gelehrten Gesellschaft nichts beitragen konnte, so sam- melte ich deren so viel als mein Strohhut faßte. Im Schiff, auf dem wir bei herannahendem Abend wohl an- derthalb Stunden fahren mußten, um das jenseitige Ufer wieder zu erreichen, machte ich einen Kranz. Die untergehende Sonne röthete die weißen Spitzen der Al- penkette und Jacobi hatte seine Freude dran, er de- ployrte alle Grazie seiner Jugend, Du selbst hast mir einmal erzählt, daß er als Student nicht wenig eitel auf sein schönes Bein gewesen, und daß er in Leipzig mit Dir in einen Tuchladen gegangen, das Bein auf den Ladentisch gelegt, und dort die neuen Beinkleidermuster drauf probiert, blos um das Bein der sehr artigen Frau im Laden zu zeigen; -- in dieser Laune schien er mir zu sein; nachlässig hatte er sein Bein ausgestreckt, be- trachtete es wohlgefällig, strich mit der Hand drüber, dann wenige Worte über den herrlichen Abend, flüsternd beugte er sich zu mir herab da ich am Boden saß und den Schoos voll Blumen hatte wo ich die besten aus- las zum Kranz, und so besprachen wir uns einsylbig aber zierlich und mit Genuß in Geberden und Worten, und ich wußte es ihm begreiflich zu machen, daß ich ihn liebenswürdig finde, als auf einmal Tante Lehnens vorsorgende Bosheitspflege der feinen Gefühlsconquet-
gelehrten Geſellſchaft nichts beitragen konnte, ſo ſam- melte ich deren ſo viel als mein Strohhut faßte. Im Schiff, auf dem wir bei herannahendem Abend wohl an- derthalb Stunden fahren mußten, um das jenſeitige Ufer wieder zu erreichen, machte ich einen Kranz. Die untergehende Sonne röthete die weißen Spitzen der Al- penkette und Jacobi hatte ſeine Freude dran, er de- ployrte alle Grazie ſeiner Jugend, Du ſelbſt haſt mir einmal erzählt, daß er als Student nicht wenig eitel auf ſein ſchönes Bein geweſen, und daß er in Leipzig mit Dir in einen Tuchladen gegangen, das Bein auf den Ladentiſch gelegt, und dort die neuen Beinkleidermuſter drauf probiert, blos um das Bein der ſehr artigen Frau im Laden zu zeigen; — in dieſer Laune ſchien er mir zu ſein; nachläſſig hatte er ſein Bein ausgeſtreckt, be- trachtete es wohlgefällig, ſtrich mit der Hand drüber, dann wenige Worte über den herrlichen Abend, flüſternd beugte er ſich zu mir herab da ich am Boden ſaß und den Schoos voll Blumen hatte wo ich die beſten aus- las zum Kranz, und ſo beſprachen wir uns einſylbig aber zierlich und mit Genuß in Geberden und Worten, und ich wußte es ihm begreiflich zu machen, daß ich ihn liebenswürdig finde, als auf einmal Tante Lehnens vorſorgende Bosheitspflege der feinen Gefühlsconquet-
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gelehrten Geſellſchaft nichts beitragen konnte, ſo ſam-
melte ich deren ſo viel als mein Strohhut faßte. Im
Schiff, auf dem wir bei herannahendem Abend wohl an-
derthalb Stunden fahren mußten, um das jenſeitige
Ufer wieder zu erreichen, machte ich einen Kranz. Die
untergehende Sonne röthete die weißen Spitzen der Al-
penkette und Jacobi hatte ſeine Freude dran, er de-
ployrte alle Grazie ſeiner Jugend, Du ſelbſt haſt mir
einmal erzählt, daß er als Student nicht wenig eitel auf
ſein ſchönes Bein geweſen, und daß er in Leipzig mit
Dir in einen Tuchladen gegangen, das Bein auf den
Ladentiſch gelegt, und dort die neuen Beinkleidermuſter
drauf probiert, blos um das Bein der ſehr artigen Frau
im Laden zu zeigen; — in dieſer Laune ſchien er mir
zu ſein; nachläſſig hatte er ſein Bein ausgeſtreckt, be-
trachtete es wohlgefällig, ſtrich mit der Hand drüber,
dann wenige Worte über den herrlichen Abend, flüſternd
beugte er ſich zu mir herab da ich am Boden ſaß und
den Schoos voll Blumen hatte wo ich die beſten aus-
las zum Kranz, und ſo beſprachen wir uns einſylbig
aber zierlich und mit Genuß in Geberden und Worten,
und ich wußte es ihm begreiflich zu machen, daß ich
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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835/86>, abgerufen am 24.11.2024.
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