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[Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835.

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erwachten, hieß es: "hinab in den Keller! die Stadt
wird beschossen, die Franzosen haben sich hereingewor-
fen, die Rothmäntel und die Todtenköpfe sprengen von
allen Seiten heran, um sie heraus zu jagen!" Da war
ein Zusammenlaufen auf den Straßen, da erzählte man
sich von den Rothmänteln, daß die kein Pardon gäben,
alles zusammenhauen, daß sie fürchterliche Schnurrbärte
haben, rollende Augen, blutrothe Mäntel, damit das
vergossene Blut nicht so leicht zu bemerken sei. Allmäh-
lig wurden die Fensterladen geschlossen, die Straßen
leer, die erste Kugel, die durch die Straßen flog, eilte
alles in die Keller, auch wir, Großmutter, Tante, eine
alte Cousine von achtzig Jahren, die Köchin, die Kam-
merjungfer, ein männlicher Hausgenosse. Da saßen wir,
die Zeit wurde uns lang, wir lauschten -- eine Bombe
flog in unsern Hof, sie platzte. Das war doch eine Di-
version, aber nun stand zu erwarten, daß Feuer aus-
brechen könne. Allerlei, was meiner Großmutter unend-
lich wichtig war, von Büchern, von Bildern, fiel ihr
ein, sie hätte es gern in den Keller gerettet. Der männ-
liche Hausgenosse demonstrirte, wie es eine Unmöglichkeit
sei, den heiligen Johannes, ein Bild was die wunder-
bare Eigenschaft hatte, die Fabel geltend zu machen,
er sei ein Raphael, jetzt aus dem oberen Saal herunter

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erwachten, hieß es: „hinab in den Keller! die Stadt
wird beſchoſſen, die Franzoſen haben ſich hereingewor-
fen, die Rothmäntel und die Todtenköpfe ſprengen von
allen Seiten heran, um ſie heraus zu jagen!“ Da war
ein Zuſammenlaufen auf den Straßen, da erzählte man
ſich von den Rothmänteln, daß die kein Pardon gäben,
alles zuſammenhauen, daß ſie fürchterliche Schnurrbärte
haben, rollende Augen, blutrothe Mäntel, damit das
vergoſſene Blut nicht ſo leicht zu bemerken ſei. Allmäh-
lig wurden die Fenſterladen geſchloſſen, die Straßen
leer, die erſte Kugel, die durch die Straßen flog, eilte
alles in die Keller, auch wir, Großmutter, Tante, eine
alte Couſine von achtzig Jahren, die Köchin, die Kam-
merjungfer, ein männlicher Hausgenoſſe. Da ſaßen wir,
die Zeit wurde uns lang, wir lauſchten — eine Bombe
flog in unſern Hof, ſie platzte. Das war doch eine Di-
verſion, aber nun ſtand zu erwarten, daß Feuer aus-
brechen könne. Allerlei, was meiner Großmutter unend-
lich wichtig war, von Büchern, von Bildern, fiel ihr
ein, ſie hätte es gern in den Keller gerettet. Der männ-
liche Hausgenoſſe demonſtrirte, wie es eine Unmöglichkeit
ſei, den heiligen Johannes, ein Bild was die wunder-
bare Eigenſchaft hatte, die Fabel geltend zu machen,
er ſei ein Raphael, jetzt aus dem oberen Saal herunter

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[129/0139] erwachten, hieß es: „hinab in den Keller! die Stadt wird beſchoſſen, die Franzoſen haben ſich hereingewor- fen, die Rothmäntel und die Todtenköpfe ſprengen von allen Seiten heran, um ſie heraus zu jagen!“ Da war ein Zuſammenlaufen auf den Straßen, da erzählte man ſich von den Rothmänteln, daß die kein Pardon gäben, alles zuſammenhauen, daß ſie fürchterliche Schnurrbärte haben, rollende Augen, blutrothe Mäntel, damit das vergoſſene Blut nicht ſo leicht zu bemerken ſei. Allmäh- lig wurden die Fenſterladen geſchloſſen, die Straßen leer, die erſte Kugel, die durch die Straßen flog, eilte alles in die Keller, auch wir, Großmutter, Tante, eine alte Couſine von achtzig Jahren, die Köchin, die Kam- merjungfer, ein männlicher Hausgenoſſe. Da ſaßen wir, die Zeit wurde uns lang, wir lauſchten — eine Bombe flog in unſern Hof, ſie platzte. Das war doch eine Di- verſion, aber nun ſtand zu erwarten, daß Feuer aus- brechen könne. Allerlei, was meiner Großmutter unend- lich wichtig war, von Büchern, von Bildern, fiel ihr ein, ſie hätte es gern in den Keller gerettet. Der männ- liche Hausgenoſſe demonſtrirte, wie es eine Unmöglichkeit ſei, den heiligen Johannes, ein Bild was die wunder- bare Eigenſchaft hatte, die Fabel geltend zu machen, er ſei ein Raphael, jetzt aus dem oberen Saal herunter 6**

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Zitationshilfe: [Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe03_1835/139>, abgerufen am 25.11.2024.