Arm in Arm verschränkt lägt Ihr unter der kühlen ge- sunden Erde, und mächtige Eichen beschatteten Euer Grab; sag, wär's nicht besser als daß Du bald ihr fei- nes Gebild den anatomischen Händen des Abee über- lassen mußt daß er ein künstliches Wachs hineinspritze.
Ach, ich muß klagen, Goethe, über alle Schmerzen früherer Zeit, die Du mir angethan, ich fühl mich jetzt so hülflos, so unverstanden wie damals die Mignon. -- Da draußen ist heute ein Lärm und doch geschieht nichts, sie haben arme Tyroler gefangen eingebracht, armes Taglöhnervolk, was sich in den Wäldern ver- steckt hatte; ich hör hier oben das wahnsinnige Toben, ich habe Läden und Vorhänge zugemacht, ich kann's nicht mit ansehen, der Tag ist auch schon im Scheiden, ich bin allein, kein Mensch, der wie ich menschlich fühlte. Diese festen, sicheren, in sich einheimischen Naturen, die den Geist der Treue und Freiheit mit der reineren Luft ihrer Berge einathmen, die müssen sich durch die kothi- gen Straßen schleifen lassen, von einem biertrunkenen Volk, und keiner thut diesem Einhalt, keiner wehrt sei- nen Mißhandlungen; man läßt sie sich versündigen an den höheren Gefühlen der Menschheit. -- Teufel! -- wenn ich Herrscher wär, hier wollt ich ihnen zeigen daß
Arm in Arm verſchränkt lägt Ihr unter der kühlen ge- ſunden Erde, und mächtige Eichen beſchatteten Euer Grab; ſag, wär's nicht beſſer als daß Du bald ihr fei- nes Gebild den anatomiſchen Händen des Abée über- laſſen mußt daß er ein künſtliches Wachs hineinſpritze.
Ach, ich muß klagen, Goethe, über alle Schmerzen früherer Zeit, die Du mir angethan, ich fühl mich jetzt ſo hülflos, ſo unverſtanden wie damals die Mignon. — Da draußen iſt heute ein Lärm und doch geſchieht nichts, ſie haben arme Tyroler gefangen eingebracht, armes Taglöhnervolk, was ſich in den Wäldern ver- ſteckt hatte; ich hör hier oben das wahnſinnige Toben, ich habe Läden und Vorhänge zugemacht, ich kann's nicht mit anſehen, der Tag iſt auch ſchon im Scheiden, ich bin allein, kein Menſch, der wie ich menſchlich fühlte. Dieſe feſten, ſicheren, in ſich einheimiſchen Naturen, die den Geiſt der Treue und Freiheit mit der reineren Luft ihrer Berge einathmen, die müſſen ſich durch die kothi- gen Straßen ſchleifen laſſen, von einem biertrunkenen Volk, und keiner thut dieſem Einhalt, keiner wehrt ſei- nen Mißhandlungen; man läßt ſie ſich verſündigen an den höheren Gefühlen der Menſchheit. — Teufel! — wenn ich Herrſcher wär, hier wollt ich ihnen zeigen daß
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0047"n="37"/>
Arm in Arm verſchränkt lägt Ihr unter der kühlen ge-<lb/>ſunden Erde, und mächtige Eichen beſchatteten Euer<lb/>
Grab; ſag, wär's nicht beſſer als daß Du bald ihr fei-<lb/>
nes Gebild den anatomiſchen Händen des Ab<hirendition="#aq">é</hi>e über-<lb/>
laſſen mußt daß er ein künſtliches Wachs hineinſpritze.</p><lb/><p>Ach, ich muß klagen, Goethe, über alle Schmerzen<lb/>
früherer Zeit, die Du mir angethan, ich fühl mich jetzt<lb/>ſo hülflos, ſo unverſtanden wie damals die Mignon. —<lb/>
Da draußen iſt heute ein Lärm und doch geſchieht<lb/>
nichts, ſie haben arme Tyroler gefangen eingebracht,<lb/>
armes Taglöhnervolk, was ſich in den Wäldern ver-<lb/>ſteckt hatte; ich hör hier oben das wahnſinnige Toben,<lb/>
ich habe Läden und Vorhänge zugemacht, ich kann's<lb/>
nicht mit anſehen, der Tag iſt auch ſchon im Scheiden,<lb/>
ich bin allein, kein Menſch, der wie ich menſchlich fühlte.<lb/>
Dieſe feſten, ſicheren, in ſich einheimiſchen Naturen, die<lb/>
den Geiſt der <hirendition="#g">Treue</hi> und Freiheit mit der reineren Luft<lb/>
ihrer Berge einathmen, die müſſen ſich durch die kothi-<lb/>
gen Straßen ſchleifen laſſen, von einem biertrunkenen<lb/>
Volk, und keiner thut dieſem Einhalt, keiner wehrt ſei-<lb/>
nen Mißhandlungen; man läßt ſie ſich verſündigen an<lb/>
den höheren Gefühlen der Menſchheit. — Teufel! —<lb/>
wenn ich Herrſcher wär, hier wollt ich ihnen zeigen daß<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[37/0047]
Arm in Arm verſchränkt lägt Ihr unter der kühlen ge-
ſunden Erde, und mächtige Eichen beſchatteten Euer
Grab; ſag, wär's nicht beſſer als daß Du bald ihr fei-
nes Gebild den anatomiſchen Händen des Abée über-
laſſen mußt daß er ein künſtliches Wachs hineinſpritze.
Ach, ich muß klagen, Goethe, über alle Schmerzen
früherer Zeit, die Du mir angethan, ich fühl mich jetzt
ſo hülflos, ſo unverſtanden wie damals die Mignon. —
Da draußen iſt heute ein Lärm und doch geſchieht
nichts, ſie haben arme Tyroler gefangen eingebracht,
armes Taglöhnervolk, was ſich in den Wäldern ver-
ſteckt hatte; ich hör hier oben das wahnſinnige Toben,
ich habe Läden und Vorhänge zugemacht, ich kann's
nicht mit anſehen, der Tag iſt auch ſchon im Scheiden,
ich bin allein, kein Menſch, der wie ich menſchlich fühlte.
Dieſe feſten, ſicheren, in ſich einheimiſchen Naturen, die
den Geiſt der Treue und Freiheit mit der reineren Luft
ihrer Berge einathmen, die müſſen ſich durch die kothi-
gen Straßen ſchleifen laſſen, von einem biertrunkenen
Volk, und keiner thut dieſem Einhalt, keiner wehrt ſei-
nen Mißhandlungen; man läßt ſie ſich verſündigen an
den höheren Gefühlen der Menſchheit. — Teufel! —
wenn ich Herrſcher wär, hier wollt ich ihnen zeigen daß
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835/47>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.