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[Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835.

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lig dies Bild des Erretteten lebhaft und deutlich her-
vortrat, und in diesem Wiederhall des Gefühls erst
werde ich gewahr, welche tiefe Spuren sie in mir zurück-
gelassen! -- So giebt es Gedanken wie Lichtstrahlen,
die einen Augenblick nur das Gefühl der Helle geben,
und dann verschwinden, aber ich glaube gewiß, daß sie
ewig sind und uns wieder berühren in dem Augenblick,
wo unsere sittliche Kraft auf die Höhe steigt, mit der al-
lein wir sie zu fassen vermögen. Ich glaube: mit uns
selbst in's Gericht gehen, oder wenn Du willst, Krieg
führen mit allen Mächten, ist das beste Mittel höherer
Gedanken theilhaftig zu werden. Es giebt eine Art Lum-
pengesindel auch im Geist, das alle Befähigung zur
Inspiration unterdrückt, und sich wuchernd ausbreitet;
dahin gehören die Ansprüche aller Art nach außen:
wer etwas von außen erwartet, dem wird es in dem
Innern nicht kommen, aller Reiz der nach Außen zur
Versündigung wird, kann im Innersten conzentrirt zur
Tugend werden; -- das Gefühl, das so wie es sich mit
der Oberfläche des Lebens berührt, gleich zur Eitelkeit
anschießt, in der innersten Seele festgehalten, wird sich zu
einer demüthigen Unterwerfung an die Schönheit aus-
bilden. Und so könnte wohl jede Verkehrtheit daher
entstehen, weil ihr Reiz fehl geht in seiner Befriedi-

lig dies Bild des Erretteten lebhaft und deutlich her-
vortrat, und in dieſem Wiederhall des Gefühls erſt
werde ich gewahr, welche tiefe Spuren ſie in mir zurück-
gelaſſen! — So giebt es Gedanken wie Lichtſtrahlen,
die einen Augenblick nur das Gefühl der Helle geben,
und dann verſchwinden, aber ich glaube gewiß, daß ſie
ewig ſind und uns wieder berühren in dem Augenblick,
wo unſere ſittliche Kraft auf die Höhe ſteigt, mit der al-
lein wir ſie zu faſſen vermögen. Ich glaube: mit uns
ſelbſt in's Gericht gehen, oder wenn Du willſt, Krieg
führen mit allen Mächten, iſt das beſte Mittel höherer
Gedanken theilhaftig zu werden. Es giebt eine Art Lum-
pengeſindel auch im Geiſt, das alle Befähigung zur
Inſpiration unterdrückt, und ſich wuchernd ausbreitet;
dahin gehören die Anſprüche aller Art nach außen:
wer etwas von außen erwartet, dem wird es in dem
Innern nicht kommen, aller Reiz der nach Außen zur
Verſündigung wird, kann im Innerſten conzentrirt zur
Tugend werden; — das Gefühl, das ſo wie es ſich mit
der Oberfläche des Lebens berührt, gleich zur Eitelkeit
anſchießt, in der innerſten Seele feſtgehalten, wird ſich zu
einer demüthigen Unterwerfung an die Schönheit aus-
bilden. Und ſo könnte wohl jede Verkehrtheit daher
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[136/0146] lig dies Bild des Erretteten lebhaft und deutlich her- vortrat, und in dieſem Wiederhall des Gefühls erſt werde ich gewahr, welche tiefe Spuren ſie in mir zurück- gelaſſen! — So giebt es Gedanken wie Lichtſtrahlen, die einen Augenblick nur das Gefühl der Helle geben, und dann verſchwinden, aber ich glaube gewiß, daß ſie ewig ſind und uns wieder berühren in dem Augenblick, wo unſere ſittliche Kraft auf die Höhe ſteigt, mit der al- lein wir ſie zu faſſen vermögen. Ich glaube: mit uns ſelbſt in's Gericht gehen, oder wenn Du willſt, Krieg führen mit allen Mächten, iſt das beſte Mittel höherer Gedanken theilhaftig zu werden. Es giebt eine Art Lum- pengeſindel auch im Geiſt, das alle Befähigung zur Inſpiration unterdrückt, und ſich wuchernd ausbreitet; dahin gehören die Anſprüche aller Art nach außen: wer etwas von außen erwartet, dem wird es in dem Innern nicht kommen, aller Reiz der nach Außen zur Verſündigung wird, kann im Innerſten conzentrirt zur Tugend werden; — das Gefühl, das ſo wie es ſich mit der Oberfläche des Lebens berührt, gleich zur Eitelkeit anſchießt, in der innerſten Seele feſtgehalten, wird ſich zu einer demüthigen Unterwerfung an die Schönheit aus- bilden. Und ſo könnte wohl jede Verkehrtheit daher entſtehen, weil ihr Reiz fehl geht in ſeiner Befriedi-

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Zitationshilfe: [Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835, S. 136. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe03_1835/146>, abgerufen am 24.11.2024.