicht ver- ſtand. Meine leidenſchaftlichen Stimmungen ſind ohne Anſprüche, ſie ſind wie Muſik, auch die verlangt keinen irdiſchen Beſitz, aber ſie ſtimmt den Geiſt, der ihr Ge- hör giebt zum Mitgefühl, zur Nachempfindung, ja klings in Deinen Ohren, in Deinem Herzen noch eine Weile nach, alles was ich Dir ſagen durfte. Leidenſchaft iſt Muſik, ein Werk höchſter Mächte, nicht außer ſondern tief in uns, ſie führt uns mit dem idealiſchen Ich zu- ſammen, um deſſentwillen der Geiſt in den Leib ge- boren iſt: dies Ich, das allein Leidenſchaft entzünden ſie geſtalten und bilden kann. Der Menſch wird von der Begeiſtrung erzogen, das ganze irdiſche Leben ver- hält ſich dann zu dieſem Geiſtigen wie der Boden zum Fruchtkorn, das aus ihm emporſteigt um tauſendfältig zu tragen. Nur die Ewigkeit giebt Wirklichkeit, denn was ein- mal zu Grunde geht, mags gleich zu Grunde gehn, ob heute oder morgen, das iſt einerlei; aber die Liebe trägt alles zum himmliſchen Reich, ſie iſt allumfaſſend all- durchdringend wie die Sonne, und doch bildet ſie jeden geiſtigen Reiz zu einem in ſich abgeſchloſſnen ſich ſelber anheim gegebenen Eigenthum, ſie bewegt den Geiſt daß Tagebuch. 9

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Zitationshilfe: [Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835, S. 193. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe03_1835/203>, abgerufen am 04.12.2024.