die nächstfolgende abzusenden, ohne daß ich es je dazu bringen konnte mich davon zu trennen. Mein lieber Goethe, ich hab noch weniges gesehen in der Welt, so wohl von Kunstwerken als sonst was mich herzlich in- teressierte. Daher wär wohl meiner kindischen Art zu verzeihen. Das Bild kann ich nun nicht mehr von mir lossagen, so wie man sich von einem Freund nicht mehr lossagen kann, Dir aber will ich's schicken, meinem ge- liebtesten vor allen. Doch, wie es das Schicksal führt, soll es nicht in andre Hände kommen, und sollte der Zu- fall es von Dir trennen, so müsse es wieder in meine Hände kommen. Ich hoffte die ganze Zeit es selbst bringen zu können, indessen ist gar keine Wahrscheinlich- keit in diesem Augenblick, wenn ich nicht stets auf die kommende Zeit hoffte so würde ich verzweifeln Dich bald wieder zu sehen; allein daß nach der Zukunft immer wieder eine ist, das hat schon manchen Menschen alt ge- macht. -- Du bist mir lieb über alles, in der Erinne- rung wie in der Zukunft; der Frühling den deine Ge- genwart in mir erschaffen hat, dauert; denn schon sind zwei Jahre um, und noch hat kein Sturm ein Blätt- chen vom Ast gelöst, noch hat der Regen keine Blüthe zerstört, alle Abend hauchen sie noch den süßen Duft der Erinnerung aus; ja wahrhaftig kein Abend ist bis
die nächſtfolgende abzuſenden, ohne daß ich es je dazu bringen konnte mich davon zu trennen. Mein lieber Goethe, ich hab noch weniges geſehen in der Welt, ſo wohl von Kunſtwerken als ſonſt was mich herzlich in- tereſſierte. Daher wär wohl meiner kindiſchen Art zu verzeihen. Das Bild kann ich nun nicht mehr von mir losſagen, ſo wie man ſich von einem Freund nicht mehr losſagen kann, Dir aber will ich's ſchicken, meinem ge- liebteſten vor allen. Doch, wie es das Schickſal führt, ſoll es nicht in andre Hände kommen, und ſollte der Zu- fall es von Dir trennen, ſo müſſe es wieder in meine Hände kommen. Ich hoffte die ganze Zeit es ſelbſt bringen zu können, indeſſen iſt gar keine Wahrſcheinlich- keit in dieſem Augenblick, wenn ich nicht ſtets auf die kommende Zeit hoffte ſo würde ich verzweifeln Dich bald wieder zu ſehen; allein daß nach der Zukunft immer wieder eine iſt, das hat ſchon manchen Menſchen alt ge- macht. — Du biſt mir lieb über alles, in der Erinne- rung wie in der Zukunft; der Frühling den deine Ge- genwart in mir erſchaffen hat, dauert; denn ſchon ſind zwei Jahre um, und noch hat kein Sturm ein Blätt- chen vom Aſt gelöſt, noch hat der Regen keine Blüthe zerſtört, alle Abend hauchen ſie noch den ſüßen Duft der Erinnerung aus; ja wahrhaftig kein Abend iſt bis
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die nächſtfolgende abzuſenden, ohne daß ich es je dazu
bringen konnte mich davon zu trennen. Mein lieber
Goethe, ich hab noch weniges geſehen in der Welt, ſo
wohl von Kunſtwerken als ſonſt was mich herzlich in-
tereſſierte. Daher wär wohl meiner kindiſchen Art zu
verzeihen. Das Bild kann ich nun nicht mehr von mir
losſagen, ſo wie man ſich von einem Freund nicht mehr
losſagen kann, Dir aber will ich's ſchicken, meinem ge-
liebteſten vor allen. Doch, wie es das Schickſal führt,
ſoll es nicht in andre Hände kommen, und ſollte der Zu-
fall es von Dir trennen, ſo müſſe es wieder in meine
Hände kommen. Ich hoffte die ganze Zeit es ſelbſt
bringen zu können, indeſſen iſt gar keine Wahrſcheinlich-
keit in dieſem Augenblick, wenn ich nicht ſtets auf die
kommende Zeit hoffte ſo würde ich verzweifeln Dich bald
wieder zu ſehen; allein daß nach der Zukunft immer
wieder eine iſt, das hat ſchon manchen Menſchen alt ge-
macht. — Du biſt mir lieb über alles, in der Erinne-
rung wie in der Zukunft; der Frühling den deine Ge-
genwart in mir erſchaffen hat, dauert; denn ſchon ſind
zwei Jahre um, und noch hat kein Sturm ein Blätt-
chen vom Aſt gelöſt, noch hat der Regen keine Blüthe
zerſtört, alle Abend hauchen ſie noch den ſüßen Duft
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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835/92>, abgerufen am 24.11.2024.
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